Das Licht der Hajeps
von doska

 

Kapitel 6

Kapitel 6


Worgulmpf war entsetzt. Hatte er richtig gehört ? Dummerweise hatten er und seine Freunde genau zu diesem Gehöft gewollt, dass ganz wie all die anderen Höfe in ziemlicher Nähe der großen Stadt lag. Doch aus Vorsicht war er mit seiner Meute nicht gleich zu dem stattlichen Fachwerkhaus, das von einem hübschen Gärtchen umrahmt war, hinüber geschlichen, um sich dort etwas zu erbetteln, denn sie hatten nichts auf den Feldern gefunden, wovon sie hätten leben können, sondern sich noch einige Augenblicke verborgen gehalten. Das war sehr gut gewesen, denn plötzlich war Lärm aus dem Hause bis zu Worgulmpfs Ohren gedrungen ... erheblicher Lärm ! Die Eigentümer des Hauses hatten wohl ziemlich heftig eine Meinungsverschiedenheit mit anderen Leuten zu klären, denn es klapperte jedes Mal die Tür, da jemand hinausgeworfen werden sollte, der sich jedoch immer wieder erfolgreich dagegen zu wehren verstand.
Gerade als Worgulmpf durch Handzeichen seiner Meute verständlich zu machen suchte, dass es wohl besser wäre sicherheitshalber umzukehren, hörte er plötzlich “Lais“ von der Landstraße her, direkt hinter ihnen. Er griff sich vor Schreck an die Brust, an die rechte Seite, wo das Herz aller Außerirdischen lag, die der Galaxie Raik Hotas entstammten, denn dort spürte er einen scharfen Stich. Waren es Hajeps oder Loteken, die sich ihnen näherten ? Xorr, das war ja im Grunde ganz egal ! So oder so waren sie gleich verloren ! Doch dann versuchte er sich zu beruhigen. Noch funktionierte ja der Schutzschirm ... noch ! Denn irgend etwas stimmte plötzlich an diesem Ding nicht. Entweder waren die Batterien alle – Worgulmpf wusste nicht, womit sie gespeist wurden – oder aber das Ding war ohnehin nicht so ganz funktionstüchtig gewesen, denn hier oben an dem quaderförmigen Medaillon – seine ungelenken Finger tasteten es gerade ab - blinkte rotes Licht. Es war ein ziemlich altes Modell, das wusste er, aber er war damals zufrieden gewesen, dass er es überhaupt vor der Flucht von Haituk, einem winzigen Halbroboter, hatte erhandeln können. Sein Daumen zitterte, als er das grüne, ovale Sensorenfeld berührte. Das Herz pochte ihm, als würde es dabei zerspringen und nun wartete er auf jenen ihm nun gut bekannten feuchten Dunst, der aus den oberen zwei Kanülen, die sich aus dem Medaillon hervorschieben würden, entweichen sollte, ja musste ! Er wartete und keuchte vor Angst. Würde es ihm noch ein letztes, bitte nur noch ein allerletztes Mal glücken ?
Die rettende Dunstwand blieb aus ! Schweiß trat auf Worgulmpfs Stirn und seine Freunde, seine Familie wisperten ungeduldig und angsterfüllt miteinander.
Ubeka! Irgendwie hatten sie trotzdem noch Glück im Unglück, denn die Lais änderten nicht nur ihre Richtung, sie setzten auch schwungvoll über den niedrigen Holzzaun des kleinen Gärtchens hinweg und parkten schließlich direkt vor dem Haus. Nun wusste auch Worgulmpf, mit wem man es hier zu tun hatte. Die Lais zierte eine Schlange und ein schwarzer Drache ! Und auch auf den Helmen war eine weiße Schlange zu sehen. Die Loteken fackelten nicht lange. Ihre Lais schwebten noch, als sie aus den Sitzen sprangen und es ertönte nur ein kurzes Summen und schon war die Tür des hübschen Fachwerkhauses auf und sie stürmten mit erhobenen Waffen in den Flur.
Jemand lachte schadenfroh, als ein Mann schmerzerfüllt aufschrie, eine Frau wimmerte und mehrere kleine Kinder weinten. Worgulmpf hörte die schrecklichen Stimmen der Loteken, aber er hörte nicht lange zu, denn er gab der Meute ein Zeichen.
Dort, auf der rechten Seite des Hauses, unter jenem Fenster mit den vielen Blumentöpfen, standen fünf Lais ! Er traute seinem Sohn Gulmur einiges zu, denn schließlich hatte der noch bis vor einem Jahr Skrabonede, dem obersten Verwalter militärischer Kleinstfahrzeuge lotekischer Einheiten, dienen müssen. Atimok, ein Kirtiv, zwergwüchsig, aber mit großem technischem Verstand, war zufälligerweise genau in jene Einheit damals strafversetzt worden. Er hatte sich rasch mit Gulmur angefreundet, ihm einige Tricks gezeigt, wie man sich diese Fahrzeuge auch ohne die Eingabe eines besonderen Codes für einige Zeit aneignen konnte. Es war nur gefährlich, bis dorthin ohne Schutzschirm zu gelangen!

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Wenig später führten Margrit und Muttchen, niedergeschlagen aber zielstrebig, ihre Fahrräder durch ein Stück des riesigen Waldes, vor welchem sich beide Familien vorhin getrennt hatten. Über diese Abkürzung wollten sie auf eine ehemalige große Schnellstraße kommen, die an einem Gehöft vorbeiführte, das noch funktionierte, wo sie sich Nahrung erbetteln oder in dessen Feldern heimlich nach restlichen Kohlrüben suchen konnten.
„Der wird uns fehlen, der Paul, stümms ?“ unterbrach Tobias unpassenderweise die inzwischen lang anhaltende Stille.
Margrit nickte und obwohl sie es nicht wollte, schossen ihr automatisch wieder Tränen in die Augen.
Tobias achtete - wie alle Kinder dieser Welt - natürlich kaum auf den Gesichtsausdruck anderer Menschen und so auch nicht auf den seiner Mutter, er hakte sogar, gründlich, wie er von Natur aus war, weiter nach: “Warum ist der denn mit der Scheißtussi mitgegangen und nich` mit uns ?“ knurrte er verdrießlich.
Margrit hielt tapfer die Tränen zurück. “Weil...weil sie hübscher ist als ich, schätze ich und... und jünger !“
„Die war aber gar nich` hübscher, als du Mams“, mischte sich jetzt auch Julchen ziemlich aufgebracht ein.
„Stümmt !“ bestätigte Tobias. “Du bist sogar viel, viel schöner, als die. Du hast nämlich mehr als die.”
Margrit war erstaunt, ausgerechnet das von Tobias Lippen zu hören, zumal ihre Oberweite nicht gerade besonders groß und auch noch durch die Strapazen des Krieges und dem ewigen Hunger richtig eingeschrumpelt war. Aber der Kleine sah das wohl aus dem Blickwinkel der Liebe und daher mühte sie sich zu lächeln. “Was habe ich denn mehr, Tobias ?“ fragte sie dennoch sicherheitshalber und zog reflexmäßig die Schultern zurück und hielt sich gerade, damit man wenigstens ein bisschen von dem erkennen konnte, was eine Frau vom Mann unterschied.
Diese weibliche Eitelkeit schien auch belohnt zu werden, denn der Kleine betrachtete sie anerkennend. “Naa –
ah... !“ sagte er. “Du hast mehr Falten im Gesicht ... das hat die nich` ! Stümms, Mams, es gibt bestümmt niemand, der soooh viele Falten hat, wie du ?“
Margrit fiel in sich zusammen und nickte beklommen.
„Am Mund haste welche“, zählte er sehr stolz auf, “und sogar am Hals haste welche, und an den ... naja, an den Fingern haste auch welche und... und... wo noch ? Ah, ja, schön graues Haar haste auch, wie ein rauschgoldiger Engel. Na, nich` ganz, ein bisschen braun is` noch drin, aber das wird schon noch ! Daas wird ganz bestümmt, stümms ?“ Er sah ungeheuer ermutigend zu ihr hinauf, während er, entschlossenen Schrittes neben ihrem Rad durch das herbstliche Laub stapfte. Dann betrachtete er die hohen Bäume.
”Haben die aber viele Blätter und die kommen jetzt alle runter. Er blickte zu Boden.
Margrit lachte derweil und als die Tränen ihre Lippen erreichten, leckte sie sich die einfach mit der Zunge ab. “Du kannst ja vielleicht Komplimente machen, Tobias !“ krächzte sie.
Tobias nickte zufrieden, aber plötzlich blickte er doch misstrauisch zu ihr auf .“Heulste etwa?“
Margrit nickte, blieb stehen und wischte sich mit dem Handrücken über die Nase.
„Wegen der Blätter oder immer noch wegen dem Paul ?“ fragte er weiter und seine Stirn legte sich in viele kleine Dackelfalten, die alle nach oben wiesen.
Margrit erwiderte lieber nichts, sondern schob nur das Rad zu einem Baum. Sie lehnte es vorsichtig gegen dessen Stamm, hob Julchen aus dem Sitz und stellte die Kleine auf den Boden, die nun heftig gähnte und sich streckte und reckte. “Ich habe Paul geliebt, Tobias“, erklärte sie endlich und ergriff sich den Jungen, der an der Reihe war, gefahren zu werden, “und nun ist er von mir gegangen und ich kann ihn nicht mehr lieben ... Donnerwetter, bist du schwer !“ keuchte sie. ”Ich staune immer wieder !“
„Bin ja auch ein Mann ! Naja. ein kleiner”, räumte er ein, als er endlich im Sitz saß. “Das hat nämlich der George einmal zu mir gesagt !“
„Ja, stümmt !“ quiekte Julchen. “Ich hab`s auch gehört ! Kleiner Mann hat er zu Tobi gesagt !“
„Siehste !“ sagte Tobias stolz.
Eine letzte Träne kroch über Margrits Wange und während sie das Sonnenlicht, das auf den schmalen Waldweg fiel, betrachtete, tauchte im Geiste Georges liebes Jungsgesicht vor ihr auf. Sie blickte in seine Katzenaugen, sie waren so unergründlich und grün wie dieser verwilderte Wald, zwinkerten ihr schelmisch zu ... und nun verschwand dieses Bild wieder.
„Wenn ich gangere”, plapperte Tobias indes eifrig weiter.
„Das heißt ginge !“ verbesserte ihn Margrit und lachte mit einem Mal erheitert.
„Na, dann ginge ! ” sagte er. “Würdest du mich nich` mehr lieben, Mams ?“ Seine Stimme klang ziemlich bedrückt.
„Ich würde dich immer lieben, Tobias !“ versicherte sie ihm. “Es war nur mit Paul etwas anders gemeint ! Ich werde Paul nie vergessen ! Wir Menschen können uns glücklich schätzen“, sie warf dabei ihrer Mutter einen zärtlichen Blick zu, “dass wir die Gabe der Liebe haben !“
„ICH werd` dich auch nich` vergessen Mams ! Neee! NIE ! Menschen können nämlich lieben, so ist das !“ schluchzte Tobias plötzlich los.
„Aber Tobias !“ rief Margrit entgeistert.
„Und ich ... ich werd` dich auch nich` vergessen ...weil ... ich bin nämlich gar nich` vergesslich !“ fiel Julchen schniefend mit ein. “Großes Indianerehrenwort !“
„Nicht doch, Kinder !“ Margrit suchte hastig nach dem einzigen Taschentuch, was sie inzwischen nur noch hatte, und fand es plötzlich nicht. “Ihr müsst mich doch nicht schon heute verlassen."
„Weiß ich ja“, quiekte Julchen, “aber ich hab` schon mal meinen Mantel vergessen ... aber das war wirklich nur das eine einzige Mal, dass ich meinen Mantel vergessen habe ! Neee ! Den Mantel ... DEN vergesse ich nich` mehr, nie nich` mehr vergesse ich Mantels ! ”
„Und ich ... kann dich nicht leiden, Mamms !“ heulte Tobias weiter. “Ach, quack ... kann ES nicht leiden, wenn.... wenn du so scheiße... traaau... erig bist!“
„Wenn ich mal groß bin“, stellte Julchen jetzt mit finsterem Blick und tief gerunzelter Stirn klar, “und ich Indianer und sogar Medizinmännin bin, fange ich dir den Paul, Mams, und mache, dass er dich immer liebt, Hough !“ Sie hob die Hand zu einem selbst erdachtem indianischem Gruß.
„Danke euch ! Hough !“ erwiderte Margrit so gut es ging, mit der freien Hand. “Und ich verspreche euch, nun durch so viel Unterstützung gestärkt, künftig nicht mehr so dämlich zu weinen - nochmals, Hough !“
„Kann man auch dämlich weinen Mams ?“ erkundigte sich Tobias, ganz der Denker, der er von Natur aus war.
„Manchmal schon !“ knurrte Margrit und schob energisch das Rad durch`s Laub, während ihr Muttchen erleichtert zulächelte.

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Worgulmpfs lange Struwwelmähne wehte ihm über Stirn und Nase, der weite, derbe Sklavenkittel knatterte wie eine Tüte um seinen wuchtigen Körper und ihm war hier oben direkt ein wenig kalt. Bei Ubeka, und Anthsorr, er musste jetzt sehr aufpassen und reaktionsschnell sein. Er machte kleine Augen, weil ihm der Wind so sehr ins Gesicht fuhr und knirschte mit den gewaltigen Zähnen, da er sich so sehr konzentrieren musste, um keinen Unfall zu bauen, aber er war nicht unruhig. Die Arme seines Jüngsten, die sich voller Vertrauen von hinten um seine Hüften geschlungen hatten, machten ihm Mut. Der Kleine hinter ihm juchzte nun schon die ganze Zeit voller Vergnügen, während ein wunderbar abendliches Landschaftsbild so etwa fünfundzwanzig Meter entfernt unter ihnen dahin segelte.
Je eine von Worgulmpfs Pranken hielt die beiden etwas seltsam gekrümmten Lenkknüppel fest umschlungen. Es war nur Schade, dass sein Ältester nicht mehr gewusst hatte, wie man die geleeartigen Fensterscheiben und das Verdeck hoch bekam. Nun ja, es ging auch so. Schließlich hatten sie ein dickes Fell. Und wenn man es recht bedachte, war das schon eine Glanzleistung Gulmurs gewesen, ungesehen gleich vier Lais startklar zu machen.
Jetzt würden sie sehr schnell bei - wie hatte ihn Georgo doch gleich genannt ? Ah, ja, Robert ! - bei diesem Robert angekommen sein. Der sollte dann die entsprechenden Verbindungen für Worgulmpf und seine Meute herstellen, für sie Kontakte mit den – oh, jetzt war ihm auch dieser komische Name entfallen, aber es musste so etwas ähnliches wie Würmer sein, bäh ! – herstellen. Menschen würden dort erscheinen, die sie mitnehmen und für einige Zeit in ihren Verstecken leben lassen würden. Sie würden erst dann endlich....endlich in Sicherheit sein !
Die gescheckten Augen leuchteten bei diesem Gedanken erleichtert auf. Zu schade nur, dass er nicht wusste, wie man das Tempo bei solch einem Lai etwas drosseln konnte. Aber vielleicht war es auch gut so schnell zu sein. Schade auch, dass es Gulmur vorhin nicht geglückt war, noch den fünften Lai zu rauben. Er war ein wenig derb mit diesen kleinen Flitzern umgegangen und daher auch recht laut gewesen, um deren Sperrsystem zu zerstören. Die Loteken hatten es später doch gehört, aber ehe sie zur Tür hinaus gewesen, waren sie mit eben diesen vier Lais schon auf und davon.
Er war froh, dass Gulmur an der Spitze des kleinen Zuges flog. Gulmur konnte diese kleinen, schmalen Gleiter nicht nur recht gut steuern, sondern ihnen auch noch Ratschläge dabei erteilen.
Er wunderte sich jetzt doch ein bisschen, dass die Loteken den fünften Lai noch immer nicht repariert hatten, dessen feines Sensorensystem Gulmur glücklicherweise doch noch schnell hatte zerstören können. Aber er war sich sicher, dass die Loteken bestimmt ihre Kameraden zur Hilfe gerufen hatten. Bald würde es hier nur so von Lais wimmeln. Sie mussten also machen, damit sie in den großen Wald kamen, wo man sie schwerer ausfindig machen konnte.
