Das Licht der Hajeps
von doska

 

Das Licht der Hajeps Kapitel 14b

Nachdem sich Margrit vergeblich bemüht hatte, ihn in die untere Etage des Hauses zu bewegen - er hatte immer mit einem Kopfschütteln geantwortet und dabei seine Mütze festgehalten - sah sie sich draußen suchend um. Wo konnten sie sich nur in der Eile geschickt vor den Blicken der Hajeps verbergen? Das Grundstück zu verlassen, noch einmal den Bürgersteig zu betreten, getraute sie sich nicht. Es raschelte und knackte bedenklich, als sie den ´Teddy´ endlich zwischen Zweigen und Geäst eines dichten Gebüsches hatte.
"Nun, tun Sie doch auch einmal etwas," wisperte sie erschrocken, als sie sah, dass er so riesig wie er war kaum dort richtig hineinpasste. "Du meine Güte, Sie sind aber auch groß. Krümmen Sie sich doch zusammen, Mann. Sind ja wie ein Brett!"
Er duckte sich um ihr zu gefallen, doch sie schüttelte missbilligend den Kopf.
"Nein, da passen Sie wirklich nicht hinein," jammerte sie, "beim besten Willen nicht." Sie zerrte ihn also von dort wieder hervor. Ihre Blicke jagten verzweifelt durch den riesigen Garten, denn jetzt hörte sie nicht nur die stoppenden Lais an der Kreuzung kurz vor dieser Straße, sondern auch aufgeregte Stimmen, die einander etwas zuriefen. Da bemerkte sie, dass eine Veränderung in dem ´Teddybär´ vor sich ging, dass schlagartig Bewegung in ihn kam. Wie elektrisiert spähte auch er nach allen Seiten, nahm Margrit plötzlich entschlossen bei der Hand und lief mit ihr hinter das Haus. Sie hatte Mühe mit ihm Schritt zu halten, einerseits, weil sie ganz verwirrt darüber war, andererseits weil er viel längere Beine hatte als sie und dadurch entsprechend schneller werden konnte. Außerdem merkte sie an seinen geschmeidigen Bewegungen, dass er offenbar an solch ähnliche Umstände gewohnt und ausgesprochen sportlich, ja irgendwie katzenhaft zu sein schien.
"There?" fragte er leise. Er hatte sich wieder einmal für Englisch entschieden. Da fiel es vielleicht nicht so auf, dass er heiser war und durch die Nase sprach. Außerdem war ihm gesagt worden, dass fast jeder auf diesem Planeten, einige Vokabeln davon konnte.
´Also kann er zumindest sprechen, wenn auch nur sehr leise!´ dachte Margrit. ´Wird allerdings schwierig werden mit der Verständigung, da ich nicht gut Englisch kann, aber das kriegen wir schon hin.´
Er wies nun auf eine dichte Hecke seitwärts vom Haus, hinter einer der drei Blautannen, die an dem Zaun des angrenzenden Grundstück wuchsen, das wohl einstmals zu einer großen Botschaft gehört hatte.
”`s that right?” hörte sie ihn ein winziges bisschen lauter.
Margrits Blick folgte seinem behandschuhten Finger. Er hatte eine ziemlich dunkele und heisere Stimme. War er erkältet? Aber die Hecke dort mochte vielleicht wirklich hoch genug für ihn sein, daher nickte sie. Plötzlich meinte sie, das Motorgebrumm der Lais genau in dieser Straße zu vernehmen.
Beide sahen sich schweigend an und da griff er um ihre Taille und riss sie mit sich. Es knackte und raschelte entsetzlich, doch sie hatten beide nebeneinander hinter der Hecke Platz. Zweige und Blätter verbargen sie gut.
Die Hajeps hatten jetzt ihre Lais vor der Nachbarvilla hinter der Steinmauer geparkt, plauderten aufgeregt miteinander, waren ausgerechnet dort.
Oh, Gott, der ´Teddy´ schien wohl gar keine Angst zu haben, fummelte sinnloser weise schon wieder an seinen Hörgeräten herum. Er tat nicht nur das. Zusätzlich schien er wieder Schwierigkeiten mit seinem Kiefer zu haben, denn Margrit sah, dass er den Mund öffnete und schloss, die Lippen bewegte. Diese Hörgeräte schienen ihn aber mächtig zu nerven! Oder es war nur sein Tick, immer wenn`s brenzlig wurde? Nun fühlte sie seine Hände auf ihren Hüften. Er hielt sich wohl an ihr fest. Na klar, war ja noch so jung, hatte grässliche Angst und suchte eben Halt. Gerade sie konnte das völlig nachvollziehen. Sie schob ein paar Zweiglein zur Seite. Von hier aus konnte man gut bis in den Vorgarten blicken. Man sah die Mülltonneneinfassung neben dem großen Tor, vermochte also jederzeit zu erfassen, wer dort vorbei oder hereinkam. Die dunklen Stimmen und schnellen Schritte wurden nun noch lauter, besorgt sah sie sich nach hinten um, blickte hoch zu dem Nervenbündel und - das Herz blieb ihr dabei fast stehen - der Bursche machte ja einen langen Hals! Sein Kopf lugte leichtsinnig oben aus dem Gebüsch, während er ebenfalls zum Eingang spähte.
"Aber ... aber, was machen Sie denn da schon wieder?" zischelte sie fassungslos, während sie mit aller Macht an den Ärmeln seiner Jacke zog. "Ducken Sie sich, Mensch! Go down!"
Er tat schnellstens wie ihm geheißen, hielt seine Mütze mit einer Hand fest, sackte ein wenig in die Knie, kauerte sich leise seufzend zu ihr hinunter, krümmte sich regelrecht zusammen.
Keinen Augenblick zu früh! Schon kamen die Hajeps zum Tor herein. Margrit schnaufte erschrocken. Die sechs riesigen Kerle, in den für die Hajeps typischen grauen Uniformen, trugen wieder ihre nach oben spitz zulaufen¬den, herrlich gemusterten Helme aus trübem Metall und einem lilafarbenen, glasähnlichem Material. Ihre Masken blinkten kurz auf in der mittäglichen Sonne, während sie die Köpfe wandten. Margrit verstand die Welt nicht mehr! Warum hatten sie dieses Grundstück so zielstrebig betreten? Weshalb waren sie nicht einfach daran vorbeigelaufen?
Der vorderste der Hajeps hatte merkwürdigerweise nicht nur einmal mit den Fingern geschnippt, sondern gleich mehrmals und es war ihm trotzdem kein vernünftiger ´Schnipper´ geglückt. Er schien deshalb völlig entnervt zu sein, winkte schließlich nach hinten und zwei Soldaten lösten sich daraufhin aus der Meute und folgten ihm.
