Lemming
von Carsten Maday

 

Kapitel

Zu Tausenden strömten sie von den Hängen herab, so viele, dass die wenigen Toten kaum ins Gewicht zu fallen schienen und es in Wahrheit auch nicht taten. Sie waren von allen vergessen, außer von dem, der sie gemordet hatte. Wie wir hatten sich auch die Schnee-Eulen rasend vermehrt, und die Massaker setzen das Unvermeidliche lediglich etwas früher in Gang. Ich stand in mitten dieser zuckenden, pelzigen Menge, und als man forderte, dass man die Eulen-Plage ein für alle mal aus dem Weg räumen sollte, hörte ich mich laut mit der Masse meine Zustimmung schreien. Ich dachte, dass mein Hass endlich die Lemminge wachgerüttelt hätte, dass ich vielleicht doch etwas bewegt, etwas Gutes getan hatte. Ich war wieder der Held, sah mich bereits mit einem kleinen Trupp hartgesottener Lemminge in schlammigen Löchern den Schnee-Eulen nachspüren, siegreiche Vernichtungsschläge führen, während die anderen in gewaltigen Höhlenanlagen Zuflucht suchten. Ein gewaltiges Werk, sicher, aber es könnte gelingen. Zuschlagen, verschwinden. Die Eulen würden den Winter nicht ohne Nahrung überleben, ihr Nachwuchs dahingemordet. Wer weiß, vielleicht könnten wir im Jahr darauf auch den Polarfuchs erledigen.
Ich begrub diese Hoffnung sofort, denn ich war schon zu tief gesunken, als dass ich noch hoffen durfte. Ich suchte nach Lemming, den Lemming den ich liebte. Ich fand sie jubelnd vor, als man den Exodus beschloss.

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