Schon seit einem ganzen Weilchen sah er hier und da hektische Vogelschwärme in den roten Abendhimmel aufsteigen. Sie kamen alle nur aus einer Richtung, nämlich von der Stadt her und ihnen entgegen. Erst hatte er sich nicht sonderlich darüber gewundert, denn er hatte gelernt, dass sich in diesen Breitengraden die Vögel immer zur Herbstzeit zusammenfanden, um in wärmere Gebiete zu fliegen, doch plötzlich erschien ihm doch an ihrem wildem und ziemlich undiszipliniertem Gebaren irgendetwas eigenartig. Vor allem, wenn die Vogelschwärme wieder auf dem Boden oder in den Bäumen landen wollten. Seine gesprenkelten Augen schauten genauer hin und ... er wäre deshalb fast vor Schreck aus seinem viel zu kleinen Sitz geflogen ... denn er erkannte, dass diese Vögel nach einer Weile einfach tot vom Himmel herab fielen, als wären sie ein Haufen niederprasselnder Steine.
Plötzlich winkte ihm Gulmur zu. Er gab aufgeregt nach hinten ein Zeichen: alle sofort scharf nach rechts, hieß das ! Bei Ubeka, weshalb sollten sie denn plötzlich einen Umweg machen und nicht direkt auf den Wald zufliegen ? Da sah er in der Ferne hajeptische Kontrestine blinken.. Sie kamen aus der gleichen Richtung wie die Vögel. Zwar waren diese reinrassigen Hajeps im Moment nicht Worgulmpfs direkte Feinde, das schon eher die Loteken, ein gewaltiges einstiges Eliteheer der Hajeps. Doch konnten die Hajeps den Verlust ihrer sonderbaren und uralten Bombe längst bemerkt haben und gemeinschaftlich Jagd auf Trowes machen? So gehorchte Worgulmpf seinem Sohn, hörte aber trotzdem nicht auf, über die Vögel nachzudenken. Hatten die Mannschaften dieser Kontrestine irgend etwas mit diesen plötzlich erkrankten Vogelscharen zu tun ? Weshalb kamen die Hajeps ebenfalls aus jener Richtung, wo Coburg lag ?
Es war gut anzunehmen, dass Hajeps die Menschen mit ihren sonderbaren Waffen in dieser Stadt getötet hatten. Worgulmpf hatte eigentlich schon längst mit viel heftigeren Reaktionen der Hajeps auf die gewaltigen Menschenmassen, die plötzlich in ihre Gebiete strömten, gerechnet. Und so wäre er gar nicht verwundert gewesen, wenn sie zum Beispiel über besondere Schallwellen, die zwar niemand hören konnte, die aber nach einem Weilchen die empfindlichen Zellen der Gehirne zerfraßen, die Menschen und leider auch somit die Vögel, welche sich in der Nähe der Stadt aufgehalten hatten, getötet hatten.
Ah, da war ein anderer Wald. Gulmur machte Handzeichen, dass die Gleiter niedriger fliegen und dann plötzlich zwischen den Baumwipfeln verschwinden sollten.
Alle gehorchten mehr oder weniger geschickt. Schließlich warteten sie auf dem Boden, angstvoll die gelben Augen zu den Blätterdächern über sich gewandt. Worgulmpfs kräftige Finger schwebten für einen Moment über dem Sensorenfeld seines Medaillons, als sie die Kontrestine der Hajeps endlich heransegeln hörten. Sollte er es ein letztes ... noch ein allerletztes Mal versuchen ? Vielleicht funktionierte der Kasten nach solch einer langen Pause wieder ?
Oder sollte er sich dieses letzte Mal für entscheidendere Momente aufheben, weil das Ding vielleicht dadurch völlig kaputt gehen konnte ? Jetzt waren sie direkt über ihnen. Sein Jüngster hatte deshalb die Ärmchen wieder fest um ihn geschlungen und bebte am ganzen Leibe. Aber die Kontrestine verharrten nicht, sondern flogen ohne jede Verzögerung einfach weiter. Die kleine Schar atmete erleichtert aus.
Erst nach einem ganzen Weilchen hatten sich die Trowes mit ihren Lais wieder über den Wipfeln der Bäume erhoben, aber dann jagten sie wieder pfeilschnell davon
Als sie sich jedoch Coburg näherten, wurden sie etwas langsamer – Worgulmpf beherrschte das jetzt - denn von oben konnte man sehr gut sehen, was sich dort ereignet hatte. Wenngleich Worgulmpf ein Gefühl wie Mitleid völlig unbekannt war – er stand nur zu seinem eigenen Klan und nicht einmal sein Volk interessierte ihn - so glaubte er jetzt doch zu begreifen, weshalb die Menschen sich nicht nur mit Trowes, sondern auch mit allen anderen Sklavenvölkern zu verbünden suchten. Denn nicht nur in den Straßen lagen leblose Menschenkörper, Männer, Frauen, Kinder herum, die sich noch im letzten Todeskrampf die Ohren zugehalten hatten, auch außerhalb der Stadt und in den Gehöften. Es waren all jene gewesen, die wohl schon früh gespürt hatten, dass irgendetwas nicht in Ordnung war, vielleicht waren aber auch die wahnsinnigen Ohren- und Kopfschmerzen der Grund dafür gewesen einfach schleunigst ins Freie zu laufen, um mehr Sauerstoff für`s Gehirn zu bekommen. Doch damit hatten sie nur, umso schneller ihrem Leben ein Ende gesetzt.
Worgulmpf sah nun mit zusammengekniffenen Lidern in die Ferne. Würden sie eine Chance haben, wenn sich Trowes mit den restlichen Menschen dieses Landes verbündeten oder war ohnehin alles sinnlos ?
Gulmur winkte schon wieder zu ihm nach hinten - aha – also jetzt in die alte Richtung. Er schätzte, er würde noch vor Sonnenuntergang bei diesem Robert sein ... wenn nichts dazwischen kam !

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Stunden vergingen und die beiden Frauen kamen nur mühsam vorwärts. Blattwerk und Wurzeln wirkten sich leider sehr störend auf die Reifen aus. Muttsch`s Rucksack und der Koffer waren schwer. Das zweite Rad hatte Paul ihnen überlassen, damit sie besser vorwärts kommen sollten. Was sehr lieb und aufopferungsvoll gewesen war. Dennoch fehlte Paul einfach an allen Ecken und Enden ! Auch die Reifen aufzupumpen, geschweige denn nach deren Löchern zu forschen und diese zu flicken, ging ihnen viel langsamer von der Hand als dem starken und geschickten Mann.
Margrit biss die Zähne fest zusammen und ihr dürrer, ausgemergelter Körper zitterte und schwankte, gebeutelt von all den zusätzlichen ungewohnten Belastungen und unwillkürlich dachte sie dabei an Ilona, die jetzt gewiss von Paul verwöhnt wurde, die vor allen Dingen seine Zärtlichkeiten genoss. Zunehmender Neid stieg bei diesen Gedanken in ihr auf, leider auch wieder Tränen, doch sie hielt sich diesmal an ihr Versprechen, wollte wieder so fröhlich sein, wie vordem.
„Indianer brechen nicht ihr Wort!“ murmelte sie, in solchen Fällen dann, leise vor sich hin. “Nein, das tun sie
nicht !“
Als es Abend wurde, standen sie, nach etlichen Pausen während ihrer Wanderung, endlich am Rande des großen Waldes. Vor sich hatten sie eine der größten Schnellstraßen, die einst von Menschenhand erbaut und nun Gott weiß wie lange nicht mehr befahren worden war. Die Straße sah schrecklich aus. Nichts war hier seit über zwanzig Jahren mehr repariert worden. Kein Wunder ! Die außerirdischen Eroberer brauchten keine Straßen, denn sie fuhren nicht, sie flogen ! Manchmal nur wenige Zentimeter knapp über dem Boden dahin !
Die Stadt war jetzt etwa dreieinhalb Kilometer von der kleinen Familie entfernt. Das meiste Land, das sie bisher gesehen hatten, war verwildert. Es gab wohl nur noch Höfe ganz in der nähe der Stadt. Muttchen wollte, obschon sie sehr erschöpft war, diesmal ohne Pause weiterlaufen, doch Margrit hinderte sie tatkräftig daran, zum Beispiel indem sie die alte Dame beim Zipfel ihres Mantels packte.
„Was ist los mit dir ?“ quiekte Muttchen schließlich entrüstet. “Wir können nicht mehr trödeln. Es wird bereits dunkel und du weißt, wie es mit dem Licht aussieht. Wer repariert heute noch Laternen ? Außerdem sind Strom und Gas ungeheuer kostbar geworden, und Hajeps scheinen kaum Licht zu brauchen, oder sie haben ihre eigene besondere Lichtversorgung. Wie wollen wir ein Gehöft in völliger Finsternis finden ? Wir brauchen ein Dach über dem Kopf, endlich feste Wände um uns, oder willst du etwa in diesem feuchten und kalten Wald übernachten ? Da ist dir aber eine Lungenentzündung sicher, meine Liebe !“
„Die will ich auch nicht bekommen!“ Margrit hatte noch immer ihre Finger fest in Muttchens Mantel gekrallt; sie sah verzweifelt und angstvoll zur Straße. “Aber ... merkst du nichts?“
„Doch, deine Finger an meinem Hintern !“ knurrte Muttchen..
„Immer musst du Witze machen.“ Margrit fuhr sich mit der Zunge über die vor Aufregung trocken gewordenen Lippen. “Ich meine... merkst du nicht, wie still es ist ?“
Muttchen brach in verdutztes Lachen aus. “Ja, es ist still. Warum sollte es das nicht sein ? ”
„Na, kein Vogel singt - nichts ! Dabei besingen Vögel doch sonst immer die kommende Nacht.”
„Mein Kind“, fauchte Muttchen und versuchte sich dabei von Margrits festem Griff zu befreien. “Du hast zwar ein hervorragendes Gehör, aber du spinnst dann und wann. Naja, bist ja auch Psychologin! Das entschuldigt Einiges ! Denn es ist Herbst. Die meisten Vögel werden bereits fortgeflogen sein ! ”
„Danke, Danke, Danke !“ Margrit machte einen alberlichen Knicks, gleichwohl ließ sie das Rad und vor allem Muttchen nicht los. “Du bist heute richtig reizend zu mir !“
„Bin ich auch ! Aber du hörst gelegentlich Mäuse husten. Ich gebe zu, dass es zwar im Augenblick Vögel sind, die außerdem nicht husten ! Aber deine Vögel werden eben schon vorher gehustet haben. Wir haben nur nicht darauf geachtet.“
„Aber, es ist noch nicht vollkommen dunkel, Muttsch. Einige noch Verbliebene müssten jetzt zwitschern. Außerdem ist die Stadt total ruhig. Kein Laut dringt einem ans Ohr, als ob...“
„Du meinst... Coburg ist auch...ist bereits... ist...tot ?“
„Ja, na ja, hm...das befürchte ich ! Es lebt keiner mehr in dieser Stadt. Es müssten aber Flüchtlinge an ihr vorbeikommen. Wer das tut, oder sogar durch Coburg hindurchzieht, läuft vielleicht in eine Falle !“
„Oh, Sch....Schade !“ platzte es aus Tobias heraus .“Ich hasse Fallen ! Neeee ! Magst du Fallen, Jule ? ”
„Puh, ich auch nich !“ bestätigte Julchen.
„Und wenn nun Dieterchen schon in Coburg ist ?“ fiel es Tobias plötzlich ein.
„Bestümmt, die...die wollten doch einen Abkürz - zug nehmen ?“ keuchte Julchen entsetzt.
„Herr du meine Güte, die Kinder haben ja Recht ?“ ächzte jetzt auch Muttchen. “Oh Gott, dein Paul ! Annegret, Herbert, Ilona! hoffentlich sind die nicht da hinein und....“
„Der .. der hat meinen Blaui”, war Tobias nächster Gedanke, “den krieg` ich nun nich mehr ... stümms ? ”
Margrit nickte, er faltete düster die Stirn und schob schließlich die kleine, dicke Unterlippe vor. “Ich meine ... ich will aber meinen Blaui wiederhaben !“
„Tja, Tobias !“ Margrit hob hilflos die Schultern an.
„Ich will nich, dass die Hajeps unsere Erde kriegen !“ schluchzte Tobias plötzlich los. Sein dürrer Körper bebte schrecklich dabei. “Der Blaui ist meiner, der gehört doch uns, den Menschen, verstehste !“
Julchen blickte zu ihrem Bruder hoch, zu ihm, der auf Mamas Rad saß, und zupfte Tobias am Hosenbein. “Nich... nich weinen, Tobi ... Ja...ah ?“ krähte sie halb erstickt zu ihm hinauf. “Ich... ich werd` nämlich bald später Indianer und dann Medizinmännin ! ”
„Bestümmt ?“ fragte Tobias, etwas getröstet, zu ihr herunter.
„Indianerehrinwort ! Da... da schleiche ich mich dann an und klaue deinen Blaui den blöden Hajeps, so !“
„Kreuzspünnen, Jule ! ”
„Urrgh !“
„Machst du es bestümmt ?“
„Urrgh....ja, Bestümmt !“
„Klauste auch...“ er schluckte “Dieterchen ? ” Dabei tropfte ihm nun doch eine Träne still zu Boden und dann folgte etwas schneller gleich die nächste. Große Augen starrten dabei Julchen an.
Julchen erwiderte nichts, sah nur in Tobias Gesicht und plötzlich brach auch sie in hilfloses Schluchzen aus.
Margrit blickte besorgt auf ihre verstörten Kinder. Sie hatte diese Verwirrtheit und Verzweiflung schon oft bei ihnen erlebt, aber diesmal ging ihr das ganz besonders unter die Haut ! Zumal sie selber Sorge um Paul und im Grunde auch um all die anderen hatte. Es waren Menschen, die sie ins Herz geschlossen hatte, die zu ihrem Volke gehörten, die irgendwie ihre Brüder und Schwestern waren. Niemandem, auch wenn sie ihn noch so hassen würde, konnte sie ein derart furchtbares Ende wünschen, wie durch die Hände dieser schrecklichen Außerirdischen zu sterben.
„Ich glaube nicht, dass Paul diese Stadt betreten haben wird. Er ist so vorsichtig wie ich”, sagte sie möglichst bedächtig. “Er müsste dann schon sehr von Ilona abgelenkt worden sein.“ Und wieder kroch bei diesem Gedanken Argwohn in ihr hoch. Was, wenn diese Ilona in Wahrheit doch so ein verkleideter Hajep war ? “Die Hegenscheidts“, fuhr sie trotzdem noch einigermaßen ruhig fort, „werden sich nach Paul richten. Sie waren wohl nicht so lange auf der Flucht wie wir und sind daher kaum so erfahren.“
„Du meinst Dieterchen is nix passiert,. ganz ohne Schei....äh....in echt ?“ Tobias schnäuzte sich trompetend in den Ärmel, da er schon wieder kein Taschentuch hatte und krempelte den anschließend ein kleines Stückchen höher.
„Ich bin mir dessen sicher !“ Margrit versuchte, ohne mit den Wimpern zu zucken auf die Lenkstange ihres Fahrrades zu starren.
„Du lügst nich Nee ?“ meldete sich jetzt auch Julchen und wischte sich mit dem schmutzigen Handrücken quer über die Augen, so dass ein grauer Streifen nicht nur über den Lidern sondern auch über der Nase erschien.
Oh, Gott, es war wirklich nötig, dass sie endlich wieder eine Möglichkeit fanden, sich wieder zu waschen. “Nein!“ sagte sie laut. “Äh - ich meine Hough !“
Julchen strahlte. “Hough, Mams ! Wenn ich Medizinmännin bin, werdere ich an dich denken.“
„Ich weiß, du holst mir dann den Paul !“ Sie versuchte verschmitzt ein kleines Lächeln, obwohl sich ihr dabei das Herz zusammenkrampfte, denn im Geiste sah sie mit einem Male wieder die Kirchenbänke vor sich, erblickte das Blut an den Wänden, doch diesmal war es nicht Armin der mit weit aufgerissenen Augen zwischen den Bänken lag, sondern .... ! Margrits Hände zitterten, während sie das Rad weiter schob.

