Das Licht der Hajeps
von doska

 

Kapitel 11

Kapitel 11

Bereits während der Fahrt, sie benutzten hierfür wieder einen kleinen, jeepähnlichen Jambo, hatte Margrit sich bei George Erkundigungen über Pauls Gesundheitszustand eingeholt. Diese waren nicht besonders gut ausgefal¬len. Zwar hatte George versucht, Margrit zu beruhigen, indem er ihr erklärt hatte, dass Pauls Verletzungen nicht so lebensgefährlich seien, wie es rein äußerlich den Anschein hätte, dennoch bestätigte wenig später Pauls Anblick Margrits schlimmsten Befürchtungen !
Paul lag zwar in einem aus Brettern provisorisch herstellten Bett unter sauberen Decken, aber er war völlig erschöpft. Er hatte die erste Zeit nur geschlafen. Fast sein ganzer Körper schien mit Verbänden umwickelt zu sein. Wundsekrete schimmerten daraus hervor. Sein Gesicht war aschgrau, blutverkrustet und verschmutzt, denn man hatte ihn nur notdürftig waschen können. Die Haare standen ihm fettig und staubig vom Kopf ab. Seine schönen braunen Augen lagen in tiefen Höhlen und waren ohne jeden Glanz, aber er erkannte Margrit sofort, kaum, dass sie die Tür der kleinen Kammer im Dachboden der Kneipe, in welche man ihn gebettet hatte, geöff¬net hatte. Er war sehr überrascht, Margrit wiederzusehen. Immer wieder musste er ihre Hände ergreifen und sie betasten, um zu erfassen, dass Margrit auch Wirklichkeit war, dann schlief er sofort wieder ein.
Obwohl Paul eine robuste Natur zu haben schien, wollte er nicht so recht gesunden. Selbst nach drei Tagen senkte sich das lebensgefährliche Fieber kaum und er konnte nur wenig Nahrung zu sich nehmen. Margrit kam jeden Tag, nicht nur, um nach ihm zu schauen. Wenngleich Paul inzwischen völlig ausgemergelt war, da er die vielen Tage der Flucht nicht so gut überstanden hatte wie Margrit, war er Margrit trotzdem zu schwer, um ihn hoch zu heben, zu wenden, und ihm frische Verbände anzulegen. Darum kam immer jemand mit. Mal war es Renate, Rita oder Erkan und manchmal auch Wladislaw. Dem Wirt der kleinen Kneipe wollten sie keine Arbeit machen. Es genügte, wenn er Paul das Essen brachte und nach ihm schaute. Margrit war ganz gerührt über diese Hilfsbereitschaft, bekam sie doch auf diesem Wege ein ganz anderes Bild über die Untergrundkämpfer. Die kleine Kammer, in der Paul seine Unterkunft hatte, war nicht ungemütlich. Ein Ofen in der Ecke unter dem Fenster böllerte friedlich vor sich hin und gab Wärme ab. Hier stand sogar ein Stuhl. Gott sei Dank konnte Paul endlich etwas reden, nachdem Margrit ihm die Lippen mit Wasser benetzt hatte. Obwohl er sich schonen sollte, hatte er inzwischen, nach fünf Tagen der Ruhe, das Bedürfnis, restlos alles los zuwerden, was ihm damals passiert war.
Ilona hatte mit einem Male Sehnsucht nach Herbert, Annegret und Dieterchen gehabt, gewusst, dass diese in Würzburg eine neue Bleibe bekommen hatten und gehofft, sie dort anzutreffen. Es hatte nichts geholfen, dass Paul immer wieder versuchte, ihr diese verrückte Idee auszureden. Schließlich waren sie den langen Weg bis nach Würzburg gewandert und hatten schneller als damals Margrit über die Megaphone, die überall an den wichtigsten Straßenecken von den Menschen montiert worden waren, erfahren, dass Hajeps die Stadt überfallen würden und sich daher einer Menschengruppe angeschlossen, der die Flucht aus Würzburg noch rechtzeitig gelang. Sie waren gemeinschaftlich mit dieser Gruppe etwa eine Woche gewandert, um zur nächsten Stadt zu kommen. Doch gerade als Ilona sich für einen kurzen Augenblick von Paul löste, um im anliegenden Wäldchen ihre Notdurft zu verrichten, waren plötzlich Soldaten in Paul völlig unbekannten Uniformen über sie hergefallen, die nun mit Ilona ein mörderisches Spielchen begannen.
An dieser Stelle hatte Paul inne halten. „Verzeih mir Margrit, bitte verzeih...“, stammelte er wie ein Kind. „Aber ich liebe meine Ilona noch immer, kann sie nicht vergessen, denn sie war so unvorstellbar schön, weißt du ? Wie eine Fee aus dem Märchenbuch. Ich... ich habe sie geliebt wie noch keinen Menschen zuvor. Verstehst du ?“ Margrit hatte genickt und ihm so lange tröstend über das Haar gestreichelt, bis er zum Weitererzählen in der Lage war.
Paul und einige Männer und Frauen aus der sie begleitenden Gruppe hatten schließlich versucht Ilona zu helfen und mutig den Kampf mit den Fremden aufgenommen, da es nur zwei Außerirdische gewesen waren und sie selbst elf Menschen. Dennoch hatte es ein fürchterliches Blutbad gegeben, bei dem ausschließlich Menschenblut geflossen war. Selbst die, welche nicht mitgekämpft hatten, verloren später ihr Leben. Auch an dieser Stelle musste Paul wieder inne halten und nach Atem ringen. Er stand noch sehr unter Schock.
„Sie... sie war ein Traum, meine kleine Ilona, verstehst du!“ krächzte er schon wieder. „Aber ich habe sie nicht beschützt, habe mich tot gestellt, weil es so schrecklich war, statt mit ihr zu sterben. Ich habe versagt, ja ! Das... das verzeihe ich mir nie!“
„Aber Paul“, Margrit nahm ihn tröstend in ihre Arme. „Du konntest deine Ilona doch gar nicht verteidigen. Dir waren buchstäblich die Hände gebunden, hörst du ?“ Sie wiegte ihn vorsichtig in ihren Armen wie eine Mutter ihr verletztes Kind. „Verkrampfe dich doch nicht so. Du bist nicht feige gewesen. Du hast doch versucht sie zu retten und um sie gekämpft. Du warst später nur gelähmt vor Angst. Das kann vorkommen und ist durchaus verständlich. Vergib dir endlich und werde wieder gesund, denn das ist wichtig ! Wir ... wir brauchen dich nämlich alle und ... neue Menschen warten auf dich !“
Da warf Paul plötzlich seinen schmerzenden Körper zu Margrit herum, barg sein Gesicht in deren Schoß und weinte laut und hemmungslos all sein Elend hinaus. Dann dämmerte er ein und fiel in einen tiefen festen Schlaf.