Er benahm sich ausgesprochen forsch. Ohne viel zu zögern lief er voraus, den schmalen Gartenweg entlang, während die übrigen vier Soldaten sich im Garten in zwei Richtungen verteilten. Die beiden hinter ihm konnten ihm kaum folgen, so schnell marschierte er an der steinernen Mülltonneneinfassung vorbei und dann geradeaus weiter. Er wendete ziemlich gelassen mal den Kopf in die Richtung des halbzerstörten Schuppens, neben welchem der grell gemusterte Liegestuhl stand, und mal in jene, wo der kleine, allerdings nicht mehr funktionie¬rende Springbrunnen zu sehen war. Und währenddessen heulten wieder Motoren diverser Lais in den Nebenstra¬ßen auf und kamen näher.
Margrit schluckte. Oh Gott, das war ja der reinste Albtraum! Wollten die etwa auch hierher? Konnte doch gar nicht sein ...oder? Wäre doch zu verrückt!
Der ´Chef´ des Trupps - oder was er auch immer war - nahm nun im Vorübergehen die alte Villa nebst Terrasse etwas gründlicher in Augenschein.
Margrits Herz klopfte. Oh, Mist ...verdammter Mist! Was suchte er? Dann blieb er kurz stehen und schaute hinauf in die obersten Etagen. Er stieg über einen der umgestürzten Gartenstühle, trat etwas näher heran an die Terrasse. Es knirschte und weitere Scherben zerbrachen unter seinen Stiefeln, als er durch die zerstörte Glas¬scheibe der Terrassentür spähte.
Margrit hörte währenddessen, dass die nächsten Lais hinter der Steinmauer beim Nachbargrundstück geparkt wurden. Sie hörte auch Stimmen, nicht minder aufgeregt als die vorherigen! ´Oh Gott, nein, nicht auch noch hier hinein, bitte, bitte!´ jammerte sie im Stillen.
Doch das Leben kann hart sein! Es quietschte unangenehm, das Tor wurde geöffnet und weitere vier Jimaros kamen nacheinander, aufgeregt miteinander plaudernd in den Garten.
Kleine Schweißperlen traten auf Margrits Stirn. Verdammt, hier war doch irgendetwas Besonderes im Gange! Was bloß? Verdammt noch mal! Und sie - Margrit - war völlig unschuldig, hatte mit der ganzen Sache über¬haupt nichts zu tun, und steckte trotzdem wieder mittendrin!
Auch diese Hajeps schienen den Garten zu durchsuchen!
Sie hielt den Atem an. Verdammt, nach wem suchten sie denn? Würde man dabei vielleicht auch ihrer beider Versteck entdecken? Wie dicht war eigentlich das Laub, das sie beide umgab? Und weiter dachte sie und stieß die angehaltene Luft etwas erleichterter aus: ´Hoffentlich findet dieser ... dieser Offizier irgendetwas Interessan¬tes zum Plündern im Erdgeschoss, vielleicht ein paar Säcke mit Kram und er zieht mit seinen Männern gleich wieder ab. Ja, das wäre gut! He, vielleicht hat er auch etwas vergessen und holt es sich jetzt nur? Könnte doch sein! Sie nagte an der Unterlippe.
Und wieder war ein Summen in der Ferne zu vernehmen. Es kam näher. Oh Gott ... etwa noch mehr?
Der Offizier bückte sich nun und spähte in die hinteren Räume des Hauses. Da die Flurtür offen war, konnte er das sehr gut tun, doch plötzlich wandte er sich ab. Es knirschte erneut, als er über die Terrasse lief und sich am umstürzten Tisch vorbeischob. Währenddessen waren die übrigen Hajeps wohl mit den Garagen beschäftigt, denn man hörte von dort ihre gedämpften Stimmen. Der Offizier sprang von der anderen Seite der Terrasse hinunter, mitten ins Blumenbeet, und lief quer durch die völlig überwucherte Rasenfläche in Margrits Richtung. Margrits Herz jagte umso schneller je näher er kam. ´Nein, nicht!´ schrie alles in ihrem Inneren und ihr Magen zog sich zusammen, als er tatsächlich jenen Weg einschlug, der direkt zu Margrits Versteck hinführte. Konnte man sie denn sehen? Konnte man ihn sehen? Margrit stellte dabei auch fest, dass die beiden Soldaten ihren Chef endlich eingeholt hatten und dicht hinter ihm waren. Sie flüsterten jetzt, schienen ihn etwas zu fragen und der hinterste von ihnen schaute sich dabei etwa ängstlich um, blickte kurz zurück über seine breite Schulter, ließ den Blick schweifen über den Vordergarten, wo das Tor erneut geöffnet wurde und weitere Soldaten, es waren wohl fünf, hineinmarschierten. Nun sah sich der Offizier ebenfalls um, stoppte und die anderen bremsten hinter ihm.
Margrit hatte Mühe, einen Seufzer der Erleichterung zu unterdrücken, denn vielleicht machte er kehrt!
Nein, zu früh gefreut. Er schüttelte nur den Kopf, als ob nichts weiter Schlimmes zu erwarten wäre. Und dann bog er um die Ecke des hochherrschaftlichen Hauses, betrat den schmalen Seitenweg und lief nun so dicht an der Hecke vorbei, dass er nur die Hand auszustrecken brauchte, um Margrit zu berühren.
Sollte sie jetzt eine ihre Waffen ziehen? Ihre Hand umschloss den Kolben ihres Revolvers. Sie riss die Augen weit auf, den sicheren Tod erwartend, doch alle drei stürmten nur vorbei, ohne auch nur einen Blick an die Hecke zu verschenken!
´Puh, noch mal gut gegangen!´ Margrit versuchte ihre Lungen dazu zu zwingen, lautlos zu keuchen, doch ihr Brustkorb hob und senkte sich heftig, so sehr rang sie nach Atem. Ihre Kehle war trocken und ausgedörrt, doch sie war trotzdem um keinen Zentimeter zur Seite gewichen, hatte ihre schützende Position für diesen blutjungen Burschen nicht aufgegeben. Seine Jacke war weit geöffnet. So fühlte sie jeden Muskel seines Körpers dicht an ihrem Rücken. Sie schaute auf seine Arme. Sie umschlossen sie wie ein schützendes Zelt. Oh Gott, er war so groß, so stark! Es mochte absurd erscheinen, aber mit einem Male fühlte sie sich irgendwie beschützt! Zornig über dieses komische Gefühl zupfte sie schließlich leise schnaufend seine Finger von sich wie lästige Blätter und er ließ es zu. Sie schob seine Jacke von ihren Schultern, gebrauchte sogar die Ellenbogen und er wich zurück. Doch dann war sie wieder voller Bangigkeit, dass man draußen diese etwas unkontrollierte Bewegung bemerkt haben könnte, und daher schaute sie wieder angespannt durch das glänzende Blattwerk hindurch.
Weitere Hajeps kamen gerade zum Tor hinein! He, das waren ja gleich ... sechs, acht... mindestens elf
Stück! Erschrocken machte sie einen Schritt zurück und trat ihm dabei kräftig auf den Fuß.