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Die kleine Familie beschloss, an diesem Abend nur so weit zu wandern, bis sie das Gehöft erreichten. Vielleicht waren die Leute dort barmherzig, würden sie in ihrem Haus oder in einem der Ställe schlafen lassen und ihnen womöglich sogar etwas von ihren Nahrungsmitteln abgeben, sofern sie lebten ... aber sie lebten nicht mehr !
Der Leichnam des Bauern saß vornübergebeugt noch am Tisch. Er hatte wohl gerade eine Suppe gegessen und sein Gesicht lag darin, als Margrit die Türe öffnete, die nur leicht angelehnt gewesen war. Seine Frau lag vor dem Stall, ebenfalls das Gesicht von Margrit abgewendet und der Zipfel ihres Kopftuchs flatterte noch immer im Wind. Wenig später fand Margrit den Knecht, blau und aufgedunsen auf dem Wasser des in der Nähe gelegenen Forellenteichs treibend, gerade als Margrit dort ihre Feldflasche hatte auffüllen und ein wenig trinken wollen.
Sämtlicher Durst war ihr mit einem Male vergangen. Was war denn so plötzlich mit diesen Menschen passiert ? Nach kurzem Grübeln glaubte Margrit den Grund hierfür herausgefunden zu haben. Diese Leute hatten in der Nähe von Coburg gelebt. Irgendwelche Gifte mussten von dort aus bis zu ihnen herübergeweht sein Als Margrit dann die Kinder entdeckte, die wohl beim Mittagschlaf erstickt waren – komischer Weise hielten sie die Hände an den Ohren - begrüßte sie es doch, dass sie sowohl Muttchen als auch Julchen und Tobias zuvor in weiser Voraussicht am Rande des Gehöftes hatte warten lassen. Margrit plünderte nach einigem Zögern trotzdem die Schränke und schnappte sich ein paar Decken, um diese später gegen Nahrung einzutauschen. An die Speisekammer schlich sie sich diesmal nicht, denn wenn womöglich irgendwelche tödlichen Gase hier herumgeweht hatten, waren die Nahrungsmittel womöglich auch nicht mehr zu gebrauchen. Anschließend grub sie jedoch noch Kartoffeln aus - das waren viele - dann kam sie, zur großen Erleichterung der kleinen Schar, endlich zurück !
Jubelnd wurde sie begrüßt, alles schrie und jauchzte, da man endlich irgendeine Nahrung hatte und Margrit musste sich dabei zu ihrer Schande eingestehen, dass sie das schlimme Ende der Bauern in diesem Moment schon fast völlig vergessen hatte. Sie machte sich auch später kaum Gedanken, so hart war selbst Margrit, eigentlich eine mitfühlende Natur, inzwischen geworden.
Nachdem die Familie am Rande des Waldes von den gegrillten Kartoffeln genügend gegessen hatte, ging sie sehr zufrieden in diesen tiefer hinein und man beschloss, den Wald vorab nicht mehr zu verlassen. Die Vögel hier sangen zwar schließlich doch, aber viel zu spät ! Beide Frauen waren inzwischen zu der Überzeugung gelangt, dass irgendetwas Gewaltiges passiert sein musste, was die Vögel in der Umgebung vor Schreck hatte verstummen lassen. Margrit hatte es sich zur Vorschrift gemacht, die Tierwelt besonders scharf zu beobachten und sich nach ihr zu richten. Sie war fest davon überzeugt, dass dieses wachsame Verhalten ihrer aller Leben retten konnte. Muttchen verließ sich dabei ganz besonders auf Margrits ausgezeichnetes Gehör und obwohl die Kinder - speziell Julchen - auch recht gute Lauscherchen hatten, reichten sie doch nicht an Margrits Ohren heran. Man kämpfte sich also vorwärts, durch Unterholz und Gestrüpp, aber auch manch einen Waldweg entlang und das obwohl man zum Umfallen müde war, dabei auch noch dann und wann einen Blick auf Pauls Uhr werfend, die ja zugleich ein Kompass war. Munk folgte ihnen - Muttchen konnte den schweren Kater einfach nicht mehr tragen - und der tat es, wie schon so oft, in großer Treue.
Schließlich wurde es dunkel und der Kater vollbrachte das Kunststück, Mäuse zu fangen, ohne dabei seine Freunde
aus den schrägen Katzenaugen zu verlieren. Und dann war es so duster geworden, dass auch er nichts mehr jagen und die kleine Familie sich lediglich vorwärts tasten konnte, wobei man dennoch suchend nach einer schützenden, nicht ganz so feuchten Lagerstatt war.
Plötzlich glaubte Margrit in der Nähe Hundegebell zu vernehmen,
„Etliche Meter von uns entfernt, mitten im Wald, muss eine Hütte sein!“ wisperte Margrit konzentriert. “Denn ich habe einen Hund und eine Ziege hören können.“
„So ?“ Muttchens Stimme klang müde aber auch ein bisschen ungläubig. Sie hustete und ihr Rad schwankte dabei und somit Julchens Arme, die während des Schlafes je rechts und links über die Lenkstange gerutscht waren. “Was du so alles hörst.“
„Du hättest die Kleine nicht auf dein Rad nehmen sollen, Muttsch“, rügte sie Margrit so ganz nebenbei. “Das Kind ist zu schwer für dich und du wirst mir noch zusammenklappen.“
„Erinnere mich nicht an so etwas“, erklärte Muttchen leise, “sonst tue ich es noch. Aber, was sollte ich denn anderes machen, Tobias ist dir plötzlich eingeschlafen und...“
„Ich hätte ihn geweckt und... weißt du was ? Das werde ich jetzt auch noch tun. He, Tobias ... hee....eh... Donnerwetter ... der hat heute aber einen gesegneter Schlaf !“
„Es ist ja auch viel passiert ! Viel zu viel für kleine Kinder!“ bemerkte Muttchen. “Nein, lass ihn nur schlafen ! Es geht ja noch. Dummerweise haben wir heute eine mondlose Nacht.” Sie riskierte einen Blick zum Himmel, hätte dabei Munk fast angefahren, der mit gesträubtem Fell ebenfalls dem Hundegebell gelauscht hatte. Es ist schon schlimm !“ murmelte sie. “Man sieht buchstäblich die Hand vor Augen nicht. Wenn ich hinschlage und mir die Beine breche ... in meinem Alter... ds wird tödlich ! Zum Setzen und Ausruhen ist es hier zu kalt und zu feucht, dabei hole ich mir auch den Tod. Wir sitzen hier fest wie in einer Falle ! Findest du nicht ? Nein, nein! Denken wir lieber an etwas anderes. Was sagtest du doch gleich ? Ach ja, du meintest, Geräusche gehört zu haben.“ Sie kicherte.
„Pah, du bist doch bloß neidisch, nicht solche Ohren zu haben ! Und jetzt wollen wir mal ganz still sein, um herauszuhören, von welcher Seite die Geräusche kommen. Nein, du meldest dich jetzt bitte nicht, Munk ! Hör` auf zu maunzen, meine Güte !”
„Munk ist wohl müde und will, dass wir endlich anhalten !“ erklärte Muttchen. “Bist du sicher, dass sich die Hütte tatsächlich im Wald befindet und nicht ausserhalb ?“
„Pscht ! Ruhe, Mutsch ! Ach, dieser gottverdammte Kater ! ”
„Vielleicht hatten sich ja auch nur ein Hund und eine Ziege im Wald verirrt?“ plapperte Muttchen trotzdem weiter.
„Ha, nun haben auch noch Hühner gegackert“, zischelte Margrit. “Ooooh, sie sind sehr aufgeregt ! Naja, schlafen ja auch normalerweise um diese Zeit und jetzt .... Motorengeräusche aus der Ferne ? Vernimmst du sie auch ? ”
„Nix !“ Muttchen schüttelte den Kopf, konnte beim besten Willen nichts anderes vernehmen als das Rauschen der Baumwipfel über sich und jetzt Munks lautes Schnurren von unten, der ihr die Beine strich, was sie wohl beeinflussen sollte, ihn endlich in sein Körbchen zu packen, damit er sein Nickerchen machen konnte, was jetzt dringend dran war.
„Merkwürdig, ist das nun ein Flug - oder eher ein Fahrgeräusch ?“ fragte Margrit mehr sich selbst als Muttchen.
„Es ist ein Katergeräusch !“ erklärte Muttchen verdrießlich.
„Ach, Muttsch ! Es kommt aus der Nähe von Coburg”, fuhr Margrit in gespannter Tonlage fort, “und ist irgendwie ein feines Summen...“
„Nämlich Munks Schnurren ! ”
„Mensch, Muttsch, jetzt reicht`s aber ! Das ist wirklich ein komischer Klang.”
„Stimmt !“
„RUHE!“
Selbst Munk wurde urplötzlich still, lauschte ebenfalls, er hatte sogar deshalb mit seiner “Beinarbeit“ aufgehört.
„Es ist ein hauchfeiner, fast melodischer, metallischer Ton!“ erklärte jetzt Margrit. ” Ich hab`s ... das sind keine menschlichen Fahrzeuge, Muttsch ...oh Gott ... es ... es sind sicher außerirdische Kleinstwagen, die jetzt über die Straße sausen, Lais, diese ... diese winzigen Gleiter ! So nannte sie damals George und sie sind wie das eine Ding, weißt du, das damals dem riesigen Flugschiff gefolgt war, welches diese komischen Klebebälle auf uns hinab geworden hatte, entsinnst du dich Muttsch ?“
„Igitt, ja ! Ich erinnere mich nicht gerne daran !“ Muttchen schüttelte sich.
„Huch !“ ächzte Margrit.
„Was ist jetzt los ?“
„Na, die sind aber schnell ! Donnerwetter, jetzt sind sie schon im Wald !“
„Oh, Gott !“ stöhnte Muttchen verzweifelt. “Und ich höre sie noch immer nicht...”
„Macht nichts ! Hm ...jetzt fahren sie ziemlich ruckartig, wohl wegen der Bäume, die ihnen im Weg sind ! Sie benutzen kein Licht ... Licht kann man nämlich schon kilometerweit im Wald erkennen... ”
„Herr im Himmel ! Wie machen die das ? Stoßen sie dabei nicht an ? Ach, ach”, jammerte Muttchen. “Ich hätte es zu gerne gehabt, dass du heute, wenigstens das eine einzige Mal, ein wenig SPINNEN würdest ! Aber, es ist wohl wieder Mal die Wahrheit ! Sie kommen also ausgerechnet hierher. So ein Pech aber auch ! Und wenn sie uns hier finden, werden sie uns gleich abmurksen, nicht wahr ? He, was machen wir jetzt ?“
„Reg` dich nicht auf, Muttsch ! Denke lieber an dein Herz. Noch haben sie uns nicht entdeckt und der Wald ist groß. Vielleicht stoßen sie auch auf ein paar Wildschweine.“
„Meinst du, es gibt noch welche? Ich denke die Menschen haben alle aufgefressen ?“
„Um deine vorherige Frage zu beantworten: Ich vermute, dass es computergesteuerte Fortbewegungsmittel sind, die hochsensibel, also automatisch Widerstände umkurven, sonst könnten sie nicht derart schnell durch solch einen dschungelartigen Wald sausen ! Ooooh, oh, nein! Jetzt sind sie leider doch ganz nahe !Beweg` dich nicht, Mutsch. Beweg dich nicht ! Die Kinder ... die dürfen jetzt auf keinen Fall wach werden, geraten totsicher in Panik, wenn hier mit einem Male Hajeps aufkreuzen ... und halt den Kater fest !”
„Wie denn, wenn ich mich nicht regen soll ?“
„Ach ... hm ... na ja, Tiere lassen ja Hajeps eigentlich zufrieden ! Es heißt sogar, sie wären tierlieb !“
„Wie mich das jetzt rührt, Margrit !“ fauchte Muttchen.
”Nanu ?“
„Du machst mich wahnsinnig !“
„Na, plötzlich wird gebremst !“
„Hast du sie tatsächlich bremsen hören ? Nein, nein, Munk, du kommst jetzt nicht in den Korb ! Ach, dieser verflixte Kater, stell` dir vor, er ist gerade an mir hochgeklettert ! ”
„Dann schmeiß` ihn eben wieder runter ... etwa einen Kilometer entfernt von uns haben sie gestoppt ! Oh, das Haus! Davor haben sie also gehalten, denn es kommt jetzt mächtig viel Lärm vom Haus rüber ! Der Hund bellt, oh Gott, regt der sich vielleicht auf...”
„Munk auch“, warf Muttchen ein, “hörst du ihn, wie der faucht ? Er kann Hunde nicht ausstehen ! ”
„Ist mir jetzt egal ! Da, eine Frauenstimme gemahnt den Hund zur Ruhe. Jetzt höre ich Männer ! Die Frau wird wohl ausgefragt, denn ihre Antworten klingen zögernd. Es sind wirklich Außerirdische! ”
„So ? Woran willst du erkennen, dass es Außerirdische sind? Du verstehst doch kaum, was gesprochen wird, oder ?”
„Ganz recht, ich verstehe nichts, jedoch sind Klang und Betonung ganz anders als bei uns ! Jetzt wird es spannend ! Komm, wir schleichen uns näher, Muttsch !“
„Auf gar keinen Fall, bist du denn verrückt geworden ?“
„He, jetzt ist es wieder völlig still !“
„Ja und, hast du sie denn wegfahren hören ?“
„Stimmt, hast Recht, warten wir also lieber noch ein bisschen. Aber mir ist mächtig kalt, wenn man so ewig still stehen muss, dir nicht ?“
„Brrrr, ja, weißt doch, was für eine Frostbeule ich bin !“
Dennoch harrten sie tapfer für etwa eine gute Viertelstunde aus.
Doch dann drangen wieder Laute zu ihnen.
„Verdammt, sie sind leider immer noch da ! Und was machen wir nun, Muttsch ?“
„K...keine Ahnung, brrr ist mir k---kalt ! Schätze, wir müssen uns doch irgendwie bewegen !“
„Oh Gott, die Außerirdischen müssen wohl etwas kolossal Wichtiges bei diesen Menschen entdeckt haben.
Etwas, was diese Menschen wohl nicht haben durften, denn jetzt schimpfen sie die Frau aus. Die jammert, gibt irgendwelche Erklärungen ab, doch sie werden immer ungehaltener ! Oh Gott, jetzt schreit sie ... Stille ! Wimmert, hat wohl Schmerzen! Sie fragen sie wieder etwas. Sie antwortet ! Huch ! Huuuch ! Mir wird schlecht !“ Margrit würgte sich plötzlich. “Das ist ja kaum auszuhalten! ”
„Was denn ?“ keuchte Muttchen. “Bitte, beruhige dich doch ... oh, Gott, jetzt höre ich es auch, trotz meiner altersschwachen Ohren ! Das sind ja fürchterliche Schreie! M...meinst du etwa, dass diese Frau?“ Sie brach ab.
Beide schwiegen und lauschten entsetzt.
„Türen im Hause werden jetzt aufgerissen ... sie ... sie stürmen das Haus ! Jetzt auch noch eine verzweifelte Männerstimme ! Lautes Gezeter ! Mensch Munk, lass` doch endlich das Fahrrad in Ruhe ! Verdammt noch mal ! Der Mann weint, bettelt ebenfalls, versucht sich wortreich zu verteidigen. Er wird trotzdem angebrüllt ... nach draußen gezerrt ... jetzt schreit auch der Mann schmerzerfüllt...“
„Oh Gott, oh Gott, oh Gott!” ächzte Muttchen verzweifelt. “.Und wir können den beiden nicht helfen! Was machen wir nur ? ”
„Ganz ruhig bleiben Mutsch ! Jetzt ist es nämlich vorbei ... Stille ... nein ... ich höre immer noch Männerstimmen ... sind diesmal sehr leise ... Lais werden wieder in Gang gesetz t...sie fahren, äh, fliegen ...e ntfernen sich, wieder ohne Licht. Du lieber Himmel, sind die schnell. Ich kann es noch immer nicht fassen ! Da ... schon sind sie zum Wald hinaus !“
„Sie sind wieder auf der Straße ?“
„Richtig ! Sausen zurück irgendwo hin...”
