Das Licht der Hajeps
von doska

 

Kapitel 10

Kapitel 10


Es rumpelte noch ein bisschen, hier und da fielen weitere Steine hinab und dann herrschte wieder völlige
Stille. Staubwolken krochen gemächlich aus den Gängen hervor. Die Untergrundkämpfer hielten den Atem an, warteten, denn sie hörten ein seltsames Geräusch. Es klang fast so wie ein Husten oder Niesen, begleitet von unverständlichen Flüchen und dann leise das Tapsen von Schritten. Es schien von nur einem einzigen Wesen herzurühren und kam aus genau jenem Seitentunnel, in welchem bis eben noch die Funkzentrale der Guerillas gewesen war. Die Schritte näherten sich und manch eine Hand, die Gewehr oder Revolver hielt, begann deshalb sogar ein wenig zu zittern. Die Augen der Guerillas, die eben noch zu kleinen, gefährlichen Schlitzen zusammen gekniffen waren, weiteten sich erstaunt, als ein total eingestaubter Mann mit rotem Mundtuch hustend und prus¬tend zum Vorschein kam.
„Verdammte Scheiße, Eberhardt, bist du denn wahnsinnig, du Idiot ?“ schrie Martin fassungslos mitten in die Stille hinein und alles lachte. Der Mann zog sich mit verdrießlicher Miene das Tuch von der Nase und band es sich um die Stirn.
“Ha, jetzt groß meckern, dabei hast du mir eben noch gesagt, dass ich die Büroräume und die Zentrale sprengen soll“, verteidigte er sich, „sobald das Wichtigste ausgeräumt ist ! He, wir haben bereits das Wichtigste ausge¬räumt und alles, was du wolltest, gesprengt und nun ist das auch schon wieder verkehrt ! “
„Hrrrgh !“ Martin klatschte sich gegen die Stirn und schüttelte anschließend den Kopf . „Du verstehst aber auch immer nur Bahnhof !“ Er steckte endlich seinen Revolver in den Gürtel zurück und schritt auf Eberhardt zu, und auch die übrigen Untergrundkämpfer verstauten ihre Waffen oder schulterten die Gewehre und kamen aus ihren Verstecken.
„Tja, eigentlich hätten wir uns alle das Ganze denken können“, sagte George mit schuldbewusster Miene und warf dabei einen Blick auf die noch immer zitternde Margrit neben sich, die sich schutzsuchend an seine breite Brust gelehnt hatte, „denn Martin hatte heute schon den ganzen Tag von diesen Sprengungen gefaselt, aber wir sind inzwischen richtige Hajep-Allergiker geworden und reagieren deshalb hysterisch !“
„Du wusstest also davon ?“ Margrit schaute nun mit großen, empörtem Augen zu ihm empor. „Warum hast du mich nicht vorgewarnt ? Du meine Güte, ich habe mich zu Tode erschrocken !“
„Entschuldige, Margrit.“ Er strich ihr sacht über das staubige Haar. „Ich bin überhaupt nicht mehr dazu gekom¬men, daran zu denken.“
„Schön für dich !“ erklärte sie eingeschnappt.
„Ich meinte natürlich, dass du erst dann sprengen sollst, wenn wir hier alle hinaus sind“, schnauzte Martin indes mit Eberhardt weiter. „Was glaubst du, was sich nun in diesen uralten Gängen und Abwassersystemen so alles tun wird, hä ? Tja, ich weiß gar nicht, ob wir es je lebendig hier wieder hinaus schaffen werden ! “
Hatte sich Eberhardt auch zunächst beschimpfen lassen und sogar dabei nachdenklich den Kopf gesenkt, so wurde er jetzt richtig wütend. „Das könnte dir so passen, Martin, was ?“ knurrte er, holte dabei ein Taschentuch hervor und schnaubte die Nase gründlich aus vom Staub. „Dass ich hier als Einziger unter höchster Lebensgefahr sprenge und ihr alle längst im Trockenen sitzt ! Nee, nee, das ist bei mir nicht drin.“ Seine Hand bebte vor Zorn als er das Taschentuch wieder wegpackte. „Entweder wir riskieren hier gemeinsam Kopf und Kragen oder ich lass` gleich alles sein !“
Nach kurzer Beratschlagung entschlossen sich die etwa vierzig Untergrundkämpfer, Margrit und George dabei mitgezählt, dazu, die Möbel und die vielen anderen wichtigen Sachen durch die unterirdischen Gänge erst einmal ins Freie zu schleppen und abzuwarten, was schon von alleine durch diese Explosion so nach und nach einstür¬zen und in sich zusammen fallen würde. Erst dann wollten zwölf Männer noch einmal zurückgehen und den unterirdischen Tunneln den Rest geben. Die völlig geschwächte Margrit und die übrigen neunundzwanzig Guerillas sollten jedoch schon vorher heimkehren. Erkan, Daniel, Jussuf, Marika und einige andere warteten nämlich bereits in `Jambos`, zusammengebastelten Jeeps, und ebensolchen gebastelten kleinen Transportern oder Lastern bereits auf sie. Dass die elf Männer, zu denen auch George gehörte, noch einmal in die Tunnel zurück wollten und sich solch einer Gefahr aussetzen wollten, nur für den Fall, dass die Hajeps wiederkämen und irgendwelche Reste von einer Untergrundorganisation sehen könnten, begriff Margrit nicht so ganz, und so musste George ihr doch so einiges erklären, obwohl sie sich sehr beeilten. Margrit trug dabei einige wichtige Aktenordner und Kisten mit Disketten und George einen altertümlichen PC
„Es gibt insgesamt vier Ausgänge, Margrit“, rief er ihr dabei zu, „und zwar in alle Himmelsrichtungen. Sie führen unterirdisch, also unter Wiesen, Wäldern und Hügeln hindurch bis nach Eibelstadt. „Das könnten die Hajeps dabei herauskriegen. Deswegen ist es wichtig, dass wir alles, was wir hier aufgebaut, haben mithilfe von kleineren Sprengungen zerstören, bevor sie wiederkommen !“
„Kommen sie denn wieder ?“ hakte Margrit skeptisch nach und keuchte, da die Kisten sehr schwer waren.
„Garantiert ! Das ist nämlich die Belohnung der Soldaten für die Eroberung einer Stadt, dass sie diese auch plündern dürfen ! “
„Ach, erst dann dürfen sie ?“
„Richtig, es sind sogar Howane(Wissenschaftler) dabei. Hajeps sind sehr neugierig und wollen das Leben der Menschen erforschen, weißt du ?“
„Verstehe, und dabei habt ihr Angst, dass sie auch die Kellerräume inspizieren und alles herausfinden könnten.“
„Genau, sie haben nämlich, wie soll ich das beschreiben, hochempfindliche Detektoren, mit denen sie herausfin¬den könnten, ob eine Stadt zum Beispiel untertunnelt ist oder nicht !“
„Schrecklich, das alles !“ ächzte Margrit. “Aber kann sich die Erde nicht durch diese vielen Sprengungen plötz¬lich senken oder so ?“
„Eberhard, Kyusho und Sandra sind eigentlich wahre Meister ihres Fachs. Sie werden nur sehr kleine Sprengun¬gen machen, sodass nichts mehr von unseren Räumen und Anlagen zu sehen sein wird und somit auch keine Erosionen stattfinden können. Es soll alles so wirken, als wäre der altertümliche Bau so nach und nach von ganz alleine eingestürzt.“ Und dann erklärte George ihr noch, wie hoch und wie robust die Abwasseranlagen wären und wie lange man zu laufen hätte, bis man ins Freie käme. Er berichtete ihr auch, dass die uralten Abzweigun¬gen und Geheimgänge unter dieser Stadt den Bewohnern schon immer völlig unbekannt waren und nur sehr wenige darüber Bescheid gewusst hätten, die nun zur Organisation der Maden gehören würden. Trotz aller Anstrengung und Hetze geriet er darüber sogar ins Plaudern, ja, er wurde regelrecht schwärmerisch und stolz und vielleicht war er auch nur glücklich, mit Margrit endlich über seine Organisation sprechen zu können, nichts mehr vor ihr geheim halten zu müssen. Er lobte und pries zum Beispiel einige seiner Kameraden, zählte auf, wer derzeit Bekanntes bei den Maden mitmachte und Margrit war überrascht, als sie die Namen hörte, denn einige davon waren sehr berühmte Persönlichkeiten und so kam er auch auf den Oberkommandierenden der gesamten Organisationen, auf Günter Arendt zu sprechen und seine Augen leuchteten begeistert im Lampenlicht, als er dessen Ruhe, Kampfgeist und Organisationstalent zu schildern begann.
Währenddessen schleppten seine Kameraden mit schlafwandlerischer Sicherheit auf schmalsten Wegen die schweren Sachen dicht an ihnen und dem Abwasserstrom vorbei. Margrit war sehr schwach und konnte ihnen kaum folgen, doch die Angst, von irgendeinem herabfallenden Gesteinsbrocken erschlagen zu werden, verlieh ihr schier Flügel. George schien hingegen Nerven wie Drahtseile zu haben, er passte sich nicht nur Margrits langsamen Schritt an, er zählte ihr sogar sämtliche Organisationen in aller Ruhe mit Namen auf, die noch zu den Maden gehörten und wie viele Mitglieder das insgesamt sein würden. Als er schließlich auf die unterschiedli¬chen Waffen und Munitionen zu sprechen kam, die den Menschen dieser Erde wohl noch zur Verfügung stün¬den, war Margrit so müde und erschöpft, dass sie kaum noch etwas davon bei sich speichern konnte, außerdem wurde sie immer taumeliger, da ihr, ohne dass sie es wollte, die Augen zeitweilig zuklappten und sie konnte ihre Bewegungen nicht mehr so richtig koordinieren. Die Kisten in ihren Armen waren dabei immer schwerer geworden. Schließlich hatte sie den Eindruck, sie schleppte Blei und besonders, wenn es in die Kurve ging, hatte sie Sorge ins Abwasser zu stürzen. Ausgerechnet bei so einer Kurve entdeckte sie wieder das junge Mädchen mit den langen, blonden Haaren, welches Margrit bereits zu kennen glaubte. Zwar hatte es Margrit auch kurz anfi¬xiert, dabei einen kleinen Blick zurück über die Schulter geworfen, dann war es aber sofort wieder schneller gelaufen, um die Meute einzuholen. Es hatte drei offensichtlich sehr schwere Kisten zu schleppen und kam daher ähnlich mühselig vorwärts wie Margrit. Immer wenn sie außer Sichtweite war, stellte sie die Kisten kurz ab, bog ihr Kreuz durch und rieb sich die Hände.
„He, wo hast du denn dein Baby gelassen ?“ meldete sich Margrit trotzdem plötzlich.
Das Mädchen fuhr zusammen, dann machte es nur ein trotziges Gesicht, hob wortlos die Kisten auf, um wieder zu den anderen zu flüchten.
„Mensch, lauf doch nicht weg ! Bitte !“
„Lass sie doch !“ sagte George.
„Aber ich kenne dieses Mädchen !“ erklärte Margrit aufgeregt. „Sollte ich mich denn so irren ? Es ist die junge Mutter, die mir heute Morgen begegnet ist, gerade als die Hajeps begonnen hatten, die Stadt anzugreifen. Sie ist in den Westen gelaufen. Genau in jene Richtung, aus welcher der erste Angriff erfolgte und ....aber ich verstehe nicht, wo ist ihr Kind ?“
„Sieh` mal !“ George wies mit dem Kinn auf den Menschenstrom vor ihnen, der sich durch die Tunnel schlän¬gelte, ähnlich einem Wurm mit vielen Beinchen. „Ich weiß nicht, wie gut deine Brille ist, aber von hier aus müsstest du das Kind sehen. Renate, die energische Frau mit der dunklen Stimme und den kurzen, schwarzen Haaren, die mit dem Stirnband, hat es schon die ganze Zeit auf den Armen. Erstaunlich!“ George lachte. „Es schläft trotz des Lärms, den wir leider machen. Tja, es ist eben ein echtes Rebellenkind!“
„Und du meinst, das ist die wirkliche Mutter ?“
George nickte.
„Und wo war das Baby die ganze Zeit vorher ? Ich habe es nie gesehen ?“
„Da hat es in der Zentrale gepennt. Tja, leider passiert es manchmal, auch wenn die meisten Menschen inzwi¬schen wegen dem ganzen Stress oder aus welchen Gründen auch immer unfruchtbar geworden sind, dass solch ein kleines Engelchen geboren wird. Gesine war nur, als sie dir begegnet ist, gerade mit Irmchen - so nennen wir unseren Schützling - in der Stadt, um ihm ein wärmeres Jäckchen zu besorgen. Wir haben alle nicht mit diesem Überfall gerechnet, weißt du ! Obwohl, na ja, wir schon diese Möglichkeit in Betracht hätten ziehen sollen, denn Hajeps bekommen so manches heraus ...“
„Ach, und was haben sie heraus bekommen ?“
„Die Sache mit den Trowes, dass wir die hier erwartet haben...!“
„Oh Gott, die armen Menschen, die werden bestimmt vor Schreck gekreischt haben, als sie denen in`s Gesicht geschaut haben. So wie du sie mir beschrieben hast, nutzt wohl selbst die beste Verkleidung bei denen nichts.“
„Oh, es gibt ganz hervorragende Verkleidungen, Margrit...“
„So ? Da bin ich mal gespannt !“
„Als behelmte Motorradfahrer zum Beispiel ! Und das ist gar nicht mal so auffällig.“
„Doch, sieben behelmte ...“
„Keine sieben Margrit, die Hälfte davon hatte sich in den Anhängern von nur zwei Motorrädern versteckt.“
„Ach, so !“
„Du weißt, die meisten Menschen fahren heutzutage Rad oder Motorrad !“
„Aber mit Helm ?“
„Es gibt auch welche, die noch diese herrlichen alten Helme haben, ja !“
„Stimmt, eigentlich gar nicht mal eine so schlechte Idee ...“
„Das fanden wir auch. Wir wollten Worgulmpf, seinen Freunden und seiner Familie weiterhelfen. Sie sollten bei uns einen festen Unterschlupf haben...“
„Wow, echte Außerirdische als Untergrundkämpfer!“ Margrit verzog skeptisch das Gesicht.