Er reagierte zu ihrer Überraschung erst gar nicht, dann aber zuckte und keuchte er angemessen schmerzhaft und zum Glück auch sehr leise. Schuldgefühle plagten sie, doch sie wagte jetzt nicht, sich nach ihm umzudrehen, geschweige denn mit ihm zu reden, darum griff sie, um Entschuldigung bittend, irgendwie nach hinten und fuhr ihm dabei versehendlich direkt zwischen die Beine! Verdammt! Oh, Gott! Sie zog die Hand blitzartig zurück. Dabei hatte sie eigentlich gar nichts weiter gefühlt als nur ein Tuch! War wohl nicht weiter schlimm gewesen, oder? Er schaute auf sie hinab, musterte wieder einmal ihr Gesicht und schien sich köstlich zu amüsieren! Ach, das interessierte sie jetzt nicht. Sollte er sich ruhig scheckig freuen über ihr wechselndes Mienenspiel, sie machte sich gar nichts daraus, jawohl! Hach, wenn er sich nur halb so sehr für den Feind interessieren würde wie für ihr Mienenspiel, dann wären sie womöglich schon zur Hälfte gerettet, aber dieser Kerl tat ja ansonsten nichts! Margrit drückte abermals ein Zweiglein nieder, schaute wieder zum Hintergarten und bemerkte nun, dass jener Offizier, welcher vorhin seine zwei Leute zu sich befohlen hatte, inzwischen schon längst mit irgendetwas, was zu seinen Füßen am Boden lag, beschäftigt war. Einer der beiden Soldaten half ihm wohl dabei, denn er hatte sich gebückt und schien ein Seil oder so etwas ähnliches um - tja, was war es wohl, was dort unten lag? Sie konnte von hier aus nichts weiter erkennen als so etwas ähnliches wie einen eingerollten Teppich! Einen Teppich? He, was wollten denn Hajeps mit einem Teppich? Na ja, vielleicht kannten sie keine Teppiche und wollten welche haben und hatten den deswegen aus dem Hause geholt! Sie waren am entrümpeln, na klar. Die Hintertür stand ja noch offen und gerade kam der eine von den zwei Soldaten gleich mit mehreren dicken Kissen in den Armen dort hindurch gelaufen, eben weil sie wohl auch keine Kissen hatten. Aber mussten deswegen extra so viele Soldaten bis hierher kommen? Kissen und Teppiche konnte man doch eigentlich von überall bekommen! Er hatte auch ein Seil bei sich, das konnte Margrit sehr gut erkennen, denn es hing zum Teil in seinen Armen und das Ende schliff hinter ihm her, die Steinstufe hinunter. Der Soldat gab nun seinem Kamera¬den ein oder zwei Kissen und dieser begann eifrig mitzuwickeln, doch sein Chef schien nicht mehr ganz bei der Sache zu sein. Er schaute sich nicht nur unsicher nach allen Seiten um, als täten er und seine Männer irgendet¬was Verbotenes, sondern auch immer wieder prüfend zum Himmel, als wäre von dort aus etwas ganz besonders Schlimmes zu erwarten und er lauschte hin und wieder, denn inzwischen kündigte ein lautes Brummen in den Straßen die Ankunft weiterer Soldaten an. Himmel, was wollten die denn alle ausgerechnet hier? Etwa auch Teppiche? Oder Kissen? Oh, es war so verrückt, dass man ruhig auch die dämlichsten Gedanken dazu haben konnte! Margrit ließ den Zweig wieder hochschnellen und schaute mit angehaltenem Atem in den Vordergarten. Du meine Güte, hatte sich da inzwischen eine Menge an Außerirdischen versammelt! Wollten die etwa hier ein kleines Festchen feiern oder was? Grässlich, grässlich, grässlich! Margrit konnte sich das alles einfach nicht erklären. Wenn man wollte, konnte man meinen, diese dreißig - oder waren das jetzt schon vierzig? - Jimaros im Vordergarten vermissten jemanden aus ihrer Meute! Oder war ihnen etwa ein Gefangener entflohen oder suchten sie gar im meterhohen Gras nach irgendwelcher kostbarer menschlicher Beute, die sie hier vermuteten? Auto¬matisch dachte Margrit dabei an Danox. Oh Gott, hoffentlich war er schon längst woanders hingekrochen oder er lag noch immer da, zwischen diesen zwei großen Steinen und regte sich hoffentlich nicht.
Plötzlich lief alles Richtung Gartenpforte. Margrit hörte an dem Tumult, dass sich wohl inzwischen auch auf dem Bürgersteig etliche Hajeps versammelt hatten. Soldaten, die aus dem Garten hinaus durch den Eingang wollten, wurden durch andere, neu Hinzugekommene, die gleichzeitig unbedingt hinein wollten, gebremst, blie¬ben perplex stehen und tauschten aufgeregt Meinungen miteinander aus. Schließlich setzten sich einige mit ihren Kameraden, die vermutlich überall in den Straßen verteilt waren, denn dort wurde es immer lauter, irgendwie in Verbindung. He, Selbstgespräche waren das ja wohl nicht, die sie mit einem Male führten!
Weitere stromlinienförmige Lais hielten mitten unter denen, die auf dem Bürgersteig warteten, an, wohl gut einen Meter über dem Boden schwebend. Man rief sich gegenseitig irgendetwas zu. Ein feines Surren kam jetzt vom Himmel. Margrit und der Typ hinter ihr blickten automatisch hoch und sahen trotz des dichten Blattwerks, dass nun ein Frugal, ein Erkundungsflugzeug aus Biomaterial, seine Kreise genau über diesem Grundstück und der uralten Villa zog. Es hob und senkte dabei seine hautähnlichen Flügelchen und diverse Kameras schoben sich dabei aus seinem kleinen Körper hervor.
Genau das hatten wohl die drei Hajeps hinter dem Haus befürchtet: von oben gesehen zu werden! Doch sie waren wohl schon lange mit ihrem eigenartigen Vorhaben fertig, denn nichts wies darauf hin, dass hier einst ein guter, auf ganz besondere Art und Weise mit Kissen verschnürter Teppich, gelegen hatte. Doch was war daran so schlimm? Jedenfalls war er plötzlich weg, der Offizier mit seinen beiden Soldaten auch, komisch! Aber viel¬leicht hatte das Frugal auch Fotos von dieser Hecke gemacht? Dann waren sie und dieser nette Kerl hinter ihr bestimmt verloren!