“...und ?“
„Weg, sie sind weg, Muttsch ! Wir haben es geswchafft !“
„Gott sei Dank ! Puh ! Und wo sollen wir nun hin ?“
„Natürlich zur Hütte !“
„Auf gar keinen Fall !“
„Hast du etwa Angst vor den Leichen ? Was glaubst du wohl, was ich heute schon so alles gesehen habe ! Und du hast gewiss auch schon so einiges Unappetitliches hinter dir, Mutsch. Wir brauchen aber ein Dach über dem Kopf. Oder hast du vor, nur deswegen hier zu erfrieren ?“
„Hab` ich natürlich nicht ! Aber vielleicht sind da noch Außerirdische und wir laufen denen mitten in die ausgebreiteten Ärmchen hinein !“
„Unsinn, da befinden sich außer dieser Leichen nur noch die Ziege ... aha... da meckert sie ! Die Hühner gackern noch immer aufgeregt. Alles kommt aus dieser Richtung, und der Hund lebt auch noch !“
„Wie beruhigend ! Nachher beißt der uns ? Du weißt, es gibt derzeit sehr viele verwilderte Hunde !“
„Ach, los ! Komm schon, Muttsch !“
„Wie denn ? Kann nichts sehen ! Laufe ohnehin fast nur gebückt, um ständig Wurzeln und Zweige aus den Speichen zu popeln!“
„Es wird besser ! Ich fühle hier einen Weg ! Komm doch endlich ! Nein, nicht du, Munk ! Lauf ` nicht ständig vor`s Rad, verrückter Kater !“
„Munk ist nicht verrückt. Er ist nur ein bisschen unaufmerksam !“ knurrte Mutsch, folgte aber ihrer Tochter gehorsam.
Nach einer Weile sahen sie tatsächlich nur noch ca. fünfzig Meter von sich entfernt ein sehr schwaches, kleines Lampenlicht durch Zweige und Blätterfächer schimmern. Der Hund schien sich inzwischen beruhigt zu haben. Margrit sowie Muttchen lehnten die schweren Räder geschickt an die Bäume - es war schon erstaunlich, welch einen festen Schlaf Kinder haben konnten, denn sie wurden dabei nicht wach - und die beiden Frauen schlichen leise umher, Muttchen aus dem Grunde, da sie sich noch mehr bewegen musste, damit die Kälte nicht all zu sehr in ihre Glieder kroch, denn sämtliche Decken hatte man ja bereits um die schlafenden Kinder gewickelt und Margrit, weil sie zur Hütte, jedoch zuvor nach einem kräftigen Knüppel suchen wollte.
Munk suchte derweil auch ... nämlich ein nettes Plätzchen unter einem Holunderbusch auf, kreiste dort einige Male trampelnd hin und her und ringsherum und schließlich rollte er sich ächzend zusammen.
Margrit hatte einen ziemlich dicken Ast gefunden, lief vorwärts, diesen wie eine Waffe in der schmalen Hand haltend, um einen eventuellen Angriff des Hundes abzuwehren.
Sie war nie ein besonders aggressiver und daher kämpferischer Mensch gewesen, und wenn sie ehrlich war, musste sie sich eingestehen, dass sie regelrechten „Bammel” davor hatte, dem offenbar recht großem (nach seinem Gebell zu urteilen ), womöglich halb verwildertem Hund zu begegnen.
Außerdem war sie sich nicht sicher, ob das wirklich gute Menschen waren, die hier so tief im Wald versteckt gehaust hatten und vielleicht noch am Leben sein konnten. Sie war zu müde, um zuerst vorsichtig das ganze Häuschen im großen Bogen zu umkreisen und ging stattdessen gleich von einer Seite mehr oder weniger zügig auf das Lichtlein zu.
Der Weg war länger als ihre kurzsichtigen Augen geschätzt hatten und unterwegs trat sie auch noch in einen, Gott sei Dank recht flach angelegten, Forellentümpel ! Mit nassen, eiskalten Füßen tappte sie weiter auf das Licht zu.
Plötzlich geschah es ! Ein schwarzer, riesengroßer Schatten stürzte mit lautem, wütendem Gebell auf sie zu. Der Hund schnappte nach ihrem rechten Handgelenk, als sie sich von ihm fortdrehen wollte und schlug die scharfen Zähne in ihre glücklicherweise recht dick gefütterte Jacke.
Margrit schrie gellend auf und begann nun, zuerst zaghaft, dann immer kräftiger, mit ihrer Linken, die den Stock hielt, auf den Rücken des knurrenden Hundes einzuschlagen. Er ließ den Ärmel los und schnappte nach dieser Hand, sie zog sie zurück, aber zu spät ! Der scharfe Reißzahn hatte ihr schon den Handrücken aufgerissen. Und nun fuhr das gefährliche Maul hoch, wollte sie dabei zu Boden werfen, gierte nach ihrem Hals.
Mit weit aufgerissenen Augen warf Margrit Kopf und Oberkörper zurück, und diesmal hatte sie keine Skrupel dem Tier ins Gesicht zu schlagen. Sie schlug, schreiend und schluchzend in dessen Richtung und traf tatsächlich.
Blut troff zu ihrer Überraschung aus der Schnauze des schwarzen Ungeheuers, während es von tödlicher Wut getrieben, an ihr weiter hochsprang. Gerade noch rechtzeitig konnte sich Margrit den Arm vor den Hals schieben, in den sich der Hund nun mit vor Ekstase schäumendem Maul verbiss.
„Bodo !“ hörte Margrit plötzlich eine schwache Männerstimme.
„Aus, sage ich, AUS ! Komm hierher ... zu mir ... ZU MIR !“
Jetzt erst merkte Margrit, dass die Tür aufgegangen war und sie deshalb von gleißendem Licht angestrahlt wurde, das aus der erleuchteten Wohnung kam. Die Stimme gehörte einer untersetzten, männlichen, leicht taumelnden Schattengestalt, die sich silhouettenhaft zur Helligkeit abhob.
Der Mann tätschelte jetzt linkisch die breite Stirn des Hundes, der geduckt und winselnd zu ihm gekrochen war, und murmelte leise beruhigende Worte dabei. “Hast brav gemacht, mein Alter !“ glaubte Margrit dabei immer wieder herauszuhören und sie wischte sich zornig das Blut vom Mund, über den vorhin ihr eigener offener Handrücken gestrichen war.
„Was wollen Sie hier auf meinem Grundstück ?“ wandte sich nun der Mann Margrit vorwurfsvoll zu.
„Machen Sie doch einen Zaun darum, wenn Sie so einen hochgefähr...“, Margrit hatte bemerkt, dass der Kerl in der anderen Hand ein Gewehr hielt und sie atmete daher etwas gepresster, “also ... wenn Sie sich solch einen hochgefährlichen Köter halten. Er hätte mich beinahe getötet.“
„Köter ?“ wiederholte der Mann mit schwerer Zunge. “Achten Sie mal ein bisschen darauf, was Sie hier sagen ! Sonst könnte es sein...“, er hob schwankend und demonstrativ die Waffe, blickte dann aber auf seinen Hund, “...dass mein Bodo nervös wird. Er wird schnell nervös, wissen Sie und er kann bestimmte Leute einfach nicht leiden !“ Er glotzte nun recht bedeutsam auf Margrit. “Darin sind wir uns sehr ähnlich, mein Bodo und ich !“
„Es erstaunt mich, dass sie so große Ähnlichkeiten mit Hunden haben, aber...“, Margrit brach entsetzt ab. Was hatte sie da gesagt ? War sie denn von allen guten Geistern verlassen ?
„Bodo ?“ brüllte der Mann. Dieser spitzte die kurzen Ohren und duckte den Körper, zögernd wedelte er mit dem Schwanz. “Bodo, fass sie ... FAß !“
Margrit machte auf dem Absatz kehrt, hörte das geifernde, erregte Gekläff des Hundes hinter sich, aber es war zu spät ! `Aus !` dachte sie. `Aus und vorbei !`
„Bodo ! Bodoooo !“ hörte sie plötzlich eine völlig andere Männerstimme. “Komm zu Robert, los komm ! Ja, fein ! Bist ein guter Hund, jaja !“
Margrit hielt den Atem an, glaubte nicht recht gehört zu haben. Das war doch Georges Stimme ? Er nannte sich plötzlich Robert. Warum ? Obwohl noch ihr Herz von all dem schrecklich Erlebten wie rasend schlug, drehte sie sich langsam herum, blinzelte zu ihm in die Helligkeit.
Tatsächlich dort stand - ER - George ! Jedenfalls, soweit sie das bei diesem Licht erkennen konnte. Die Hajeps hatten ihn also damals und auch heute nicht getötet.
„Seit wann hetzt du eigentlich den treuen Bodo auf hilflose Frauen, Onkel Achim ?“ erkundigte sich der schlanke und riesengroße Bursche und strich dem leise winselndem Hund über das Fell.
Der ältere Mann lachte nun ein wenig verschämt. “Man wird doch wohl einen kleinen Scherz machen dürfen mit unerbetenen Besuchern, he, he, he ?“
„Das ist kein ...äh... Dieb, Onkel Achim. Wir sind alle in Not !“
„Papperlapapp !“ Der Alte machte eine missmutige Handbewegung und wollte sich leicht taumelnd an dem Jungen vorbei ins Haus schieben.
„Es ist Krieg, mein Junge“, schnaufte er, während er sich an ihm abstützte. Er stöhnte jetzt schmerzerfüllt. “Du weißt, ich habe das vorhin am eigenen Leibe erfahren. Gott sei Dank bist du noch rechtzeitig gekommen und hast sie beruhigen können .... ich hab`s überlebt. Jeder ist sich selbst der Nächste. Du scheinst das Weib dort zu mögen ! Also wenn sie dich interessiert - bitte !“ Der Alte streckte unwirsch den Arm nach ihr aus. “Mach doch mit der, was du willst. Polizei gibt es ja ohnehin schon lange nicht mehr. Keiner kräht mehr danach, wenn hier jemand spurlos verschwindet und irgendwie hast du ja Recht ! Wer weiß, wann uns je wieder etwas Weibliches in dieser Einsamkeit vor die Flinte läuft ... hahaha !“
Margrits Herz schien plötzlich eine eisige Faust zu umklammern, dann wendete sie sich herum, rannte weg, immer weiter und weiter, so schnell sie nur die Füße tragen konnten, nur nicht in die Richtung, wo Muttchen mit den Kindern wartete, sondern nur ein gutes Stück in den Wald hinein. Keuchend, nach Atem ringend hielt sie erst einmal an und dachte gründlich nach. War die große, jugendliche Männergestalt vor dem Haus tatsächlich Gorge gewesen ? Oder konnte er etwa einen Zwillingsbruder haben ? Warum hatten die Leute hier, besonders der Alte, ein solch entsetzliches Verhältnis zu Frauen ?
„Ha, die ist aber gelaufen, hast du gesehen ?“ wurde ihr plötzlich vom Wind zugetragen. “Ich sag` dir, so musst du`s immer machen, dann kommen die Leute nie mehr wieder ! ”
Margrit war überrascht. Sie stand so günstig, dass sie, wenn sie sich konzentrierte, fast jedes Wort verstand.
„Hast du dabei auch an Rekomp Nireneska gedacht ? Der braucht nämlich wieder neue Menschen ! Ach, du bist ja nur wütend, weil dich diese drei Loteken vorhin verprügelt haben.!“
„Nicht nur mich, mein Lieber, auch die Hilde. Hast du sie dir mal angesehen, wie sie jetzt ausschaut ?“
„Ich kann nichts dafür, Onkel Achim !“ Der junge Kerl hörte sich zornig an. “Auch nicht dafür, dass du wieder getrunken hast !“
„Ach, das bisschen, was ich getrunken habe!“
„....kann aber sehr entscheidend gewesen sein !“ führte der Bursche dessen Satz zu Ende. “Denn wer weiß, was für einen Blödsinn du so daher geredet hast, nachdem sie die vier Lais im Heuschober entdeckt hatten.“
„Sie haben aber zuerst die Hilde verhört ! So, was sagst du nun ! Also muss DIE den ganzen Unsinn geschwafelt haben...“
„Hilde redet aber meist keinen Blech. Sie ist ein besonnener Mensch !“
„Das sagst du so ! Sie war sehr erschrocken, nachdem die Loteken die Lais gefunden hatten, obwohl sie so gut unter Decken und Heu versteckt gewesen waren.“
„Hat sie denn gar keine Ausrede parat gehabt ?“
„Doch., aber der Solmaki jener Loteken fand ein Trowenhaar auf dem Sitz !“
„Verdammt!“ Der Bursche stampfte hilflos und zornig mit dem Fuß auf. “Dabei haben wir so aufgepasst !“
„Da wollten sie natürlich sofort wissen, wo wir denn die primitiven, stinkenden und elenden Trowes versteckt hielten. Ja, genau so haben sie es gesagt ! Oh Gott, jetzt fällt mit ein, was wir uns da mit den Trowes geleistet haben, wird sicher auch bald Rekomp Nireneska zu Ohren kommen ! Und was machen wir dann ? Der ... der wird bald gar nicht mehr gut auf uns zu sprechen sein ! He, wer weiß, was er mit uns macht ?“„
„Schschscht... ! ” wisperte jetzt der Bursche aufgeregt. “Ich bin mir nicht sicher, ob die Frau noch in der Nähe ist und uns hört ?“
„Ach was, das Weibstück ist sicher sehr weit gelaufen. Bodo würde sonst nervöser sein. Schau nur, er ist ganz ruhig!”
„Aber manchmal ist er auch faul und vernachlässigt sein Wachamt,Onkel Achim ! Ich darf dich dabei an einige Momente erinnern, die...”
„Papperlapapp ! Außerdem, glaub` mir, kein Mensch hat solche Ohren, um uns aus so weiter Ferne zu hören ! ”
„Ach, ja ? Weißt du denn, wie weit diese Frau eigentlich entfernt ist ?“
„Ist mir piepegal ! Was soll die uns schon groß tun ! Die wird sich schwer hüten, zu Rekomp Nireneska, geschweige denn zu den Loteken zu laufen, um über uns zu petzen !“
„Du meinst, sie ist weder ein von Rekomp Chiu-Natra noch von dem Montio Sotam-Sogi entsandter Pajonit ?“
„So siehst sie nicht aus !“
„Das kann man nicht sehen, Onkel Achim !“.
„Weiß` ich doch ! Aber die ist bestimmt bereits meilenweit von uns entfernt ! Glaub` mir, ich habe eine gute Menschenkenntnis ! Hat` sich zu sehr erschrocken !“
„Mein lieber Onkel, du hast jedenfalls eine Fahne, die man bereits meilenweit riecht.“ Er lachte. “Wie bist du eigentlich schon wieder zu diesem Fusel gekommen ? Los, sag` es mir !“
„Verrat` ich nicht ! Aua, du tust mir weh ! Chiu-natras Schergen haben mich bereits genug gebeutelt ! Ganz nebenbei, ich verstehe nicht, weshalb ausgerechnet Rekomp Chiu-natra, das höchste Oberhaupt sämtlicher lotekischer Heerscharen, solch einen Wert auf die Festnahme von ein paar harmlosen Trowes legen kann.“
„Haben sie was` rausgekriegt ?”