„Warum nicht ? Wir sind nicht rassistisch ! Das hätte uns sogar recht gut getan, glaube ich ! Wir hätten womög¬lich durch die Auskünfte der Trowes so einiges mehr über Hajeps erfahren. Aber Worgulmpf und seine Getreuen haben leider unsere Eingänge im Westen der Stadt nicht gefunden oder nicht mehr erreicht. Niemand weiß, was passiert ist. Hoffentlich haben die Hajeps sie nicht erwischt. Das einzige, was einen dabei trotzdem noch trösten könnte, ist die Gewissheit, dass sie damit noch lange nicht Danox bekommen haben.“
„Und euch erschüttert dabei gar nicht, dass durch diese Idee, also, dass die Trowes erst in der Stadt eure Geheimgänge nutzen dürfen, so viele Menschen getötet worden sind ? Auch ihr habt einen großen Schaden davon, denn ihr musstet eure Zentrale und nun auch noch sämtliche Geheimgänge unter dieser Stadt sprengen, euch immer weiter zurück ziehen. Sage mir nicht, dass du das gut findest, George, denn das glaube ich dir nicht!“
“Selbstverständlich finden wir das sehr traurig, Margrit ...“
„Aha !“
„Aber die Hajeps hätten ohnehin diese Stadt entvölkert und die Menschen vernichtet. Genügend Gerüchte gingen ja bereits herum. Hajeps mögen keine Menschen so dicht in ihrer Nähe, vor allem nicht so viele. Aber es kamen immer mehr und mehr und zunächst hat mich es schon gewundert, dass Scolo so lange ruhig blieb.“
„Weshalb habt ihr eigentlich keine unterirdischen Gänge in den Wäldern oder sonst woanders. Warum ausge¬rechnet in einer Stadt ?“
Hajeps haben Jilkis, winzige Erkundungsflugzeuge oder wie du gesehen hast Satteliten, welche mit großer Leichtigkeit selbst durch dichtestes Geäst der Wälder segeln können. Sie können manchmal sogar von oben sämtliche Häuser einer Stadt durchleuchten, nur bis in den Keller hinein, das vermögen sie noch nicht.
Darum sind Berge, das Erdreich, tiefe Seen und hohe Häuser stets ein guter Schutz für uns gewesen.“
„Also, war es nur möglich in dieser Stadt ....?“
„Sehr richtig. Jedenfalls haben wir wegen der Trowes über versteckte Kameras die wichtigsten Zentren der Stadt schon seit gestern Abend beobachtet. Gesine macht sich nun wohl Gewissensbisse, dass sie dich nicht schon heute Morgen mitgeschleppt hat in unseren westlichen Tunnel. Sie hätte dir damit sehr viel Angst und Leid ersparen können. Aber ich habe sie getröstet, habe ihr gesagt, dass sie dir letztendlich doch das Leben gerettet hätte, denn sie hat uns erst durch eine genaue Beschreibung deiner Person auf dich aufmerksam gemacht.“
„Ach, und warum ?“
„Na, sie hat sich über deine überhebliche Art dermaßen geärgert, dass sie sich erst einmal Luft bei uns machen musste...“
„Ach, und dabei fiel dir auf, dass diese Beschreibung auf mich zutreffen könnte ?“
„Genau ! Denn woher sollte ich sonst wissen, dass ausgerechnet du gerade heute durch Würzburg schleichen würdest.“
„George, ich werde schneller machen, um mich bei Gesine zu bedanken“, sagte Margrit aufgeregt.
„Nein, das war doch nur Zufall !“ Er schüttelte den Kopf. “Warum solltest du dich bei ihr bedanken ? Gesine ist außerdem, na, wie soll ich es sagen, ein wenig eigenartig. Ja, das ist wohl das richtige Wort. Lebt zwar schon ein paar Jahre bei uns, aber das hat sie nicht verändert. Weißt du, ich habe sie noch als halbes Kind hier einge¬schleust und das haben sie mir alle übel genommen, weil ....“, er verzog sein Gesicht ziemlich betreten, „...weil ...na ja ...Gesine klaut ! Wäre nicht weiter schlimm, wenn sie für uns zum Beispiel die Hajeps oder Loteken beklauen würde, aber ....!“
„Sie beklaut euch ?“ vollendete sie seinen Satz.
Er nickte. „Dabei ist sie selber todunglücklich darüber...“
„Willst du damit etwa andeuten, dass sie ein Fall für Psychologen wäre ?“
„Nein, das war keine versteckte Ermunterung, dass du bei uns gleich eine Praxis einrichten sollst !“ Er kicherte verstohlen. „Du wirst, glaube ich, genug anderes bei uns zu tun bekommen, so dass du gar keine Zeit für solche Dinge haben wirst.“
„Ich bin auch nicht scharf darauf !“ keuchte Margrit erschöpft.
Wenig später geschah genau das, was sie schon die ganze Zeit befürchtet hatte. Margrit stürzte zwar nicht ins Abwasser aber sie trat in ein tiefes Loch, was sich mitten im Wege befand, weil sie es nicht hatte sehen können, da sie ja die großen Kisten in den Armen trug. Sie stolperte also, ließ dabei die Kisten fallen, schlug lang hin und sich die Nase an einem Balken blutig, der dazu diente, die Tunneldecke zu stützen. Als sie sich wieder aufrich¬tete und nach ihrer Brille suchte, die Disketten hatten sich überall auf dem glitschigen Boden verteilt, kam George, der vorgelaufen war, weil er noch etwas wichtiges mit Martin zu besprechen hatte, zu ihr zurück.
„Oh, Margrit !“ rief er besorgt. “Verdammt, wir hätten dich warnen sollen. Wir kennen nämlich alle diese Stelle, die noch repariert werden sollte. Scheiße, das tut mir ja so leid ....“
„Und mir erst !“ murrte Margrit. Sie hatte endlich ihre Brille gefunden und gerade festgestellt, dass eines der
Gläser einen riesigen Sprung erhalten hatte. Er hatte seinen PC einfach mitten im Gang stehen gelassen und ihr ein Taschentuch gereicht. „Verdammt, deine Nase sieht ja echt böse aus ! Ist sie gebrochen ? Soll ich mal nach¬fühlen ob ?“
„Untersteh dich !“ fauchte sie.
„Blutet aber stark. Willst du noch ein Taschentuch ?“
Sie nickte.
„Wirst du überhaupt deine Brille wieder aufsetzen können ? Schwillt ja mächtig an !“
Sie brauchte noch weitere drei Taschentücher und die Brille saß völlig schief auf dem dicken und blau angelau¬fenen Nasenrücken. Selbst die Augenbraue hatte etwas bei dem Sturz abbekommen. George half ihr, die Disket¬ten wieder einzusammeln und hoffte dabei, dass nichts davon ins Abwasser gekommen war.
„Ich werde dir eine Kiste abnehmen !“ sagte er. “Du bist völlig fertig und kannst in diesem Zustand nicht so viel tragen !“
„Nein !“ fauchte sie trotzig.
Er lachte. „Eine echte Guerilla, aber dennoch solltest du nicht übertreiben, Margrit. Du kannst uns in den nächs¬ten Tagen noch genügend deine Zähigkeit unter Beweis stellen !“
Ehe sie noch weiter protestieren konnte, hatte er schon die Kiste irgendwie auf den PC bugsiert. Das sah ziem¬lich halsbrecherisch aus, aber er balancierte trotzdem alles mit großer Kraft und nicht weniger Geschick durch die schmalen Tunnel. Margrit hatte große Mühe, ihm in diesem schnellen Tempo mit der einen Kiste in den Armen zu folgen. Oh, hier stank es jetzt entsetzlich. Ratten und Ungeziefer flitzten außerdem schnell über die schmierigen Steine, liefen ihnen manchmal fast über die Füße. Gott sei Dank sah Margrit wegen ihrer kaputten Brille nicht allzu viel davon. Verschiedene für Margrit undefinierbare Dinge tauchten im trüben Wasser auf und verschwanden wieder, brachten Margrit auf die seltsamsten, nicht gerade ´magenfreundlichsten´ Gedanken. Ab und an baumelte auch eine fette Spinne direkt vor ihrem Gesicht und zog sich eiligst an ihrem Faden wieder hinauf, und manchmal hatte Margrit das Gefühl, als plumpse etwas feuchtes, krümeliges oder insektenartiges von der runden, nassen, moosüberwachsenen Decke in den Kragen ihres Hemdes, ihr direkt in den Nacken. Sie schüttelte dann heftig ihre beiden von Muskelkater gepeinigten Schultern und konnte nicht verhindern, dass ihr auch noch ein Schauer den ebenfalls schmerzenden Rücken hinablief.
„Warum nennt Ihr Euch ´Maden´?“ fragte sie schließlich ablenkenderweise die kleine Gruppe, als sie die endlich wieder einmal eingeholt hatte. „Ihr lebt doch gar nicht wie die Maden im Speck ?“ Sie ließ ihren Blick über die zwar starken, jedoch nicht gerade reichlich ernährten Gestalten wandern, die sie begleiteten. Martin war, mit einer Petroleumlampe in der Hand, ein gutes Stück vorausgelaufen und sah sich gemeinsam mit zweien seiner Kameraden aufmerksam in der Kanalisation um. Er schien jeden Weg genau zu kennen und winkte nun, sich zu beeilen.
“Doch!“ beantwortete schließlich Jutta Margrits Frage, während ein kleiner Lastenaufzug Margrits und Georges Gepäck gerade nach oben hievte und sie währenddessen die klammen Metallstiegen an der schlecht verputzten Wand der Kanalisation hinaufkletterten. “Denn wir ´Maden´ haben den sichersten Platz, den man sich denken kann. Nur wenige unserer weltweit verzweigten Organisationen sitzen so sicher wie wir.“
Als Margrit vom Tageslicht geblendet George hinterher ins Freie taumelte, schob man sie hastig zu einem der ´Jambos´, jenen aus unterschiedlichsten und verrücktesten Teilen zusammengesetzten Autos ohne Verdeck. Der Fremde, der hinter dem Steuer saß, betrachtete Margrit erstaunt, dann skeptisch und schließlich grüßte er alle,
während George Margrit half, in den viel zu hohen ´Jambo´ zu klettern.
„Ach, komm doch mit !“ bettelte Margrit leise. Er schüttelte den Kopf. „Aber was soll ich ihnen sagen, wenn sie nach Danox fragen ?“
„Erklär`s ihnen so, wie ich es getan habe. Das müssen sie einsehen !“
Er knallte die Tür hinter ihr zu. Der Motor brummte ziemlich laut auf. „Und wenn nicht ?“ Sie schaute sich von hier oben ängstlich nach allen Seiten um.
„Mach dir doch nicht immer solche Sorgen, Margrit”, brüllte er gegen den Lärm an.
„He, deinen Optimismus müsste ich haben !“ sagte sie und hustet dabei, denn der Auspuff gab eine stinkige Riesenwolke ab, die der Wind ihr und dem Fahrer direkt in die Nase wehte. “Habt ihr denn keine Angst, dass ihr bei diesem Unternehmen in die Luft fliegt ?“
„Ach, Margrit, merk` dir doch endlich mal dieses nette Sätzchen. Wie heißt es doch gleich ? Na-ah ? He, du bist doch sonst so für Lebensweisheiten ....“
„Leben ist immer lebensgefährlich !“ sagten sie jetzt beide fast gleichzeitig und dann lachten sie.
Wenig später hatte Margrit den winkenden George und seine Freunde hinter sich gelassen.

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Mit großem Erstaunen bemerkte sie etwa eine Stunde danach, sie hatte diese Stunde so fest wie eine Tote geschlafen, dass man sie in ein anscheinend verlassenes, an den meisten Stellen sogar zerstörtes Städtchen gebracht hatte. Kaum jemand schien mehr dort zu leben. Die Fensterscheiben in den Häusern und kleineren Mietsblöcken waren wie überall meist zerschlagen und die Türen hingen weit geöffnet in den Scharnieren und knarrten, sobald der Wind sie bewegte. Umzäunungen waren niedergerissen, keine Kuh graste mehr auf den Wiesen, kein Hahnenschrei erklang aus den halb verrotteten Hühnerställen. Die Dächer der Häuser waren zum Teil sehr beschädigt und die Hundehütten so leer wie die offen stehenden Garagen, Stallungen, Schuppen, Heuschober und Kornspeicher. Fernsehschüsseln oder -antennen lagen meistenteils abgeknickt auf dem Boden herum. Ein Traktor stand noch auf dem Feld und zwar so, als wenn man erst gestern von dessen Sitz geklettert wäre. Doch aus seinem rissigen Sattel wuchs Moos, und das Unkraut des Feldes ringelte sich bereits um Schar¬niere, Messer und den Motor. Alles sah so beklemmend und erbärmlich aus, dass Margrit für einen Augenblick Tränen in die Augen hatte. Was war das für ein furchtbarer Ort ? Warum brachte man sie nur in diese gottverlas¬sene Gegend ? Was hatte man mit ihr vor ?
Hielt man sie etwa für eine Spionin und wollte sie hier nur ungestört verhören ? Erkan, so hieß der Fahrer, war inzwischen aus dem Jambo geklettert und streckte ihr nun grinsend von unten seine breite Pranke entgegen, um ihr das Hinausklettern zu erleichtern. Sie zögerte, denn sie sah, wie sich ein weiterer Mann mit dunklem Kinn¬bart aus einem der halbzerfallenen Häuser ihnen gemächlich näherte. Er trug unter seinem weiten, grauen Cape mehrere Patronengürtel und zwei Revolver und seine Füße steckten in hohen, beschmutzten Stiefeln.
„Naaa ? Nicht gerade ein angenehmer Ort was ?“ rief ihr Erkan von unten zu und hielt ihr immer noch die Hand entgegen. „Aber keine Angst !“
"Angst ?“ wiederholte sie gedehnt, merkte aber, dass ihr Herz hektischer zu klopfen begann. “Kenne ich nicht!” erklärte Margrit viel zu leise.
„Wenn du keine Angst hast, warum springst du dann nicht einfach zu mir hinab ?“ fragte Erkan.
Da hatte er eigentlich recht. Margrit fragte sich das jetzt auch. Kleine, stechend schwarze Augen unter viel zu buschigen Brauen blitzten zu Margrit hinauf. Der Bärtige war neben seinen türkischen Freund getreten.
„Das ist also unser neues Mitglied ?“ brummte der skeptisch und dann lachte er und ließ seine wenigen Zähne sehen. „Hat die sich vorher etwa mit irgendjemandem herumgeprügelt oder was ? Ihr Gesicht ist ja völlig schief!“
Erkan senkte die Hand, die er Margrit immer noch entgegengestreckt hatte. „Keine Ahnung, was passiert ist.“ murrte er. „Mir hat sie nichts erzählt, nur gepennt. Aber sie bezahlt ja wohl recht anständig für ihre Mitglied¬schaft. Weißt ja, wir bekommen so`ne Art Wunderwaffe dafür. Na ja, ich persönlich halte nicht viel davon, aber George hat wohl einen besonderen Draht zu Günther, kann ihn immer selbst zum größten Scheiß überreden, denn was sollen wir mit einem Gerät, mit dem selbst die Hajeps nicht mehr klar kamen. Wir können kaum die einfachsten Waffen unserer Feinde nachbauen und nun das ? Nee, nee ! Damit könnte der mir nicht kommen. Na ja, wir sind halt nur die Kleinen und haben darüber nicht zu entscheiden, was Wladislaw ?“ Er gab dem Bärtigen einen kameradschaftlichen Stupps und dieser grinste und dann wendete sich Erkan wieder Margrit zu. „Na los!“ fauchte er. „Wird die Dame wohl gütigst von da hinunterklettern oder soll ich sie drin sitzen lassen!“ und er streckte ihr nun gleich beide Arme entgegen.