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Zwei Tage später war er völlig fieberfrei und entwickelte einen gesunden Appetit. Es war gut, dass man ihn in einem der wenigen noch intakten Dörfer in der Nähe Zarakumas untergebracht hatte. So konnte sich immer jemand aus der Dorfgemeinschaft um ihn kümmern und ein Arzt, der dort ansässig war, nach ihm schauen. Dennoch erschien Margrit jeden Tag, sehr zum Verdruss von George.
„Musst du denn andauernd dort hin ? Paul liegt nicht mehr im Sterben und du hast hier Aufgaben, Margrit !“ schimpfte er. „Es wird Zeit, dass er sich von dir entwöhnt, denn du gehörst nun zu uns und kannst später nicht mit ihm weiterziehen. Es sollte von nun an nur Rita oder mal Renate bei ihm erscheinen. Das muss ihm genü¬gen.“
Aber Margrit gehorchte ihm nicht. Immer wieder schaffte sie es, jemanden aus der Reihe der Untergrundkämpfer zu überreden, wenn die gerade in der Nähe des kleinen Dörfchens zu tun hatten, sie mitzunehmen. So hatte Paul ihr dann eines Tages sein ganzes schreckliches Erlebnis bis zu Ende erzählt.
Ein alter Mann, der sich hinter einem der Hügel versteckt gehalten hatte, war Augenzeuge dieses Massakers gewesen und hatte entdeckt, dass Paul sich nur tot gestellt hatte um zu überleben. Gott sei Dank hatten die Jisken – den Namen dieses Volkes erfuhr Paul durch den alten Mann - die Leichen nicht in Humus verwandelt. Viel¬leicht, weil sie sich durch die hajeptischen Flieger gestört gefühlt hatten, die immer wieder über sie hinweg geflogen waren ? Vielleicht aber auch, weil Jisken dieses Verfahren noch gar nicht kennen oder gar keinen Wert darauf legen? Jedenfalls waren sie ziemlich schnell wieder weg und so schleppte der alte Mann den schweren Paul mit geradezu übermenschlicher Kraft Richtung Straße, da Paul ohnmächtig geworden war. Er konnte ihm zwar nicht helfen, aber wenig später begegnete er Erkan und Wladislaw, die gerade unterwegs gewesen waren um Renate abzuholen. Der Alte hatte den Jambo angehalten und die beiden um Hilfe gebeten. Renate, Erkan und Wladislaw brachten Paul dann nach Randersacker, wo auch jener Arzt lebte, er ihn versorgte. Margrit kannte ihn, da er in Wahrheit, wie so einige aus dem Dorf, schon lange zu den Untergrundkämpfern gehörte.
„Weißt du, ich verstehe das noch immer nicht, wie plötzlich aus dem nichts zwei Soldaten eines weiteren außer¬irdischen Volkes auftauchen konnten !“ stammelte Paul schließlich. „Ich denke, hier ist hajeptisches Gebiet! Wieso lässt sich das unser ....äh....“
„Undasubo Sotam-Sogi ?“ half sie ihm.
„Richtig! Also dieser Sotam-Sogi das so einfach gefallen ?“
„Es sind nicht die paar Jisken, Paul, sondern wohl inzwischen recht viele, die sich auf unserer Erde angesiedelt haben !“
„Und...?“ Paul schluckte. „Worum geht es hier eigentlich ? Ich denke die Loteken sind die Feinde der Hajeps! Man blickt da nie richtig durch, findest du nicht ? Oh, ich glaube, kaum jemand von uns Menschen wird das wohl je richtig begreifen...”
„Ach, das ist alles gar nicht mal so kompliziert“, beruhigte Margrit Paul. „Wir Menschen sind nur von den Hajeps inzwischen dermaßen eingeschüchtert worden, dass wir glauben, selbst das Verhalten unserer Feinde mit unseren anscheinend wenigen geistigen Gaben nicht mehr erfassen zu können.“
Paul schluckte abermals. „Du ... du ... redest schon fast den gleichen Brei daher wie dieser George, weißt du das?“ Margrit musste sich Mühe geben, nicht zu grinsen, denn er hatte ja so recht.
„He, da fällt mir ein, habe ich mich eigentlich schon genügend bei George entschuldigt ?“
„Ja, das hast du und zwar immer wieder, wenn er nur hier war“, bestätigte sie.
Paul seufzte erleichtert.
Margrit konnte Paul ja nicht sagen, dass George gerade wegen Pauls stets langem und tränenreichen Entschuldi¬gungsgefasel so genervt war, dass er schon gar nicht mehr ins Haus kam, wenn er Margrit abholte.
”Paul“, sagte Margrit leise und strich ihm dabei das verschwitzte Haar aus der Stirn. ”Ich habe eben inzwischen mehr Einblicke in viele Dinge gekriegt! Das ist alles ! Aber ich muss George Recht geben. Wir Menschen sind etwas zu ängstlich geworden.!”
„Na, dann erkläre mir doch endlich, was hier los ist ? Warum zum Beispiel haben die Hajeps erst die anderen kleinen Städte und dann Würzburg auf so umständliche Weise überfallen ... hm ? “
„Also...“, begann Margrit und machte ein angespanntes Gesicht. „Die Sache sieht folgenderweise aus : Sklaven haben den Hajeps eine Art Wunderwaffe geklaut. Die hat sogar einen Namen. Nämlich Danox !“
„He, wenn es solch eine großartige Waffe ist, weshalb lassen sich die Hajeps so etwas überhaupt klauen ?“
„Sie müssen sich wohl erst jetzt bewusst geworden sein, was es überhaupt ist und wollen also diese Waffe unbe¬dingt zurück.“
„Wieso kannten die Hajeps die Funktionen ihrer eigenen Waffe nicht ? Haben sie die denn nicht selber erfun¬den?“
„Es ist eine ihrer vielen Kriegsbeuten, Paul !“
„Aha-ah ! Nun wird mir alles schon etwas klarer. Sie selbst haben also irgendjemandem das Ding geklaut ?“
„Hajeps brüsten sich damit, die größten Räuber des Weltraums zu sein !“
„Diese Beute stammt aber nicht von uns ?“
„Jedoch aus unserer Galaxie, Paul...“
„Und darum nahmen sie das Ding auf ihrer Reise bis zu unserer Erde einfach mit, richtig ?“
„Richtig, und natürlich auch noch manches andere, was sie sonst noch unterwegs erbeutet hatten.“
„Und nun sind diese Weltraumräuber empört, dass sie selbst beraubt wurden ?“
„Genau !“
„Und diese Sklaven rücken die Beute wohl nicht mehr heraus ?“
„Äh, ...tja....hm.... ja !“ Konnte sie Paul sagen, dass sie selbst für einige Zeit Besitzer dieses geheimnisvollen Dinges gewesen waren ? Wohl nicht ! Sein Gesundheitszustand ließ das wohl kaum zu. „Die Trowes, so heißen diese Sklaven, wurden deshalb die ganze Zeit gejagt, wollten sich in Würzburg verstecken und da....“
„Da haben sich die Hajeps gleich alle Menschen vorgeknöpft, weil sie sowieso die Menschheit reduzieren woll¬ten, wieder richtig ?“
„Wieder richtig. Es waren ihnen einfach zu viele, die in ihr Gebiet geströmt sind, vertrieben von den Loteken, die ihre Gebiete von Menschen säubern wollten.“
„Fein !“ sagte Paul sarkastisch. „Und wer sind nun die Loteken ? „
Margrit erzählte ihm alles was sie damals durch Robert und auch was sie neues durch die Maden erfahren hatte.
„Lotek heißt übersetzt frei, weißt du ?“ erklärte sie und gab ihm dabei etwas zu trinken. “Die Loteken wollen irgendwann einmal frei von technischen Dingen sein und zurück zur Natur. Sie stammen von den ´Ensilen´ ab, einem einstigen Eliteheer der Hajeps, das sich über die Jahre verselbständigte und letztendlich die Macht über Hajeptoan, dem Heimatplaneten der Hajeps wollte. Dieser Aufstand gegen die Regierung wurde durch die ´Muraks´, einer speziellen Leibgarde Pasuas blutig niedergeschlagen und die Reste des einstigen rebellischen Heeres sollten zunächst eigentlich alleine die Erde besiedeln, damit die Hajeps auf Hajeptoan endlich Ruhe vor ihnen haben konnten. Doch den übrigen Hajeps, welche die Loteken zur Erde gebracht hatten, gefiel es hier auch und nun sind immer mehr von ihnen gekommen und die Loteken kämpfen jetzt darum, dass die Erde ihnen gehö¬ren soll.“
„Und wir haben da gar nichts mitzureden ?“
Margrit nickte. „Man übersieht eigentlich die Menschen, was womöglich recht günstig für uns werden könnte.....“
„Was meinst du denn mit günstig ?“ fragte er verwirrt. „Wir armen Menschlein sind doch immer die ange¬schmierten, oder ?“
Margrit wurde ein wenig rot im Gesicht vor Verlegenheit. Sie hatte Angst sich zu verraten und deshalb stand sie auf und lief zum Fenster, um hinaus zu schauen, damit Paul ihr Gesicht nicht mehr sah. Da entdeckte sie George, wie der mit ziemlich missmutiger Miene durchs Gartentor herein kam, wohl um Margrit abzuholen.
„Und was ist nun mit den Jisken ?“ fragte Paul inzwischen weiter. „Die sehen übrigens, wenn man von ihren Uniformen und Helmen mal ganz absieht, gar nicht so viel anders aus als Hajeps. He, was will nun dieses Volk hier, Margrit ?“ wiederholte er ungeduldig.
„Als die Hajeps noch mit den Loteken eine Einheit bildeten“, sagte sie vom Fenster aus, „waren die Jisken ihre Erzfeinde.“ Sie winkte George zu, dass er ins Haus kommen sollte und lächelte freundlich, doch der grinste keinesfalls zurück, sondern wies nur stirnrunzelnd auf seine Armbanduhr.
„Also schon immer ?“
„Sehr wahrscheinlich. Jisken leben in der selben Galaxie und in ziemlicher Nähe der Hajeps. Irgendetwas müssen sich sowohl die Jisken als auch die Hajeps geleistet haben, dass sie einander dermaßen hassen. Jedenfalls wünschen beide Völker einander mit tiefster Inbrunst den Untergang. Vor etwa einer Woche haben sie Zarakuma attackiert und seit einigen Tagen versuchen die Jisken, nun die Loteken auf ihre Seite zu ziehen, wohl um gemeinschaftlich die Hajeps von der Erde zu vertreiben. Ob ihnen das gelingen wird ?“ fragte Margrit mehr sich selbst als Paul. Dann winkte sie abermals George zu, doch der war einfach draußen stehen geblieben und schüt¬telte nur den Kopf.
„Aber warum wurde meine Ilona ... so furchtbar brutal...“, Paul konnte wieder nicht weiter sprechen, da Tränen ihm den Hals zuschnürten.
„Das waren sicher von Zarakuma vertriebene Jisken, womöglich die letzten Überlebenden einer Crew, deren Kampfflugzeug abgeschossen worden war. Die hatten daher eine Heidenwut und darum... ! Tja, diese furchtbare Brutalität scheinen wohl alle drei Völker gleichermaßen drauf zu haben!“ erwiderte Margrit ziemlich tonlos und zog die Mundwinkel herab. “Viele sagen, das ist ihnen angeboren. Ich glaube aber trotzdem nicht, dass restlos alle Außerirdischen so veranlagt sind.“ Sie sah, dass George draußen auf und ab lief.
„Unverbesserliche Träumerin, du.“ Paul wischte sich mit seiner breiten, klobigen Hand die Tränen aus den Augenwinkeln. „Ach, du hast dich ja gar nicht verändert. Ich hingegen würde von heute an sofort jeden töten, selbst wenn der auch nur halbwegs wie ein Außerirdischer aussieht, glaubst du mir das ?“ Paul zog sich dabei die dünne Decke etwas höher an sein Kinn, denn ihm fror.
„Hass zu verspüren ist weiter keine Kunst, Paul. Aber ich kann dich verstehen, nach alledem, was du erlebt hast. Vielleicht...“, instinktiv tastete sie dabei nach dem Revolver, den sie immer unter ihrer weiten Jacke trug, so als müsse sie sich vergewissern, ob der noch da war, “...werde ich eines Tages auch so denken, Paul !“ sagte sie nachdenklich und wendete sich wieder vom Fenster ab.
„Das ist nett, dass du das einräumst, Margrit.“ Paul versuchte selber nach dem Wasserkrug zu greifen, der auf dem Tischchen neben seinem Bett stand und es gelang ihm. Er nahm einen großen Schluck, denn er war jetzt dauernd durstig. „Aber jetzt will ich auf etwas anderes hinaus. Du hast dir inzwischen nicht nur ein ziemlich großes Wissen über unseren Feind erarbeitet. Du informierst mich auch noch über die Jisken, einem Volk, was eigentlich niemand von uns Menschen so recht kennt. He, woher weist du plötzlich soviel ? Und hübsch bist du geworden.“ Er betrachtete sie zärtlich. “Deine Augen funkeln und dein Haar glänzt wie Seide und du bist immer so gepflegt, ganz wie dieser....“
„George ?“ Sie lachte, wurde dann aber wieder ernst, denn sie wollte ihn heute darauf vorbereiten. „Das ist kein Zufall, Paul !“
„Das ist kein.... ? “ Plötzlich musste Paul husten, denn er hatte sich verschluckt. Das tat furchtbar weh und deshalb dauerte es ein Weilchen, bis er sich davon erholte. “Du gehörst jetzt zu ihm, nicht wahr ?“ fragte er schließlich käseweiß im Gesicht und mit feucht glänzenden Augen. „Du ... du wirst mich sobald es mir besser geht, verlassen richtig ?“ Erschöpft fiel er in die Kissen zurück und schlief sofort ein. Margrit lief hinunter zu George und machte sich Gewissensbisse.