Kaum war das Frugal wieder verschwunden, stoppte plötzlich auf der Straße ein großes, lang gestrecktes
Fortbewegungsmittel direkt vor dem Eingang des Grundstücks. Es schwebte für einige Sekunden etwa drei Meter über dem Boden, fuhr sodann ein rüsselartiges Gebilde am Bug aus, mit welchem es wohl die Erdbeschaf¬fenheit überprüfte, und danach klappte es ein paar stählerne Beine aus mit denen es sich elegant auf dem Asphalt der kleinen Straße niederließ. Das besonders merkwürdige an diesem Ding war, dass es weder Sichtfenster noch eine Tür zu haben schien. Doch wenig später schob sich, zu Margrits Überraschung, eine horizontal-eiförmige Tür seitwärts auf, die Margrit vorher wirklich nicht gesehen hatte. Die Menge hatte bereits Platz gemacht und drei ranghöhere Jimaros entstiegen dem merkwürdigen Gefährt. Zwei von ihnen flitzten nun um dieses Ding herum, während sich der eine mit der gaffenden, näher kommenden Meute zu unterhalten begann. Die anderen zwei strichen kurz mit den Händen über das Heck, woraufhin sich dort die Konturen einer kreisrunden Klappe zeigten, die sich sofort öffnete.
Vier seltsame in sich zusammengesunkene, recht klobig ausschauende Gestalten in Motorradkleidung stiegen nacheinander aus, welche von den Jimaros sofort Richtung Gartenforte getrieben wurden. Wütende Zurufe erschollen von allen Seiten. Der aufgebrachte Pulk Soldaten hob sogar die Fäuste Richtung dieser Vier, und jetzt erkannte Margrit, wer die ziemlich elend ausschauenden Gestalten waren - es waren die Trowes, welche sie heute Vormittag noch gesund und munter vor der Stadtmauer hatte herumturnen sehen! Mist, verdammter Mist! Aber es waren nur vier. Ob sie wohl die anderen drei noch immer nicht bekommen hatten? Margrit hoffte es sehr. Aber was würde nun mit diesen vier passieren? Margrits Herz krampfte sich bei ihrem Anblick vor lauter Mitleid und Angst zusammen. Sie machte einen langen Hals, um an den vielen Hajeps, die jetzt überall herum¬schwirrten wie Mücken ums Licht, vorbeizuspähen. Ja, die Trowes schienen gefesselt, in Ketten gelegt, und bereits schwer verletzt zu sein, denn sie bluteten aus vielen Wunden. Neben den eleganten, großgewachsenen Hajeps sahen die schmutzigen Trowes mit ihren groben Gliedmaßen, der fliehenden Stirn und den Hängelippen irgendwie grotesk aus, unglaublich derb und irgendwie leider auch dumm! He, was dachte sie da? Die Trowes keuchten jedenfalls allesamt, schienen einiges mitgemacht zu haben. Ein paar von ihnen konnten kaum stehen, geschweige denn laufen. Dennoch zwang man sie vorwärts. Irgendjemand von ihnen hatte wohl gerade etwas ähnliches wie einen Elektroschock erhalten, denn er stieß einen entsetzlich tierischen Schmerzensschrei aus, stolperte fast durch die gusseiserne Pforte hindurch und tapste dann schwankend den Gartenweg entlang. Die kleine Gruppe folgte ihm apathisch, die dunkelgrünen, krausgelockten Köpfe tief gesenkt.
Der Puls jagte in Margrits Ohren, als sie inmitten dieser gequälten Geschöpfe leider den fünften jener tapferen Trowes, das Kind, entdeckte. Er war so klein, dass er zwischen all diesen wuchtigen Leibern schier verschwand. Ein bitterer Geschmack trat plötzlich auf ihre Zunge, denn sie erkannte, je näher die Trowes kamen, dass auch das Kind anscheinend schwer misshandelt worden war. Seltsamerweise weinte der kleine Trowe nicht. Margrit schluckte. Er blickte nur starr vor sich hin, verlor oft fast das Gleichgewicht, stieß sich überall, hatte wohl keine Tränen mehr.
Die Hajeps machten weiterhin Platz, gingen im engen Garten zur Seite. Je mehr die Trowes vorrückten, umso deutlicher erkannte Margrit: Der Kleine war ja blind! Man hatte ihn geblendet! Wohl um auf diese Weise die erwachsenen Trowes zu Geständnissen zu zwingen. Danox war gewiss hierfür der Grund gewesen. Margrits Augen brannten. Verdammt, hätte sie das gewusst, hätte sie Danox den Trowes zurückgegeben! Ihr Mund wurde zu einem harten Strich. Verdammt, warum hatte sie das nicht getan, warum hatte sie daran denn nie gedacht? Ihr Kinn zitterte und ihr Magen rumpelte. Tränen ließen das furchtbare Bild vor ihren Augen auf und nieder zucken. Aber ... was wäre dann geschehen? Wäre die Welt dann nicht für immer verloren gewesen? Sie schluckte und kniff sich in die Wange, um den Tränen, die so drückten, nicht doch noch Freiraum zu geben. Gab es noch eine Chance für die Menschheit, da sie Danox besaß? Gehörte Danox eigentlich noch den Menschen? Oder besaßen ihn die Hajeps etwa bereits? Wo war Danox? Verdammt, verdammt, warum musste denn dieses unschuldige Kind für alles herhalten, diese Angst ertragen, diesen Wahnsinnsschmerz und dann auch noch diese Erkenntnis für immer, für alle Zeiten blind zu sein! Nie mehr die Sonne zu sehen, nie mehr ... und plötzlich konnte Margrit nicht mehr anders, stumm und hilflos begann sie um dieses Kind zu weinen ... ihre Hände zitter¬ten, die Schultern bebten, silbern rieselten die kleinen Rinnsalen über ihre Wangen, blieben kurz am Kinn als Tröpflein haften, liefen bis tief in den Ausschnitt ihres Hemdes hinein.
Und wieder merkte sie, dass sie fasziniert, ja, völlig entgeistert angestarrt wurde, von ihm natürlich, der hinter ihr stand, von ihm, von dem sie eigentlich noch immer nicht wusste, wer er denn wirklich war. Verstohlen versuchte sie deshalb, mit den Fingern die Tränen weg zu wischen.
Er hielt plötzlich ihre Hand von hinten fest.
“Don`t take away!” wisperte er. “It`s sooo wonderfull!“ Er betrachtete - wohl verzückt oder was? - den kleinen schimmernden Tropfen auf ihrem Handrücken. “I`ve never seen anything like that ... all my life!” flüsterte er weiter. ”Oh, no! Wrong!” Er brach plötzlich ab, machte eine kleine nachdenkliche Pause. “I`ve usually seen it, if humen are crying about themselfes!“ Wieder kam eine kurze Pause und seine Miene hatte sich noch immer um keinen Millimeter verändert. “But you ..you`re doing that only...” er holte tief Atem, “… only for this little Trowe!”
Seine letzten Worte hatten einen winzigkleinen Hauch von Verwirrung preisgegeben. Aber es konnte auch sehr gut sein, dass sich Margrit diesen Hauch nur eingebildet hatte. Zornig entzog sie ihm ihre Hand, wischte die Träne an ihrer Hose ab und er? Er machte deswegen eine bedauerliche Miene. Oder irrte sie sich schon wieder? Eigentlich war es ein graues Gesicht aus Stein. Hatte dieser Mensch denn keine Seele? Wo blieb sein Mitleid? Margrit blickte nun zornig und blitzenden Auges zu ihm empor und er? Er schaute schnell weg. Völlig ausdruckslos und einfach in eine andere Richtung.