„Hier ist also Eibelstadt ?“ stotterte Margrit, während sie zu Erkan hinunter hüpfte. “Ich - öh - hätte gar nicht gedacht, dass es so ... hm - naja - BESTENS erhalten ist dieses Städtchen ja nun nicht mehr !“
“Gut beobachtet !“ erklärte Erkan spitz und lachte sarkastisch. „Aber es ist schon sechs ganze Jährchen her, seit Hajeps...“ er blickte sich traurig um.
„Und dennoch soll dieser Ort sicher sein ?“ hakte Margrit ungläubig nach.
„Es ist einer der sichersten Orte überhaupt!“ erklärte jetzt Wladislaw.
„Und er wird vielleicht eines Tages auch der gefährlichste für die Hajeps sein !“ fügte Erkan noch hinzu und seine stoppeligen Wangenmuskeln zuckten.
Wladislaw führte Margrit erst einmal durch den kleinen Ort und erzählte ihr dabei einiges über die Entstehung Zarakumas. Die Hajeps kamen damals, kurz nachdem sie in Deutschland gelandet waren, nicht nur nach Eibel¬stadt, sie vertrieben und ermordeten die Menschen auch in den umliegenden Städtchen und Dörfern und machten sogar viele Städte dem Erdboden gleich, darunter so große Städte wie Stuttgart und Heilbronn.
Ein riesiges Gebiet wurde nämlich für Zarakuma gebraucht, vom Odenwald im Norden bis zur Schwäbischen Alb im Süden, von Pforzheim im Westen bis nach Aalen im Osten. Kein menschliches Haus durfte mehr dort stehen, Straßen und Brücken verschwanden, ja selbst der Boden wurde aufgerissen und die unterirdischen Kana¬lisationen und Stromnetze völlig zerstört und wie Gedärme der Erde entnommen. Mit gewaltigen, Insekten sehr ähnlich aussehenden, Bulldozern und anderen seltsamen Maschinen, die an Größe schier einander übertreffen zu wollen schienen, wurden Ygonen(Umzäunungen) gebaut. Die Menschen konnten damals noch kilometerweit spüren wie das Erdreich erbebte, wenn diese schweren Maschinen zu den Arbeiten in Zarakuma herandonnerten. Aber es wurde auch von der Luft aus gearbeitet. Riesige Tristine, ähnlich wie Libellen, verharrten schwebend über dem gewaltigen Bauplatz, ließen schwere Lasten behutsam vom Himmel zu Boden gleiten oder rammten wuchtige Rohre gleich viele Meter tief in den Boden.
Innerhalb des Waigolins(Wohngebiet) entstand in einem Wahnsinnstempo ein großer Zuando(Raumhafen) und wenig später ´Jink ba rina´, die erste Terrassenstadt Zarakumas. Bereits in wenigen Jahren war dann Zarakuma zu einem gewaltigen, exklusiven Wohngebiet herangewachsen. Die Wohnkomplexe waren ineinander verschachtelt, miteinander verbunden und hatten doch einsamen RUHEZONEN. Zu üppigen Gärten führten schmale Wege und Brücken hinauf. Glitzernde Wasserfälle über verwunschenen Grotten plätscherten in märchenhaft angelegte Täler hinab, mündeten in glasklare Seen.
Bald waren jedoch die Ygonen so geschickt gesichert, dass kein Mensch mehr etwas über Zarakuma in Erfah¬rung bringen konnte. Dafür lernten die Leute plötzlich Hajeps von einer noch schlechteren Seite kennen, denn man schickte sich nun an, die Umgebung von Zarakuma gründlicher von Menschen zu säubern. Allerdings schonte man dabei die Natur ganz besonders. Menschliche Gebäude wurden also nicht völlig zerstört, sondern nur auf natürliche Weise unbewohnbar gemacht und dazu fiel den Hajeps erstaunlich viel ein. Man spritzte selt¬same Flüssigkeiten über Mauergestein, damit es sich im Laufe der Jahre zersetzen sollte. Hajeps mussten böse Erfahrungen mit ihren eigenen Waffen gemacht haben, denn anders war ihr besonnenes Verhalten nicht zu erklä¬ren. Dadurch konnten aber auch viele Menschen entkommen, was sonst eigentlich gar nicht möglich gewesen wäre.
Dennoch sparte Wladislaw, als er davon Margrit erzählte, all das Gräuliche nicht aus, was er noch hatte mit ansehen müssen. Er ging dabei so sehr ins Detail, dass Margrit schlecht wurde und sie sich auf eine Bank im abendlichem Sonnenschein setzen und ausruhen musste. Nachdem ihr Ute ein Glas Wasser gereicht und sie Angela, Doris, Beate, Kasim und José gemeinschaftlich für ein Weilchen skeptisch angeglotzt hatten, rang sich Wladislaw, nach einigen an Margrit gerichteten Fragen, schließlich doch durch, sie in eines der Häuser zu führen, das noch einigermaßen gut im Stande zu sein schien. Überrascht stellte sie fest, dass der alte Küchen¬schrank im Keller in Wahrheit der Haupteingang zu den unterirdischen Wohnungen der Maden war. Ein hand¬betriebener Fahrstuhl führte hinunter, aber es sollte auch noch Leitern für den Notfall geben. Es war ein ehema¬liges Kohlebergwerk, welches die Rebellen mit viel Geschick und Fleiß in wirklich gemütliche Flure und Zimmer umgestaltet hatten. Es gab hier einfach alles : Duschen, Kamine, gepflegte Toiletten, Aufenthaltsräume, unzählige Schlafzimmer, Essräume, eine Großküche, Vorratsräume, Kleiderkammern, sogar eine Bar und natür¬lich Lagehallen für die Waffen und unterirdische Parkplätze. Die Organisation hatte zunächst nur ´Menschen gegen Hajeps´ geheißen. Die Tunnel waren überall weiter gebaut worden, oft bis zum nächsten Dorf oder zur nächsten Stadt. Alte Gänge, Bergwerke, Kanalisationen, einstige unterirdische Kriegsanlagen, Bunker und Atombunker waren dafür genutzt und zum Teil wohnlich hergerichtet worden. Überall in der Welt hatte dieses Beispiel inzwischen Schule gemacht. Nur wussten relativ wenig Menschen oberhalb der Erde davon. Lediglich, wer das Glück hatte, zu jenen Organisationen zu gehören, durfte unbeschadet tief unter der Erde leben.
So auch Margrit. Zwar durfte sie erst einmal nur für eine einzige Nacht bleiben, dennoch genoss sie den Frische¬duft ihres auf das Gründlichste gewaschenen Körpers und ihres mit einem ´Kopflauskiller´ gespülten Haares und außerdem den herrlichen Nachgeschmack nach langer Zeit geputzter Zähne. Und dann kam noch dieses wunder¬bare Gefühl hinzu, endlich schön geschnittene Finger- und Fußnägel zu haben. Oh, es war auch ein köstliches Gefühl, das nach Waschmittel duftende und völlig insektenfreie Nachthemd auf der nackten Haut zu spüren. Außerdem war es hier wunderbar warm, weil die Heizungen gut funktionierten und sie fühlte sich wie neugebo¬ren, sich in eine weiche unverlauste Decke einrollen zu dürfen. Unter ihr knisterte das frische Stroh und so schlief sofort ein.
Dennoch sollten sie Albträume plagen, in denen plötzlich Pfeifstäbchen zu trällern begonnen hatte und worauf¬hin natürlich Hajeps, begleitet von mächtigen Explosionen, überall in den unterirdischen Tunneln erschienen, bei denen Margrit auch noch die unerträglichen Schreie sterbender Menschen hörte und schließlich viele wackelige Leitern hinunterhetzte, die Hajeps natürlich immer knapp hinter ihr her. Zum Schluss stand sie dann meist entweder auf einem Balkon oder kletterte über irgendein Dach und ein Raumschiff näherte sich von oben. In solchen Momenten wurde sie schweißgebadet wach und fragte sich ob sie wohl laut geschrien hatte, denn das wäre ihr sehr peinlich gewesen. Aber dann schlief sie sofort wieder ein. Schließlich kamen die Träume, in welchen sie nach ihren Kindern und nach ihrer Mutter suchte und zwischendurch rief sie nach Paul.
„Julchen ?“ ächzte sie am Morgen, als sie von Renate geweckt wurde. Margrit fuhr hoch.
„Bin ich nicht !“ Renate lachte.
„Ach, du bist`s, Renate !“ Margrit rieb sich den Schlaf aus den Augen. Sie war noch völlig benommen vom schlechten Schlafen und sämtliche Knochen taten ihr weh. „He, was macht dein Baby ?“
„Dem geht`s gut. Irmchen ist bereits wach und hat schon ihr Frühstück hinter sich.“
„Sehr schön, oh Gott, ich hatte auch Kinder, weißt du, und die ....!“
„Erzähl`s mir ein andermal, jetzt ist keine Zeit, Margrit. Entschuldige, aber du musst schnell machen ! Günther Arendt, der ist unser Oberbefehlshaber und ...“
„Sag` mal, ist das etwa unser alter Bundeskanzler, den die Hajeps damals eingesetzt haben ?“ fiel ihr Margrit einfach ins Wort.
„Ja, Margrit und der ...“
„Donnerwetter, der lebt also doch ....“
„Aber natürlich, was dachtet ihr denn ? Dachtest du, unser Volk ist inzwischen ohne Regierung ?“
Margrit nickte.
„Aber er ist ganz gewiss keine Marionette Scolos, was sich die Hajeps vielleicht so denken. Er kämpft für die Menschheit, weißt du, auch wenn er das bisher nur im Untergrund tun konnte. Und er ist gerade mit fünf seiner Berater und einer kleinen Leibstandarte zu uns gekommen“, erzählte Renate weiter und war sehr aufgeregt. „Er hat vor, bei den Maden zu frühstücken und würde sich sehr freuen, wenn du ihm dabei Gesellschaft leisten könntest.“
„Oh Gott ? Ausgerechnet ich soll ihm Gesellschaft leisten ? “ Margrit war entsetzt. Gewiss erwartete dieser Kanzler, dass sie ihm die Wunderwaffe zeigte. „Wo ist George ?“
Renate zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung ! Mach` dich nur schleunigst fertig, ja ? Der Kanzler wartet nämlich nicht gerne. Wir werden dir dein Bett machen und deine Sachen in den Schrank hängen, während du duschst, okay ?“
Margrit dachte kurz nach. Hatte sie eigentlich irgendwelche besonderen Werte bei sich ? Immer noch war sie ein wenig wirr im Kopfe, hatte sie die schrecklichen Albträume vor Augen. Da fielen ihr die Pfeifstäbchen ein, mit welchen die Hajeps sie im Träume verfolgt hatten. Ja, sie hatte eines davon gestern aufgehoben und in ihrer Gürteltasche verstaut. Oh, Gott, wenn die Hajeps nun das komische Stäbchen gestern mit Absicht hatten fallen lassen, vielleicht weil sie wussten, dass Margrit sich versteckt hatte und es später aufheben würde ? Vielleicht hatten sie ja auch gewusst, dass George sich hinter der Kellertüre ebenfalls verborgen hielt und es war in Wirk¬lichkeit ein Sender mit dem man womöglich herausfinden konnte, wo die gesamte Untergrundorganisation der Menschen verborgen war und Margrit hatte ahnungslos diesen Sender bis hier nach unten geschmuggelt ? Margrit wurde bei diesem Gedanken heiß und kalt. Was sollte sie tun ? All ihre Sorge Renate mitteilen und ihr diesen Sender übergeben ? Was würde man mit ihr machen, wenn ihre schlimmen Befürchtungen womöglich zutrafen ? Nein, sie wollte leben. Zumindest so lange, bis sicher war, dass wirklich niemand aus ihrer Familie lebte. Sie brauchte Mut und Kraft, um nach ihren Kindern, nach ihrer Mutter zu suchen. Darum wollte sie einfach an so etwas Schrecklichem nicht mehr länger festhalten. Ja, vielleicht war es sogar wirklich nur so ein Pfeifstäbchen mit welchem man Lebewesen – vielleicht sogar Hajeps – aufspüren konnte und insofern sogar ganz nützlich für die Maden und vielleicht heute sogar noch eine Chance, auch wenn dieses Ding sicher nicht mit Danox zu vergleichen war, für ein rettenden Plätzchen in dieser Organisation. Weitere wichtige Dinge fielen ihrem erschöpften Gehirn nicht ein.
„Okay !“ sagte sie darum, ergriff sich die Gürteltasche, in welche sie gestern das Stäbchen gepackt hatte, frische Kleindung, die man ihr schon gestern Abend hingelegt hatte und ein Handtuch und verschwand damit aus dem Zimmer, um zu den Duschräumen zu laufen. Oh Gott, in ihrer Nase hatte sie nur ein dumpfes Gefühl, sie war noch immer dick angeschwollen und noch immer hatte sie Muskelkater. Sie bewegte den Kopf hin und her, um die Nackenmuskulatur zu entspannen, dabei sah sie aus dem Augenwinkel, dass zwar Beate Margrits Zimmer verlassen hatte, dafür aber Gesine in ihr Zimmer schlich.
´Moment !´ dachte sie skeptisch. ´Jetzt zurücklaufen oder nicht ?´
Wieder sah sie keinen wirklichen Grund und machte stattdessen die Tür zu den Duschräumen auf.

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Nach etwa einer halben Stunde folgte Margrit frisch angekleidet aber mit weichen Knien Rita, einer stämmigen Mittdreißigerin südländischen Typs, durch die mit wunderbaren Blumenmustern bemalten und hübsch beleuch¬teten Tunnelgewölbe. Was würde man mit Margrit machen, wenn man womöglich herausbekam, dass das Pfeif¬stäbchen ein Sender war ?
Schließlich wurde an eine Tür geklopft. Ob jemand dahinter geantwortet hatte oder nicht ? Margrit hatte nichts gehört. Jedenfalls öffnete Rita einfach, schob sich an Margrit vorbei und lief in den erstaunlich wohnlich und nostalgisch eingerichteten Raum. Man konnte, wenn man wollte, sogar Salon zu ihm sagen und er war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das beste Zimmer, was die Maden zu bieten hatten, und das sie ihrem Oberkommandierenden für das Frühstück opferten, der jetzt wohl irgendwie zwischen jenen fünf Männern dort hinten saß, die um einen Tisch und somit auch um die kleine Vase mit Herbstblumen herum Platz genommen hatten. Etwas weiter weg von diesen Herrschaften, die im übrigen ziemlich aufgeregt miteinander plauderten, Margrit keines Blickes würdigend und sich wie schwarze Scherenschnitte vor einer rot beleuchtete Bar abhoben, war ein uralter Billardtisch zu sehen, hinten links in der Ecke. Daneben war ein weiterer Eingang, verhangen mit einem bodenlangen Tuch, ebenfalls in Rot, hinter welchem gerade Rita verschwand, wohl um in der Küche zu helfen.