„Wie lange soll das denn noch gehen, Margrit !“ schimpfte George wenig später, als sie neben ihm im Jambo Platz genommen hatte. “Der Kerl wird schließlich gesund sein, dir hinterher schleichen und auf diese Weise erfahren, was du inzwischen geworden bist.“
„Ach, lass das nur meine Sorge sein, George !“ fauchte sie zurück.

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Am nächsten Tag blickte Paul sich in dem Haus, deren untere Räume einst als kleine Dorfkneipe gedient hatten, vorsichtig nach allen Seiten um, während Margrit ihn stützte und er die ersten Schritte machte.
„He, hier wäre eigentlich genügend Platz auch für zwei.“
„Paul, versuch`s nicht, du weißt ja, ich habe schon ein Dach über dem Kopf.“
„Und dort wo du bist, geht es dir gut, nicht wahr ?“ fragte er leise.
„Ja!“ wisperte sie ebenso tonlos wie er.
„Ich weiß nicht, was du jetzt noch mit diesem Kerl willst ?“ hörte sie wenig später Georges energische Stimme neben sich. „Der kann doch noch immer nicht darüber hinwegkommen, dass er seine Ilona auf ewig verloren hat.“
„Aber George, meinst du denn, ich will mit dem noch etwas anfangen ?“ sagte sie ebenso energisch wie er. Komisch, Georges Bemerkung hatte ihr doch einen kleinen Stich ins Herz versetzt. Hatte er das beabsichtigt ? Sie blickte zu ihm hinüber, forschte in seinem Gesicht. Es war völlig ausdruckslos.
Eines Tages, als George wieder einmal Margrit abgeholt hatte und die Mittagsonne ihnen warm ins Genick brannte, sagte George langsam aber sachlich: „So geht das nicht weiter, Margrit. Was glaubst du wohl, wie teuer uns Maden dieser Paul inzwischen kommt ?“
„Wieso, ich denke, einige von uns speisen doch ohnehin immer in dieser Kneipe, wenn sie in der Nähe zu tun
haben ?“
„Ja, meinst du denn, das ist umsonst ?“
„Ich denke, der Wirt gehört zu den Maden ?“
„Gehört er auch, wie fast das halbe Dorf. Die meisten von uns gehen doch ihren angestammten Berufen nach, solange in diesem Gebiet alles einigermaßen in Takt bleibt. Die Hajeps haben zwar schon vieles davon zerstört, aber das meiste steht und funktioniert hier immer noch. Deshalb nutzen wir das aus. Zum Beispiel den Rauch, welchen unsere Wohnungen unter der Erde produzieren, lenken wir über lange Rohre in einige Häuser der letz¬ten Städte, Fabriken und Dörfer. Rottenburg hat zum Beispiel auch ein paar Leute, die in diesen Häuschen leben, Hühner züchten und Kühe haben. Auf den Wiesen stehen Zelte und Wohnwagen. Wir haben dort unsere Entlüf¬tungsschächte oder es wird Rauch hinaus gelenkt oder Radiowellen werden von dort empfangen.“
„Das ist wirklich listig, George !“
„Nur ist es nicht für die Ewigkeit, Margrit. Immer wieder müssen wir unsere Stützpunkte abbauen und umzie¬hen. Die Lebensqualität lässt merklich nach und....“
„Aber im Gegensatz zu den übrigen Menschen habt ihr es doch gut !“ warf sie ein.
„Das ist richtig. Aber wir sind viele und die Lebensmittel werden immer knapper. Du musst für Paul endlich bezahlen, doch ich frage mich die ganze Zeit, womit ? Du hast ja nichts, was du für ihn hergeben könntest, außer deiner Arbeitskraft, und die reicht nur für dein Essen und deine Kleidung, also für dich selber aus. Darum muss...“, er hob die Schultern hilflos an, konnte aber dabei kaum ein ziemlich gemeines Lächeln nterdrücken, wie Margrit fand, “... dein Paul von hier endlich weg ! Besonders Martin hat etwas gegen unnötige Schmarotzer einzuwenden !“

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„Dies wird Pauls letzter Tag bei uns !“ erklärte tatsächlich Martin wenig später ebenso bärbeißig.
„Sehr richtig !“ bestätigte auch Erkan und sogar Renate meinte: „Wir sind lange genug ungewöhnlich mitleidig gewesen, Margrit, das musst du schon zugeben !“
„Und das auch nur aus dem Grunde, weil du bereits einige gute Dienste geleistet hast !“ erklärte nun auch Martin.
„Paul könnte aber einen guten Guerilla abgeben, wenn er wieder gesund ist...“, warf Margrit aufgeregt ein.
„Mag sein, aber er ist zu alt !“ widersprach Martin.
„Und wir sind genug Leute !“ meldete sich auch Renate.
„Er ist aber sehr vital“, klärte Margrit, hartnäckig, wie sie nun einmal war, trotzdem alle auf, „schießt gut, ist sehr kämpferisch, kann hervorragende Geschäfte mit Leuten machen und besitzt ein recht passables technisches Geschick.!“
„Wir können nicht alle Menschen durchfüttern, Margrit !“ protestierte George. “Der soll froh sein, dass er mit dem Leben davon gekommen ist !“
„Ich werde für Pauls Platz in dieser Gemeinschaft bezahlen!“ sagte Margrit jetzt und ihr Herz pochte vor lauter Aufregung.
„Ach, und womit?“ rief alles neugierig, beinahe feixend.
Margrit holte mit feierlicher Miene aber ein wenig beklommen das kleine Pfeifstäbchen aus ihrer Gürteltasche hervor.
„Oh, ein Tulpont!“ rief alles verdutzt.
„Woher hast du das her ?“ Margrit legte es in Renates geöffnete Hand
„Seit damals, als die Hajeps mich zu fangen versuchten!“ erklärte Margrit.
„Nun, wir werden sehen, ob Günther damit einverstanden sein wird !“ erklärte Martin trotzdem ziemlich kühl.
George sagte dazu gar nichts. Er wendete sich nur ab.

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Günther Arendt war gerade in der Nähe gewesen und so hatte Margrit Glück, gleich mit ihm darüber sprechen zu können. Sie war sehr ehrlich und hatte, als sie ihm das Tulpont zeigte, auch ihre Bedenken mitgeteilt.
„Nein“, sagte er, während er ihr in die großen verängstigten Augen schaute. „Das ist kein geheimer Sender, über welchen die Hajeps Spuren verfolgen.“ Er schmunzelte bei diesem Gedanken. „Diese Außerirdischen sind ja auch sehr mit sich selbst beschäftigt und rechnen uns keine besondere Gefährlichkeit zu. Deshalb lassen sie sich wohl auch mit unserer Ausrottung sehr viel Zeit. Freilich auch aus dem Grunde, da sie Seuchen durch die vielen Toten fürchten. Es ist schwer, wirklich jeden Menschen einzeln zu Humus zu verarbeiten, vor allem, wenn er sich verkrochen hat oder in irgendeinem Gewässer versunken ist, und ein besseres Verfahren als die Kompostie¬rung von einzelnen Leichen kennen sie nicht. Dennoch werden wir das Stäbchen sehr genau untersuchen und....“, er blickte Margrit mit einem Male ziemlich respektvoll an, „Schramm, das war wirklich sehr mutig, so etwas zu erwähnen, erstaunlich mutig auch, solch ein Ding einfach aufzuheben und einzupacken. Ich glaube, das hätten in solch einer Situation nur wenige getan.“ Sein herbes Gesicht leuchtete jetzt richtig freundlich. „Ich muss sagen, Ihre ganze furchtlose Art gefällt mir, können wir gebrauchen, denn Sie glauben ja gar nicht, welche hysterischen Profiler uns bisher schon begegnet sind. Aus jeder Kleinigkeit machen die schon etwas Gefährliches. So etwas kann völlig falsche Reaktionen bei uns auslösen und dann .... sind wir futsch !“ Er schaute nun sehr traurig drein, dann aber gab er sich wieder einen Ruck. „Es ist also ein Bekannter von Ihnen ... hm .... soso ! He, Sie haben Glück. Wir sind gerade mit einem Forschungsprojekt beschäftigt, welche das hochempfindliche Sendesystem dieser Stäbchen stören soll und somit können wir es ganz gut gebrauchen.“ Er schmunzelte. „Ihr Paul darf zu uns gehören, aber nur unter zwei Bedingungen. Die erste dabei ist : Er muss auch irgendwelche Gaben haben, die wir für unsere Organisation nutzen können. Die zweite : Er findet selbst heraus, wer wir sind, denn ganz blöde darf er einfach nicht sein, verstehen Sie ? Allerdings würden wir Sie einen Kopf kürzer machen, wenn Sie ihm dabei helfen sollten !”