„Nie und nimmer! Kennst uns ja ! Außerdem weiß ich wirklich nicht, wo diese Trowes stecken sollen. Du kannst von Glück reden, dass du und Dagmar gerade um diese Zeit fort wart, um nach den Kaninchenfallen zu gucken.“
„Ja, du hast Recht ! Armer Onkel ! Wirklich, ich finde es auch reichlich stark, was wir uns neuerdings so alles gerade von Loteken gefallen lassen müssen, denn schließlich ist das hier ja hajeptisches Hoheitsgebiet ! Hatten denn diese drei Loteken irgendeine Zustimmung unseres Rekomps, dass sie hier dermaßen rigoros vorgehen zu durften ?“
„Nein, sie kannten ihn gar nicht mal !“
„Eigenartig !“
Und was sagst du zu diesen vielen Menschen, die hier in großen Massen plötzlich hereinströmen dürfen ?“
„Verstehe ich ebenso wenig wie du ! Montio Sotam-Sogi scheint das alles plötzlich nicht mehr zu interessieren ! Gut, dass wir noch....” Er brach ab, denn der Hund begann wieder von neuem zu knurren.
„Sehr richtig, die Jisken haben ja auch ... arrgh ! Was ist los? Spinnst du ? Nun tut mir der Arm erst recht weh !“
„T`schuldigung, Onkel Achim !“ ächzte der Junge. “Aber du solltest jetzt lieber still sein !“ Er ließ den Alten los und blickte auf den Hund, dessen Rückenfell sich gesträubt hatte. Anscheinend befand sich wieder jemand auf dem Grundstück. Sollte er den Hund in die Dunkelheit losflitzen lassen oder nicht ? Wenn es die drei Loteken waren, die zurückkamen, hatte das überhaupt keinen Sinn. Sie waren meist ebenso hoch technisiert, wie die Hajeps. Allerdings schossen sämtliche Außerirdische meist nur mit harmlosen Lähmungsstrahlen auf Tiere, die ihnen gefährlich erschienen. Sie töteten oder verletzten sie selten. Jedoch ein knurrender, womöglich beißender Hund würde vielleicht ihren Zorn entfachen. Rekomp Nireneska zum Beispiel würde Bodo womöglich von einer Sekunde auf die andere mit einem Fingerschnippen sterben lassen ! Bodo war nämlich hierfür vor langer Zeit ein winziges Arenso (Plättchen) von den Hajeps unter die Haut gepflanzt worden, dass einen Sprengsatz enthalten sollte, der so intelligent war, dass er auf spezielle Geräusche reagierte. So hatte man ihm das jedenfalls erklärt. Doch das konnte auch eine kleine Lüge gewesen sein, sicher war man darin bei Hajeps nie. Aus diesem Grunde hielt er lieber den Hund beim Halsband fest und spähte unsicher umher. Da sah er sie, Donnerwetter, es war die selbe Frau von vorhin, sie war sehr mutig, denn sie war wiedergekommen.
Der Bursche nahm, im Gegensatz zu seinem verstörten Onkel, eine ausgesprochen selbstbewusste Haltung an. “Oh, hallo !“ rief er Margrit freundlich zu und diese erwiderte ebenso seinen Gruß. “Sie sind aber heorisch !“meinte er weiter. “Und da ich sehe, dass Sie nicht abzuschütteln sind, mögen Sie unser Gast sein. Entschuldigen Sie den etwas rustikalen Empfang von vorhin, aber es kommen neuerdings wirklich zu viel Leute, um bei uns eine Bleibe zu suchen. Wir leben auch nur von Wasser und Brot, das wir nicht teilen können und es ist in diesem kleinen Häuschen sehr eng. Wem wir hier erst einmal ein Lager angeboten haben, der will uns nicht mehr verlassen.” Der Junge lachte sarkastisch. ”Und es ist schon vorgekommen, dass uns Leute aus unserem eigenen Haus vertreiben wollten, da sie meinten, stärker als wir, oder uns zahlenmäßig überlegen zu sein.“ Er räusperte sich und rieb sich dann über die Nase. “Dieser Selbsterhaltungstrieb ist zwar verständlich, denn kaum jemand hat noch eine anständige Bleibe, doch auch wir wollen leben, was bei dieser Not kaum jemand einsehen will ! Daher wollte mein Onkel sie zunächst vertreiben.“
Margrit nickte, denn das hatte sie nach einigem Nachdenken vorhin selbst herausgefunden.
“...aber nun...” fuhr der Bursche fort und zuckte hilflos mit den Achseln.
“...haben Sie sich`s anders überlegt ?“ fragte Margrit.
„Sie hat`s erfasst !“ Er lachte halb verärgert halb belustigt.
„Und wenn Sie`s genau wissen wollen ... ich schäme mich sogar und hoffe der Hund hat sie nicht all zu sehr verletzt - aha - die Hand ! Sie halten die so komisch ! Na ja, die kriegen wir schon wieder hin. Aber zur Zeit geht alles bei uns drunter und drüber!“ Er schob sich mit einer unwirschen Geste das Haar aus der Stirn, ganz wie George es immer getan hatte und bückte sich zu dem Hund hinunter.
Der Alte verzog sich währenddessen zwar taumelnd, aber dennoch erstaunlich schnell ins Haus. Von drinnen vernahm Margrit wenig später die aufgebrachte Stimme einer älteren Frau. Der Mann antwortete einsilbig und missmutig. Margrit ahnte, worüber man sprach. `Die ganze Aufregung brachten zuerst Loteken - nein, zuerst müssen ja die Trowes da gewesen sein ! - und nun bringe ich diese Unruhe hier herein !` sagte sich Margrit betroffen. Dann ging plötzlich von hinten eine Tür und die Stimme eines jungen Mädchens war zu hören.
„Dagmar !“ rief der Junge, der sie wohl auch vernommen hatte und offenbar dabei Erleichterung verspürte. “Nimm mir doch bitte mal eben “Bodi“ ab.“
Margrit hörte schnelle, leichte Schritte und schon kam die junge Frau aus dem Haus gelaufen. Sie bewegte sich im Lichtschein, der aus der Tür leuchtete, und mochte, soweit Margrit das erkennen konnte, etwa so alt wie der Bursche sein, der sich Robert nannte. Sie hatte schulterlanges Haar, das ihr offen über den viel zu großen Pullover fiel und sie trug ausgeleierte Jeans. Ihre Füße steckten in schlabbrigen Stoffturnschuhen, so wie Margrit sie hatte. Sie schien ihr im Dunklen freundlich zuzulächeln.
„Hallo !“ murmelte sie, während sie dem Jungen das Halsband aus der Hand nahm und dabei mächtig viel Bewegung in den riesigen Hund kam. “Haben Sie unsere drei Männer sehr erschreckt ?“
Margrit nickte stumm. Offensichtlich zählte das Mädchen den Hund dazu. “Keine Angst“, fuhr die junge Frau fort. “Die drei tun nur so. In Wirklichkeit...“
„Waaas ?“ unterbrach sie der Junge entrüstet. “Nur Bodo und Onkel Achim haben sich daneben benommen. Ich dagegen habe mich der Gegebenheit angemessen verhalten !“ Er tippte sich aufgeregt an die Brust.
Sie küsste ihn auf die Nase. “Das weiß ich ja. Schließlich hast du jemanden, von dem du weißt, dass er auf dich aufpasst - mich !“
„Auch ohne dich würde ich nicht so wirr daherschwätzen und Hunde auf Menschen hetzen wie Onkel Achim !“
Nun wurde das Mädchen ärgerlich. “Onkel Achim ist nicht mehr ganz hier !“Sie tippte sich an die Stirn. “Das weißt du doch ! Durch die ...hm... naja... so geworden...und, dass er trinkt...“, sie senkte betrübt den Kopf, "... macht die Sache auch nicht besser.“
Sie zog nun den hechelnden und ständig schwanzwedelnden Hund am Halsband hinter sich her und lief mit ihm ums Haus, bis sie vom Dunkel verschluckt wurde.
Inzwischen ging der junge Mann auf Margrit zu, knipste eine Taschenlampe an. “Robert de Mesá, mein Name!“ stellte er sich vor und streckte ihr freundlich die freie Hand entgegen. Margrit erstarrte. Nicht nur, weil sie das plötzliche Licht blendete, sondern auch wegen des Namens. War der nicht auch Georges Nachname gewesen ? Aber der Mann war nicht George, sie blinzelte, versuchte ihre Augen an`s Licht zu gewöhnen, auch wenn er dem in Größe, Körperbau und all seinen Bewegungen ähnelte. Sein Gesicht war hager, schmaler, irgendwie auch die Form seiner Lippen anders, weicher und voller, die Nase nicht so aristokratisch, sondern eher breit und knubbelig, die Stirn schon etwas gelichtet ... also wohl wesentlich älter als George. Außerdem erschien er Margrit nicht ganz so groß und trug eine Brille mit Drahtbügel.
„Ich bin Irmgard ... Irmgard Müller !“ log Margrit, denn irgendwie misstraute sie ihm, sie wusste auch nicht warum!“ Haben Sie zufällig einen Bruder, der George heißt ?“ hörte sie sich schon fragen, ehe er ihre – die unverletzte - Hand ergreifen konnte.
Er stierte sie entgeistert und mit offenem Munde an. “Sie kennen George ?“ dann hustete er. “Ich meine ... ist er... ist er Ihnen begegnet ?“
Margrit schwieg und seine Augen bohrten sich regelrecht in ihre, so als ob wahnsinnig viel von dieser Antwort abhinge.
Sie war noch immer misstrauisch. Was spielte sich hier eigentlich ab ?“ Sie sind also Georges Bruder ?“ fragte sie einfach wieder zurück, feindlich seinem stechenden Blick begegnend.
„Nein !“ Der Blick ging endlich zu Boden. “George ist mein Cousin ! Aber er ist bei uns aufgewachsen ! Er war immer unser Nesthäkchen. Wissen Sie, stets eigenwillig. In letzter Zeit gingen unsere Meinungen sehr auseinander. Vielleicht lag das auch an Dagmar.“ Er schaute sich nach der jungen Frau um, die jetzt ohne Hund wieder aus dem Schatten kam, fröhlich ein Liedchen vor sich hin summend. Sie schien Robert und Margrit zuzulächeln und verschwand dann im Haus, wo die Alte sie seltsamer Weise wieder mit einem heftigen Wortschwall empfing.
„Er hat Dagmar sehr verehrt, so wie ich !“ fuhr Robert leise fort. „Ich siegte bei ihr ! Das hat er nicht verkraftet. Dabei war er noch so jung. Zwölf Jahre jünger als sie. Ich kann das alles nicht begreifen !“ Er sah sie wieder fragend an. “Und nun ? Ist er Ihnen begegnet ?“
Margrit nickte zögerlich.
„Oh Gott, das ist ... ist wirklich ein WUNDER !“ stieß er erleichtert aus. “Ach, Sie wissen ja, wie es in diesen schrecklichen Zeiten ist ! Man kann nicht mehr damit rechnen, sich wiederzusehen ! Der Tod schwingt immer schneller die Sense. Wir können ihn nicht aufhalten !“
Der Mann sah so traurig aus, dass plötzlich Mitleid Margrits anfängliche Skepsis zu vertreiben suchte. “S...so, schlimm...“, stotterte sie darum, “...sollte man das alles nun doch nicht sehen. Ich meine ... so... ohne Hoffnung ! ”
„D...ddas sind genau Georges Worte !“ rief er fassungslos. “Die reinste Seelenverwandtschaft ! Und ich dachte immer, die Welt hätte nicht mehr ganz so viele Verrückte parat !“ Er spielte nervös an seinem schmalen Brillenbügel herum. „Denn auf was sollte man denn noch großartig hoffen ?“
„Ich weiß es nicht. Aber man sollte ruhig an das Gute glauben, selbst wenn es schwächer als das Böse zu sein scheint!“ fauchte Margrit.
Er kicherte in sich hinein. “Sie meinen also, da gibt es etwas Böses und etwas Gutes, was auf unserer alten Erde plötzlich herumspukt ?“
„Schon immer ! Und das nicht nur auf der Erde ! Zwei sonderbare, nicht erklärbare Mächte kämpfen erbittert gegeneinander ! Wir Menschen müssen dabei nur wissen, auf welcher Seite wir stehen, dann wird uns schon etwas einfallen !“
„Sehr süß, diese Erklärung ! Die Wahrheit aber ist: eine neue Spezies wird sich in ungefähr vier Jahren auf dieser Erde völlig ausgebreitet haben. Uns...”, er schluckte, “...har es dann mal gegeben ! Ja ja, so ist es mit der Natur. Da gibt es eben keine Mächte ! Nur Materie! Stärkere vertreiben Schwächere, das ist ganz natürlich ! So war es schon immer! Das sind die brutalen Gesetze des Lebens !“
„So sehe ich das nicht !“ konterte Margrit abermals, jedoch sehr viel leiser.
„Mag sein, aber so ist es nun mal ! ” Er nahm die Brille ab und putzte die energisch mit einem Hemdzipfel. “Tja, nun ist mein Cousin ja weg, und das wohl für immer !“ Er dachte kurz nach, ehe er hinzusetzte. „Das letzte, was ich noch von ihm weiß, ist, dass er nach Würzburg wollte, um Hajeps zu beobachten !“ Er schob sich die frisch geputzte Brille wieder auf seine Nase und blinzelte Margrit grinsend zu. “Er meinte nämlich, dass uns das vielleicht eines Tages nützten könnte !“ Robert lachte bei dieser Bemerkung abermals hart auf, jedoch fing er sich gleich wieder und fragte dann erneut. “Wo genau haben Sie denn George zuletzt gesehen ?“
„In der Nähe von Hornberg“, antwortete Margrit. „Er war mit uns aus dem gleichen Abteil gestiegen, hatte kaum Gepäck bei sich ! Schleppte die ganze Zeit nur so ein...“, sie brach plötzlich ab. Konnte sie das sagen ? Würde es dann für sie gefährlich werden ? Sie sah eigentlich keinen Grund. “....äh.... so ein komisches Ding !“
„Komisches Ding ?“ Er grinste schief. “Also ... das müssen Sie mir wohl genauer beschreiben !“
„Na ja, das war etwa handgroß ... irgendeine komische Hajepmaschine halt !“
„Soso, eine Hajepmaschine !“ wieder lachte er. “Kann mir immer noch nichts vorstellen !“
„Sie war oval“, Margrit zeigte ihm die Form mit ihren Fingern. “Tja, zuerst habe ich gedacht, na ja, das wäre ein Kanten Brot !“ Nun lachten sie beide. “Oder so ein alter Stein ... aber da war Keilschrift drauf. Wenn man das Ding geputzt hatte glänzte es in einem schönen hellen Braun ... und dann ... na ja, war da - glaube ich - noch eine Schlange eingraviert. Sie hatte übrigens Ohren !“ Margrit prustete los, doch dann war ihr Lachen wie weggewischt, da er völlig ernst geblieben war. Außerdem glaubte Margrit, eine sonderbare Reaktion in Roberts scheinbar starrem Gesicht zu erkennen. Es schien ihr nämlich so, als würde er eine aufkeimende Freude aber auch ungeheuer große Sorge vor ihr zu verbergen suchen. Seine Augen funkelten und es zuckte um die Mundwinkel, dann folgte ein leichtes Schwanken seines Oberkörpers und die Hände ballten sich zu Fäusten. Er mühte sich nicht zu keuchen, als er sie fragte: “Und das hat er ihnen so einfach gezeigt ?“ Seine Augen flackerten jetzt richtig wild hinter der Brille. Aber das konnte sie sich auch bei der Finsternis eingebildet haben.
„Äh ... ja ?“ keuchte sie und mühte sich, nicht dabei rot zu werden, denn sie schämte sich plötzlich sehr. Ach, wie gut, dass es eine mondlose Nacht war ! „Hornberg wurde wenig später von Loteken überfallen“, fuhr sie schnellstens fort, um auf ein anderes Thema zu kommen. Merkwürdig, diesmal wirkte Robert weder überrascht noch erschüttert. ”Aha”, sagte er nur, “das haben diese Hornberger verdient, jawoll, VERDIENT ! Und weiter ?“ fragte er betont ruhig.
"George half einem Schwerverletztem aus diesem Dorf und...“
„Das ist typisch !“ fiel er ihr wütend ins Wort. “Wieder mal so richtig daneben !“ Er schnaufte aufgebracht. “Dabei hab` ich ihm gesagt, er soll sowas lassen. Und noch dazu war es gewiss ein Hornberger, aber der Kerl kann ja nie hören.“ Er räusperte sich und beruhigte sich mühsam. “Und ... wohin ist der dann gegangen ?“
„Er schleppte den Verletzten ins Gebirge...“
„Schleppte ?“ wiederholte er fassungslos.