Links und rechts mit dem Rücken zur Wand standen jeweils in einer Ecke drei Wachen – oder konnte man dazu Bodyguards sagen? Aber dafür sahen sie viel zu wüst aus! Sie waren so starr, dass sie Seeräuberpuppen aus dem Wachsfigurenkabinett ähnelten. Ein adrett gekleidetes, rundliches Mädchen mit kurzen braunen Haaren stellte gerade einen Korb mit Brot auf den Tisch. Sie hatte wohl gerade Margrit entdeckt und beugte sich darum zu einem der vier Herren herab, der im übrigen eine Brille mit goldfarbenem Drahtbügel trug und gegenüber den anderen Männern ziemlich schmächtig wirkte, und wies Richtung Tür.
Das Tischgespräch ebbte ein wenig ab, der Mann schien Margrit durch seine funkelnde Brille scharf anzuvisie¬ren, und Margrit konnte von ihrem Platz aus erkennen, dass die übrigen Männer erst Überraschung anzeigten, doch dann ebenfalls sehr gründlich Margrit in Augenschein nahmen, dabei einander und diesem Mann Verschie¬denes mitteilend, was wohl Margrits Person betraf und kaum etwas Gutes war, denn man blickte zwischen fassungslosem Kopfschütteln immer wieder zu ihr hin, manch einer grinste jetzt, andere lachten sogar lauthals auf.
Margrit spürte, wie ihr heiß und kalt wurde, sie zupfte an ihrer mit einem großen Pflaster zugeklebten Nase herum. Ach, sie hatte es eigentlich schon immer kaum ertragen können, wenn sich allseits Augenpaare an ihr festkrallten und dazu noch Dinge über sie gesprochen wurden, die sie nicht verstehen konnte. Sie hatte nun, zwar unauffällig aber gewiss ebenso scharf, die Männer am Tisch beobachtet und irgendeine innere Stimme sagte ihr, dass es nicht gut war, diesen Herren ihre große Verlegenheit weiter zu offenbaren, wenngleich sie spürte, wie heiß ihre Wangen bereits geworden waren und wie sich das Pflaster auf ihrer Nase lockerte. Sie musste diesen spöttischen Musterungen ruhig, ja fast stolz begegnen und so ging sie festen Schrittes und in betont aufrechter Haltung mitten hinein in diesen vornehmen Salon.
Alles erstarrte überrascht. Spontan waren das Gekicher, die zynischen Dialoge und kleinen Witzchen unterbro¬chen. Stattdessen tauchte ringsum ein zwar stummes, jedoch herablassendes Gegrinse auf. Margrit war dieses Verhalten ein Rätsel. Warum begegnete man ihr so feindlich ? Man kannte sie doch noch gar nicht ! Irgendje¬mand musste diesen Herren nicht gerade Bestes über sie erzählt haben. Dieser ´Jemand´ konnten zwar auch viele sein, aber sie wusste, dass zum Beispiel Martin eine ganz besondere Abneigung gegen sie hegte. Aber auch Erkan und Wladislaw mochten Margrit nicht besonders. Zudem waren ihr Beates feindliche Blicke nicht entgan¬gen, die hinter der Bar stand. Ach, sie wollte jetzt nicht ihre kostbare Zeit mit irgendwelchen Verdächtigungen vertun. Und so lächelte Margrit ihrerseits den Herrschaften am Tisch ruhig und freundlich zu. Dadurch sprang leider das ohnehin schlecht sitzende Pflaster zum Teil von ihrer Nase, blieb nur an einer Stelle kleben und rollte sich empor. Schon brach der ganze Tisch wieder in Lachen aus. Margrit versuchte, das Pflaster wieder fest anzu¬drücken. Sie nickte trotzdem weiterhin grüßend dem Tisch zu, sich die allergrößte Mühe gebend, auf keinen Fall zu erröten. Doch es wurden keine Zeichen der Erwiderung gegeben, stattdessen hörte sie plötzlich das typische Schurren von Stühlen über dem hübsch gefliesten Boden und zu Margrits Überraschung erhoben sich die Männer, wenn auch ziemlich steif, einer nach dem anderen lief um den Tisch herum und schritt auf Margrit zu, wohl um sie zu begrüßen oder...?
Die kräftige Frau mit den kurzen, braunen Haaren hatte indes ein schweres Tablett mit den dampfenden Kaffee¬kannen, auf die Theke abgestellt und die sechs Bodyguards mucksten sich noch immer nicht. Nur Renates und eine Männerstimme waren leise hinter dem Vorhang zu hören.
Margrit fetzte das Pflaster entgültig von ihrer Nase und verstaute es in ihrer Hosentasche, als die sechs Männer schließlich vor ihr stoppten. Welcher von denen war nun der Oberkommandierende ? Sicher der mit der Glitzer¬brille, oder ?
Einen Günther konnte man beileibe nicht so ohne weiteres herausfinden, denn alle waren gleichermaßen adrett und sauber angezogen, dufteten auch gleichermaßen nach irgendwelchen Wässerchen oder Parfüms und hatten auch das gleichermaßen aufgesetzte Grinsen im ansonsten ausdruckslosem Gesicht. Sie waren gewiss nicht hässlich zu nennen, schienen weder alt noch zu jung, ihre Körper hatten auch keinerlei Speck angesetzt, was in diesen schlechten Zeiten bei so hohen Führungspositionen durchaus hätte möglich sein können. Ganz im Gegenteil schien alles an ihnen ziemlich durchtrainiert. Doch die vier hatten etwas an sich, wogegen insbeson¬dere Margrit eine seltsame Abneigung hegte. Sie wirkten nämlich unglaublich kernig und kantig, waren halt so richtige knallharte Burschen, wie man im Volksmund sagt, eben Männer mit eisenharter Disziplin. Fast alle hatten Schmisse, wulstige Heldennarben, im wettergegerbten Gesicht. Ihre Brustkörbe waren allesamt irgendwie aufgeplustert wie bei balzenden Hähnen, doch sie balzten keineswegs um Margrit herum, starrten sie nur stumm an, das eckige Kinn dabei kampfeslustig vorgereckt, die Augen abschätzend zusammengekniffen. Leider bekam Margrit doch Herzklopfen. Die guten Vorsätze waren eben dahin, denn jeder dieser Männer überragte sie an Größe und Kraft. Sie wirkte wie ein mickriger Strohhalm zwischen stacheligen Kakteen, doch noch immer zeigte sie rein äußerlich glücklicherweise keine Spur von Angst. Ihr Blick wanderte, obwohl sie keine Spucke mehr im Mund hatte, sogar betont ruhig von einem verkniffenen Augenpaar zum anderen. Noch näher rückten die Kakteen, doch Margrit schaute sie nur weiterhin völlig offen an. Das imponierte keineswegs. Ein kaltes Lächeln nach dem anderen wanderte nur wieder über schmale, in sich zurückgezogene Lippen.
´Das sind also auch Menschen, Menschen ohne jedes Gefühl !´ analysierte Margrits aufgepeitschtes Hirn. ´Männer ohne Erbarmen, Männer, die dieser furchtbare Krieg einfach gemacht hat. Doch was haben sie vor ? Bestimmt alles außer etwas Friedliches und Liebes´, dachte Margrit noch und dann wurde ihr plötzlich schlecht. Aus gutem Grund, denn was würden diese Kerle mit ihr anstellen, wenn sie herausbekamen, dass sie Danox gar nicht besaß ? Ehe sie jedoch in die Knie sackte, erkannte sie, Gott sei Dank, plötzlich ein ganz bestimmtes Gesicht im rötlichen Dämmerlicht wieder.
´George ?´ durchfuhr es sie hoffnungsfroh aber auch ziemlich atemlos. Gütiger Gott ! Er war es tatsächlich, war der lange schlaksige Kerl, der plötzlich hinter dem Vorhang dicht neben der Dame mit den Kurzhaarschnitt zum Vorschein kam. Er salutierte den Männern zu und quetschte sich dann an dieser so gut es ging vorbei. Die fuhr herum, hätte beinahe den Kaffe verschüttet, so sehr hatte sie sich über George erschreckt.
„Hallo, George ! Da sind Sie ja endlich ! Na, Erfolg gehabt oder haben Sie ihren Cousin noch immer nicht
erreicht ?“ rief ihm der drahtige Kerl mit der Goldbrille schon von weitem zu.
„Habe leider immer noch keinen Kontakt bekommen können, Herr Generalfeldmarschall und mache mir Sorgen, ob ihm etwas passiert sein könnte !“
„Sorgen können Sie sich auch später noch machen. Kommen sie erst einmal her.“ Er wurde mit einer ziemlich ungeduldigen Handbewegung herbeigewinkt und dazu angehalten, die Herrschaften und Margrit in kurzen Worten einander vorzustellen. Dabei wurde Margrits Hand von schrundigen Pranken dermaßen herzhaft gedrückt, dass sie das Gefühl überkam, ihre Finger würden zu ´Mus´ verarbeitet. Aber noch während sie ihre Hand in dezenter Weise ausschüttelte, um wieder Leben hineinzubekommen, wurden die Namen und die dazu¬gehörigen oder erworbenen Titel im Eiltempo heruntergerasselt, aber immerhin bekam Margrit auf diesem Wege mit, dass tatsächlich das schmalschulterige Kerlchen mit der Drahtbrille jener Günther war, von welchem die gesamte Organisation offensichtlich weltweit schwärmte, der Stratege also, welcher es sogar mit Scolo aufneh¬men konnte. Margrit schluckte, aber nachdem man ihr einen Platz direkt neben George angeboten hatte - es war wirklich erstaunlich, wie viele Menschen um solch einen kleinen Tisch passen konnten – ging es ihr gleich wieder besser.
Günther durchbrach das Schweigen, das für einen kurzen Moment geherrscht hatte, da nicht nur endlich Kaffee¬kännchen auf dem Tisch drapiert wurden, sondern auch alles übrige, was sonst noch zu solch einem prächtigen Frühstück gehörte(nein, es gab natürlich schon lange kein Büffet mehr aber die Form des Frühstücks war für diese schlimmen Zeiten wirklich luxuriös, denn Besseres gab es einfach nicht: echten Kaffe, echten Käse, ja sogar ein Einweckgläschen feinster Leberwurst. Hinzu kam noch die exklusive Beleuchtung in Form einer klei¬nen Kerze aus Bienenwachs !)
´Oh Gott, welch eine Verschwendung !´ dachte Margrit dabei nur. ´Welch eine Pracht ! Aber für den General¬feldmarschall war ja nur das Beste gut genug.´
„Sie wollen also Soldat werden, Margrit ...wie war doch gleich der Name ?“ sagte er mit leiser und behaglicher Stimme und packte sich sogleich nicht nur ein dunkles Scheibchen Brot, sondern auch noch ein weißes auf den hübschen Teller.
„Schramm !“ sagte sie. „Und ich bin Pazifist !“ Margrit nahm sich dabei ebenfalls gleich zwei Scheiben.
Günther krauste die schmalen Brauen und sah Margrit mit seinen kleinen wasserblauen Augen wieder sehr scharf an. „Sie scheinen Humor zu haben, Schramm ! Aber was glauben Sie, was sie hier tun werden ? Etwa die Hajeps am Kinn kraulen ?“
„Kein schlechter Vorschlag. Aber den haben Sie gemacht. Hätte ich ihnen gar nicht zugetraut, wirklich !“ Margrit nahm sich noch eine dritte Scheibe.
Ein jeder hielt mitten im Streichen seines Brotes mit Butter oder Leberwurst inne, räusperte sich erschrocken, warf verstohlene Blicke auf den Chef. Dieser hielt sich erstaunlich wacker, bereitete erst mal in Ruhe seine beiden Stullen mit Butter vor und sagte dann sehr deutlich : „Wenn Sie Pazifist sind, dann haben Sie hier nichts zu suchen, Schramm ! Besser noch, sie gehen gleich nach Zarakuma und zwar mit weißer Friedensfahne. Viel¬leicht herrscht dort Frauenknappheit in den Puffs und die nehmen sich deshalb sogar hässliche alte Fregatten für ihre Sado-Spielchen vor, wer weiß ? “ Er nahm sich nun eine große Scheibe Käse, legte die ziemlich exakt auf sein dunkles Brot, und erst dann griff er nochmals über den Tisch, um nach dem Glas Leberwurst zu hangeln. „Wir sind Soldaten ! Was glauben Sie denn, was wir hier sonst anderes sind ? Etwa ein Massagesalon?“ Alles kicherte und warf Margrit verschmitzte Blicke zu. Günther kam leider nicht so recht an das Gläschen heran und so sprang fast der halbe Tisch auf, um ihm zu helfen.
„Auch eine Rettungsstation ... könnte das vielleicht sein !“ bemerkte Margrit etwas stotterig. “Ich würde dann Verletzten und Kranken helfen !“ Und sie nahm das Leberwurstglas, das direkt vor ihrer Nase gestanden hatte und begann einfach ihr Brot mit Leberwurst zu bestreichen. ”Hm ... scheint lecker zu sein !“ sagte sie dabei und alles machte große Augen. „Wirklich, ich sage ja immer, niemand sollte etwas tun, was ihm völlig widerstrebt, nur weil er anderen gefallen will !“
Manch einer hustete, und dann ruhten sämtliche Blicke abermals fragend auf Günther, der nun sein Brot noch mit einer schmalen Scheibe Schinken belegte. Günther musste wohl sehr an sich halten, denn er hatte dabei einen roten Kopf und auch die Halsschlagader war mächtig angeschwollen, doch dann sagte er leise und irgendwie ähnlich wie zu einem Kind : „Kranke und Verletzte haben bei uns nichts zu suchen. He, was haben Sie mit ihrer Nase gemacht, Schramm ! Ha, und ihre Brille, die sieht ja vielleicht aus ... zum Gotterbarmen ! Erklären Sie mir bloß nicht, das diese Beschädigungen von einem dieser Glibberwesen, diesen Hajeps resultieren würde, die Sie gestern noch geküsst hätten ! Dann würde ich nämlich ernstlich böse werden ! “ Er grinste, dann biss er in seine Stulle hinein.
„Ach, ich bin nur über ein Loch im Boden gestolpert und ....“
„Oho, was für eine prächtige Guerilla !“ fiel er ihr höhnisch ins Wort. “Stolpert womöglich später auch über Löcher, wenn sie sich mal anschleichen muss !“ Und dann kaute er auffallend langsam.
„Und außerdem glaube ich, dass Hajeps nicht glibberig sind“, vollendete Margrit einfach ihren Satz und dann wollte sie sich auch noch die zweite Stulle mit Leberwurst bestreichen. “Unser Feind scheint nicht nur eine ähn¬liche Haut wie wir zu haben, sondern auch ein Nervensystem, das nicht viel anders als das unserige ist. Hajeps sind verspielt, neugierig und vernasch...“ weiter kam sie nicht, denn George hatte Margrit einfach Leberwurst samt Messer weggenommen.
”Das genügt !“ wisperte George zweideutig und strich sich dabei selber die Wurst auf`s Brot. „Selbstverständlich ist Frau Schramm geschickt“, sprach George laut einfach für Margrit weiter. „Jeder von uns wäre in dieses Loch getappt, so übermüdet und bei dieser schlechten Beleuchtung und mit einer großen Kiste in den Händen. Auch will Frau Schramm trotz ihrer pazifistischen Weltanschauung zu unserer Organisation gehören !“ Und er nahm einen Happen von seinem Leberwurstbrot und zermalmte diesen ziemlich hektisch. “Und sollte sie vielleicht heute nicht so ganz die richtige Wortwahl treffen, so dürfen wir nicht vergessen“, Georges Fuß fuhr unter den Tisch, bis hin zu Margrits frisch polierten Zehen, „was diese Frau gestern so alles hat durchmachen müssen.”