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„Paul ... Paul, immer nur Paul !“ murrte George.
„Ich verstehe nicht, dass du nicht mitfreuen kannst, George. Du hast keinen Grund, Paul dermaßen zu hassen, denn er hat sich bei dir schon zigmal entschuldigt. Was soll er noch tun, George ? Etwa dir die Zehen einzeln abküssen ?“
„Vielleicht ?“ schon wieder grinste George so richtig gehässig. “Nein, die Wahrheit ist, dass du darüber deine Arbeit vernachlässigst....“
„Ach, ist ja gar nicht wahr !“ schimpfte Margrit zurück.
„Doch, doch, du kannst von Glück reden, dass unser lieber Günther das noch gar nicht bemerkt hat....“
„Ach, spinn doch nicht `rum. Was soll ich denn hier großartig vernachlässigt haben. Na los, sag mir, was!“ brüllte Margrit, nun erst recht wütend, und daher sehr laut.
George war genauso zornig und darum fiel ihm das Denken irgendwie schwer. „Na, zum Beispiel gestern“, sagte er nach einiger Überlegung. „Weißt du noch, was uns da überhaupt mitgeteilt worden ist ? Es war etwas sehr Wichtiges und es hat dich überhaupt nicht bewegt ! “
„Meinst du etwa die komischen Botschaften aus den hajeptischen Sendern ?“
„Siehst du, du findest solch eine Nachricht nur komisch, das ist es !“
„He, was soll denn daran schon so Aufregendes sein, George ?“
„Na, vielleicht könnte so etwas wichtig werden, wichtig für die gesamte Menschheit ?“
„Mein Gott, du immer mit deiner Menschheit !“ Sie seufzte genervt. „Da werden vor etwa vierzehn Tagen über Zarakuma eigentlich wie sonst immer, wenn die Hajeps es eilig haben, etwa zwölf Gepäckstücke an kleinen Bagnuis, einer Art Fallschirm, baumelnd, von einem Trestin aus abgeworfen, welches von fünfzehn Lais beglei¬tet wird. Das Trestine wird nur einen Sekundenbruchteil nach diesem Abwurf praktisch aus dem Nichts heraus einfach beschossen. Noch während das Trestine schwer getroffen das Weite sucht und schließlich außerhalb Zarakumas zur Erde niederstürzt, feuern die fünfzehn Lais Staubnebel auf das Nichts, das inzwischen auch die langsam hinunter schwebenden Gepäckstücke unter Beschuss genommen hat. Ein unbekanntes Flugzeug kommt inmitten der Staubwolke zum Vorschein, das von den Türmen des Palastes aus sofort ebenfalls abgeschossen wird. He, und das ist nun schon für euch alle eine Sensation ?“
„Es befand sich ja in Wahrheit ein ganz besonders Gepäck unter all diesen Kisten, Margrit. Die kleinste Kiste enthielt...“
„Ich weiß, ich weiß“, Margrit wedelte genervt mit der Hand, „ihr meintet gestern noch, darin hätte sich Agol verborgen, der große König, das Gottwesen, der Herrscher, das Gehirn Pasuas.“ Sie kicherte in sich hinein.
„Und weiter?“ fragte er stirnrunzelnd.
„Und weiter geht`s so : Ihr meintet auch noch, das Luxusschiff in den ehemaligen Vereinigten Staaten wäre nur eine Attrappe gewesen. Es schwebe mit seiner gesamten Flotte noch völlig unbeschädigt irgendwo im All. Aber Agol, der Held, der Tolle, wäre natürlich schon lange umgestiegen. Er habe den Moment der Explosion seines scheinbaren Luxusschiffes für sich ausgenutzt, um seine Feinde – und die hat er anscheinend reichlich – von sich abzulenken und punktgenau zur gleichen Zeit mitten in Scolo, der Hauptzentrale des hajeptischen Systems, zu landen. Was natürlich wegen eben dieses weiteren Attentats eine totale Unruhe in und um Zarakuma ausgelöst hätte ! Außerdem hätte es wohl niemand von den außerirdischen Kerlen erwartet, dass er es schaffen würde, lebend und sogar völlig unverletzt die Erde zu betreten ! Das ist nun schon etwa vierzehn Tage her. Eberhardt war zu diesem Zeitpunkt dicht bei Zarakuma unterwegs gewesen und hat sogar Fotos davon machen können, die er uns gestern erst gezeigt hat. Er und die Nachrichten der Hajeps haben das also gestern noch einmal bestätigt!“
„Donnerwetter, du weißt ja alles!“ Georges Stimme klang nun doch ein wenig kleinlaut. „Und das findest du nun nicht weltbewegend ?“ hakte er sich zum Trost einfach daran fest.
„Stimmt, denn das muss doch ein recht armseliges Oberhaupt sein, wenn es nur eng zusammengerollt in einer winzigen Kiste sein Volk besuchen kann. He, das muss ja noch nicht einmal Paul !“ rief sie lachend aus. “Weißt du eigentlich, dass Paul schon so gut laufen kann, das er es ganz alleine bis zum Arzt schafft ? Und neulich, da hat Paul...“ Margrit brach ab, denn George hielt sich bereits die Ohren zu.