„Nein, nein, mit dem Fahrrad...“ erklärte Margrit hastig.
„Na ja, wenigstens das !“ Robert wischte sich, schon wieder nervös geworden, über die Nase. “Haben Sie meinen Cousin während des ganzen Weges begleitet ?"
Margrit informierte Robert in kurzen Worten nun doch über alles, was sie von George wusste, außer, dass sie ihm die Sachen weggenommen hatten. Sie wusste zwar, dass dies irgendwie feig` war, aber sie wollte nicht noch einmal Bodos Zorn ausgesetzt sein.
Robert schwieg für einen Moment bekümmert und nachdenklich, nachdem Margrit geendet hatte, denn ihre Informationen stellten keinen Beweis dar, dass George noch lebte. Er zeigte sich jedoch höflich und geleitete Margrit ins Haus und stellte sie seiner Tante vor. Diese war ziemlich klein und für diese furchtbaren Zeiten geradezu frevlerisch rund, doch ihr Gesicht war derzeit rot geschwollen und ihre Lippen aufgesprungen und blutverkrustet. Für Margrit also ein sichtbares Zeichen, dass sie sich genau vor jener Frau befand, die vorhin so brutal von Loteken verhört worden war, und diese Tante war sarkastischerweise derart eifrig bemüht so zu tun, als ob alles in Ordnung wäre, dass das allein schon verdächtig wirkte. Die ganze Atmosphäre war deshalb, obwohl Dagmar heißen Tee in die angesprungenen, meist henkellosen Tassen goss, und sie einander heiter zuprosteten, doch etwas gespannt. Robert erkundigte sich schließlich, ob Margrit alleine unterwegs wäre oder mit einer Familie, die vielleicht auf ihre Rückkehr wartete, was beinahe wie eine Aufforderung wirkte, endlich das Haus zu verlassen. Aber das Gegenteil war der Fall, denn es stellte sich heraus, dass die kleine Familie, zwar nur auf dem Fußboden der Wohnstube, aber ansonsten ruhig in diesem Hause übernachten durfte. Margrit, Muttchen und die Kinder waren so müde, dass sie auch im Hühnerstall genächtigt hätten, wäre da nur genügend Platz gewesen. Da Margrits ausgemergelter Körper kaum noch Abwehrstoffe hatte, puckerte und rumorte die von Dagmar verarztete Wunde die ganze Nacht.
Nach anfänglichem Protest des Onkels und leisem aufgeregten Getuschel der Tante, setzte schließlich die jüngere Generation durch, dass Margrit mit ihrer Familie sogar drei Tage bleiben konnte.
Margrit revanchierte sich, indem sie von ihrer Beute, die sie auf ihren Fahrrädern mitgeschleppt hatte, jenen eigenartigen Menschen etwas abgab. Im Laufe dieser Tage hatte man ausgiebig Zeit miteinander zu sprechen, obwohl sich Onkel sowie Tante stets zurückzogen und Margrit, nebst Muttchen ansonsten nur von weitem skeptisch beobachteten.
Während ihrer Unterhaltungen fiel Margrit dann auf, dass diese Menschen, obwohl sie so tief im Walde versteckt und von aller Welt entfernt lebten, geradezu beklemmend gut über vieles Bescheid wussten. Woher kam dieses ungeheure Wissen ?
„Zarakuma liegt achtzig Kilometer von uns entfernt, südöstlich“, erklärte Robert eines Tages beim Frühstück, genüsslich einen Brocken hartes Brot kauend. “Warum wollten Sie das eigentlich wissen ?“ Er spülte das trockene Gebäck mit dem von Dagmar gebrauten Tee herunter.
„Es wundert mich nur, wie die Hajeps die Menschen Coburgs vernichten konnten, ohne den geringsten Lärm zu machen“, erklärte Margrit ruhig. “Immerhin mussten sie ja bis dorthin erst einmal kommen. Ich frage mich, wie sie das auf so lautlose Weise gemacht haben ?
Robert hustete plötzlich hinter seiner Tasse. “Ein Krümel!“ entschuldigte er sich keuchend, dann stellte er die Tasse langsam auf den Tisch zurück, betrachte diese schweigend und düster, während sein Finger nervös hin und her über den Sprung an deren Rand strich, so als könne man ihn dadurch kitten. “Woher wollen Sie wissen, dass überhaupt Menschen in Coburg getötet worden sind ?“ fragte er schließlich sehr, sehr leise zurück. “Sie waren doch gar nicht dort. So haben Sie mir das jedenfalls eben geschildert.“
„Es war zu still für so eine große Stadt ... und auf dem in der Nähe liegenden Gehöft lagen Menschen, die einen unerklärlichen Tod gestorben waren. Sie hielten sich im übrigen die Ohren zu..“
„Soso, es war also zu still !“
„Ja, und mit den Vögeln stimmte auch irgendwas nicht !“
„Und nur deshalb haben Sie sich der Stadt einfach nicht mehr genähert ?“
„Meine Tochter hat”, begann Muttchen, plötzlich an Margrits Stelle, “ein sehr feines Ge....“
„Zufall !” fiel ihr Margrit ins Wort. “Reine Spekulation, wissen Sie, weiter nichts !“
„So, so !“ Robert hatte aufgehört, mit der Tasse zu spielen und sich stattdessen sein unrasiertes Kinn vorgenommen. “Und wie konnten Sie unser Haus mitten im Wald finden ?“ Er versuchte, drei Härchen aus seinem Kinn zu rupfen.
„Das ist es ja eben, Margrit kann sehr gut....“
„Ebenfalls Zufall !“ schmetterte Margrit wieder dazwischen.
„Soso, immer solche Zufälle !“ wiederholte Robert, seine Hand fiel schlaff auf den Tisch und seine Augen blitzten Margrit seltsam an.
”Ich habe gehört, dass Hajeps neuerdings Menschen gegen Menschen einsetzen”, knurrte Margrit feindlich.
„Nicht neuerdings, sondern schon immer !“ erklärte Robert sehr leise und wendete seinen merkwürdigen Blick kaum von ihr ab. “Irmgard“, sagte er bedächtig, “Sie können also ungewöhnlich gut hören und haben eine ziemlich scharfe Beobachtungsgabe !”
Margrit überging diese Bemerkung und fragte stattdessen. “Anscheinend kennen sie Menschen, die für die Außerirdischen arb....?“ Margrit konnte seltsamerweise nicht mehr sprechen, denn sie hatte plötzlich einen Klos im Halse.
”...die für unsere Eroberer arbeiten, ja !“ setzte er einfach ihren Satz fort. “Und welche besonderen Gaben haben
nun Sie ?“fragte er Muttchen.
„K...keine !“ stotterte Muttchen verdutzt.

„Und sie hat auch k...k...keine Angst, nee !“ unterstützte sie Tobias, der ebenfalls mit am Tisch saß, obwohl er wie alle Kinder in diesem Alter kaum etwas von dem verstand, was sich Erwachsene so im allgemeinen zu erzählen haben.
„Also ...äh... ich habe mal vor langer Zeit gehört, dass es sogar Menschen gibt“, fuhr Margrit heroisch fort und erntete dafür auch sogleich nicht nur einen bewundernden Blick ihres Sohnes, sondern auch von Muttchen, “die sich unter die Einwohner größerer Städte mischen, dort harmlose Gegenstände “verlieren“, die in Wahrheit “Suro...“, na, wie heißen doch diese Dinger ? Verdammt jetzt hab` ich`s vergessen !“ Sie rieb sich verwirrt die Stirn.
„Siranis !“ Robert schaute Margrit weiterhin unverwandt an, das Kinn jetzt in die Hände gestützt und grinste breit. Lachte er sie etwa aus ?
„Ah ja, Siranis!“ knurrte Margrit. ”Also, das sind wohl Maschinen, die nach einiger Zeit Schallwellen aussenden, die zwar nicht hörbar sind, jedoch zur Taubheit und dann zur völligen Zerstörung des Gehirns führen. “Sie räusperte sich um endlich den lästigen Klos im Halse loszuwerden. ”Natürlich haben diese Hajephörigen bereits vorher die entsprechende Stadt verlassen.”
„Ja, und ?“ knurrte Robert. “Warum sollten sie das nicht tun ? Irmgard, was haben sie gegen diese Leute ?“
„Na, Sie sind gut !“ empörte sich Margrit. “Haben Sie denn etwa nichts gegen Verräter ?“
„In meinen Augen sind das auch nur Menschen ...Menschen in Not... weiter nichts !“
„Nein, mein Lieber, dafür gibt`s keine Entschuldigung !“
„Soso ! Ach, Irmgard, da fällt mir ein, wissen Sie, dass unser guter hajeptischer Rekomp Nireneska im Moment dringend ungewöhnliche Menschen brau...äh...sucht ?“ fragte er wieder völlig übergangslos.
Nun war es direkt hinaus, aber Margrits Augen blitzten ihn nur böse an. “Wenn sie denken, dass ich für den Feind arbeite, dann haben sie sich geschnitten!“
„Ich habe mich auch schon mal eingeschnitten !“ trällerte Julchen dazwischen. “Und die Oma, diiie....“
„Ruhe, Julchen !“
„Oh, ich will Ihnen beileibe nicht zu Nahe treten“, Robert hob abwehrend beide Hände und wedelte damit in gespielter Verzweiflung herum, “aber sein Sie doch nicht so stur,. stur wie einige...“ Er senkte die Arme wieder und runzelte stattdessen missbilligend die Stirn. “Wenn Sie schon nicht an sich selbst denken können, dann bitte doch an ihre Familie. Sie haben so nette Kinder und es wäre Schade wenn...“ Er brach ab und blickte zuerst auf Tobias, der deshalb den Mund sofort zu einem Schluchzen verzog, denn den Blaui hatte er ja nicht mehr, um den diesem Schei...na....blöden Robert an den noch viel beschi...äh....blöderen Kopf zu werfen, und dann blickte Robert bedeutungsvoll auf Julchen, die, in einer Ecke auf dem zerfledderten Sofa, noch immer völlig arglos Munks fetten schwarzweiß gescheckten Bauch massierte.
„Wollen sie mir drohen ?“ zischelte Margrit aufgeregt hinter ihren wenigen zusammengepressten Zähnen hervor.
„Ein bisschen !“ Er lachte und strich sich das Haar zurück, wieder ganz George ! “Aber, haben sie keine Angst, ich meine das nicht so Ernst. Mich ärgert nur, dass die Menschen kaum Verstand zeigen. Wenn unsere Eroberer ihre Mitarbeit haben wollen, sollten sie ruhig einwilligen. Die Hand schütteln, die sich ihnen entgegengestreckt hat, auch wenn diese Hand...“, er hielt jetzt doch etwas beklommen den Atem an und ächzte leise, “... einem Außerirdischen gehört !“
„Iiiih, eine Spünnenhand !“
„Kreuzspinnenhand, Jule, uuurgs !“
„Meine Hand ist eine Menschenhand.“ Margrit streckte Robert ihre entgegen, hielt sie ihm vor`s inzwischen, ziemlich blass gewordene, Gesicht. “Und darum soll sie auch nie dazu genutzt werden, andere Menschen zu
töten !“
„Aber Irmgard ! Sie wollen doch etwas länger leben oder nicht ?“
Margrit nickte. “Aber nicht so ... so nicht !“
„Meine liebe Frau Müller ! Wie denn sonst ? Wir haben nun mal verloren...“
„Was heißt hier verloren ! Das ist kein Spiel !“ fauchte Margrit.
„Aber die Hajeps sehen das so !“
„Ihr Pech !“ sagte sie schnippisch.
„Eine ausgesprochen dumme Antwort !“
„So, finden Sie ?“
„Aber ja, denn wir sind todgeweiht, jeder Tag, den wir noch leben dürfen, zählt !“
„Aber nicht indem ich andere töten muss !“
„Na, töten muss ja nicht gleich sein !“ räumte er leise ein.
„Nein, ich werde meinem Volk auch in anderer Weise nicht schaden ! Basta ! Aus und vorbei !“ Margrit war aufgestanden und schob mit verdrießlicher Miene den leeren Stuhl zurück an den Tisch.
„Mensch, Irmgard, so bleiben Sie doch...“ Robert griff kurzentschlossen über den Tisch und packte ihre Hand. „Setzen Sie sich wieder !“
„Nennen Sie mich nicht immer Irmgard !“ zischelte sie und zog an ihrer Hand, jedoch nicht zu doll, denn sie hatte Angst, dabei das ohnehin schon arg lädierte Geschirr zu zerdeppern.
„Na dann eben Frau Müller“, sagte er und ließ ihre Hand endlich los. Er begann seine Brille zu putzen, obwohl die Margrit eigentlich völlig sauber erschien. “Ich glaube, ich werde ... werde Sie jetzt wohl lieber doch über alles aufklären“, sagte er nach einem ganzen Weilchen.
„Das würde ich Ihnen auch raten !“ fauchte sie.
Er wartete, bis sich Margrit wieder gesetzt hatte, dann räusperte er sich übernervös und setzte sich die Brille sehr langsam aber fest entschlossen wieder auf.
„Da ich annehme, dass mein Cousin Ihnen ohnehin schon recht viel erzählt haben dürfte, da er soviel Vertrauen zu ihnen gehabt hatte, ihnen sogar Danox zu zeigen........“
„D...danox ?“ wisperte Margrit leise und verdutzt.
Er wurde vor Schreck, einer Fremden viel zuviel gesagt zu haben, plötzlich knallrot im Gesicht, lehnte sich zurück im Stuhl und schnaufte leise. “Ich denke, er hat ihnen .....?“
„Ach, daas ?“ Sie winkte hektisch ab. “Entschuldigen Sie, mir war nur der Name entfallen ! Ja, das hat er...“, sagte Margrit jetzt möglichst ruhig.
Er atmete erleichtert aus, beugte sich wieder vor und stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tisch. “Also, wenn George ein derartiges Vertrauen zu ihnen gehabt hatte, dann kann ich es ja wohl auch zu Ihnen haben, oder ?“
„Ganz gewiss !“ bestätigte Muttchen, wieder an Margrits Stelle eine Spur zu hastig, aber er merkte das nicht.
„Genau !“ krächzte nun auch Tobias, obwohl er noch immer nicht wusste, worum es eigentlich ging.
„Also“, sagte Robert feierlich und räusperte sich schon wieder. “Es ist nicht so, dass die Menschen, die für unsere Eroberer arbeiten, ausschließlich gegen Menschen kämpfen. Sie kämpfen auch gegen sie !“
„Wie ? WAS ?“ riefen Muttchen und Margrit wie aus einem Munde. Nur Tobias sagte skeptisch: “Na - ah, daaas stümmt bestümmt nich ! Stümms ?“ Er hatte sich an Muttchen gewandt und diese wusste jetzt nicht, ob sie nicken oder den Kopf schütteln sollte.
„Oh doch, mein kleiner Bernhardt ( denn Margrit hatte auch für ihre Kinder falsche Namen erfunden ) es ist so !“ beharrte Robert. “Ihr solltet wissen, dass unsere “himmlischen“ Eroberer inzwischen so sehr miteinander zerstritten sind, dass sie sich sogar permanent bekriegen.”
„Tatsache ?“ ächzte Tobias und begann wieder an seiner Unterlippe zu nuckeln.
„Richtig in echt ?“ quiekte nun auch Julchen, die endlich kapiert hatte, warum es eigentlich ging, und Munk blinzelte verdrießlich, da Julchen deshalb mit dem Kraulen aufgehört hatte.
Robert nickte nach allen Seiten. “Wovon wir Menschen freilich kaum etwas bemerken können, da zwar ganz in der Nähe unserer Erde, jedoch im All heftig gekämpft wird, überwiegend mit intelligenten Raumschiffen ohne Besatzung.”
„Oh, Mannohmannohmann !“ krächzte Tobias ehrfurchtsvoll.
„Direkt auf unserem Globus wird nur intrigiert“, fuhr Robert weiter fort.