„Hm ... na ja, das stimmt !“ bestätigte Margrit immer noch verdrießlich und erhielt noch einen zusätzlichen Knuffi gegen ihre schicken Söckchen.
“Solche Erlebnisse können mitunter“, erklärte George weiter, „sogar manch einen gestandenen Haudegen ziem¬lich wirr machen...“
„Stimmt auch !“ sagte Margrit, doch ihre Miene war nicht viel freundlicher geworden.
Günther Arendt nickte. Zu Margrits Erstaunen erschien er bei diesem Gesprächsthema betroffen. Seine Finger strichen nervös das ziemlich gelichtete Haar aus der gefurchten Stirn, unglaublich leise meinte er dann : „Viele Menschen werden sogar wahnsinnig durch solche Ereignisse. Sie verkraften nicht, was sie haben mit ansehen müssen ... oh, es ist ein grauenhafter und hoffnungsloser Krieg!“ Er brach ab, legte die beiden gepflegten Hände ratlos vor sich auf den Tisch, je rechts und links neben seinen Teller und erst jetzt sah Margrit, wie furchtbar abgearbeitet diese Hände waren. Ohne Frage schonte dieser Mann keineswegs sich selbst. Günther Arendt sagte gar nichts mehr, war nur noch tief in Gedanken und deshalb ergriff George einfach wieder das Wort.
“Sie können also davon überzeugt sein“, brachte er nach kurzem Zögern hervor, „dass wir mit Margrit einen guten Fang gemacht haben. Ich weiß, dass sie hocherfreut sein wird, alle Befehle entgegen zu nehmen, endlich Mitglied unserer kampferprobten Organisation sein zu dürfen!”
„Soooh ?“ Der Mann betrachtete Margrit wieder über seinen Brillenrand hinweg, eine Braue dabei hochgezogen. „Sie ist also hocherfreut ... hm ?“ Die Braue zuckte bedenklich. “Merkwürdig, äußerst merkwürdig sogar...“, brummte er und wischte sich über die kräftige Nase, „...ist das ja schon, denn sie schaut mir überhaupt nicht danach aus!”
„Meinen Sie damit etwa Frau Schramms komische herabhängende Mundwinkel? ” fragte George geistesgegen¬wärtig und nahm noch einen Bissen.
Günther nickte langsam gleich zweimal.
„Die htte sie schon immer ...wir wissen ja ... Gene !“ erklärte George malmend. “Sowas erbt man halt ! ”
„Ha, ja – ha“, lachte Günther erleichtert. Margrit war diesmal ganz überrascht, dass er auch das konnte. „Sowas glaub` ich Ihnen gerne, Soldat George, damit könnten Sie durchaus Recht haben ! Sehen Sie...“, er nahm seine Brille ab, „...sich nur meine gewaltige, gekrümmte Nase an ... Erbe meines Großvaters, was sagen Sie nun ?”
George sagte lieber nichts, nickte aber, wenn auch zögernd.
„Und wissen Sie was ?“ teilte Günther, ohne weiter auf Antwort zu warten, einfach mit. ”Diese Nase ist zwar nicht schön, aber...“, schon wieder staunte Margrit, weil Günther mit einem Male richtig leutselig geworden war, “... mein Großvater hatte auch wunderbare Charaktereigenschaften, knallhart war er, sehr sportlich, der reinste Aufreißertyp, ein echter Haudegen, immer allen andern voraus. Alles, was er von sich selbst verlangte erwartetet er natürlich auch von anderen. Da gab es keine Ausnahme. Weicheier kamen bei dem einfach nicht durch. Die fielen schlicht“, er kicherte hämisch, „...durch`s Sieb !“ Er warf Margrit einen unmissverständlichen Blick zu, während er sich mit der Serviette die schmalen Lippen abtupfte. „Das ist durchaus richtig, denn nur die Stärksten sollten überleben ! Das war ja unser Fehler, dass diese Menschheit immer viel zu sehr von Weicheiern durchsetzt war ..... Margrit, sind Sie stark ?“
„Wohl nicht ? “ fragte sie sich selbst und daher sehr leise und goss aus ihrem Kännchen wieder Kaffe nach.
„Doch das ist sie !“ protestierte George. “Sie haben die Filme von ihr ja gesehen, wie sie ...“
„Ruhe ! Verteidigen Sie diese Frau nicht immer ! Frau Schramm, nur die Starken können heutzutage überleben, nur die könnten später gesunde Nachkommen zeugen.“ Günther Arendt nahm nun ebenfalls einen großen Schluck von seinem Kaffe und wischte sich danach erneut mit seiner Serviette über den strichförmigen Mund. “Sonst gehen wir unter, selbst wenn es uns eines Tages glücken sollte, die Hajeps von dieser Erde zu vertreiben.“
„Meinen sie wirklich ?“ fragte Margrit ein wenig zu spitz.
„Natürlich ! Schramm, grinsen Sie nicht ! Haben Sie denn bereits gesunde Nachkommen ? Alt genug, um Kinder zu gekommen, sind Sie ja schließlich ! Und mit den Verhütungsmitteln steht es ja derzeit nicht gerade besonders gut !“
„Nein !“erwiderte sie abermals, kaute auf dem letzten Kanten ihres Brotes herum. “Ich kann keine Kinder bekommen!“ Tränen traten dabei in ihre Augen, doch die schluckte sie tapfer gemeinschaftlich mit dem Kanten hinunter.
„Aha !“ machte Günther und hielt sich die Serviette jetzt gänzlich vor den Mund. „Genfehler ?“
Margrit nickte beklommen.
„Aber Margrit hat...“, beeilte sich George.
„Ruhe ! Verdammt!“ Günther Arendt schlug jetzt so heftig mit der Faust auf den Tisch, dass das hübsche Geschirr schepperte und seine Leute zusammenfuhren. „George, begreife das doch endlich mal! Wir brauchen starke, kämpferische Leute !” Günther lehnte sich seufzend zurück in seinem Polsterstuhl und fragte Margrit dann leise: „Welchen Beruf übten Sie zuletzt aus ?“
„Ich war Lehrerin an einer Grundschule und... „
„LEHRERIN !“ echote Günther entgeistert.
Alles prustete los.
„Wieso, was ist daran so lächerlich ?“ fragte sie.
„Schramm, wir brauchen keine Lehrer sondern Profiler.“
„Frau Schramm ist außerdem Psychologin !“ meldete sich George. Er hatte inzwischen vor Aufregung einen knallroten Kopf bekommen.
Margrit hatte nun eine weitere Lachsalve erwartet, aber stattdessen war es unglaublich still geworden ! Alle Augen waren wieder auf Günther gerichtet. Doch der war gerade dabei, wieder nach dem Gläschen Leberwurst zu hangeln, schnell wie ein Piranha schnappte er diesmal zu, und dann schmierte er sich leise ächzend die dritte Stulle, endlich mit Leberwurst. Schließlich knurrte er: ”Ich hasse eigentlich Psychologen !“
„Ach, und warum ?” hakte Margrit nach.
Seine Begleiter schauten ebenso erstaunt drein.
Günther strich die Leberwurst nun auch noch auf dem Kanten fein säuberlich glatt und legte dann das Messer beiseite. “Na, diese Psychofritzen haben doch stets das Kranke, das Schwache unterstützt, ja, sogar verteidigt und irgendwie jeder ist bei denen krank. He, was sagen Sie als Psychotante eigentlich zu unserem Feind, na ? “ fragte er völlig unvermittelt und nahm dabei gleich drei Hapser von seiner Stulle und kaute mit vollen Backen.
„Was sollte ich denn zu dem sagen ?“ fragte Margrit folgerichtig zurück, und spitzte die Lippen, um ihre Tasse leer zu trinken.
George gab Margrit zur Abwechslung einen Knuffi in die Rippen. Die Röte in seinem Gesicht hatte sich zwar gelegt, aber seine beiden Ohren leuchteten noch in dieser nicht gerade unauffälligen Farbe.
„Antworten Sie mir plötzlich immer mit einer Gegenfrage ?“ schnauzte Günther wieder los, doch Margrit zuckte mit keiner Wimper. “Na los ... los !“ Er machte eine aufgeregte, aber auch ziemlich fahrige Handbewegung in ihre Richtung. „Ich will ihre Meinung, also so ein komisches Gutachten von Ihnen, über die ... äh ... Psyche der Haj ...“ Er konnte plötzlich nicht mehr weiter, lachte nur wie eine Ziege meckernd in sich hinein. „Also, welch einen Dachschaden haben denn die Hajeps ihrer Meinung nach !“
Margrit trank ihre Tasse völlig leer und schaute dann Günther nachdenklich ins spitze Gesicht. „Sie sind zu krie¬gerisch !“ sagte sie sehr ernst.
„Wer ? Ich oder die ?“ keuchte er betroffen.
„Sie auch !“
„Also, Sie meinen jetzt die Hajeps ?“ rief er erleichtert.
„Richtig, die meinte ich zuerst !“
George hielt sich zwar die Hände über die roten Ohren, doch seine Mundwinkel zuckten nervös.
„Ich will hören, ob die Hajeps in ihren Augen irgendwie krank sind. Das will ich hören.“ knurrte Günther.
„Ja, sie sind sogar sehr krank“, erwiderte sie. „Sie tun mir leid, denn sie können noch nicht einmal untereinander Frieden halten !“
„Sie tun dir Leid ?“ brüllte Günther fassungslos und für einen Moment hatte Margrit das Gefühl, als wolle er ihr dafür eine saftige Ohrfeige geben. Aber dann beruhigte er sich erstaunlicherweise auch diesmal wieder, wendete sich George zu und sagte: „Tja, so habe ich mir eigentlich unsere Profiler nicht vorgestellt. Man sollte diese Psychotussi für etwas anderes einsetzen. Vielleicht für die seelische Reinigung unserer Waffen ?“
George schluckte und ließ seine Ohren endlich los. „Das wohl gerade nicht“, keuchte er. „Sie hat weitaus bessere Gaben, die wir auch nutzen sollten !“
„So-oh ! Ich kenne momentan nur zwei. Nämlich Frau Schramms Hang zum unsinnigen Fressen und den zu Frechheiten. Welchen hat sie denn noch ?“
„Sie hört sehr gut !“
„Ha, ha, wie witzig ! Etwa wie ein Hund auf`s Wort ?“
George räusperte sich, um seiner Stimme einen festeren Klang zu geben. „Ihr Gehör ist so gut, dass selbst Nire¬neska diese Frau haben wollte.“
Das schien irgendwie zu helfen, denn Günther schwieg, schien etwas nachdenklicher geworden zusein.
„Vielleicht könnten wir mit unserem außerirdischen Feind besser klar kommen“, sagte Margrit mitten in diese Stille hinein, “wenn wir versuchen würden, ihn endlich gründlicher zu durchschauen ?“ Und sie nahm sich eine Scheibe Wurst und verspeiste die einfach ohne Brot.
„Und Sie meinen, da Sie solch eine Psychodingens sind, dass Sie das könnten ?“ Günther nahm sich ebenfalls eine Scheibe, einfach nur, um die auch eine ohne Brot zu verspeisen.
„Wenn Sie mir die Chance geben würden, könnte ich Ihnen das vielleicht beweisen !“ erwiderte Margrit und leckte sich die Fingerspitzen sauber.
„Nun ja, eigentlich würde ich Ihnen lieber keine Chance geben, Schramm, wenn ich ehrlich bin, aber General Mudak, General Klausen, General Bräuer und General Schmidt, er wies jeweils nach den Betreffenden zu beiden Seiten, halten reichlich viel von Profilern ! Ja, sie meinen sogar, dass ohne Menschen mit psychologischem Gespür in diesem Kampf gar nichts mehr zu gewinnen ist.“ Er wollte seine Fingerspitzen ebenfalls ablecken, stoppte aber und beließ es damit, sich die Hände mit der Serviette zu reinigen. „Psychologisch denkende Menschen sollen ja nicht nur unbewusst beeinflussen können und nicht nur eine scharfe Beobachtungsgabe haben ...“ Günther wollte nun nach der Fleischgabel greifen, um sich noch eine Scheibe zu holen, aber da hatte sie Margrit schon in den Fingern und packte ihm das letzte Scheibchen Rotwurst, das er hatte haben wollen, auf die dritte Stulle, „...durch welche sie vieles voraussehen“, ächzte er nun verdutzt.
„Meinen Sie etwa, die sind auch reaktionsschnell ?“ Margrit lächelte verschmitzt.
Er grinste zurück und nickte anerkennend. „Aber wie dem es auch sein sollte, Schramm. Ich muss Sie ohnehin nehmen, denn es wurde viel für sie bezahlt.“ Er machte eine kleine Pause, ehe er weiter speiste und Margrit musste sehr an sich halten, um nicht überrascht drein zu schauen. Was war passiert ? Wer hatte hier für Margrit etwas bezahlt ?
Margrit spielte verwirrt mit ihrer leeren Tasse und dem ebenso leeren Kaffeekännchen herum, damit ihr Günther nicht ins Gesicht schauen konnte, doch die Dame mit dem flotten Kurzhaarschnitt nahm ihr einfach beides weg.
Günther Arendt genoss sichtlich Margrits Unsicherheit. „He, he, nun haben Sie sich verraten ! Sind wohl gespannt, was ? Ja, ein bisschen psychologisches Gespür habe ich auch. Tja, Soldat Margrit, ein solcher wollen Sie doch hoffentlich werden, oder ? “
George behielt seinen Hacken auf Margrits Zeh und darum sagte sie diesmal nichts.
„Denn es ist unbedingt wichtig, dass jeder von uns, ob nun mit pazifistischer Weltanschauung oder sonst welcher, doch bei höchster Gefahr die Waffe ziehen und auch einigermaßen gut treffen kann, denn direkt unter dem Hals haben die Hajeps eine empfindliche Stelle, auf die wir alle trainiert sind. Es ist unserem Feind nämlich nicht geglückt, eine völlig kugelsichere, in sich geschlossene Kleidung zu entwickeln, da er ziemlich häufig den schweren Helm abnehmen muss – aus welchem Grunde auch immer !“
„Und trotzdem hat man nie das Gesicht des Feindes gesehen ?“ hakte Margrit etwas ungläubig nach. “Und wenn er getötet worden ist, hat da nie jemand nachgeschaut, wer oder was unser Feind eigentlich ist ?“
„Aber sicher, Frau Schramm ...“
„Und ? Was hat sich daraus ergeben ?“
„Nichts !“
„Nichts ?“ rief sie verdutzt.
„Hajeps lösen sich, sofort wenn sie getötet worden sind, in Humus auf“, erklärte Günther Arendt fast traurig. „Ich weiß auch nicht, wie die das machen. Glauben Sie, Frau Schramm, dass Sie ohne Warnung schießen werden, wenn der Feind ihnen gegenüber steht und gerade seine Waffe ziehen will, um auf Sie zu feuern ?“
Margrit zögerte, doch dann nickte sie zu Georges Erstaunen. “In diesem Falle wohl ja ?“ sagte sie ziemlich kleinlaut.