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Wochen vergingen und schließlich war Paul sogar so gesund, dass er Randersacker verlassen und kleinere Aufgaben für die Menschen, die ihn gepflegt hatten, erledigen konnte. Da er nicht nur ein guter Mechaniker sondern auch ein sehr guter Fahrer war, der sogar LKW lenken konnte, brauchte man ihn auch für kleinere Fahrten in die Umgebung, zum Beispiel, wenn Erkan oder Wladislaw gerade mal keine Zeit hatten.
Eines Tages kam er sehr verwirrt zurück und besonders Margrit gegenüber tat er geheimnisvoll, griente halb freudig halb unsicher vor sich hin und war so nachdenklich, dass er sich beim spärlichen gemeinschaftlichen Abendbrot in der Kneipe ausnahmsweise nicht das größte Stück nahm.
"Ich muss dir etwas sagen“, wisperte er schließlich, nachdem Martin, José, Faik, Zhan Shao, Rita und Jutta nach¬einander den Tisch verlassen hatten und er sich nur noch allein mit Margrit in der Küche der alten Dorfkneipe befand. „Oder nein!“ stammelte er. “Besser, ich sage zuerst nichts und gebe es dir einfach!“ Er stand auf, lief ein wenig schwankend um den Tisch, blieb vor Margrit stehen und holte dann mit feierlicher Miene etwas aus der Innentasche seiner Jacke hervor.
„Hier ist es !“ Er grinste über beide Backen, als er Margrit ein etwa handgroßes, rechteckiges, weißes Stückchen Papier in die Hand drückte. “Behalte es von nun an immer bei dir !“
Sie lächelte ebenfalls, jedoch ziemlich verwundert. „Was ... was soll denn das, Paul ?“ stotterte sie.
„Guck dir`s doch an !“ Er wanderte wieder um den Tisch, zurück zu seinem Stuhl, auf den er sich zufrieden plumpsen ließ. „Warum schaust du denn gar nicht auf das Foto?" Er faltete abwartend die Hände über seinen Bauch.
„Ein Foto - ach so !“ Sie wollte es umdrehen. Er hatte es ihr wohl absichtlich verkehrt in die Hand gelegt. Da stutzte sie, denn dort stand etwas in einer ausgesprochen krakeligen Kinderhandschrift geschrieben. Eine Nach¬richt, wohl nur zwei Worte und die auch noch quer und unterschiedlich groß über`s ganze Papier, also kaum lesbar ! Und dann war da noch eine Zeichnung oder so etwas Ähnliches. Margrit versuchte zu enträtseln, um was es bei dieser komischen, mit einem grünen, wohl abgebrochenen Buntstift gemalten Zusammenballung von Karos ging. Daher drehte und wendete sie das Stückchen Papier für ein Weilchen kopfschüttelnd nach allen Richtungen und plötzlich erkannte sie, dass es eine Decke war, mit einer anscheinend fetten Katze darauf, dann verschwamm alles vor ihren Augen, nämlich in einem Tränenschleier.
“Julchen !“ krächzte sie und mühte sich den Nebel wegzuklimpern. ”Ich erkenne jetzt auch diese Krakel !“Sie räusperte sich, denn Ihre Stimme war nicht mehr ganz funktionstüchtig. „Sie ... sie hat erst kürzlich einige Worte schreiben gelernt ! Ich ... wo ... woher hast du bloß dieses Foto ?“
Er schwieg.
„Muttchen, die Kinder müssen es damals also auf der Flucht verloren haben“, folgerte sie.
„Nein, Julchen hat es mir heute persönlich gegeben !“ erklärte Paul knapp und um seine Mundwinkel zuckte es schon wieder.
„Wie ?“ keuchte sie eine Spur zu heftig. „Äh ...Paul ...hm... also...“, ein paar Falten gruben sich in ihre Stirn und dann holte sie tief Atem. „K ... kannst du bitte noch einmal wiederholen, was du eben gesagt hast?“
„Warum ?“fragte er scheinbar ahnungslos.
Sie mühte sich, mit so ruhiger Stimme weiterzusprechen wie er. „Weil ...es könnte ja sein, dass du etwas ganz anderes gesagt hast, als ich eben zu hören gemeint habe ?“ Sie schob sich ihre Brille auf der Nase zurecht.
„Nichts leichter als das !“ Paul konnte jetzt nur noch mit allergrößter Mühe sein frohes Lachen unterdrücken. „Julchen hat mir bestellt, dass sie allesamt, also einschließlich Mutsch, Tobi und Munk da wären und hat mir zum Beweis dieses alte Foto gegeben, auf dem du und ich mit deinen Kindern abgebildet sind, als sie noch kleiner waren. Mit den besten Wünschen, hat Julchen gesagt, und ein dickes Küsschen für Mama !“ Nun konnte er nicht mehr an sich halten, sein typisches Reifenluftgelächter zischte lautstark aus ihm heraus und dabei kamen überra¬schenderweise auch Tränen, liefen verstohlen dem starken Mann über die hohen Wangenknochen. Seine breiten Pranken hatten viel zu tun, um ständig die schimmernden Bahnen aus dem noch immer etwas blassem Gesicht zu fegen.
Margrit starrte Paul für ein Weilchen nur stumm an, immer noch ungläubig, denn sie konnte nicht fassen, was eben gesagt worden war. Sie hatte Angst, aus diesem Traum plötzlich zu erwachen, denn ganz sicher war es wieder nur so ein Traum ... oder ? Sie blinzelte vorsichtig, denn es irritierte Margrit sehr, dass ausgerechnet Paul lachen und weinen zugleich konnte. Wenn das die Wahrheit war, die sie gerade vor Augen hatte, dann schien er wohl den Schock über den brutalen Mord an seiner Freundin verwunden zu haben! Nein, sie hatte wirklich eine derartige Freude noch nie bei ihm erlebt. Wenn ansonsten immer burschikose Männer plötzlich herzzerreißend ihre Tränen fließen lassen, können Zuschauer meist nicht anders, sie weinen mit einem Male mit ! Und so schluchzte Margrit, freilich auch ohne es zu wollen, ungebührlich laut auf, ganz wie ein Kind und dann sprang sie von ihrem Stuhl, lief zu Paul hinüber und fiel in dessen ausgebreitete Arme. Aber, es war zu blödsinnig, statt sich dadurch zu beruhigen, weinten beide nun erst recht um die Wette. Ihre Körper bebten sogar, so sehr waren sie erschüttert und ihr herzzerreißendes Geheule tönte auch noch aus dem Haus heraus. Aber das störte die beiden nicht.
Erst als der Tränenfluss einigermaßen abebbte, konnte Margrit stammeln : „Aber wie ... wie war das möglich ? Verstehst du das, Paul ? ”
Er schüttelte sein zerstruwweltes Haar.
“Sie fuhren doch mit dem Bus...“, Margrit verstaute das nasse Taschentuch tief in ihrer Hose, “...in rasender Schnelligkeit zum Stadtrand. Und dann habe ich die Trestine der Hajeps genau aus dieser Richtung gehört, die fast gleichzeitig dort gelandet waren. Jeder hat mir später erzählt, dass niemand das darauffolgende Massaker überlebt haben konnte ! Wie ... wie haben das dann ausgerechnet meine drei fertiggebracht ? ”
„Es waren vier, Margrit !“unterbrach Paul sie und hielt ihr mit seinen klobigen Fingern, die entsprechende Zahl entgegen. “Vergiss nicht das wichtigste Familienmitglied !“
„Munk ?“ Margrit kicherte wieder und schon lachte er mit. „Nun, Tiere lassen Hajeps immer am Leben, Paul !“
„Ach so ! Stimmt ja ! ” Er machte ein verlegenes Gesicht. ”Bin ich sehr dumm ?“
„Ach Quatsch ! Aber, dass Menschen“, keuchte sie aufgeregt, „bei einer Massenhinrichtung durch Hajeps mit dem Leben davonkommen ! Das ist wirklich äußerst ungewöhnlich !“
„Margrit, vielleicht waren sie gar nicht anwesend, als diese Exekutionen stattfanden ?“ gab er zu bedenken. “Sie haben sich vielleicht zuvor versteckt... „
„Wo denn? Etwa im Bus ? Die wurden doch angehalten und später angezündet, mein Lieber !“
„Oder sie haben sich tot gestellt“, er schluckte, „so wie damals ich ? “
„Könnte sein“, murmelte sie angespannt, „aber gleich alle drei ?“
Paul zuckte nur stumm mit den Schultern.
„Hm, hat dir Julchen etwas davon erzählt ? Hast du sie gefragt ? ”
„Nein !“schreckte er hoch, tief aus seinen Gedanken. „Komisch, mir ist gar nicht eingefallen, mich danach zu erkundigen! Habe mich nur still vor mich hin gefreut und zwar ganz unbändig! Tja, dein Paul ist vielleicht ein dummer Hund. Schlimm nicht ?“
„Aber nein!“ schniefte sie schon wieder, und küsste ihn mitten auf die rote Nase. „Du bist nicht dumm ... sondern der süßeste und gescheiteste Mann dieser Erde, denn es ist ja wirklich das Wichtigste, dass sie leben! ” Ihre Tränen tropften schon wieder auf seine Jacke und daher nahm sie Abstand. “Hui“, keuchte sie und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. “Das war eine wirklich gewaltige Überraschung, die du mir heute bereitet hast !“
„Nicht wahr ?“ schnurrte er zufrieden und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
Sie sprang auf und ordnete ihre Kleidung, dann betrachtete sie kopfschüttelnd ihr verheultes Gesicht in einem kleinen Taschenspiegel. Paul hatte sich ebenfalls erhoben, schaute auch einmal hinein und lachte schallend, als er sich sah.
Während Margrit sich das Haar bürstete, murmelte sie. “Weißt du, wir werden diese freudige Nachricht am besten gleich allen mitteilen.”
„Meinst du denn, die freuen sich tatsächlich darüber ?“ bemerkte er skeptisch. ”Schau!“ Er machte eine weit¬schweifende Handbewegung durch den Raum des kleinen Häuschens. „Niemand von diesen Leuten ist zu uns neugierig hereingetreten, obwohl wir doch laut genug gewesen sind.“
„Das stimmt!” Sie nickte mit einem Klos im Halse. „Aber ich werde schon dafür sorgen ! Bin zwar heute gemeinsam mit Li Ping mit dem Küchendienst dran. Doch das Geschirr kann mal warten !”
„Oh nein !“ Er packte sie plötzlich. “Was meinst du wohl, warum ich solange gewartet habe, bis alle vom Tisch aufgestanden sind ? „
„Nein, keine Ahnung !“ ächzte sie erstaunt. “Aber lass endlich meine Hand mit dem Spiegel los!“
„Ach so ... ja ! Tschuldige ! Bin heute etwas durcheinander !“ Paul war sehr ernst geworden.
Margrit verstaute den Spiegel wieder in ihrer Jacke, während sie Paul stirnrunzelnd betrachtete. “Also, schieß
los !“ knurrte sie. „Was gibt`s denn Bedenkliches ?“
“Na ja, am besten ist es wohl, wenn du dir noch einmal Julchens schriftliche Bemühungen vor Augen führst. Was stand dort geschrieben ? Weißt du es noch ? Oder musst du das Foto wieder hervorkramen ?“