´Feigling!´ dachte sie und dann wanderte ihr Blick wieder zu den Trowes. Direkt hinter denen ging nämlich ein Mann daher, der ganz anders gekleidet war, als die übrigen Jimaros. Er hatte ein knielanges Gewand über den eleganten Pumphosen, die sämtliche Hajeps trugen. In seinem breiten Gürtel, der im übrigen auch noch über seine Brust gekreuzt war, steckten keinerlei Waffen, sondern nur flaschenähnliche Gebilde oder Tuben. Was genau es war, konnte Margrit leider von hier aus nicht so recht erkennen. Zwar lag genau solch ein breiter Schulterschmuck über seiner Brust, wie der für Hajeps typisch war und er trug auch den gleichen Helm und jene Maske mitsamt Beatmungsgerät oder was es auch halt immer sein mochte, doch erschien ihr sein Hemd halb so prächtig, aus einem eher bescheidenen Stoff zu bestehen und auch seine Körperhaltung drückte nicht gerade jenen Stolz, jene Hochnäsigkeit aus, wie sie sonst Hajeps zu eigen war. Er schien eher tief in Gedanken, ja, direkt ein wenig bedrückt zu sein und hielt die Hände hinter seinem Rücken verschränkt, ganz wie die Trowes, aber ... er war gar nicht gefesselt! Das konnte Margrit sehr deutlich sehen, also was mochte mit ihm los sein?
Der sonderbare Bursche hinter Margrit schnaufte nun, kaum, dass er den seltsamen Mann entdeckt hatte.
´Hich!´ dachte er angespannt. ´Den Göttern sei`s gedankt, dass meine kleine Lüge doch angenommen worden ist! Saparun und seine Berater haben mir also geglaubt und Godur keinerlei Haar gekrümmt, obwohl dieser mich vorhin mit so wenig Leuten allein zurück gelassen hatte! Oh, ich bin zufrieden, ihn gesund und munter wieder¬zusehen. Aber er ist doch niedergeschlagen, weiß sehr wohl, was er falsch gemacht hat. Ich darf ... ich kann nur lügen!´. Und nun sah er, dass gerade Fatusa und Asaton zum Tor hereinstolziert kamen. Sie waren guter Dinge. Xorr, sie dachten ja auch, dass der Oten bei seiner schwächlichen Gesundheit ohne Helm längst erstickt sein müsste. Er hatte über die Sender erfahren, dass man die beiden zunächst gemeinsam mit etwa zehn jiskischen Soldaten gefangen genommen hatte. Asaton hatte behauptet, das sie beide ursprünglich als Geiseln hätten miss¬braucht werden sollen. Als er sie unterwegs gewesen wären um Hilfe für den Oten zu holen, wären sie von eben diesen Jisken überfallen und schwer verletzt worden. Asaton hatte deswegen keine Hände mehr und Fatusa trug um die Schulter einen breiten Verband, nicht mehr seinen Zu-ganio, den Schulter-Computer, den Hajeps bei sich haben mussten, sofern sie sich im Krieg befanden. Sie waren sich wohl noch immer sicher, dass sie endlich den Tod des ´göttlichen Otens´ herbeigeführt hatten, ohne dessen Blut fließen zu lassen, ohne je seinen Körper beschädigt zu haben und Saparun hatte so getan, ihren Lügen Glauben zu schenken. Er lief ihnen jetzt entgegen und die beiden neigten zur Begrüßung tief ihre Köpfe, nicht nur, um ihm damit ihre Ehrerbietung anzuzeigen, sondern auch um damit anzuerkennen, dass er der Ranghöchste war.
Xorr, Saparun war zuverlässig, das hatte er heute mit eigenen Augen sehen können, befolgte jeden seiner Befehle, ohne auch nur das geringste dabei zu riskieren. Saparun war eben nicht einer der Schlechtesten! Um noch das Maß voll zu machen, fragte jetzt sogar der listige Ifba einfach Fatusa, wohin denn nur Metowan und sein Kamerad Ondro den Oten hingeschleppt haben könnten? Denn sie – Fatusa und Asaton - hätten zu den Letzten gehört, die bei ihm geblieben wären, hätten sie nicht versucht, die bösartigen Jisken zu vertreiben, die sich dem ´Göttlichen´ genähert hätten oder nicht?
Fatusa kam nicht ins Stottern. Schon längst hatte er sich die schönsten Sätze zurechtgelegt. Sie trieften jetzt nur so vor tiefer Religiosität und Ehrfurcht vor Staat und Gesetz.
Margrit hörte hinter sich ein zorniges Zähneknirschen. Sie fuhr zusammen, schaute kurz zu ihm hin, wirklich sehr nervös dieser Typ! Aber, mein Gott, wer war schon heutzutage völlig ohne Macke! Sie jedenfalls nicht. Jetzt zum Beispiel nagte sie schon wieder an ihrer Unterlippe! Konnte einfach nichts dagegen tun. Und was war nun draußen passiert? Sie sah, dass jener Soldat - he, das war ja der selbe von vorhin, der mit seinen Männern diesen komischen Teppich eingeschnürt hatte - an den gefesselten Trowes vorbei schon längst wieder zum Gartentor gestiefelt war. Er hatte zwei neu hinzukommende Leute ganz besonders herzlich begrüßt und die wiederum hatten sich tief vor ihm verneigt. Demnach musste er wohl einen höheren Rang haben als die beiden! Vielleicht sogar den höchsten von allen, denn auch die übrigen Jimaros machten ehrfurchtsvoll für ihn Platz. Jemand trat schließlich hervor, verbeugte sich ebenfalls und Margrit meinte, in ihm jenen Soldaten wiederzuer¬kennen, der vorhin die Kissen aus dem Haus geschleppt hatte. Er schien irgendeine wichtige Nachricht für seinen Chef zu haben, denn er gab sich ziemlich aufgeregt, kaum dass er sich aufgerichtet hatte und wies dabei mehrmals Richtung Haus. Ein verblüfftes Murren erscholl daraufhin von allen Seiten und Margrit bekam einen Schreck.
Sogar die beiden neu hinzu gekommenen Männer wirkten etwas erstaunt. Man wies in Margrits Richtung. Donnerwetter, hatte man etwa eben doch eine Mitteilung über ihr Versteck gemacht, sie längst entdeckt?
Dann liefen alle, die Trowes wurden dabei so brutal zur Seite gezerrt, dass sie fast hinzuschlugen, wild diskutie¬rend und die Köpfe schüttelnd gemeinschaftlich weiter und als sie näher kamen, erkannte Margrit, dass der Chef wohl ziemlich sicher ein Offizier oder noch etwas höheres sein musste, denn er trug - das sah sie erst jetzt - einen prächtigeren Armschmuck als die anderen.