„Aber ... warum das alles ?“ rief Margrit verwundert.
„Was ist ent - tigert, Oma ?“ erkundigte sich Tobias. Muttchen erklärte es ihm flüsternd. “Ich will`s auch wissen !“ Julchen war von ihrem Sofa aufgesprungen, Munk dabei schnöde zurücklassend.
„Zunächst muss ich euch sagen”, begann Robert von neuem, ”dass die Loteken einstige Elitesoldaten der Hajeps sind. Diese Elite hat sich in die rebellischen Rehanan-Loteken und in die Noboistische Loteken, die sich noch ziemlich linientreu verhalten, gespalten. Die Linientreuen Nobo–Loteken halten also zu den Zivilisten und Soldaten der reinrassigen Hajeps und deren Undasubo Gisterupa, die anderen zu dem wilden Aufrührer und Rekompen Chiu-natra.”
”Arbeiten Sie für die Nobo oder Reha ...hm... dings ....na... Loteken oder Hajeps ? Heraus mit der Sprache !“ fragte Margrit.
„Für die Hajeps !“
„Also für den.... ?“
„....Undasubo Gisterupa ?“
Margrit nickte.
„Nicht direkt, unsere speziellen Oberhäupter sind Rekomp Nireneska und der Montio Sotam–Sogi, der für den Erdteil Europa zuständig ist ! Aber das war Zufall. Mir blieb keine Wahl !“
Robert begann wieder mit seiner Tasse zu spielen. ”Und es gibt Menschen, die arbeiten halt für die Rehanan- Loteken ! Wie sich das eben bei denen so ergeben hat ! ”
„Und alle immer hübsch gegeneinander ?“ fragte Muttchen.
„Was sonst ? Aber es gehen dabei auch Hajeps und Loteken drauf und das beruhigt mich, beruhigt mich ungemein und es wird seit etwa fünf Jahren erzählt. Sie sollten wissen, dass die reinrassigen Hajeps im allgemeinen leider nur sehr wenig berichten, aber DAS habe ich mitgekriegt, dass sie auf eine große Flotte – ausgesandt von
Pasua - und einen wichtigen Heerführer warten - weiß ich, wann der kommen wird - der ihnen endlich zur totalen Macht auf dieser Erde verhelfen und die Loteken wieder bezähmen wird.“
„Also die .. die Rehanan–Loteken ?“ fragte Muttchen.
„Genau !“
„Merkwürdig, das erinnert mich an eine Erzählung, die ich vor einiger Zeit von einer alten Dame gehört habe !“ brummelte Margrit nachdenklich.
„Meinst du etwa, die Dame aus im Zug ... in dem abgewetzten Persianermantel ?“ rief Muttchen aufgeregt.
Margrit nickte. “Diese Dame sprach also von himmlischen Heerscharen ... und von einem König mit Namen Agul...na, Dings !“
„Agulmois ?“ hakte Robert nach.
„Richtig !“
„Dann benutzte sie wohl auch das Wort Runa ?“
„Ja ?“ ächzte Margrit überrascht.
„Das ist tatsächlich ein Wort, was besonders Hajeps sehr oft gebrauchen und heißt schlichtweg übersetzt Ende !“ erklärte er.
„Diese Dame sprach aber noch von irgendwelchen Weissagungen die schon seit Jahrhunderten überall in den Büchern der Menschheit geschrieben stehen“, sagte Muttchen leise.
„Ja ja, die Menschen haben schon immer sehr viel Quatsch daher geredet“, knurrte Robert, “und jetzt, wo sie in Not sind, natürlich umso mehr. Sicher haben wir wohl auch Bücher, in denen irgendetwas aufgeschrieben ist, was dem ähnelt, wovon die Hajeps gerade reden. Nachdem, was ich so in letzter Zeit so alles gehört habe, wird es wohl für unseren Undasubo Gisterupa immer schwieriger, sich wirklich gegen die Rehanan-Loteken durchzusetzen ! Immerhin sind schon zwei seiner Vorgänger in den letzten fünf Jahren unerklärbaren Attentaten zum Opfer gefallen. Da gibt man sich schon gern der Hoffnung hin, irgend jemand aus dem All käme einem endlich zur Hilfe ! Aber das hat rein gar nichts mit uns Menschen zu tun. Auch nichts mit unseren Weissagungen. Unsere Situation wird immer die bleiben wie gehabt.“ Er lehnte sich plötzlich zurück und faltete die Hände über seinem mageren Bauch. “Darum frage ich Sie, meine liebe Irmgard, ob Sie und ihre Familie nicht doch bei uns mitmachen wollen. Es kann ihnen nur besser gehen. Werden sie noboistisch. Sie würden mir dadurch sehr helfen, da mir Nireneska, das Oberhaupt - also Rekomp - unseres winzigen Landkreises, wahrscheinlich bald sehr, sehr böse sein wird. Sie wären in diesem Fall mein Geschenk an ihn, er braucht nämlich wie gesagt, gerade jetzt Leute mit besonderen Gaben und wenn die dann auch noch freiwillig zu ihm kämen, das würde ihn sicher ein wenig positiver für uns einstimmen. ”
„Nein, mein lieber Robert“, wehrte Margrit ab. “So leid es mir tut, ich würde Ihnen zwar gerne behilflich sein, vor allem, weil sie und ihre Familie mich so liebevoll bei sich aufgenommen haben, aber ich sage mir: lieber hungrig und frei als satt und gefangen !“
Er fuhr wieder mit dem Oberkörper hoch und stützte die Ellenbogen auf den Tisch. “Ach, wir sind doch im Grunde alle Gefangene, schon die ganze Zeit, merken Sie das nicht ?“
“So lange ich das nicht direkt merken kann, fühle ich mich frei !“
„Aber dieses Gefühl dürfen sie doch auch weiterhin haben ! Glauben Sie mir, es wird Ihnen nur besser gehen, BESSER, wenn sie den wahren Herren dieses Gebietes gehorchen. Wir Menschen dürften nach einer nunmehr zweiundzwanzig Jahre währenden Diktatur unserer blutrünstigen Eroberer inzwischen eingesehen haben, dass uns nichts anderes zu tun übrigbleibt, als den Außerirdischen zu gehorchen ! ”
Margrit lehnte sich nun ihrerseits im Stuhl weit zurück, verschränkte beide Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf.
„Robert, wir sollten nicht aufgeben ... noch leben wir !“
Er seufzte, ließ sich wieder ebenfalls in seinem Stuhl zurückfallen, beide Arme baumelten traurig und erschöpft zu beiden Seiten hinab.
„Tja, das sagte George auch immer!“ murmelte er sarkastisch. “Ihr beide seid euch ähnlich ! Das ist mir schon von Anfang an aufgefallen, sogar verdammt ähnlich !“ Dann richtete er sich spontan wieder auf.
„Aber ihr seid nur Phantasten, weiter nichts ! Und ihr werdet erst merken, wie Recht ich gehabt habe, wenn es euch an den eigenen zarten Hals geht.”
Margrit stützte jetzt, ebenso wie er, ihr Kinn in die Hand und starrte ihn an, wie er sie, worüber beide automatisch lachen mussten.
Nach einer Weile Schweigen errötete er schließlich etwas. “Also gut !“ sagte er rau. “Ich verspreche Ihnen, dass ich nichts von Ihren hervorragenden Ohren und ihrer wirklich guten Beobachtungsgabe an unsere “himmlischen Beschützer” weitersagen werde, oder ... sollten Sie noch andere Gaben haben ?“ Er lachte, als er Margrits entsetztes Gesicht sah. “Aber Sie verraten uns bitte auch nicht an die übrigen Menschen, die nach ihrer Meinung noch frei sind, okay ?“
„Klaro !“
"Wir Menschen haben ohnehin keine Polizei, keine Armeen mehr, die “Verräter“ verfolgen könnten ... und hier in der Umgebung weiß sowieso fast jeder über uns Bescheid.“ Er strich wieder merkwürdig nervös über den Rand der Tasse. “Irmgard“, sagte er nach einem ganzen Weilchen, “ich mag Sie ... Sie und ihre drollige Familie ... und darum rate ich ihnen, auch die nächste Stadt, nämlich Bamberg zu meiden und lieber in Burgebrach, einem kleinen Dörfchen, das dahinter liegt, zu übernachten.“
Nach diesem Ratschlag wollten sich Margrit und Muttchen dann auch tatsächlich richten. Robert hatte ihnen sogar eine kleine Skizze angefertigt, damit sie sich zurechtfanden und der Onkel hatte darüber geschimpft und die Tante war schließlich ganz erleichtert gewesen, dass die beiden Frauen mit ihren Kindern endlich das Haus verlassen wollten und Dagmar hatte von Herzen über ihre Tante gelacht.
Nach einem kurzen innigen Abschied befanden sich unsere Vier dann wieder im Wald. Doch nach etwa einer halben Stunde mussten sie umkehren, da die Wunde an Margrits Hand inzwischen solch große Schwierigkeiten machte, dass sie kaum noch das Rad schieben konnte. Margrit hatte nämlich bei all der Aufregung vergessen, den Verband zu wechseln. Ob man ihr böse war, wenn sie wiederkam ? Zumindest rechnete sie mit großem Erstaunen. Wie würde man ihr begegnen ?
Nicht eine ihrer Vermutungen sollte sich als richtig erweisen, denn als unsere Familie eintraf, erschien das Haus überraschenderweise leer ! Bodo war zuvor von Muttchen mit einem Stück Wurst bestochen und dann gemeinsam mit einem Zipfel Schinken - der allerdings nur Sekundenbruchteile existierte - in den Zwinger gesperrt worden und Munk fauchte nicht nur Bodo aus sicherer Entfernung an - Muttchen hatte ihn wieder einmal freigelassen - sondern beleckte sich auch noch dicht vor Bodos Zaun in solch aufreizender Weise die Pfoten, dass Bodo schier vor Wut platzte.
Wie ein Verrückter jagte er nicht nur in seinem Zwinger hin und her, sondern bellte und biss abwechselnd in den Zaun. Munk ließ sich dadurch keinesfalls bei seiner Körperpflege stören, ganz im Gegenteil, wurde er umso genauer, glättete jedes Härchen und Bodo schäumte. Munk fand, dass dieser Tag irgendwie ein ganz herrlicher Tag war !
Da Margrits Schmerzen immer unangenehmer wurden, empfand sie es nicht als besonders schlimm, unerlaubt in das Haus gelangen zu wollen und daher nach einer entsprechenden Möglichkeit hierfür zu suchen, doch - siehe da - hinein ging`s leichter als gedacht.
Das Küchenfenster war nämlich leichtsinnigerweise nur angelehnt. Muttchen hielt das Rad fest, das Margrit zuvor an die Wand des Hauses bugsiert hatte und Margrit kletterte auf dessen Sattel, von dort ins Fenster und ward alsbald völlig verschwunden.
Ein Hausschlüssel drehte sich wenig später in der Tür. Muttchen keuchte aufgeregt, doch es war nur Margrit, die sie und die Kinder einließ, welche inzwischen den spotzenden und fauchenden Munk auf dem Arm hatten, der zu gerne mit Bodo „intelligenter Kater bringt doofen Köter zur Strecke“ weitergespielt hätte.
Munk kam schließlich in den Korb, weil er sich einfach nicht beruhigen wollte und Julchen und Muttchen trösteten ihn, während Tobias neugierig durch genau jene Räume schleichen musste, die ihm die Eigentümer des Hauses zuvor verboten hatten. Und das nur, weil er eine Ausrede hierfür in Anspruch nehmen konnte, nämlich seiner Mutter beim Suchen nach dem Verbandszeug zu helfen. Er hatte sich sogar hierfür drei Schlüssel vom Bord im Flur genommen und nun schloss er gerade die Tür der letzten kleinen Kammer auf, die ihm unbekannt war und blickte hinein. Julchen war aber inzwischen ihm hinterher geschlichen und trällerte nun ziemlich laut: “Hab` es ja gese...eeehäään !“
„Ach, sei still, Plapperliese !“ fauchte er über die Schulter zu ihr..
„Das is aber verboten, Tobias !“
„Ja und ? Ich muss Mamms helfen, siehste !“
„Dann helf` ich ihr aber auch, so !“ krächzte Julchen dicht hinter ihm.
„Na guuut !“ seufzte er genervt.
Und so tappsten sie beide ziemlich unsicher aber neugierig in die schmale Kammer hinein.
„Guck` mal, da is ein Schrank !“ wisperte Julchen. “Und da auch und da ...und da und der hier... deer is ein Schrank mit Vorhang dran !“
„Och, das is nur ein Bord !“ knurrte Tobias, riss aber neugierig den Vorhang auf.
„Da sind ja Einweckgläser drin .....viele Einweckgläser !“ rief Julchen schwer enttäuscht.
„Aber, einige davon sind gefüllt, siehste ! Da is bestimmt...“ Tobias schob sich nun einen kleinen Hocker heran “...irgendetwas Leckeres für uns dabei !“
„Du Tobiiii. ? »
« Ja ?“ Er kletterte auf den Schemel. Leider kippelte der etwas.
„Du, aber du –huu ?“
Tobias seufzte und betrachtete dabei die Gläser wählerisch der Reihe nach. “Ja, ah ?“ fragte er abermals genervt.
„Du, Tobi ... aber man darf nich fremde Sachen naschen !“
„Wer sagt das ?“ Er reckte sich in die Höhe, weil er nun ein besonderes Glas mit Kirschen entdeckt hatte. Es war das einzige, dass richtig hübsch aussah, denn es hatte ein silbernes Schild, und nur deswegen wollte er es haben.
Julchen dachte inzwischen angestrengt nach und er stellte sich auf die Zehenspitzen, denn er kam so schwer an dieses Glas heran..
„Na, die Mama !“ sagte sie endlich.
„Was, die Mama ?“ knurrte er genervt und zögerte, denn dieser Hocker kippelte wirklich mächtig.
„Na, die .. .diiie hat das gesagt !“
„Ach, Quack !“ Er stellte sich abermals auf die Zehenspitzen. “He, guck lieber, was ich hier oben entdeckt habe.“
„Ganz, gaaanz oben ?“
„Ja, es ist das einzige mit silbernem Schild d´rauf ..... siehste ?“
„Nein, los zeigen !“ kreischte Julchen von unten aufgeregt und klatschte dabei in die Händchen. Sie wurde dabei leider so hektisch, dass sie den Hocker dabei ein wenig anrempelte. Tobias, der nicht stürzen hatte wollen, hielt sich am Bord fest, das Glas glitschte ihm dabei aus der Hand und krachte zu Boden.
Für einen Moment nahm ihnen das, was plötzlich aus dem Kirschbrei und zwischen vielen Scherben hervorlugte völlig den Atem, beide verharrten ungläubig erst einmal dort wo sie waren. Dann jedoch stieg Tobias vom Hocker herab und schlich neugierig an das Ding heran. Es war ein silbrig schimmerndes schmales, flaschenartiges Rohr, dass Tobias nun vorsichtig aus dem Brei herauszog. “He, das is ja gar nix ! Sieht ja bloß so aus, wie früher...“
„Was früher, Tobias ?“
„Na, Tante Mariannas Nagellack !“ sagte er tief enttäuscht. “Is was für Tussis !“ seine Stimme bekam einen geringschätzigen Unterton. “Kannste haben!“
„Au ja“, krächzte Julchen, wischte es kurz an ihrem Pullover sauber und ließ es in ihrer Hosentasche verschwinden.
„Das nächste, was wir finden, behalte aber ich !“ knurrte Tobias und kletterte leise ächzend nochmals auf den Schemel. “Aber erst ....erst ess` ich jetzt ein paar Kirschen.“
„Ich auch, ich auch !“ jubelte Julchen begeistert von unten. “Schmecken Kirschen ?“ setzte sie ziemlich kleinlaut hinzu.