„Das brauche ich nicht ! Dort stand : Wir spinnen !“ Wobei das Wort Spinnen vielleicht auch am Anfang ein großer Buchstabe hatte sein sollen. Bei Julchen weiß man es nie so genau !“
„Ich glaube, dass es ein großer Anfangsbuchstabe war, Margrit. Ich möchte sagen, ich bin mir sogar dessen sicher !“ Er räusperte sich und zog sich die viel zu lockere Hose etwas höher. "Es war nämlich alles ganz merk¬würdig ! Wie du weißt, fuhr ich heute Heinz, Ümit, Zhan Shao und Renate mit einem großen Jambo zur Nahrungsbeschaffung, diesmal zum alten Wenzler Hof. Man brauchte mich plötzlich nicht und da die Ricken¬walder Schenke in der Nähe lag, und ich wie du weißt gern mal ein Bierchen trinke, spazierte ich einfach dort¬hin. Natürlich wusste ich, dass die Rickenwalder Schenke keine richtige Rickenwalder Schenke mehr sein konnte, dazu ist ja alles viel zu kaputt, aber ich hoffte, dass ich so unter der Hand ... na ja du weißt ja, was man dann in solch einem Falle immer so macht. Ich bekam auch tatsächlich mein Bier, war sündhaft teuer übrigens, und noch etwas ... nämlich einen Eindruck!"
„Einen Eindruck ?“ echote Margrit erstaunt.
„Jawohl, einen Eindruck !“ bestätigte er energisch. “Nämlich, wie eine Untergrundorganisation funktioniert."
„ Eine Un....Untergrundorganisation !“ stotterte Margrit und bekam heiße Ohren. “Öh ... aber wie kommst du denn darauf ?“
„Meine liebe Margrit, mich halten hier zwar alle für ein bisschen dämlich, vielleicht bin ich es auch, aber... "
„Nicht alle, Paul !“ fiel sie ihm ins Wort. “Es ist nur George, der ...äh... der dich nicht sonderlich schätzt."
„...mich hasst ! Wolltest du wohl eher sagen."
„Aber Martin mag dich inzwischen !“ warf sie hastig ein. “Er ist sogar sehr mit deinen Arbeiten zufrieden!"
„Ja, das weiß ich!“ knurrte er. “Das hat er auch schon mehrmals zum Ausdruck gebracht. Dennoch, Margrit, sage ich dir...“, er zwirbelte an dem einen Ende seines etwas zu langgewordenen Oberlippenbartes nervös herum, “... ist hier etwas faul ... oberfaul sogar ! Dein Paul hat nämlich, ob du es glauben willst oder nicht, manchmal geradezu detektivische Veranlagungen, die in wichtigen Augenblicken zielsicher zutage treten!"
„Und was hast du entdeckt ?“ fragte sie und versuchte möglichst arglos dreinzuschauen.
„In der Nähe des Wenzelhofes einen unterirdischen Tunnel ! Ach, was sage ich, nicht nur einen, mehrere davon ... und weißt du, wer mich versehentlich zu diesen Tunneln gebracht hat ?“
„Julchen ?“ ächzte sie.
„Genau !“ Er strahlte. “Julchen half nämlich in dieser Rickenwalder Schenke, die ja recht entlegen von diesem Dorf hier ist, ein wenig aus. Kaum, dass sie mich von weitem sah, wollte sie natürlich zu mir hin und mit mir sprechen, doch der Wirt, der gleichzeitig wohl auch ein Schwarzhändler ist, denn ohne schwarz kann ja heutzu¬tage eine Kneipe nicht mehr existieren, hielt ihr plötzlich den Mund zu und schleppte sie in die Küche.“
„Du meine Güte !“ quietschte Margrit wirklich entsetzt. “Das arme Kind !“
„Ach !“ Paul machte eine abwertende Handbewegung. “Das war gar nicht so schlimm!“ Und er sah, dass sich Margrits Brustkorb mit einem leisen Seufzer wieder senkte, denn sie atmete erleichtert aus.
„Man wollte ihr nichts tun“, fuhr er beschwichtigend fort, “hatte lediglich Angst, dass sie plaudert ! Julchen war aber pfiffig, manchmal glaube ich, dass sie tatsächlich Indianer werden wird...“, bemerkte Paul fast ehrfürchtig.
"...oder Psychologin!“ fügte Margrit stolz hinzu.
Er nickte ergriffen. „Sie ließ nämlich vorher dieses Foto in einen leeren Papierkorb fallen, der neben der Theke stand. Selbstverständlich tat ich so, als hätte ich von Julchens Verschleppung nichts bemerkt und nachdem man mich ausgiebig beobachtet hatte, beruhigte man sich allmählich. Wenig später ließ ich mein Taschentuch gleich¬sam in den besagten Papierkorb segeln, schaute nach einem Weilchen erstaunt drein, suchte in meinen Taschen, blickte in den Papierkorb, grinste, bückte mich und hob klammheimlich das Foto mitsamt Taschentuch auf.“
„Also ... du warst wirklich großartig, Paul“, murmelte Margrit wirklich gerührt, “wenn ich das mal so sagen darf!“
„Du darfst, du darfst !“ erwiderte er möglichst lässig. “Aber es kommt noch besser, meine liebe Margrit, viel besser sogar ! Wenig später, als ich zum Gehöft zurückwollte, schlich ich kurz um die Rickenwalder Schenke herum und wen sah ich da?“
„Etwa Julchen ?“ stieß Margrit mit angehaltenem Atem hervor.
Paul sah Margrit nun so gebieterisch an wie ein stadtbekannter Detektiv und nickte auch mit entsprechender Würde. „Genau !“ brummte er. „Ich sah plötzlich Julchen um die Ecke des alten Kuhstalls huschen. Sie winkte mir zu. Natürlich folgte ich ihr nicht gleich, schaute mich um, so nach allen Seiten, weißt du, und dann schlich ich ihr hinterher. Zuerst umarmte sie mich, fragte nach dir und ich gab ihr Auskunft und dann, stell dir vor, zog sie mich am Arm zu sich hinunter und gab mir einen Kuss ! Mir ... dem Paul ! Und dann bestellte sie mir all das, was ich dir vorhin gesagt habe !“
„Ja, ja, Julchen kann auch manchmal nett sein !“ gab Margrit zufrieden zu.
Er nickte ebenso zufrieden. “Und stell dir vor, das Kind konnte sich sogar kurz fassen und das war gut, denn plötzlich vernahm ich eine harte Frauenstimme, die sie rief.
„Du liebes bisschen, was wollte denn die ?“ Margrit misstraute nämlich dieser komischen Organisation, denn sie hatte noch nie von der gehört.
„Na ja, Gott sei Dank hat sie uns beide nicht mehr zusammen gesehen. Ich schob mich also an der Holzwand des Schuppens entlang und beobachtete die Frau, die mit Julchen zur rückwärtigen Häuserfront der Kneipe ging. Sie liefen durch die Hintertüre, weißt du, die sie glücklicherweise nicht abgeschlossen hatten, denn ich folgte ihnen wenig später bis in den Keller, wo lauter Bier- und Weinfässer gelagert waren."
„Lauter Bier- und Weinfässer ?“ wiederholte Margrit mit großen Augen. „Und die waren alle voll ? “
„Keine Ahnung ! Jedenfalls blieben sie vor einem dieser Fässer stehen und sagten - Moment, hier habe ich es aufgeschrieben...“, Paul kramte einen kleinen zerknitterten Zettel hervor, “...Spinnen kann man nicht entrinnen, da sie dichte Netze spinnen. Hübscher Spruch nicht ? Und siehe da...“, er verstaute den Zettel triumphierend, "... der Deckel dieses waagerecht gelagerten Fasses öffnete sich wie eine kleine Tür.“
„Wie eine Tür ?“ wiederholte Margrit nun so arglos wie nur irgend möglich und klimperte nervös mit ihren Augenlidern.
„Tja, ich weiß, dass man es kaum glauben kann, aber stell dir vor, dahinter war ein Gang !“
„Ach ?“ Sie mühte sich, nicht rot zu werden.
„Ja, ja !“ Er lachte stolz. “Es ist ganz klar, dass dich eine solche Nachricht verwundern muss, weil du immer so arglos an Leute herangehst, aber auch wir Menschen sind zu einigem Listenreichen fähig, Margrit. Auf der gegenüber liegenden Seite, hinter einem der recht großen Fässer verborgen, sah ich dann, dass die beiden eine Leiter hinabstiegen. Ich reckte mich noch ein bisschen empor und....“
„Du... du hast dich sogar gereckt ?“ unterbrach ihn Margrit.
„Hmm“, er warf sich in die Brust. “Musste ich doch, obwohl ich zugeben muss, dass das wirklich nicht unge¬fährlich war, denn der kleinste Laut, das feinste Geräusch... "
"...hätte dich verraten ?"
„Genau !“ Er räusperte sich. “Und just dadurch sah ich den besagten Tunnel, der in weitere unterirdische Gewölbe führte und von dort liefen ihnen Menschen entgegen.“ Paul sah nun richtig kriegerisch drein. „Und nun kommt der Knalleffekt, meine Liebe! Ich behaupte nämlich hiermit steif und fest, erlaube mir sozusagen die Frechheit zu sagen, dass auch unterhalb dieses Rottenburgs, zu welchem ich Erkan, Renate, Wladislaw und all die anderen die vielen Tage habe fahren müssen, genau die gleichen Gewölbe sind wie dort und als Versteck einer geheimen Organisation dienen. Und die Leute, meine liebe Margrit, die heute Abend wieder gemeinsam mit uns gespeist haben, gehören dazu, wie noch viele andere! Und vor allem .... auch dein lieber George ! Tja, das muss ich leider sagen ! “
„Aach ?“ krächzte sie und konnte dabei kaum ein Grinsen unterdrücken. “Und wie kommst du darauf ?“
Er seufzte laut und vernehmlich. “Ganz einfach, dieser George und all diese Männer hier benehmen sich schlichtweg danach! Du musst vorsichtiger sein, Margrit“, wisperte er ihr nun ins Ohr, „wesentlich vorsichtiger, denn hier ist einiges mysteriös ! "
„Myster... mysteriös ? Warum ? “ „
Er seufzte abermals. „Natürlich ! Wenn nicht sogar...“, er stockte und seine Miene wurde sorgenvoll, "... gefähr¬lich!“ Er betrachtete Margrit nun so wie ein Vater sein hilfloses Kind.
„Ach, ich hab` ja dich ! “ keuchte sie, denn das Lachen saß ihr jetzt wirklich sehr im Halse. “Aber wie kommst du darauf, dass in Rottenburg etwas sein muss, das mit dieser Untergrundorganisation gleichzusetzen ist ?“
Sein Blick wurde wieder sehr lehrmeisterlich. “Na hör mal! Es gibt dort nur wenige erhaltene Häuser und die hinein laufen schier endlos viele Leute. Also, was meinst du wohl, wo diese Leute alle so bleiben?"
„K...keine Ahnung ?“ stotterte sie und dabei hilflos mit den Achseln zuckend. “Weißt du`s?“
„In unterirdischen Tunneln natürlich, mein Schäfchen, wo sonst ? He, ich sage dir, dass ich auch bald herausge¬funden haben werde, wo die diversen Eingänge liegen, denn diese Leute wissen ja nicht, dass ich weiß, was sie wissen, was ich nicht wissen soll ! “
Da prusteten plötzlich beide los. Ja, sie lachten schier um die Wette.
Es braucht wohl nur am Rande erwähnt zu werden, dass Paul noch am selben Abend sehr zum Missfallen von George in die Gemeinschaft der Maden aufgenommen wurde.