Und wieder klopfte Margrits Herz hysterisch, als er sich aus der Meute löste und näher kam. Ja, sie bildete sich jetzt sogar ein, dass man sie ganz deutlich sehen konnte. Sie hielt die Luft an, doch ihre dummen Füße zuckten wie verrückt. Verdammt, sie hatte einfach gar keine Nerven mehr. Doch sie gingen nur vorbei, genau wie vorhin. ´Wieder nichts passiert,´ dachte sie. Oh, vielleicht konnte man sich daran gewöhnen? Und sie brachte es sogar fertig, ihm hinterher zu schauen, gerade als er wieder ausgesprochen zügig, gemeinsam mit den zweien, die ihn wohl stets begleiteten, bis hinter das Haus lief.
“EDAPAR ... EDAPAR!” brüllte der Offizier aufgeregt zu Margrits Überraschung in voller Lautstärke über den gesamten Garten, und inzwischen holten seine Männer etwas aus dem Hause, einen Leichnam? Jedenfalls sah`s so aus, denn man hatte eine Decke darüber gelegt. Trugen ihn wieder an Margrit vorbei in den Vordergarten. Man bettete ihn vor das Blumenbeet der Terrasse. Es herrschte eisige Stille.
“Ajano nanjua rug tia Oten!” Wie betäubt fiel der Offizier auf eines seiner Knie und fing an - etwa zu beten?
Alles war entsetzt. Kaum, dass man den ...äh ... Leichnam gesehen hatte. Jedenfalls hörte sich das für Margrit in diesem Moment so an. Ein lautes Gemurmel erfasste die Reihen der Außerirdischen, sie schwankten leicht. Der Offizier erhob sich wieder und lief schnellen Schrittes auf die noch ziemlich hilflos und fassungslos dastehenden Meute der Hajeps zu. Vor einem blieb er stehen, es war der Mann in den einfachen und schlichten Kleidern.
“Godur?” fragte er.
Dieser trat zwei, drei Schritte aus der Menge hervor und verneigte sich mit vor der Brust gekreuzten Händen.
“Rademda moa Katobai Saparun?”
“To guongo wentera me salmeo, Godur ...chesso?” entgegnete der.
Der Mann richtete sich auf und nickte.
Dann befahl der Offizier noch irgendetwas im harten Ton, wendete sich auf dem Absatz um, ging zurück. Der Mann schickte zwei Soldaten, die hinter ihm gestanden hatten zum Tor und dann folgte er seinem Herrn. Wenig später beugten er und der Offizier sich über den Teppich ...äh ... die Leiche. Der Offizier hob nämlich das Tuch nur um so viele Zentimeter, dass gerade nur dieser Mann darunter schauen konnte und niemand sonst. Dieser schien entgeistert zu stutzen und danach für einen Sekundenbruchteil fragend in die Augen des Offiziers zu spähen, die er wohl aus dieser Nähe trotz der Maske und der leicht transparenten Brille recht gut erkennen konnte, aber dann hatte er sich sofort wieder in der Gewalt. Er holte etwas aus seinem weiten Mantel hervor. Es war eine kleine Tasche, die sich sofort öffnete, kaum dass er sie auf den Boden gelegt hatte. Ein kleiner schwar¬zer Kasten mit einem Langen Schlauch sauste daraus hervor, flatterte in seine Hand und der Mann bückte sich, beugte sich über den Leich ...he, Teppich ... und schob den roten Knopf, der sich am Ende des Schlauches befand, unter die Decke, nach dorthin, wo man annehmen könnte, dort wäre ein Herz! Der Körper ...hm, Teppich? Jetzt bekam Margrit plötzlich echte Zweifel! War es wirklich nur ein Teppich? ... also der erzitterte jedenfalls, wurde aber trotzdem nicht mehr lebendig. War ja klar, denn wie sollte so ein Teppich ...oder war es tatsächlich doch ein echter Leichnahm? Der Offizier und dieser Mann gaben sich dermaßen überzeugend, dass man glatt denken konnte, dass ...Margrit schluckte, dachte einfach nicht mehr weiter darüber nach.
Der Mann richtete sich auf, schüttelte traurig den Kopf und ließ das Gerät in der Tasche und diese wiederum völlig selbsttätig unter seinem Mantel verschwinden. Er wendete sich Richtung Hajeps, die noch immer schwei¬gend, fast hilflos da standen, breitete die Arme aus, streckte sie zum Himmel und rief wehklagend über den ganzen Garten:
„Moi Oten! Wan a jiman Oten! Tes juk jakura guonga!”
Plötzlich hob jemand die Faust gen Himmel. “Kura!“ brüllte er heiser. “Kura sri rinem!”
“Pocco, pocco!“ fiel alles mit ein. “Sri rinem kura!” He, was sollte das darstellen? Etwa Rache? Das war sehr anzunehmen. Sie hatte versucht zu übersetzen und es so verstanden, dass wohl eine sehr wichtige Führungsper¬son von jemandem tückisch getötet worden war.
Der Offizier, der sich wieder auf den Boden gekauert hatte, streckte gebieterisch den Arm aus und gab wohl auf diese Weise zu verstehen, dass sich alles beruhigen sollte. Dann legte er die Hand auf sein nach oben weisendes Knie und berührte dessen Handrücken mit seiner Stirn, mit der anderen Hand wies er auf die Erde, wo das andere Knie lag.
Nanu? Margrit war völlig verstört. Was schien nur mit dem plötzlich passiert zu sein?
“Edapar,edapar!“ brummte er verzweifelt, hob den Kopf zum Himmel und starrte für ein Weilchen nach oben, und der Mann in den schlichten Kleidern kniete sich direkt neben den Tepp ..äh, Leich ... ach, ist doch ganz egal und machte die Bewegungen seines Offiziers nach. Der schaute jetzt über den Garten, zupfte ein Büschlein Gras und ließ es mit einer feierlichen Geste vom Wind fortwehen. Da ging der ganze Haufen wilder Hajeps gleichsam in die Knie und zwar an Ort und Stelle. Es raschelte und rumorte von allen Seiten und die Waffen wurden dabei niedergelegt. Die muskelbepackten Kerle berührten zunächst ihre Unterarme mit der Stirn, ähnlich wie er, hoben den Kopf zum Himmel und wisperten “Tama ...TAAMAAA!” Dann schauten sie auf die Bäume, die Pflanzen, dann auf die Erde. Ihre Oberkörper wankten schließlich ein wenig vor und zurück. Sie murmelten rau im Chor: „Tes juk jakura guonga ...moi Oten, moi Oten!”
Verdammt, was war denn jetzt los? Ja, spannen die plötzlich alle? Das sah ja fast so aus wie eine plötzliche Totenmesse! Indes kamen die Soldaten, welche der Mann in den schlichten Kleidern vorhin fortgeschickt hatte, feierlich mit einer über und über mit Herbstblumen geschmückten Bare den Weg des Gartens entlang und alles machte Platz. Vorne weg lief ein Mann in orangefarbenem Gewand und schwenkte an einer Schnur ein goldenes Behältnis hin und her. Roter Rauch stieg auf, es duftete plötzlich angenehm und leise Musik ertönte von irgend¬woher über den Garten. Nun wurde der Behälter über den Leich ...nein ...Tepp ... na, egal ... hin und her geschwenkt, bis er völlig hinter dem dichten, roten Rauch verschwand und alles blieb dabei am Boden knien und nur der Mann in den schlichten Kleidern stand auf.