„Das war sehr ehrlich. Würden sie das gleiche tun, wenn irgendeiner von uns von Hajeps bedroht würde ?“
Margrit schluckte. „Wohl auch !“ sagte sie dann.
„Na sehen Sie, das beruhigt mich. Also haben Sie doch Verstand ! Sie sollten wissen, dass jeder, der neu hinzu kommt, sofort einen Grundkurs im Umgang mit Handfeuerwaffen, Gewehr und Granaten zu absolvieren hat ! Auch später sind jeden Tag mindestens drei Trainingsstunden für den Ernstfall zu leisten. Werden Sie das alles tun ?“
„Ja, das werde ich !“
„He, he, ich werde immer zufriedener !“ rief er erleichtert aus. Er lehnte sich nun richtig behaglich in seinem Stuhl zurück. „Dann kann ich ihnen ja endlich mein Geheimnis verraten: George konnte mich heute Morgen vor dem Frühstück abfangen und mir gesagt, dass er mir Danox nicht anbieten könne, was mich ehrlich gesagt nicht sonderlich enttäuscht hat,“ er machte eine wegwerfende Handbewegung, „denn ich halte nicht viel von diesem Ding. Niemand konnte es bisher in Gang setzen, nicht einmal unser Feind. He, ich weiß gar nicht mal, weshalb man den dummen Kasten auf diese Erde gebracht hat. Dafür bot er mir etwas sehr viel Praktischeres für ihre Aufnahme in unsere Vereinigung an. George hat mir das Ding gezeigt und ....”
„W...welches Ding?“ wisperte Margrit verdutzt. “Sie tastete dabei automatisch nach dem komischen Pfeifstäb¬chen in ihrer Gürteltasche, aber es schien dort noch immer zu sein.
„Warten Sie doch erst einmal ab !“ schimpfte Günther. „Können Sie einen denn nie ausreden lassen ?“
George nickte leise ächzend und Margrit warf ihm deshalb einen ihrer finstersten Blicke zu.
„George hat mir das Ding also gezeigt, und ich bin der Meinung, genau das könnte uns endlich helfen“, jubelte Günther und setzte sich wieder gerade hin. „ So gut sind wir bisher noch nie bezahlt worden. Ich habe zum ersten Male wirklich Hoffnung ! Das muss ich ihnen sagen!“ Er lachte erleichtert auf und wischte sich verstohlen über die Nase. „Aus diesem Grund sind Sie bei den Maden aufgenommen, ganz gleich, als was Sie nun für uns arbeiten wollen. Doch nicht allein diese wirklich gute Bezahlung ist dafür verantwortlich und auch nicht ihr sicherlich hervorragendes Gehör, sondern ... diese Furchtlosigkeit. Dieses forsche, kesse Gehabe, Schramm ...das gefällt mir an ihnen! Außerdem haben Sie für ganze fünf Stunden die Hajeps an der Nase herumgeführt und am Ende sogar überlistet ! Sie sehen also, ich bin gut über Sie informiert. Außerdem brauchen wir Profiler, die erkennen können, was Scolo, dieses außerirdische Gehirn, wohl als nächstes vorhaben könnte. Wir haben bereits die Sender unserer Feinde angezapft und ihre Sprache gelernt, doch wir verstehen viele Begriffe einfach nicht, wohl weil wir solche Dinge gar nicht kennen gelernt haben. Die Aufgabe der Profiler ist nun, uns Menschen auch Dinge erklärbarer zu machen, die uns eigentlich völlig artfremd sind. Sehen Sie, und aus diesem Grunde bin ich eigentlich extra hierher gekommen, weil wir es uns nämlich ganz besonders genau überlegen müssen, wen wir noch als Profiler in der Sache Scolo für uns arbeiten lassen wollen.” Er wandte sich nun abwechselnd zu beiden Seiten an seine Berater. „Seid ihr mit dieser – ich gebe zu, etwas merkwürdigen - Wahl zufrieden ?“ fragte er. Sämtliche wettergegerbten Gesichter nickten grinsend. Margrit war ganz überrascht, dass Günther sich plötzlich erhob und mit ihm gleich alle anderen.
”Wo ... wollen Sie etwa schon gehen ?“ stotterte sie verwirrt.
„Auf gute Zusammenarbeit, Margrit !“ Er drückte ihre Hand zum Abschied wieder ziemlich schmerzhaft, wie Margrit fand und alle folgten seinem Beispiel.
„Was hast du ihnen gegeben ?“ fragte Margrit.
George grinste geheimnisvoll. „Erinnerst du dich an ein kleines Fläschchen, das in verschiedenen Farben
schimmerte, sobald man es ins Licht hielt ? Sah ein bisschen aus wie Nagellack !“
„Oh Gott, mein Nagellackfläschchen ?“ Sie krauste empört die Stirn. “George, hast du etwa in meinem Zimmer gestöbert?“
„Erstens ist es gar kein Nagellack und zweitens nicht deiner“, fauchte er. „Es gehörte Robert und drittens habe ich nicht in deinem Zimmer gestöbert, sondern Gesine. Die hatte nämlich gerade dein Zimmer verlassen, als ich heute Morgen vorbei kam, und da sah ich das Fläschchen in ihrer Hand und erkannte es sofort wieder. Du glaubst ja gar nicht, wie es in meinem Herzen gejubelt hat.“
„Und da hat sie es dir gebeben ?“
„ Na ja, gegeben wäre vielleicht ein bisschen zuviel gesagt!“ Er zog feixend die Schultern hoch. “Ich habe ein bisschen nachgeholfen, damit sie es mir gab ! Jedenfalls war ich daraufhin wie erlöst, weil ich wusste, wie ich dir hier endlich deinen Platz erkaufen kann.“
„Aber George, wieso könnt ihr so etwas Komisches gebrauchen? Und das soll sogar besser als Danox sein ? Ich meine, es ist doch so ein seltsames Ding bei welchem man nicht einmal weiß, wo eigentlich oben und wo unten ist ?“
„In dieser Flasche befindet sich ein geheimnisvolles Serum, Margrit. Mein Cousin bekam dieses Mittel von den Jisken, den Erzfeinden der Hajeps. Alles, was Robert über die Hajeps erfährt, leitet er nicht nur an die Jisken weiter. Er hat auch schon Einiges für sie getan. Wenn du etwas von Attentaten auf die Hajeps gehört hast, Margrit, dann kannst du dir sicher sein, dass nicht nur die Jisken, sondern auch mein Cousin dabei die Hände im Spiel hatte.“
„Oh Gott ?“ ächzte sie betroffen.
„Dennoch ist er nicht deren Sympathisant. Er ist auch nicht sonderlich mit den Loteken verbandelt, für die er auch manchmal etwas tut. Robert arbeitet in Wahrheit für die Menschen, für unsere Organisation !”
„Er ist also ein Doppel - nein sogar ein dreifacher Spion ?“ keuchte Margrit entgeistert.
„Sehr richtig und ein Dieb !“
„Hatte etwa dein Bruder dieses Serum für die Menschen gestohlen ?“
„Nein, das haben die ihm freiwillig gegeben, für einige seiner Dienste – sozusagen als Lohn! Sie wollen den Hajeps noch nicht zu nahe kommen, weißt du, da wohl noch nicht genügend von ihnen auf dieser Erde sind.“
„Aber sie haben doch Zarakuma angegriffen? Das ist aber komisch !“
„Es war niemand von ihnen in diesen Flugzeugen, Margrit, nur Iskune ... also Roboter !“
„Sehr schlau ! Und was wollte nun Robert mit diesem äh ... Lohn machen ?“
„Nun, um dieses Serum in Umlauf zu bringen, hätten die Jisken direkten Kontakt mit den Hajeps aufnehmen müssen. Und das wollen sie nicht...“
„Verständlicherweise. Und die Loteken auch nicht, richtig ?“
„Sehr richtig, Margrit !“
„Und dafür sind ihnen die blöden Menschen gut genug ...?“
„Ebenfalls richtig. Sie denken, wir Menschen haben nichts mehr zu verlieren und damit haben sie Recht !“
„Oh Gott, und wer soll nun dieses Mittel nach Scolo – da wollt ihr es doch sicher einschmuggeln – bringen ?“
„Darüber zerbrechen wir uns im Augenblick noch nicht den Kopf, Margrit. Vorab müssen wir doch erst einmal wissen, wie man das Serum überhaupt einsetzen muss und was es überhaupt ist und vor allem ... wie bekommt man das Fläschchen überhaupt auf ?“
„Darum hast du also mit deinem Cousin schon seit heute Morgen Kontakt aufgenommen ?“
„Ich will nicht nur wegen dieses Serums Kontakt mit ihm. Wir sprechen uns täglich ! Doch schon seit einer Woche erreiche ich ihn nicht mehr. Das macht mir Sorgen.“ Er schwieg für einen Moment und seine Augen glänzten dabei feucht. „Na egal,“ er gab sich einen Ruck. „Wir sollten uns erst einmal darüber freuen, dass du es geschafft hast bei uns zu bleiben, Margrit!“ Er stand auf und gab ihr einen zarten Kuss auf die Wange.
„Das hast doch du geschafft, George !“ Sie erhob sich ebenfalls von ihrem Stuhl auf und gab ihm einfach einen kleinen Kuss zurück. Doch dann blieb auch sie nachdenklich stehen. „Oh Gott ! Und Roberts Onkel hatte auch diesen Trowes irgendein Versteck gegeben, richtig ?“
„Nein, das war Robert. Er hatte sie unter einem unserer Forellenteiche versteckt. So lange, bis die Hajeps und auch ihr fort ward.“
Sie schob ihren Stuhl zurück an den Tisch. „Oh Gott, ich schäme mich für meine Kinder, den armen Robert so zu bestehlen !“ Sie schüttelte traurig und verärgert den Kopf.
„Wer weiß“, er hielt beklommen den Atem an. “Vielleicht war das in diesem Falle sogar gut, Margrit !“
„Was meinst du damit, George ?“
„Ach, unwichtig !“ Und wieder riss er sich zusammen. „He, Margrit, willst du dir nicht von mir endlich unser ganzes unterirdisches Netz zeigen lassen ?”
„George, zögere keinen Augenblick, sonst sterbe ich noch vor Neugierde !“

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Natürlich legte sie erst einmal ihre Gürteltasche in ihrem Zimmer ab, denn sie traute dem merkwürdigen kleinen Stäbchen nicht. Falls das Ding etwas an die Hajeps verraten konnte, so sollte nicht noch mehr preisgegeben werden. Freilich hatte sie Sorge, dass sie schon wieder bestohlen werden konnte, denn es gab keinen Schlüssel zu ihrer Tür. Schlüssel waren nämlich Luxus und wurden nur bei Gefahr ausgeteilt. Doch letztendlich war sie zufrieden mit ihrer Entscheidung. Margrit war schließlich sehr überrascht, dass die Besichtigung der gesamte Organisation den ganzen Tag in Anspruch nehmen sollte. Auf diese Weise erfuhr sie, dass nicht nur die Maden, welche am allernächsten von Zarakuma ihre Geheimgänge hatten, sondern auch neun weitere Organisationen sich ringförmig um das riesige Wohngebiet verteilten. Es hatte eine Ausdehnung von 100 km in nordsüdlicher und 60 km in westöstlicher Richtung und beherbergte ca. fünfundzwanzig Millionen Einwohner. Diese kleineren Organisationen trugen alle die Namen von Insekten. Zum Beispiel gab es da die Asseln, die Ameisen, die Scha¬ben, die Mistkäfer, die Schnecken usw. Das hatte eine symbolische Bedeutung, denn man empfand die Hajeps zwar als Goliath, sich selbst hingegen nicht einmal als David. Insekten jedoch – so hoffte man – würden von Hajeps kaum beachtet, konnten aber auch sehr gefährlich werden. Die meisten dieser kleinen Organisationen – sie bestanden meist aus ungefähr siebzig Leuten - verstanden sich untereinander gut. Es gab aber auch bisweilen Streitereien, welche nicht einmal die „Headman“ – so wurden die Oberhäupter der verschiedenen Organisationen genannt - zu schlichten in der Lage waren, so dass Günther Arendt und seine Berater oft erst anreisen und als Richter über die verschiedenen Probleme entscheiden mussten. Überall in der Welt gab es solche unterirdischen Netze und sie drapierten sich besonders dicht um strategisch wichtige Gebiete des außerirdischen Feindes. Dieser schien bisher noch nichts von der anschleichenden Gefahr bemerkt zu haben. Zu sehr war er bereits in Schwierigkeiten mit seiner eigenen Spezies und seinem Erzfeind und daher meistenteils nur damit beschäftigt, die Menschheit oberhalb der Erde auszurotten, oft wohl nur aus dem Grunde, endlich mehr Ruhe zu haben. Jede kleine Untergrundorganisation war also Teil einer großen Gesamtheit, die sich für einen letzten gewaltigen Krieg gegen die Hajeps ausrüstete. Besonderen Kontakt hatten die Menschen Europas dabei mit den ehemaligen USA, England und Russland. So war es nicht verwunderlich, dass sogar Russen, Engländer und Amerikaner sich inmitten der Organisationen - besonders um Scolo herum - befanden. Leider war es den Menschen noch immer nicht geglückt, zumindest einige der Waffen des Feindes fehlerfrei nachzubauen, da diese meist aus Biomaterial bestanden und sich nach einiger Zeit in Humus auflösten.
Nachdem Margrit also während eines ganzen Tages die unterirdischen Behausungen kennen gelernt und Georges Erklärungen dazu gehört hatte, fühlte sie sich so beruhigt und beschützt, wie schon seit etlichen Jahren nicht mehr. Gern hätte sie der gesamten Menschheit eine solch sicher Unterkunft gewünscht, aber es war leider nicht genügend Platz vorhanden. In all diesen Tunneln und Gängen waren nur Auserwählte, die dort in Ruhe schlafen und Nahrung beschaffen konnten. Margrit gefielen manchmal die Praktiken nicht, die zum Beispiel die Maden anwandten, um für möglichst viele Kampfgenossen Nahrung zu holen. Sie tauschten zwar mit den Bauern, aber weit unter dem üblichen Handelspreis, denn sie schüchterten die Menschen oft durch protziges Gehabe mit ihren Waffen ein, und Margrit glaubte, wenn die Maden von ihren Beutezügen zurückkamen und stolz mit ihren auf geradezu märchenhafte Weise erhandelten Gütern prahlten, dass dies nicht mit rechten Dingen zugehen konnte.