#

Leider stellte sich heraus, dass die Maden schon seit einiger Zeit mit den Spinnen regelrecht verfeindet waren.
Man besprach wirklich nur das Wichtigste, was besprochen werden musste. Selbst die Parole war geändert worden. Schuld daran waren Streitigkeiten über bestimmte Gebiete gewesen, bei denen die jeweilige Gruppe das Recht besaß sich Nahrung zu verschaffen. Die Spinnen behaupteten, Maden wären in ihr Territorium eingedrun¬gen und hätten Abgaben aus ihren Bauern gepresst, was Martin, Erkan, Süleyman, Zhan Shao, Renate, José und Wladislaw, welche für die Nahrungsbeschaffung zuständig waren, natürlich heftig abgestritten hatten. Wie dem auch war, Margrit hatte vor, trotz aller Proteste - besonders Martin und Wladislaw hatten Einwände dagegen erhoben - die Spinnen zu besuchen.
Während der Hinfahrt verhandelte Margrit schon mal mit George, der sie als Einziger begleitete, weil die Spin¬nen nur noch mit ihm sprechen wollten, um einen Platz bei den Maden für ihre Familie. Entrüstet musste sie schon wieder feststellen, dass die Maden ganz und gar nicht kinderfreundlich waren und für ältere Leute hatten sie erst recht nichts übrig. Hingegen waren Katzen ihnen sehr willkommen, wegen der Ratten, die sich nicht selten in den Tunneln einnisteten. George fand es daher gut, wenn Margrits Familie einfach bei den Spinnen blieb und Margrit diese nur ab und an besuchte.
„Bist du von allen guten Geistern verlassen !“ fauchte sie darum wütend, während er den Jambo in eine Kurve lenkte. „Gerade du hast doch heute übers Telefon heraus bekommen, wie mies meine Familie von denen in all diesen Tagen behandelt worden ist. Sie haben sich nur zweimal in vier Wochen waschen dürfen und das nicht einmal mit Seife. Sie schlafen nur auf dünnen Decken auf dem kalten Boden. Meine Kinder müssen – da sie so klein sind - einen schmalen Tunnel bis zu einer von Farn und Gras überwachsenen Halle graben, die ein wenig außerhalb Zarakumas liegt und in der die Hajeps ihre Waffenbestände lagern und meine Mutter muss trotz ihrer Gliederschmerzen mit einer Karre all die Erde wegschaffen, die meine Kinder hervorholen und noch dazu spät abends bei schlechtem Licht Kleider flicken. He, sie bekommen dafür nur eine Scheibe Brot und einen Krug Wasser, als Tagesration !“
„Ja und ? Reicht doch!“ murrte George. „Sollen froh sein, dass sie noch am Leben sind !“
„Also gut !“ krächzte sie und schnürte sich dabei das Kopftuch enger, da ihr in diesem offenen Jambo bei dem Wind ständig die Haare ins Gesicht geweht wurden. “Wenn ihr meine Familie nicht haben wollt, dann gehe eben
ich ! Ich wechsle zu den Spinnen über, hörst du, George ?“
Georges Lippen wurden zu einem schmalen, harten Strich. Er blinzelte in das grelle Sonnenlicht, während er den Wagen über die unzähligen Schlaglöcher der halb zerstörten Straße hüpfen ließ.
„Kannst du nicht antworten ?“ knurrte sie nach einer Weile des Schweigens.
„Warum sollte ich das nicht können ?“ gab er leise und ruhig zurück. „Aber mir liegen nun mal nicht Wieder¬holungen. Habe ich dir nicht bereits zigmal erklärt, dass Kinder kaum Untergrundkämpfer sein können ? Wir sind keine Herberge, die Menschen einen sicheren Unterschlupf bieten können, sondern ein Geheimbund, dem du angehörst, Margrit, verwechsele das nicht ! Notfalls musst du zur Waffe greifen. Vor allen Dingen darfst du unter keinen Umständen etwas verraten. Und das ist nun mal bei Kindern nicht sicher. Auch wenn du mir weis¬machen willst, dass Julchen wie ein Indianer schweigen kann !“ Er lächelte nun doch.
„Aber die Spinnen...", stotterte Margrit, "... die sind doch auch ein solcher Geheimbund, gehören sogar eurer großen Bewegung Menschen gegen Hajeps an und haben dennoch meine Mutter und die Kinder bei sich aufge¬nommen. Ja, sogar den Kater !”
Er lachte kurz und hart, während er den Jeep einfach über eine Wiese steuerte. „Die Spinnen spinnen eben
wirklich !“ knurrte er. “Mike, Headman dieser Gruppe hat echt - entschuldige Margrit - eine Macke, denn damit gefährdet er uns alle ! Früher war der nicht so ! Ich weiß auch nicht woran das liegt, dass er derart leichtsinnig geworden ist. Ich glaube kaum, dass diese Sache unserem Günther Arendt zu Ohren gekommen ist ! Und das scheinen mir noch nicht einmal die einzigen Kinder zu sein, die er bei sich beherbergt.“
„Ja, für Kinderarbeit ! Und...“, sie schluckte, „...was macht der hinterher mit denen, George, wenn diese Arbeiten erledigt sind ?“
George warf einen schnellen Seitenblick auf Margrit und schüttelte den Kopf „ Nein, Margrit, ein solcher Unmensch ist er nun auch wieder nicht ! “
„Und was ist, wenn die Hajeps meine Kinder bei den Grabungen erwischen ?“
Da wurde er doch etwas nachdenklicher. „Ach, das werden sie schon nicht !“
„Ja, das sagst du so einfach !“ ächzte sie.