“Oh, Gnoa ... moi Gnoa!” sagte er jammervoll, beugte sich vor und nahm den Leichnam in seine Arme und legte ihn langsam, fast behutsam auf all die Blumen. Die Bare wurde angehoben, der orangefarbene Mann schritt wieder voran, schwenkte das Behältnis weiter hin und her, beschwörende Worte dabei vor sich hin murmelnd, und während die zwei Männer die Bare den Weg entlang trugen, der Mann in den einfachen Kleidern folgte ihnen mit vor der Brust gekreuzten Armen, standen überall, wo sie vorbeikamen, die einzelnen Reihen der Hajeps auf. Bald war der feierliche Tross zum Tor hinaus. Die Tür eines Fahrzeugs rumpelte und dann brausten auch dessen Motoren auf. Weg waren sie! Indes hatte sich der Offizier zu dem verängstigen und dichtgedräng¬ten Häuflein Trowes begeben. Er begann es regelrecht zu umkreisen und mit einem kleinen Stäbchen dabei auf den Vordersten und Stärksten zu weisen, der sich schützend vor das Kind gestellt hatte. Der Offizier, oder was er auch sonst noch sein konnte, schrie den mutigen Trowe nach einer Weile im Befehlston an, blieb schließlich vor ihm stehen und wies abermals mit einer gebieterischen Geste auf ihn.
Erst jetzt erkannte Margrit, dass nicht der starke Trowe mit dieser Aufforderung gemeint war, sondern das Kind, welches der Hajep ganz offensichtlich plötzlich haben wollte, was auch immer er vorhatte mit diesem zu tun. Doch der Trowe wich keinen Millimeter zur Seite um das Kind freizugeben, um welches die Meute einen schüt¬zenden Kreis gebildet hatte wie einen dicken Mantel.
Margrit ahnte dennoch Schreckliches, denn die Hände der Trowes waren ja gefesselt. Was sollten sie tun? Die Hajeps würden das Kind so oder so bekommen.
Der Offizier winkte nun jene zwei Männer herbei, die er vorhin so herzlich begrüßt hatte. Sie trugen seltsamer¬weise Verbände, das merkte Margrit erst jetzt. Der eine an beiden Handgelenken, - oh Gott, die Hände fehlten - der andere an der Schulter und da merkte sie, dass sie die beiden heute bereits einmal gesehen hatte, nämlich als sie sich im Auto mit Danox versteckt gehalten hatte. Er stieß drohende Worte in Richtung Trowes aus. Dann fragte er diese beiden irgendetwas, indem er auf die Trowes wies.
Margrit mühte sich verzweifelt, seine Worte zu übersetzen, denn um einen wirklich genügenden Sprachschatz zu erlangen, war die Zeit des Lernens bei den Maden viel zu kurz gewesen. Und siehe da – es ging teilweise - den Rest musste sie sich allerdings irgendwie zusammenreimen. Bei diesen Fragen ging es wohl darum, ob solch eine Treue, wie ihn die Trowes zeigten, besonders hart bestraft werden sollte?
Beide Männer nickten sofort aufgeregt.
Demnach wäre Untreue richtiger? fragte er wohl weiter.
Wieder folgte ein Nicken.
Ob sie dann wohl eine Idee für besondere Folter- und Tötungsarten parat haben würden?
Oh Gott! Margrit keuchte entsetzt, denn wie aus der Pistole geschossen schlug der mit den Verbänden an den Händen auch sogleich wohl irgendetwas ganz besonders Schreckliches vor.
Der vorderste Trowe wankte, als er das gehört hatte, und wurde sehr blass, aber gab trotzdem noch immer nicht das Kind frei.
Margrits Knie zitterten. Sie fing wieder an zu schluchzen und damit sie nicht laut wurde, schob sie sich die Knöchel ihrer beiden Hände einfach in ihren Mund, stopfte soviel davon zwischen ihre Lippen wie nur hinein¬passen konnte. Sie hatte erwartet dass er schon wieder zu ihr hinabschauen, interessiert ihre Gesichtszüge studie¬ren würde, aber stattdessen legten sich ihr nur von hinten zwei große, behandschuhte Hände ausgesprochen vorsichtig auf die Schultern.
"Don`t be affa ...” stotterte er, brach ab und dachte kurz nach. ”Hm ...hmmm ...afraiiiddd!" sagte er völlig ausdruckslos dicht an ihrem Ohr. "I need your power! And you have power! I know it!"
Für einen Moment war sie unfähig zu denken und ließ sich von ihm wieder mal willenlos an seinen Körper ziehen, und abermals gab ihr seltsamerweise diese beinahe zärtliche Geste für einen Moment Kraft und Ruhe. Ihre Knie hörten sogar auf zu zittern, und sie sah wieder mit angehaltenem Atem zu, beobachtete mit zusam¬mengepressten Lippen, wie die Soldaten jetzt ziemlich laut einander etwas zuriefen, was sie diesmal leider nicht verstand. Die aufgerufenen Hajeps zögerten zunächst, doch dann zogen sie plötzlich eigenartige Geräte hervor, aus denen Strippen - wie Krakenarme - selbsttätig hervorkrochen.
Margrits Knie wurden weich, denn das sah sehr unheimlich aus und sie begann zu zittern. Da nahm er ihr einfach die Brille ab. Verdammt, sie konnte jetzt gar nichts mehr sehen!
“Do`nt worry!” flüsterte er.
Aber es war zum ´worry´ sein! Entsetzliche Schreckenschreie aus mehreren Kehlen erschollen nun, Margrit wusste nicht, wie viele es waren, gefolgt von furchtbarem Schmerzensgebrüll! So etwas hatte Margrit noch nie in ihrem Leben gehört. Auch das Kind schrie dabei wimmernd auf und das qualvolle Gestöhn wenig später mochte kein Ende zu nehmen. Blut gluckerte schließlich, schien den Boden zu berieseln ... oh, es war unerträg¬lich. Oh Gott, oh Gott, oh Gott ...die armen, armen Trowes! Was machten die Hajeps nur mit denen? Margrit konnte sich das einfach nicht mehr länger mit anhören. Sie musste etwas tun! Aber was? Entschlossen streckte sie die Hand aus, damit er ihr in diese wieder die Brille hinein legen sollte und er gehorchte. Ihre Finger zitterten so sehr, dass die kaum auf ihre Nase bekam. Das Bild, was sich Margrits weit aufgerissenen Augen bot, ließ sie nun doch ein wenig an ihrem eigenen Verstand zweifeln, denn immer noch aufrecht und unverändert standen die Trowes da. Zwar war das Kind jetzt ein bisschen nach vorne gerückt worden. Sämtliche Trowes blickten kopf¬schüttelnd auf irgendetwas hinunter und auch die übrigen, recht vielen Hajeps, die ringsherum standen und daher Margrit fast völlig die Sicht nahmen, schienen ganz entgeistert, ja, fast gelähmt vor lauter Schrecken zu sein. Niemand sagte ein Wort. Eisige Stille herrschte im Garten, ja sogar in den umliegenden Straßen und Gassen.