Anfangs hatte sie sich deshalb geweigert, auch nur etwas von diesen Nahrungsmitteln anzunehmen, später jedoch war der Hunger zu groß gewesen und sie hatte nachgegeben. Waffen und Munition waren das Allerwich¬tigtste ! Dafür wurde gearbeitet, gehandelt, gestritten ! In einer Welt, in der es keine Polizei mehr gab, war jeder, der eine Waffe hatte, ein kleiner König. Waffen sicherten nicht nur die Position innerhalb der Rangordnung der Menschen, sondern auch die Nahrung, das kommende Dach über dem Kopf und noch weiteres mehr. Dass noch Menschen in den wenigen erhaltenen Häusern Eibelstadts lebten und manchmal jemand sie besuchte, schien die Hajeps, wenn sie zum Beispiel mit ihren Trestinen darüber flogen, nicht sonderlich zu stören. Sie hatten ihr Augenmerk vor allen Dingen in die Ferne gerichtet, die Nähe interessierte sie schon lange nicht mehr. Die paar Menschen welche, ihre altertümlichen Waffen trugen, forderten kaum ihren Unmut heraus, wurde wohl eher als verständlich angesehen.
Die Maden waren aber, weil ihre unterirdischen Gänge dicht an Zarakuma grenzten, mit den besten Hajep-Geräten, die sie sich stahlen, und besonderen Apparaten ausgerüstet. Es gab Räume mit stromerzeugenden Aggregaten, komplizierte Sendegeräte, manche von ihnen hajeptischer Herkunft, Computern und überall Sicht¬geräte, verbunden mit Periskopen, mit denen man, ähnlich wie bei U-Booten, sehen konnte, was oberhalb der Erde geschah. Richtige Zimmer gab es unterhalb Eibelstadts, mit Betten, Tischen Schreibtischen und Stühlen für die Mächtigen. Die unteren Mitglieder und neu Hinzugekommenen mussten sich leider nur mit Strohsäcken, Matten und Decken auf dem Boden begnügen. Meist hatten sich fünf bis sechs Leute einen Raum zu teilen. Die Arbeit war hart, jeder hatte seine Aufgabe innerhalb seiner Gruppe und die lief nach ganz bestimmten Richtli¬nien ab.
Margrit arbeitete wegen ihrer guten Deutschkenntnisse zum einen als Wladilaws Sekretärin, zum anderen, wegen ihrer guten Ohren, als Analysator von Geräuschen bei George mit, vor allen Dingen, um die Hajeps in Zarakuma zu belauschen.

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Die erste Woche bei den Maden verging sehr schnell und war sehr anstrengend, da Margrit sich außer mit den Arbeiten, die sie zu tun hatte, noch damit abmühte, möglichst schnell die hajeptische Sprache zu erlernen und zudem dabei immer wieder eine Stunde oder mehr für die Suche nach ihren Familienmitgliedern oberhalb der Erde und vor allem ganz in der Nähe der Stadt, verwendete. Besonders George sah das nicht gerne. Er fand Margrits Unternehmungen gefährlich, weil die Hajeps oft noch nach der Eroberung einer Stadt auf Beutezügen unterwegs waren und er folgte ihr deshalb nicht selten heimlich, was sie sehr ärgerte.
„Meinst du denn, ich bin ein Baby ?“ fauchte sie ihn eines Tages deswegen an. „Und könnte nicht auf mich selbst aufpassen ? Guck, hier ist der Patronengürtel, da die zwei Revolver. Ich habe sogar eine Handgranate und ein Messer dabei ! Bist du nun mit mir zufrieden ?“
Er lachte verlegen. „Immerhin bekommst du schnell heraus, wer dir folgt !“
„Tja- ha, und das trotz dieses schlechten Brillenglases, dass man mir so einfach verpasst hat, nur weil das alte diesen kleinen Sprung gehabt hatte ...“
„Ach, Margrit, der war gar nicht winzig klein und du sahst außerdem damit richtig bescheuert aus. Entschul¬dige!“
„Ist mir doch Wurst, wie ich ausschaue ! Hauptsache, ich kann gucken ! Das hier sind nicht die richtigen Diopt¬rien, die ich brauche !“
„Meckere nicht, ungefähr haut`s doch hin. Ich habe gestaunt, wie gut du trotzdem zielen und feuern kannst. Erstaunlich, mein kleiner Pazifist, du bist ein Talent !“
„Ha, erwischt ! Du hast mir also auch noch dabei zugeschaut, schöne Bescherung !“
„Warum nicht ? Ich freue mich, wie gut mein Schützling sich inzwischen gemausert hat ! Ist das ein Verbre¬chen? Und habe keine Lust, dich doch noch an die Hajeps zu verlieren.“
„Ach, muss ich doof sein !“ Sie klatschte sich verärgert gegen die Stirn.
„Nein, jedem von uns könnte das passieren. Ich will dir auch gar nicht mehr ausreden, nach deiner Familie zu suchen.“
„Na endlich, wenigstens das !“ seufzte sie erleichtert.
„Es geht dir dabei wohl so wie mir“, sagte er nachdenklich. „Ich kann und will mich nicht damit abfinden, dass mein Cousin, mein Onkel, meine Tante, meine beste Freundin, .... von den Hajeps ....“, er brach ab, senkte den Kopf, konnte plötzlich nicht mehr weiter, wischte sich mit dem Handrücken über die Nase.
„Oh George ?“ rief sie leise und erschrocken, dann nahm sie ihn in die Arme. „Meinst du wirklich, dass ....“
Er nickte und seine Augen wurden dabei trüb.
„Aber es muss doch nicht stimmen !“ Sie streichelte ihm die Schulter.
Sein Mund zuckte mehrmals unbeholfen, ehe er die Worte formen konnte. „Doch ! Alle sagen es!“ Und er legte den Kopf schwer, sehr schwer plötzlich auf ihre Schulter.
„Ja und ?“ knurrte sie kriegerisch. “Du musst das nicht glauben !“ Und sie drückte ihn fest an sich.
„Ach Margrit“, krächzte er heiser, „es soll doch Beweise geben, die ... und die vier waren meine Familie, weißt du ? Ich ... ich bin bei ihnen aufgewachsen ! Verdammt, ich hasse Nireneska !“ zischelte er zwischen den Zähnen hervor und plötzlich fing er hilflos an zu weinen. „Er hat mir alles genommen, was ich habe ! Und darum will ich dich nicht auch noch an Nireneska, diese Bestie verlieren, verstehst du ? “
Sie strich ihm tröstend über das dichte schwarze Haar und seine mächtigen Schultern zuckten und bebten, während laut und verzweifelt all seinen Schmerz aus sich hinaus schluchzte.
„Oh, Go–ott !“ keuchte er schließlich. „Ich bin vielleicht ein Guerilla ! Das ganze ist mir ja so peinlich !“
„Warum ?“ Sie sah ihm ebenso verweint ins Gesicht. „Auf diese Weise hast du doch endlich dafür gesorgt, dass ich nicht mehr so ein Kotzbrocken bin.“
„Ach, das bist du ja gar nicht !“
„Doch, doch, ich war ganz schlimm ! Ich weiß es !“ Sie wischte ihm die letzte Träne aus dem Augenwinkel.
„Weißt du, Margrit, was ich jetzt tun werde ?“
Sie schüttelte den Kopf und wischte dann auch an ihren Augen herum.
„Ich werde meinen Eid brechen !“
„Welchen ...was ? He, ich brauche dich George ! Du musst dir etwas einfallen lassen, damit mich der blöde Nireneska beim Suchen nicht stören kann !“
„Ja, ich werde meinen Eid brechen !“ keuchte er trotzdem weiter und seine Stimme klang sehr aufgeregt. „Nur dieses einzige Mal ! Denn ich sehe einfach nicht mehr ein, weitere Menschen, die mir wichtig sind, wegen dieser Organisation elendig sterben zu lassen.“ Er schnäuzte seine Nase jetzt recht energisch in einem seiner blüten¬weißen Taschentücher aus.
“Ich verstehe zwar immer noch nicht, was du meinst, George“, sagte sie ziemlich verwirrt, „aber du wirst schon Recht haben !“
„Habe ich auch ! Warum sollte es nur mir, bekannten Politikern und anderen wenigen Privilegierten gegeben sein, in der Nähe Zarakumas die letzten Versteckmöglichkeiten vor unserem Feind zu nutzen ? Ich werde dir heute sämtliche Möglichkeiten, die ich kenne, zeigen - leider sind es nicht viele - die du nur bei Gefahr nutzen solltest ! Du musst mir aber versprechen, selbst wenn es dir noch so schwer fallen sollte, diese an niemanden weiter zu verraten ! Wirst du darüber schweigen können, Margrit ? Sonst ....“, er schluckte, „... bin ich dran !“
Und wieder stellte sie sich auf die Zehenspitzen und schlang dabei ihre Arme ganz fest um ihn.
„Du bist ein wunderbarer Mensch, George. Aber, was denkst du von mir ?“ wisperte sie ihm ins Ohr. „Meinst du denn, ich werde dich in eine solche Gefahr bringen ? He, ich werde so geschwätzig sein wie ein Stein !“ Sie küsste ihn auf die Nasenspitze, wendete sich von ihm ab, lief einige Schritte von ihm fort, aber dann winkte sie ihm zu. „Na, los ! Worauf wartest du ? Fang` endlich damit an !“

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„Kor wan ango rina ?“ fragte George.
„Mo rina wan Margrit Schramm“, erwiderte sie. „Dandu kor wan ango rina ?“
„George de Mesá. Dandu nor kos to ?“
„Noi kal ae lumanti. Dandu nor kos to ?“
„Noi kal a hajep !“
Margrit prustete los. “Nein George, damit kannst du mich nun wirklich nicht mehr anschmieren. Aber was heißt eigentlich Lumanti ganz genau übersetzt ?“
„Was soll`s schon heißen ? Mensch natürlich oder Erdling oder weiß ich was ? Als solche werden wir jedenfalls immer bezeichnet, wenn die Hajeps über uns reden.“
„Aber guck mal, die größte Stadt in Zarakuma heißt zum Beispiel ´Jink ba rina´. Und das kann man sehr gut übersetzen mit jink gleich Stadt, ba gleich ohne und rina gleich Name. Also: Stadt ohne Namen !“
„Ja und ?“ Er zuckte mit den Schultern. „Es muss doch nicht immer alles irgendeine besondere Bedeutung haben. Bei uns heißen die Leute doch auch bloß Fritz oder Susanne und so weiter. Ganz ohne einen besonderen
Grund.“
„Aber lumant heißt auch Licht George ?“
„Licht ?“ Er schaute ziemlich verdutzt drein.
„Suki wona lumant ! Mmachen wir Licht ! Und Tes Lumanti tai Hajeps ! » sagte sie stolz.
„Das Licht der Hajeps !“ krächzte er amüsiert. “So ein Quatsch !“ Er wollte sich ausschütten vor Lachen. „Woher hast du denn das ?“
„Aus unserem neuestem geklauten hajeptischen Chasbulak !“
„Du musst dich verhört haben, Margrit, denn die Sprache ist nicht so einfach, da wir nichts Schriftliches haben und viele Worte einfach zusammengezogen werden.“ Er machte eine kleine Pause und sagte dann: „Da wir schon mal dabei sind. Du musst genau genommen eigentlich alles so aussprechen: Kor wanangorina ? Und Morinawan George dandunor kosto ? Noikala Lumanti ! Außerdem ist es vielleicht nicht ganz unwichtig, dass die Hajeps weder ein „ü“ noch ein „ ä“ noch „ ö “ aussprechen können. Woran das liegt, wissen wir nicht. Und du musst immer daran denken, stets die Umlaute, wenn sie am Ende stehen und mit keinem weiterem Wort zusammengezogen werden können, schärfer zu betonen. Das klingt dann etwa so: “Kor wanangoriná ? Noikalá Lumantí. Dandunor kostó ?“
„Noikalaé Lumantí !“ sagte Margrit und tippte sich dabei an die magere Brust.
„Sehr gut, Margrit !“ Georges Funktelefon klingelte und so wurde die kleine Nachhilfestunde unterbrochen. „Aber Renate, was hast du denn erwartet!“ schimpfte er, nachdem er für ein Weilchen zugehört hatte. „Das habe ich dir doch gleich gesagt. Du kannst mit denen doch nicht verhandeln. Die wollen immer alles vom Lebendigen. Verdammt, die Fahrt bis dort hin hättest du dir wirklich sparen können. Nimm den ganzen Kram wieder mit und versuche ihn woanders einzutauschen. He, selbst der Pomadenmaxe ist nicht so. Mutiger Kerl übrigens, denn der hält es noch immer in der Stadt aus. Wie ? Ja, hast Recht ! He, ich schäme mich manchmal wirklich, dass ausge¬rechnet diese Leute zu unserer Organisation gehör....“ George machte nun ein missmutiges Gesicht, weil Margrit ihn am Ärmel zupfte. Sie war sehr aufgeregt. „He, George“, plapperte sie einfach dazwischen, „ich habe eben die neuesten Nachrichten der Hajeps abgehört und ....“, sie nahm die Kopfhörer von den Ohren, “... das musst du dir unbedingt anhören...“
„Warte mal einen Moment, Renate“, knurrte George immer noch verdrießlich übers Funktelefon. “Margrit, ich glaube nicht, dass gerade du mit deinen geringen Kenntnissen ...“
„Darum sollst du es dir ja gerade anhören, George ... es ist immer wieder das selbe Wort, was die Hajeps gebrau¬chen und sie sind dabei sehr aufgeregt. Eben sagte einer zum Beispiel: ´Cronn minko ta Agol !´ Oder heißt das eher ´Cronn minkotagol´ ?“
Sie schloss nachdenklich die Augen und warf den Kopf zurück in den Nacken, während sich George die Kopfhö¬rer umlegte und lauschte. “Bei den zwei ersten Worten bin ich mir nicht sicher, aber ich meine, das Letzte ganz deutlich als ´Agol´ verstanden zu haben?“ sagte sie. „Was könnte dieses ´Agol´ nur bedeuten, George ?“
„Schscht !“ machte er. „Sei ruhig, sonst kann ich gar nichts verstehen. Ja, Renate, so warte doch noch einen Augenblick !“ schimpfte er auch Richtung Funktelefon. Schließlich zuckte George die Schultern. “Keine Ahnung, was die Hajeps plötzlich haben. Vielleicht ist das ein riesiger Computer, ein zentrales, technisches Supergehirn sozusagen, oder ein wichtiger Stoff, den sie brauchen.“ Er gab Margrit die Kopfhörer zurück. „Ein Nahrungsmittel vielleicht oder...”
Er kam mit seiner Aufzählung nicht zu Ende, da plötzlich hinter ihm die angelehnte Tür aufgerissen wurde. Das Stoppelgesicht dahinter wirkte völlig aufgelöst. „He, ihr beiden, ich hab` jetzt was für euch, was euch völlig vom Hocker hauen wird !“
„Ja, Karlchen, ich weiß, es ist Mittagszeit und wir können endlich Schluss machen !“ murrte George, während er sich wieder seinem Funktelefon zuwendete. “Renate, weißt du was, ich glaube, du kannst das Zeug vielleicht recht gut an die Motten verhökern. Die haben womöglich solche Sachen noch nicht. Du fährst nur eine viertel Stunde und ... was ? Wen haben Erkan und Wladislaw gerade gefunden ? “
„Der ... der ignoriert mich einfach !“ empörte sich Karl.