#

Margrit wurde wenig später gemeinsam mit George von einem bärtigen und etwas nach Schweiß stinkenden Guerilla zu ihrer Familie geführt.
„Du Tobi, du Tobi, du –hu ?“ rief Julchen ihrem Bruder zu und gab ihm einen Knuffi mit dem Ellenbogen, denn sie hatte Margrit und George als erste mitten in der Türe der kleinen Kammer stehen sehen. „Du ... da sind die ... und der George is´ auch da ! Na und sie .... unsere Mams !“
„Ganz ohne Sch.... ?“ Tobias verlor den Knopf, den er gerade hatte annähen wollen, denn immer wenn die Hajeps gerade in der Lagerhalle beschäftigt waren, durften sie nicht graben und mussten stattdessen in den unterirdischen Behausungen ihrer Oma beim Ausbessern von Kleidung helfen. “Mamms ?“ kreischte er. Dann nuckelte er mit bedenklicher Miene an der Unterlippe, während er George musterte. „Du bist lieb, stümms ?“
George schaute verdutzt drein.
„Auch so ein lieber Hajep wie der Diguindi, gaaanz bestümmt, stümms ?“
„Diguindi ?“ wiederholte George, immer noch nicht klüger geworden.
Und dann sprangen sie alle drei nacheinander auf und fielen Margrit und auch so ein bisschen George in die Arme. Margrit war entsetzt, wie unterernährt, schmutzig und krank sie aussahen und sofort versprach sie ihnen : „Ich hole euch hier `raus, alles klar ?“
George schluckte, als die Kinder und Muttsch zu erzählen begannen, was inzwischen so alles geschehen war und wie sehr sie in dieser Zeit gelitten hätten. Julchen und Muttsch ließen dabei auch nicht aus, dass sie geschlagen wurden, zum Beispiel, wenn die Kinder mit den Grabungen oder Muttsch mit den Näharbeiten nicht schnell genug vorankamen und Tobias musste schließlich seinen Rücken zeigen, obwohl ihm das sehr peinlich war, der grün und blau schimmerte und von blutigen, noch immer geschwollenen Striemen übersäht war. Aus dem Augenwinkel bemerkte Margrit, wie Georges Gesichtszüge dabei zu entgleisen drohten, aber er riss sich sehr schnell wieder zusammen. Obwohl Margrit tief erschüttert war, konnte sie doch nicht umhin, ihre Familie danach zu fragen, wie sie dazu gekommen war, für die Spinnen arbeiten zu müssen.
“Na, zunächst wollten wir nach Reichenberg!“ berichtete Muttchen.
„Ach und weshalb ?“ fragte Margrit. „Andere Dörfer liegen doch viel näher ?“
„Na, weil das ein Dorf ist, dass für die Hajeps arbeitet und daher höchst wahrscheinlich nie von ihnen angegrif¬fen wird!“ erklärte Muttchen weiter.
„Oh Gott !“ entfuhr es Margrit entsetzt und auch George konnte nicht verhindern, nun doch ein bisschen verblüfft dreinzuschauen. “Wir dachten, die wären immer neutral ?“ krächzte Margrit. “Woher wusstet ihr denn so genau, dass...?“
„Von Diguindi....!“
„Diguindi ?“ riefen George und Margrit fast zur gleichen Zeit
„Richtig ! Also, die Spinnen waren gerade mit einem Jambo zu ihnen unterwegs und ...“
„Also wussten die Spinnen zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht, dass die Bewohner von Reichenberg für die Hajeps arbeiten ?“ fiel Margrit ihrer Mutter einfach ins Wort.
„Wieder richtig !“ Muttchen nickte. „Mike hielt also an. Wir waren darüber ganz verwundert, denn er musterte uns drei plötzlich so komisch und über den Kater, der uns die ganze Zeit folgte, lachte er schallend ! Er fragte uns, wohin wir denn wollten. Na ja, und wir gaben ihm darüber Auskunft und erklärten, wie erschöpft wir inzwi¬schen wären. Und dann lud er uns einfach ein, in seinem Jambo Platz zu nehmen. Er würde uns dorthin bringen, da er den gleichen Weg habe. Natürlich freuten wir uns und dann fragte er, genau wie ihr, weshalb wir denn ausgerechnet bis nach Reichenberg wollten ? Und so erzählten wir ihm alles nacheinander. Was soll ich sagen, plötzlich machte der kehrt. Er war wütend und verstört und erst wollte er uns rausschmeißen, aber da grinste er mit einem Male wieder so komisch und fuhr uns dann zu unserer Überraschung einfach zu den Spinnen. Da würde es uns gut gehen, hatte er noch bemerkt. Tja und den Rest kennt ihr ja !“ Muttchen machte dabei ein trau¬riges Gesicht.
„Wir werden euch da `rausholen !“ versicherte Margrit abermals und drückte dabei zärtlich und fest Muttschs abgearbeitete Hände.
„Ganz ohne Sch ....äh... also in echt jetzt ?“ fragte Tobias unsicher und nuckelte schon wieder an seiner Unter¬lippe.
„Ganz, ganz, wirklich Tobias !“
„Wie kannst du nur etwas versprechen!“ wisperte George wenig später Margrit schnell ins Ohr, kaum dass Tobias vom Boden aufgestanden war, auf welchem sie gerade gesessen hatten, um sich eine Decke zu holen.. „...was du nicht einzuhalten vermagst ?“
„Ich werde das einhalten, George !“ zischelte sie ihrerseits einfach zurück.
„Ttzississ, wie denn ?“ Er schüttelte verärgert den Kopf.
„Was besprecht ihr gerade ?“ erkundigte sich Muttchen arglos, da sie nicht besonders gute Ohren hatte.
„Ach, wir fragen uns nur, wie ihr es damals geschafft habt, den Hajeps zu entkommen ?“ log Margrit einfach und auch George machte deshalb eine erleichterte Miene.
„Wir sind ihnen nicht entkommen.“ Muttsch hatte plötzlich Tränen in den Augen. „Sie nahmen uns gefangen! Oh, das ganze war furchtbar! Es war schrecklich und ich kann mich darüber nicht näher äußern, weil Julchen dann wieder diese schrecklichen Albträume bekommt ...auch Tobias kann dann nicht...“
„Aber ihr lebt doch ?“ warf Margrit einfach ein. „He, wie konnte das passieren, dass ihr...?“
„Das war Diguindi!“ krächzte Tobias begeistert, der nun mit seiner Decke zurück gekommen war. Oh, was war diese Decke dreckig ! Sie stank nach Schweiß und Urin. Dennoch drückte Tobias den durchlöcherten Lappen beinahe zärtlich an sein spitzes, graues Gesichtchen und seine Augen strahlten, einfach nur, weil wieder mal von Diguindi gesprochen wurde.“ Er ist ein guter Hajep, ganz ohne Scheiß ...öh... Tschuldigung... ganz in echt, meine ich !“
„Ja, da hat er recht, der Tobi !“ Julchen klatschte begeistert in beide Händchen. “Und wenn ich groß bin und Indianer geworden bin, heirate ich vielleicht den ...den Dikindi ! Aber da ...da muss er mir erst mal zeigen, wie er aussieht ! Und wenn er hässlich is ... der Dinkindi...“, Julchen verzog nun doch so ein bisschen das Gesicht, “...dann heirate ich den Dikindi eben nich !“ sagte sie fest entschlossen.
„Aber er wird mein Freund !“ erklärte nun auch Tobias. „Auch wenn der vielleicht keine Nase hat ...oder...“, Tobias schluckte bei diesem Gedanken, „....vielleicht ...na ja... so einen Spünnenkopf mit vielen ...upps... Beulen, wird der doch noch mein Freund !“
„Meiner auch, so !“ Julchen reckte sich tapfer in die Höhe und Tobias wickelte sich endlich in die ekelhafte Decke ein, denn ihm fror.
„Aber, was ist nun so damals passiert ?“ hakte Margrit trotzdem nach, denn sie war sehr neugierig geworden. Dabei wendete sie sich ganz besonders an Muttsch, denn die konnte, wenn auch sehr ausführlich, am allerbesten erzählen.
„Doch das Grauliche lass` ich dabei aus, ja ?“ behielt sich Muttchen vor und dann begann sie endlich. Alles nickte und so erfuhren Margrit und George zum ersten Male, dass es auch andere Hajeps gab. „Diguindi sagte uns dann, wohin wir uns wenden sollten“, endete Muttsch. „Er kann sehr gut Deutsch sprechen, wisst ihr? Und ich muss sagen, dass ein Wahnsinnsmut dazu gehört, trotz höchster Gefahr einfach sein Herz sprechen zu lassen. He, George ? Willst du nicht weiter zuhören ? He, wohin gehst du ?“
„Öh, ich will nur etwas mit Mike besprechen ! “ Trotzdem blieb er mitten in der Tür mit gesenktem Kopf stehen „Tja“, bemerkte er plötzlich und war sehr nachdenklich geworden. „Wisst ihr, dieser Diguindi hat mir wohl damals auch das Leben gerettet, alleine hätte ich das wohl nie....“
„Und ?“ fiel ihm Muttchen ins Wort. „He, sicher bist du ihm dankbar dafür, oder ?“ krächzte Muttchen begeis¬tert.
„Ja, so is er, der ... der Dikindi !“ jubelte auch Julchen.
„Siehst du, Mamms hat Recht. Es gibt auch gute Hajeps, ganz ohne Sch...!“
„Habe ich nie abgestritten!“ verteidigte sich George. “Aber die meisten sind brutal und....“
„Geo-orge ?“ gemahnte ihn Muttchen und blickte dabei besorgt auf die Kinder. “Fast jeden Tag erleben wir hier die reinste Hölle und das alles nur durch Menschen !“ Sie schluckte. „Es mag sich zwar seltsam für dich anhö¬ren, aber bei all diesem Elend hielt uns nur eines aufrecht, nämlich der Glaube daran, dass es wenigstens etwas Gutes auf dieser weiten Erde gibt....“, sie kämpfte nun mit den Tränen und auch die Augen der Kinder schim¬merten dabei feucht. “Nämlich Diguindi“, schniefte sie, „ausgerechnet ein Hajep !“
Da wandte sich George um und lief fort.
Für etwa eine halbe Stunde unterhielten sie sich noch, denn mehr Besuchszeit war Margrit nicht eingeräumt worden, dann kam wieder ein tränenreicher Abschied.
„Was willst du mit dieser Decke !“ knurrte George wenig später Margrit an.
„Was sollte ich denn damit wollen, George ?“ Sie legte den stinkigen, zusammengerollten Lappen hinter sich auf die Sitze des Jambos. “Denke mal ein bisschen darüber nach !“
„Ah, ich seh` schon“, murrte er. „Du hast deine schöne, gute Jacke einfach gegen diese dämliche Decke einge¬tauscht !“
„Die habe ich nicht eingetauscht, George, sondern nur zum Pfand dagelassen !“
„Als Pfand?“ Er lachte jetzt ziemlich hysterisch wie Margrit fand. „Gegen diesen alten Lappen ? Also ich finde, Mike wird immer unmöglicher !“ Er schüttelte verärgert den Kopf. „Lass mich das Ding mal anschauen, denn noch sind wir nicht losgefahren!“ Er griff mit einer recht fahrigen Bewegung nach hinten.
„N...nnicht George, wickele die Decke nicht auf...“
„Warum nicht ?“ knurrte er, zornesrot im Gesicht.
„Tobias hat doch darin ein Geschenk für mich eingewickelt und das ist winzig klein. Wenn das dabei zu Boden fällt, finde ich es bestimmt in diesem riesengroßen Jambo nicht mehr wieder, verstehst du ? Und dann würde er darüber gewiss noch trauriger werden als er ohnehin schon ist !“
„Okay, okay !“ knurrte er und fuhr dabei so heftig an, dass Margrit nach hinten in ihren Sitz fiel. „Du allein musst letztendlich wissen was du da machst !“
Sie fuhren wieder über eine sehr schlechte Straße und daher wurde Margrit gründlich durchgerüttelt, während sie sich das Kopftuch umlegte. “Willst du wissen, was er mir geschenkt hat ?“ Sie machte eine verekeltes Gesicht.
„Nein !“
„Ach komm, in Wahrheit bist du neugierig. Also, er hat mir den Flutschi mitgegeben !“ Sie kicherte verwirrt. „Na ja, zuerst wusste ich nicht was das ist! Ich habe ihn gefragt, doch er tat sehr geheimnisvoll und hat es mir nicht verraten und ich durfte auch nicht dabei zuschauen, während er es in diese Decke einwickelte. Er sagte nur: Bei dir ist er am sichersten, Mamms und ich will, dass er auch mal umher fliegen darf. Wir sind gefangen, aber er soll frei sein ! Sag`s niemandem weiter...“
„...ganz ohne Scheiß, Mamms !“ vollendete George einfach Margrits Satz und lachte dabei leise in sich hinein. „Richtig ? Das hat er doch sicher auch noch hinzu gesetzt !“
„Sehr richtig George ! Aber dieser Flutschi kann bestimmt nicht mehr fliegen, weil er schon lange ... na ja, es ist nicht gerade etwas sehr Appetitliches, was er mir da mitgegeben hat, George!“
„Sooh ? Hört sich ja mächtig spannend an!“
„Kinder sammeln ja manchmal die verrücktesten Dinge, weißt du...“
„Entschuldige ihn nicht immer wieder. Was ist es ?“
„Na, eigentlich ... also ich darf´s mir erst anschauen, wenn ich zu Hause bin. Aber ich weiß jetzt schon, dass es ein alter, verfaulter ...puh, ich hasse Käfer... ist, den er schon sehr lange ...igitt.... mit sich herumschleppt ! Muttsch hat`s mir nämlich verraten, gerade als die Kinder miteinander beschäftigt waren. Sie hat mich vereidigt, dass ich diesen Fl... also Flutschi auf keinen Fall wegschmeißen soll. Die Kinder würden das alte Ding sehr ernst nehmen und jeden Tag darüber sprechen.“ Sie kicherte nun auch. „Stell dir vor, Julchen behauptet, der würde sogar seine ...na ja...“, Margrit musste sich nun doch so ein kleines bisschen bei diesem Gedanken würgen, “...langen, haarigen Beine ausstrecken, wenn man ihn hinter den Ohren...“, sie lachte nun lauthals los, „....oder am Bauch kraulen würde !“
„So ein kleines, winziges Ding kraulen ?“ krächzte George und lachte dann auch. Doch dann wurde er wieder ernst, sehr ernst sogar. „Weißt du, Margrit, was wir jetzt tun werden ?“ sagte er fest entschlossen. “Wir fahren nach Randersacker.“
„Na schön, aber warum ?“
„Um drei Strohmatratzen zu holen, natürlich !“
„Ah, bekommen wir Gäste ?“
„Nein, darauf wird nur später eine alte Dame mit ihren Enkeln schlafen und natürlich ein ausgesprochen fetter Kater! Sollte mal abspecken, das Tier !“
„George ?“ kreischte Margrit. „Hast du etwa deine Meinung geändert ? “ Und sie wollte ihm dabei um den Hals fallen.
„He he, ich fahre hier einen Jambo“, protestierte der. „Willst du das wohl lassen, du kleine Hexe, du ?“
„Deswegen also wolltest du so dringend mit Mike sprechen. Du hast mit ihm verhandelt, richtig ?“
Er nickte schmunzelnd.
„Und, was hat der gesagt ?“
„Hat natürlich Schwierigkeiten gemacht. Das sind gute Arbeitskräfte, die ich dann verliere, hat der frech behauptet. He, als ob kleine Kinder und alte Menschen zu solch einer Arbeit benutzt werden dürften!“ George machte ein finsteres Gesicht.
„Und dann ?“
„Nun, schließlich konnte ich ihn doch ein wenig umstimmen, diesen ...diesen brutalen Ausbeuter !“ George knirschte dabei mit den Zähnen. „Ich sagte, dass wir ihm dafür etwas bezahlen würden und da räumte er plötz¬lich ein, dass er noch einmal darüber nachdenken würde. Wir sollen in zwei Tagen wiederkommen.“
„Das ist gut, dann kann ich ja auch Tobi die frisch gewaschene Decke zurückbringen!“ Sie hielt nachdenklich inne und sagte dann: „George, wie soll ich mich nur für deinen großen Einsatz bedanken ?“
„He, das brauchst du gar nicht ! Bedanke dich einfach im Stillen bei Diguindi. Als deine Mutter diese Geschichte von ihm erzählte, wurde mir klar, dass man sich sehr wohl auch einen Außerirdischen zum Vorbild nehmen könnte, selbst wenn es...“, er schluckte, denn er leider musste er dabei wieder mal an Robert, den Onkel und seine treue Freundin denken, die er alle durch die Hajeps verloren hatte und dann räusperte er sich fest entschlos¬sen, „...also, selbst wenn das Gute mitten im Bösen sitzt !“
Tränen liefen nun beiden übers Gesicht.
„Wird Mike viel für meine Familie verlangen ?“ krächzte Margrit schließlich.
„Pah, die Welt wird`s schon nicht sein ! “ George wischte sich mit dem Handrücken über die Nase und dann blinzelte er tapfer in das Sonnenlicht hinein.

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