“Jawos tokat!” durchbrach jener Offizier als erster die Stille, der die verhängnisvollen Befehle gegeben hatte. “Kotaon te belia!“ Er streckte dabei fast feierlich seine Hand mit dem kleinen Stab aus und wies dabei auf den Boden. Sofort schoben sich vier Soldaten durch die dichtgedrängte Menge, bückten sich und alsbald zerrten sie - Margrit war mit einem Male fix und fertig, denn sie konnte es nicht fassen - die zwei Hajeps, die diesen sadisti¬schen Vorschlag gemacht hatten, völlig zerfetzt und blutüberströmt - es war blaues Blut - vom Boden.
Der Offizier zog ein kleines Messer oder so etwas ähnliches - verdammt, Margrit wurde mit einem Male kotzü¬bel -, bückte sich ein wenig und schlug jedem der beiden Hajeps das Ding in die Brust - oder doch nicht? Schlitzte er sie ´nur´ auf? Ach, es kam ja im Grunde auf das selbe hinaus. Wo war hier ein Napf, in den Margrit hineinkotzen konnte? Verdammt, sie brauchte DRINGEND einen Napf! Nanu? Völlig unnötige Angst gehabt! Er hatte lediglich deren Jacken aufgesäbelt ...und ... was holte er denn daaaaa hervor? Etwa Gedärme? Nein, bei dem einen hatte er eine art Dose gefunden, die er ganz nebenbei dem netten, bescheidenen Soldaten - konnten denn Hajeps überhaupt nett sein? - neben ihm übergab und beim anderen einen Gürtel und Waffen. Er hielt diese merkwürdigen Dinge hoch, ließ die von der Menge betrachten.
“Ziudat!” schrie er vorwurfsvoll und gebieterisch. ”Jima palto Ziudata!” Und gab den beiden Leichen dabei einen Tritt.
Die Menge grollte und Fäuste wurden nun gegen die beiden leblosen Hajeps gereckt. “Tes wan chimalto ...
chimalto!” brüllte alles aufgebracht.
So schleifte man die beiden einfach hinter sich her, den ganzen Weg entlang, bis zum Tor und ihnen folgte murrend und aufgebracht die Menge. Allerdings nicht restlos alle. Der Offizier verblieb als einziger noch für einen Moment und schaute sich dabei kurz um, blickte in jene Richtung zurück und zum Gebüsch hin, wo genau Margrit und dieser ...dieser ...wer war er denn bloss? ... gemeinsam mit ihr versteckt war und dann ging auch er.
Tja, man konnte sagen, was man auch immer wollte, aber Hajeps waren fix und diszipliniert. Das musste man ihnen lassen, denn so schnell wie sie gekommen waren, waren sie wieder verschwunden. Schließlich summten nur noch ein paar Lais in der Ferne und dann trat völlige Ruhe ein.
"What can wie do?" wisperte sie trotzdem, denn sie wollte nicht allzu schnell wieder aus diesem Gebüsch hervor und war sich sogleich im Klaren, dass dieser komische Typ bestimmt keinen Einfall hatte, wenn ihr schon nichts mehr einfiel. Der leere Garten, die stillen Straßen, die prächtige Nachmittagsonne entfachte schließlich in Margrit eine geradezu unverschämte Zuversicht und die ließ keinen Raum mehr für beunruhigende Fragen. Sie wollte sich einfach freuen, dass sie noch ein weiteres Mal dem sicheren Tod entgangen war. Sie und der ´Dings´ hinter ihr - wie hieß er eigentlich? - waren vorerst gerettet. Sie schaute sich wieder nach ihm um. Jetzt konnte man vielleicht fragen - da er von oben mehr Übersicht hatte, wenn er sich zum Beispiel streckte - ob wirklich alle fort waren?
"Are they away?" erkundigte sie sich keuchend vor Anspannung.
Er schien nichts gehört zu haben.
"What do you see?“ Sie reckte sich zu ihm empor.
Sein Blick ruhte auf ihrem Gesicht. "You Baby!" erklärte er.
„Hä, hä, wie witzig! Ich meine ... äh ... I meen ...”
“Can`t look higher", unterbrach er sie achselzuckend, „course one energetic woman had that vorbitten me!"
Nun musste sie doch lachen. Er lächelte zwar nicht, sein Gesicht blieb wie immer völlig starr, doch musste sie trotzdem unbedingt einen Hauch von Fröhlichkeit in ihn hineininterpretieren. Schließlich lachte sie ihn so lange an, bis plötzlich die gesamte Muskulatur seines Gesichtes in einem sonderbaren Rhythmus zu zucken begann. Ein seltsames Kerlchen, wirklich!
"So ein Blödsinn", ächzte sie. "Natürlich können Sie jetzt mit dem Kopf hoch."
Wie der Blitz wollte er sich aufrichten.
"Halt - äh - stopp, that`s wrong, meine ich natürlich!" wisperte sie entsetzt. "So doch nicht!“ und drückte seine muskelbepackte Schulter mit aller Macht hinunter. "Immer schön vorsichtig ... ja? Langsam, gaanz langsam."

Er musterte ihre schmalen Hände, die seine Schulter herunterdrückten und zog die hübschen Brauen hoch. Dann tat er so, als ob er kaum gegen diesen Händedruck ankönne und stöhnte gequält, während er sich aufrichtete. Oben im Freien äugte er scheinbar aufmerksam nach allen Seiten. "There isn`t anyone!" nuschelte mit seiner Krächzstimme.
"Im Ernst? Gaaanz sicher? Äh, ich meine: Are you shure?" stotterte sie, doch noch ein bisschen skeptisch.
Er erwiderte nichts. Stattdessen spürte sie, wie sich seine großen Hände um ihre Taille legten und plötzlich fühlte sie sich emporgehoben!
Er keuchte dabei nicht vor Anstrengung, wie sie es von Paul kannte, wenn er es gelegentlich getan hatte, zum Beispiel, wenn er übermütig war, denn sie wog trotz ihrer Zierlichkeit nicht wenig, sondern er hob sie mit solch einer Leichtigkeit, wie sie die in ihrem ganzen Leben noch nie erfahren hatte. Er musste ziemlich stark sein, denn er hielt jetzt beide Arme durchgedrückt. Über allem erhoben spähte sie über das Gebüsch hinweg, über das ganze Grundstück. Es war ein himmlisches Gefühl, so mühelos von kräftigen Armen gehalten zu werden.

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