„Glaub` schon, hab mal`n paar gegessen !“ erklärte er fachmännisch und zog den Schnodder in der Nase hoch. Seine kurzen Fingerchen wollten gerade nach dem nächsten Kirschglas greifen, als sein Blick auf ein kleines, flaches Metallstück, das ihm auf der Ablagefläche des Küchenbordes entgegenschimmerte, fiel. Er fand das noch viel hübscher als das kleine Fläschchen, welches er vorhin aus dem Kirschbrei hervorgeholt hatte, fühlte sich plötzlich wie ein Schatzsucher und wisperte daher ehrfurchtsvoll und verzückt. “Da is noch was, Jule .... ganz ohne Scheiß ?!“.
„Zeigen zeigääään !“ jubelte Julchen zu ihm hinauf und klatschte wieder ziemlich wild in ihre Händchen.

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Margrit hörte wenig später lautes Geschrei von nebenan, kaum dass sie den alten Verbandskasten endlich gefunden, geöffnet und ihre Hand zur Hälfte gewickelt hatte. `Tobias !` schoss es ihr zu Tode erschrocken durch den Kopf. `Was ist mit ihm ?`
Muttchen und sie selbst jagten fast gleichzeitig so schnell aus verschiedenen Zimmern zu ihm hinüber durch den kleinen engen Flur, dass sie fast zusammenprallten, sich gegenseitig den Weg versperrten.
Margrit zwängte sich, das herabhängende Ende des Verbandes hatte sich dabei um ihre Hüften geschlängelt, mutig als erste durch die schmale Tür der winzigen Kammer.
Da stand der arme Tobias mitten im Raum und schluchzte gemeinsam mit Julchen um die Wette. “Ich krieg` “ihn” nich mehr aus ...nie !“ schniefte er. “Sch...Scheiße ! Wie hab` ich “ihn“ nur angekriegt? Weiß´ es nich mehr ! Er is ja auch so ganz anders als der Flutschi !“
„Stümmt !“ piepste Julchen, die sich jetzt zur Hälfte hinter der Oma versteckt hielt. ” Flutschis Farbe is hübscher !“
„Was ist hier mit Fl... Flutschi ? ” krächzte Margrit entgeistert und starrte auf ein etwa mantelknopfgroßes, leuchtendes Ding, das Tobias etwas zittrig in der vor sich ausgestreckten Hand hielt.
„Na, der...das Dings !“ nuschelte er.
„Wer ?“ wiederholte Margrit und versuchte dabei, nervös wie sie war, das Ende des Verbandes von ihren Hüften zu bekommen, doch es rutschte nur etwas höher um ihre Taille.
„Na, der...“, versuchte nun auch Julchen zu erklären, “.... der Käfer !“
„Der Käfer !“ keuchte Margrit verdutzt und wickelte sich ausgesprochen hektisch endlich den Rest des Verbandes um die Hand.
„Ja, die Jule hat da nämlich ein Bein von ihm gesehen !“ Er zog den Schnodder in der Nase hoch.
„Es war ein ganz langes, haariges Bein, Mamms !“ wisperte Julchen schon wieder hinter ihrer Oma hervor. “Und sah ganz ...gaanz doll ekelig aus, bäh !“ Sie machte eine kleine Pause und schüttelte sich. “Und ...und... deer Käfer, deer heiß Flutschi ...und is ein Geheimnis !“

„Ihr habt ihn also damals doch nicht freigelassen, das arme Tier !“
„Aber der Flutschi spricht nich mit mir ... NEEE ! ...daas macht der nich !“
„Ist eigentlich auch nicht gerade typisch für einen Käfer !“ murrte Margrit.
„Horch, Mamms ! DER hier SPRICHT ! Da ! Die reden mit mir schon die ganze Zeit! Die da in dem wabbeligen Geldstück oder ist das eine aufgeweichte Kartoffelscheibe, Mams ? Na egal ! Ich soll mich endlich beruhigen, haben DIE gesagt! Aber ich ... ich weiß immer noch nich, wie ich das machen soll..”, schluchzte Tobias plötzlich wieder lauthals los, “...denn ich bin ja gar nicht unruuuuuhig, oder?“
Alles nickte beklommen.
„W...wartet...“, er brachte für einen Moment seinen wie stets üppigen Tränenstrom zum Stoppen, der Sender war im übrigen schon ganz schön nass, und strich mit dem Zeigefinger sacht über ein kaum sichtbares quadratisches Winzfeld an der rechten Seite, “... ich stell “ihn“ mal lauter, damit die Oma auch was davon hat!”
„D...danke, dir, Tobias !“ wisperte Muttchen kreidebleich, denn ein erstaunlich lautes, abgehacktes Pfeifen war plötzlich im Zimmer zu hören.
„Xalimon ! Nor kos pun ? Amar ?“ vernahmen vier paar entsetzte Menschenohren. ”Amar ? Deakaliso ! Kera kur Rekomp Nireneska dandu Tjufat Diguindi dandu Jimaro Durunai !“
„Mein Gott !“ ächzte Margrit und Tobias heulte schon wieder, da sich der Knopf dabei in seiner kleinen Hand von ganz alleine herumdrehte und Julchen sagte gar nichts mehr.
„Nor kos pun ?“ fragte das winzige Kontaktgerät abermals und hielt endlich inne. ”Kos pun... mando ?“
Margrit bewaffnete sich mit einem Kissen, das sie auf einem weiteren Schemel in der Nähe entdeckt hatte und bewegte sich ganz langsam und so vorsichtig auf den Winzling zu, als hätte sie ein gefährliches Insekt vor sich, das es zu bekämpfen galt. Dabei machte sie auch einen großen Schritt über das zerdöpperte Einweckglas.
„Deakalis Padra ! Kera kos Rekomp Nireneska ! Deakalisoa ... ziett !“ tönte es weiter überlaut durch den Raum und der Sender begann sich erneut inmitten Tobias Fingerchen herumzudrehen. Dabei machten alle eine erstaunliche Entdeckung, denn das “Ding“ veränderte seine Form, es wurde jetzt länglich, etwa wie eine Zigarette. Tobias Hand vibrierte wie bei einem Erdbeben, aber er wagte nicht es fallen zu lassen.
Eine weitere Angst plagte alle. Vernahmen die Hajeps womöglich bereits, was sich in dieser Kammer abspielte, konnten sie es gar sehen, da sich die Zigarette - verdammt, jetzt war es schon wieder etwas GANZ anderes geworden, nämlich eine Niere - so beständig drehte ? Wer wusste auch schon, was Tobias in seiner großen Neugierde bereits damit eingestellt hatte ? Margrit hatte schon schlimmste Schauergeschichten über außerirdische Winzapparate gehört. Zum Beispiel, dass Hajeps sogar mittels dieser quallenartigen Kleinst-Kontaktgeräte, die zunächst die Form einer Armbanduhr hatten, Menschen zuerst anvisieren und dann auf diese ziemlich genau feuern konnten. Sie bestanden aus einem regenfesten, halb lebendigen Material und die Verwandlungskünste dienten nicht nur dazu, dass man die Geräte auf engstem Raume und überall bestmöglich hinknautschen und verstauen konnte, sondern auch um Unbefugten glauben zu machen, dass es eben keine Geräte wären, sondern nur irgendetwas Belangloses !
Half es, wenn sie das Kissen drauf legte ? Margrit fand diesen Gedanken plötzlich so saukomisch, dass sie zwar in leises jedoch ziemlich hysterisches Kichern verfiel. Sie warf schließlich das Kissen weg, ging tapfer bis dicht an Tobias heran und wartete, denn es ratterte und knackte wieder in der Winz-Niere, so als würde sich dort wieder Mal etwas verändern.
„Fengi - pa - itun ? Amar, allorrr ?“ ertönte plötzlich zu Margrits Überraschung eine andere, eine höchst sympathische, seltsamerweise auch ziemlich heisere und leider auch etwas verschnupfte Männerstimme.

„Kera kos Tjufat Diguindi ! Iiier is wiedär Unteeeroffisier Diguindi ! Was ist loss mit dirrr, Kleinér ? Hmmm ?“ krächzte es jetzt in Deutsch durch den Raum, jedoch fast alle Silben dabei völlig falsch betont.
„Warum meldést to disch niiischt merr ? ”
Margrit lief ein Gänseschauer den Rücken hinab, denn nun hatte sich die Niere - so schien es - in ein nettes, leuchtendes Glühwürmchen verwandelt.
„Das ist er !“ wisperte Tobias und seine Unterlippe bebte. ”Daaas ist EINER von DENEN, die mit mir die ganze Zeit herumgequatscht haben. Sonst haben wir immer nur die Roboter gehört, aber DEER hier, Mams ... DEEER ist ECHT!“
Margrit nickte beklommen.
„Wo iiist Robääärt kleinääär Maan, Kée ?“ Das Würmchen hob das eine Ende wie einen Kopf.
Margrit wagte kaum zu atmen, denn diese Stimme hatte, wohl wegen der verdrehten Betonung einzelner Silben, nun doch für Margrit irgendwie etwas Beklemmendes oder beruhte Margrits Angst allein auf der Tatsache, dass sie zum ersten Mal den Feind so deutlich und leibhaftig hörte, DEN Feind der den Menschen SO weit überlegen war ? Sie versuchte sich damit zu trösten, dass dieser Außerirdische eigentlich auch nur ein Mann war, der zudem wohl eine sehr schwere Erkältung hatte.
„Wo ist äär ? Weiiißt to daaas ?“ näselte er weiter und das Würmchen verwandelte sich nun in einen hübschen Ring. “Rekomp Nireneska und Durunai erwarten nämlisch die üblischen Informationén ! Ziétt tula ! Akir ?“
„A...akir !“ wisperte Tobias verzweifelt. ” I...ich glaube, der ist fort ...äh... weg !“
„Auch ti andrinn ?“
Plötzlich wusste Margrit,was so beunruhigend an dieser Stimme war, denn obwohl sich dieser Diguindi immer wieder größte Mühe gab, nicht nur die Worte deutlicher auszusprechen und auch richtig zu betonen, klappte es nicht so ganz dabei mit dem Atmen. Es schien irgendetwas mit seinen Nasenflügeln nicht in Ordnung zu sein, denn diese schnarrten leicht - oder konnte man dazu schnurren sagen ? - und zwar bei jedem Wort.
„Ja !“ beantwortete Tobias kleinlaut Diguindis Frage.
„Schadé, jamérrrrschadé“, schnurrte die Nasenstimme, “und wer bist do, mein Hérzschinn ? ”
„Ich...äh...!“begann Tobias, konnte aber kaum noch weiterreden, denn ein neuer Klos saß ihm schon wieder im Hals.
Margrit beugte sich über den Ring, schloss die Augen und fragte so ruhig wie sie nur konnte. “Amar ?“
„Fengi pa itun ?“ hörte sie eine andere Stimme.
„Fengi !“ antwortete sie einfach.
„Nenelonto ! Kera kos Jimaro Durunai !“ kam es verblüfft zur Antwort. “Nor kos pun ?“
„Ich ...äh... verstehe nicht!“ wisperte Margrit. “Hier ist Irmgard Müller, die Mutter des Jungen. Ich habe etwas Wichtiges zu sagen !“
„Akir ! Nenelonto.“ Eine kleine Pause entstand.
„Kera kos Diguindi !“ kam es schon wieder. “Waaaas willst do ?“
Margrit schwieg und der Hajep fauchte deshalb ungehalten, wenn auch leise ...oder hatte sie sich verhört? Und dann folgte aufgeregtes Getuschel mit zwei anderen Personen.
„Ich ...äh...“, begann Margrit und brach doch wieder ab, denn sie musste sich jetzt genau überlegen, was sie sagen wollte.
„Wievill Menschään seid ihr, ké ?“ hörte sie wieder die jetzt freundliche Nasenstimme. Sie war für Margrits Geschmack entschieden ZU freundlich.
”Wir sind ...öh...“. konnte sie ihm das sagen, oder war das schon zu gefährlich ?
„Zaiii ... aaach, bitée, schippt dooch mall ebän den kleininn schwarzinn Riegäl obin ein wennick zorr Zaite,
chesso ?“ verlangte die Nasenstimme sanft aber mit Nachdruck. Margrit fand, die war jetzt beinahe katzenfreundlich, aber dieses Wort wollte sie lieber nicht gebrauchen, nicht einmal in Gedanken, das hätte Munk beleidigt.
”Und wie soll ich das machen?“ fragte Margrit so arglos wie nur irgend möglich.
„Indäm do denn Riegäl schiiipst ! Weisst do nischt, waas schiiipen ist ?“ Die Nase klang nun doch ein wenig gereizter als bisher.
„Ach so ! Das meinen Sie ! ” ächzte Margrit und nahm den inzwischen rechteckigen Winzkasten sehr vorsichtig aus Tobias Händen.
Sie hielt ihre Brille schief, um an diesem Ding überhaupt etwas zu erkennen und drehte und wendete es. Es fühlte sich weich und glatt an, ähnlich wie Gummi und seltsamerweise auch warm ! Merkwürdig, wozu brauchten Hajeps ein wabbeliges und vor allem warmes “Handy“?
„Dieses kleine Beinchen ... äh... den Riegel hier, ja ?“ erkundigte sie sich nochmals und mit angehaltenem Atem.
„Xorrrrr, JAAA !“ fauchte es irgendwo aus einem Mikrophon. Diesmal hatte Margrit das fast tierische Fauchen deutlich herausgehört.
„A ... aber f...fänden Sie es nicht besser, wenn ich ... huch, huch... jetzt sind Sie mir runtergefallen !“ Margrit hatte den Wabbelsender mit voller Wucht auf den Boden geschmettert, aber zu ihrem Erstaunen war dem trotzdem überhaupt nichts passiert ! Nun verstand sie, weshalb fast alle technischen Dinge der Hajeps aus diesem weichen, anschmiegsamen Material gefertigt worden waren, von dessen genauerer Beschaffenheit allerdings Margrit noch immer nichts wissen konnte. Doch diese Robustheit erfreute sie keinesfalls ! Ja, in ihrer Verzweiflung begann sie jetzt sogar, sehr zum Entsetzen ihrer kleinen Familie, mit dem Absatz auf den Sender einzuhacken, der ihr immer wieder dabei davonglitschen - oder gar krabbeln ? - wollte ! Schließlich stellte sie sogar den ganzen Fuß darauf und drehte ihn herum. Na, wenigstens war das Ding nun zu einer pfützenförmigen Scheibe geworden. Margrit hob die hauchdünne “Glibberpfütze” wieder auf, führte den Sender ziemlich dicht an den Mund. “Kö... können Sie mich noch hören, Herr ...äh... Diguindi? Oh Gott - uh- entschuldigen Sie!“
"Amaaarr ?“ klang es zwischen Pfeifen und Krachen durch den Raum.
“Hoppala !“ wieder pfefferte Margrit den Sender auf den Boden, stellte die Hacke darauf und drehte sich auf dem “Ding” einmal im Kreise herum. “Bin vielleicht ein Tollpatsch ... hallo ?“ Sie lauschte, schüttelte das Wabbelzeug, kein Tönchen folgte. Da warf sie es in irgendeine Ecke der Kammer. Sie grinste. “Ich meine, dass diese Hajeps jetzt ganz schön schimpfen über diese Frau mit ihrem Kind, aber zu ernst werden sie die Angelegenheit nicht nehmen. Mir scheint, dass sie unter großem Stress stehen. Diguindi und Rekomp Nireneska sprachen trotz aller Freundlichkeit stets gereizt, waren knurrig wie ... äh... wie die Raubkatzen !“ Sie schluckte bei diesem Gedanken. “Ich nehme an, diese Männer haben Wichtigeres zu tun, als sich um solch eine Lappalie noch weiter zu kümmern.“ Wieder schwieg sie für einen Moment und sagte dann energisch: “Im übrigen sollten die Hajeps endlich nach ein paar dicken Taschentüchern suchen ... diese Triefnasen sind ja nicht auszuhalten.“
“...und nach ein paar Schals...“, fügte Muttchen hinzu, ”...diese Heiserkeit ist ja furchtbar !”
Da lachte die kleine Schar Tränen und hielt sich die Bäuche.
Wenig später verließen unsere vier Flüchtlinge jedoch auf das Eiligste das Haus. “Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste ! ” meinte Muttchen. Das fand auch Munk, der auf Muttchens Schulter saß, da man Bodo wieder freigelassen hatte.

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