„Hat ein wichtiges Gespräch, Karlchen. Kannst mir ja mitteilen, was du zu sagen hast. He, lass mich raten ! Du hast erfahren, dass die Hajeps in Wahrheit Echsen sind und zwar feuerspeiende, richtig ?“
Karlchen grinste und schüttelte den Kopf.
„Na dann sind`s eben Insekten !“
Wieder ein Kopfschütteln.
„Oder anderes blutsaugendes Getier ! Endlich wissen wir`s !”
„Ja und ?“ empörte sich George indessen. „Aber Renate, selbst wenn dieser Kerl einer der letzten Überlebenden ist ... schleppt den mir hier nicht an ! Fieber hin, Fieber her ....“, George wurde immer ärgerlicher, während er Renates Wortschwall lauschte. „Du brauchst ihn mir nicht zu beschreiben, Renate“, fauchte er, dabei bemerkte Margrit, dass er nicht nur blass im Gesicht geworden war, sondern dass er auch einen ziemlich schuldbewussten Ausdruck angenommen hatte. „Mich interessiert der Kerl nicht !“ schimpfte er verzweifelt, trotzdem hörte er merkwürdigerweise weiter zu. „Ganz erhebliche Verletzungen? Was heißt hier, er tut euch Leid?“ keuchte er und wich dabei Margrits Blicken aus. „Ja und ? Warum helfen? Lasst den Kerl liegen wo er ist. Sind wir denn Sama¬riter ?“
„He, Geo–orge ?“ Margrit zupfte ihn abermals am Ärmel, doch er versuchte sie abzuschütteln. „Wen haben Renate, Erkan und Wladimir doch gleich gefunden ? Wie heißt er ?“ Margrit wurde ganz aufgeregt. „Ich meine, wie sieht er aus ? Hat er ihnen noch seinen Namen nennen können ?“ Sie schluckte und Tränen traten in ihre Augen. „ Ka. ..... kann er sprechen?“
„Also, jetzt wird aber der Hund in der Pfanne verrückt !“ knurrte Karl entrüstet und stemmte vor lauter Empö¬rung die Fäuste in die Hüften. „Ihr seid Profiler und habt die Pflicht, wichtige Neuigkeiten entgegen zu nehmen. Was ist mit euch los, he ?“
„Oh George, wie ... wie heißt dieser Kerl ?“ krächzte sie, sie hatte vor lauter Aufregung keine Spucke mehr im Mund. „Bitte, bitte, unterbrich dieses Gespräch nicht. Sag` es mir ja –ah ?“
„Nein !“ fauchte George und Schweißperlen standen dabei auf seiner Stirn.
„Gut, auch wenn ihr`s nicht hören wollt, so werde ich doch meine Pflicht und Schuldigkeit tun und es euch einfach mitteilen !“ schimpfte indes Karlchen. „Er ist gelandet ! Fertig !“
”Wer ?“ riefen George und Margrit völlig fassungslos und ein bisschen verärgert. „Mach doch nicht immer gleich ein derartiges ´Tam Tam´ aus jeder Sache !“

„Tam Tam ?“ knurrte Karl. „Ich sehe schon, die tollen, großartigen Profiler wissen diesmal wirklich nichts ! Wirklich nicht zu fassen !“ knurrte er „Na ja, wenigstens bin ich euch dadurch endlich mal über. Also gut, ich sage nur noch einmal laut und deutlich Agol ist auf unserer Erde gelandet !“ Er grinste. „Na–ah ?“
Die beiden schauten trotzdem nicht schlauer drein.
„He, Agol, ähnelt doch wohl etwas Agoul Moices oder ? Aber ich bitte dich, George, gerade du dürftest doch jetzt nicht mehr so begriffsstutzig sein ! Macht`s jetzt endlich ´Klick´ ?“
„Nein, du Spinner, vielleicht wirst du mal deutlicher ? Warte mal einen Moment, Renate ... Karlchen hat uns anscheinend etwas Brandneues mitzuteilen ! “
„He, wer ist denn hier als Spinner bekannt ? Doch wohl eher du als ich !“ fauchte Karl verdrießlich. „Du mit deinen ewigen himmlischen Heerscharen und so weiter! Alle haben dich deshalb ausgelacht. Jetzt sind sie natür¬lich still.“ Er machte eine kleine feierliche Pause und sagte dann sehr langsam und so, als ob er jedes Wort dabei auskosten würde: „Denn es hat sich bewahrheitet ! Pasua, die Macht - George, es ist die Intelligenz, auf welche auch wir Menschen gewartet haben ! - ist endlich gemeinsam mit ihrem Gottkönig oder was es auch immer ist, überraschend in Cidudat, dem früheren New York, gelandet, und zwar in dem Park vor Ganganar, dem Palast, den sich die Hajeps dort gebaut haben. Dazu einige prächtige Schiffe aus seiner gewaltigen Flotte, die ihn begleitet hatte.“
Karl lachte schon wieder, als er ihre verdutzten Gesichter sah.
„Staunt nicht so dämlich ... es ist tatsächlich wahr !“
„George, gibst du mir das Funktelefon ?“ piepste Margrit völlig abgelenkt.
„Nein !“ fauchte der und entriss es ihr noch im letzten Moment.
„Wie geht Renates Nummer ?“
„Fein, wie ihr mir zuhört !“ Karlchen knallte wütend seine Türe zu. “Aber vielleicht könnte das ein kleines biss¬chen wichtig für die Menschheit werden ?“ hörte man dahinter.
„Pah, was soll sich dadurch schon großartig verändern !“ fauchte George.
„Das musst gerade du sagen, was ?“ hörte man wieder hinter der Tür und dann war Karlchen schon wieder mit seinen Kollegen über die Sender im Gespräch.
„Du ... du hast es einfach ausgemacht ?“ stotterte Margrit völlig fassungslos.
„Das ist mein Funktelefon, Margrit !“
Wieder sprang die Tür hinter ihnen auf und die beiden fuhren deshalb zusammen. „Er ... er lebt nicht mehr!” stammelte Karlchen völlig fassungslos und wischte sich den Schweiß. Er hatte den Hörer in der Hand und auf laut gestellt, so dass man die aufgeregten Stimmen hajeptischer Nachrichtensprecher daraus hören konnte.
„W...wer ?“ krächzten George und Margrit entgeistert.
„Na, wer wohl, ihr Idioten ! Hört zu, ich übersetze, natürlich nur so ungefähr ...“, räumte er ein. „Kaum war die Rampe seines Luxusschiffes, einer gewaltigen, wunderbaren Jacht, ausgefahren worden, da zerfetzte eine Explo¬sion es völlig ... PENG ! Weg war alles ! Auch die ebenfalls gelandeten fünf Jachten und die sechs Kriegs¬schiffe!“ Karl machte eine heftige Handbewegung in der Luft. „Und zwar, noch ehe die Begrüßungsrede gehal¬ten worden war.“ Er horchte angespannt weiter.
„Oh Gott !“entfuhr es dabei Margrit.
„Vielleicht im wahren Sinne des Wortes !“ Karl kicherte, während er weiter zuhörte. „Doch sollte Agol tatsäch¬lich etwas Göttliches an sich haben, hat er dieses Attentat überlebt, denn Götter sind ja bekanntlich unsterblich. Ich glaube eher, dass er Hajep ist, wie jeder andere seines Volkes und dass sie sterben können, wissen wir schon !“ Er hörte angespannt weiter zu und so fragte George: „Du ... du glaubst, dass ...hm... er ... also dieses Wesen ... tot ist ?“
„He, wie will jemand eine solche Explosion überleben ? Das alles soll außerordentlich gewaltig gewesen sein. Erst diese übergroße Festlichkeit. Man muss sich sehr beeilt haben, das müsst ihr euch mal vorstellen. Die vielen, vielen Leute die da zusammengekommen waren, darunter sehr wichtige, ranghohe Persönlichkeiten unse¬res feindlichen Systems, und dann ...WUMM... und weg ist er ! Ein gigantischer Trümmerhaufen wirbelt, nein, tobt stattdessen umher, verletzt viele Zuschauer, die meisten tödlich. Es soll die reinste Katastrophe gewesen sein, glaubt`s mir ... für die Hajeps, diesmal nicht für uns Menschen !“ Er kicherte schadenfroh. „Gott sei Dank ! Im wahren Sinne des Wortes !“
„Und die anderen Schiffe ... ich meine die Flotte, die ihn begeleitet hatte. Was war nun mit der passiert ?“ fragte Margrit. „Etwa auch alle zerstört ?”
„Zum Teil schon. Es gab ein furchtbares Durcheinander. Halb verkohlte Körper oder auch nur Körperteile wurden später überall von Robotern oder Lanusken, das sind ihre Krankenpfleger, eingesammelt, aber auch Verletzte mit schweren Verbrennungen. Viele Hajeps waren apathisch, wurden, wie Puppen einfach in die Kran¬kenwagen gehoben. Manche schrieen auch in einem fort hysterisch herum, hielten sich die Hände über die Gesichter und rannten wild umher ! Wirklich, die gebärden sich wie wir ! Wie Menschen!”
„Aber...“, George schluckte. „Menschen tragen wohl keine Schuld an diesem Attentat ?“
„Wohl nicht ! He, George, da müssen wir wirklich auf dem Laufenden bleiben. Es wird immer schlimmer mit den Kämpfen der Hajeps untereinander. Wirklich, unser Günther hat darin völlig Recht. Der schlimmste Feind der Hajeps sind inzwischen Hajeps !“
Nun mussten alle drei doch schallend lachend.
„Und wie steht es nun mit Paul ?“ fragte Margrit, kaum dass Karlchen wieder in seinem Zimmer verschwunden war.
„P...Paul ?“ George wurde käseweiß im Gesicht. „Es ist nicht ...“
„Lüge nicht, ich weiß, dass er der Verletzte ist, den Renate gefunden hat, George. Ich habe sehr gute Ohren und...“
„Ich habe nie versprochen, dass wir uns auch noch um Paul bemühen werden!“ zischelte er aufgebracht. „Und das habe ich dir schon ein paar MAL gesagt. Wir können nach deiner Familie suchen, aber versorgen werden wir sie nicht “
„Warum denn nicht ? Er ist doch auch nur Mensch.“
„Deer und Mensch ?“ Georges Stimme wurde unangemessen laut und klang so unbeherrscht wie Margrit es eigentlich noch nie bei diesem an sich ruhigen Kerl erlebt hatte. “Der ist doch kein richtiger Mensch“, schnaufte er, „nur ein maßloser Egoist ist der, wie er im Buche steht, weiter nichts. Überheblich und rücksichtslos und nur dann zart besaitet, wenn es um seine eigene Person geht. Hast du mir nicht erst kürzlich erzählt, dass er dich wegen eines jungen Mädchens verlassen hat und wie furchtbar du darüber geweint hast ? “
„Ich bin eben ein Weichei!“ kicherte sie. „Günther hat darin ganz Recht !“
„Aber, wie ist es dir nur möglich, an einem solchen Kerl wie Paul zu hängen, der deine inneren Werte so wenig schätzt, dass er dich wegen einer kurzen und oberflächlichen Bekanntschaft verlassen kann ? Wirklich Margrit, dieser Mann hat keinen Wert für uns. Er ist labil und so etwas können wir hier nicht gebrauchen !“
„George?“ Margrit packte ihn beim Kinn und drehte sein von ihr fortgewandtes Gesicht langsam zu sich. „So wie heute hast du dich noch nie über ihn aufgeregt. Schau mir endlich in die Augen George“, keuchte sie atem¬los. ”Du willst ihm nur deshalb nicht helfen, weil du Angst hast, ich könnte mich auf`s neue an ihn hängen, wie eine Klette !“
George öffnete erstaunt seine Augen und ein dunkles Rot überzog langsam sein Gesicht. Verärgert riss er schließlich sein Kinn aus ihren schmalen Fingern und sah mit zusammen gepressten Lippen zu Boden.
„Bitte, George !“ Margrit legte sacht die Hand auf sein Knie.
„Sage mir ... wo ist er ?“ Tränen traten wieder in ihre Augen. „Versteh doch, ich muss sofort zu ihm hin, wenn er Fieber hat ! He, wir waren so viele Jahre zusammen, so etwas verbindet, so etwas kann nicht von heute auf Morgen vergessen sein. Außerdem glaube ich, dass man sich ändern kann, wenn man nur wirklich will. Paul ist in Wahrheit ein guter Mensch. Er weiß es nur selber nicht !“
Er schob unwirsch ihre Hand von seinem Knie. “Das würde ich dir gerne glauben Margrit, nur ist leider jeder in deinen Augen in Wahrheit gut.“
„Das ist er auch!“ erklärte sie aufgebracht und mit funkelndem Blick. “Jeder ist wertvoll und wichtig für dieses Leben, nur leider sind sich nur wenige dessen bewusst und darum handelt kaum einer danach!“ Sie legte wieder ihre Hand auf sein Knie.
Diesmal lachte er leise in sich hinein, zumal er ihre Finger jetzt nicht mehr so einfach von seinem Knie hinunter bekam. “Du hättest irgendetwas anderes Verrücktes werden sollen, aber nicht Guerilla, Margrit. Vielleicht hohe Priesterin, weise Frau oder ...“
„Tobias will schon weiser Mann werden, also kommt das für mich nicht mehr in Frage ...“
„Na, dann so etwas Ähnliches, Margrit, das wäre besser für dich gewesen“, stichelte er dennoch.
„Lach nicht ! Los, los, heraus mit der Sprache, wo ist Paul, sonst werde ich vielleicht Hexe und wünsche dir noch Rheuma in dein Knie ?“ krächzte sie, während sie sein Knie massierte.
„Aha“, stöhnte er, “jetzt kommt die zweite Taktik. Nach wüsten Drohungen will mich jetzt wohl die Hexe umgarnen, was ?“ Er stand einfach auf und wendete ihr den Rücken zu.
Sie kam ihm hinterher. „George“, sagte sie jetzt sehr ernst, „selbst wenn du ihn hasst, so musst du doch über deinen Schatten springen ... du kannst das. Ich weiß es ! Du bist mir ein wirklich guter, ein treuer Freund, nicht wahr ? Du willst doch nicht haben, dass ich unglücklich werde, oder ? George, bitte, drehe dich wieder zu mir um, damit ich in deine herrlichen grünen Raubtieraugen sehen kann und helfe mir!“
Langsam, ganz langsam wandte er sich zu ihr um. Er sah gesenkten Hauptes auf sie hinab, nahm sie dann sanft bei den Schultern und drückte sie mit einem traurigen Seufzer an sich.
"Gut, wir werden zu ihm fahren !“ kam es fast tonlos über seine trockenen Lippen. “Ich kann dich verstehen, weil auch ich meine Familie verloren habe und darum werde dir zur Seite stehen und ....“, er schluckte, „... wir werden versuchen ihn retten, aber ...“, er sah ihr nun finster in die Augen, „...ein Guerilla wird der mir nicht ! Wirst du ihm auch verschweigen können, wer du inzwischen geworden bist ?“
„Aber George, du weißt doch, ich bin so geschwätzig wie ein Stein !“
„Wir wollen es hoffen !“

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