Das Licht der Hajeps
von doska

 

Kapitel 14a

Kapitel 14

Nachdem Margrit für ein Weilchen gewartet hatte, öffnete sie die Wagentür, schob sich die Brille zurecht und ihre hellen, blauen Augen suchten prüfend die Gegend ab. Nichts Beunruhigendes war mehr zu sehen und die Geräusche von noch immer kämpfenden Truppen kamen inzwischen aus genügend weiter Entfernung. Schüsse waren zwar zu hören und böses Geschrei, aber das kümmerte Margrit nicht. Sie hatte es ziemlich eilig.
„Jasu me, moi xabir! Dos!“ rief sie aufgeregt Danox zu.
Das kleine Ding hopste sofort vom Fahrersitz auf die Straße. Danox hatte wohl ebenfalls nichts besonderes entdeckt, denn er summte dabei zufrieden. Schnell schlichen sie wieder zurück, doch als sie angekommen waren, musste Margrit feststellen, dass wohl neugierige Hajeps oder Jisken bereits alles abgeräumt hatten. Lediglich beschädigte Dinge hatten sie zurückgelassen. Enttäuscht ergriff sich Margrit noch einen einigermaßen passablen Topf und dann suchte sie nach ihren Beuteln. Hoffentlich hatten die Außerirdischen wenigstens die nicht ange¬rührt. Sie entsann sich, dass sie die Gott sei Dank vorhin irgendwo ins Gebüsch geworfen hatte. Die Frage war jetzt nur in welches? Schließlich wuchs hier auch an den unsinnigsten Stellen reichlich viel davon.
Da kam ihr ein Gedanke. Ob sie wohl Danox auch als ´Suchhund´ einsetzten konnte?
„Danox, jelso ken!“ wisperte sie angespannt und ließ seine langen Fühler den Topf abtasten. „Nota, nota!“ ermunterte sie ihn ungeduldig, da er ziemlich lange machte. Außerdem glaubte sie nicht so recht, dass es klappen würde.
Nun setzte er sich auch noch hin, schien wohl darüber nachzudenken, denn es summte und surrte plötzlich so merkwürdig in seinem komischen Metallkopf. Schließlich machte er sich mit seinen langen Beinen reichlich bedächtig auf den Weg. Schnupperte mit seiner rüsselartigen Nase mal hier mal dort, schob mit den sonderbaren Fühlern mal dieses mal jenes Zweiglein zur Seite, um wohl darunter zu schauen. Und plötzlich binnen weniger Minuten hatte er nicht nur einen, sondern gleich alle Beutel gefunden. Margrit war zwar begeistert, drückte sich aber trotzdem vor einem weiteren Dankeskuss auf seinen verstaubten Rücken.
„Usomi, Danox! Twacha usomi!“ lobte sie ihn dennoch artig, während sie den Topf, den sie vorhin gefunden hatte, noch in einem der leeren Beutel verstaute. „ Jelso wona sahon kito!“
Die Glühbirnchen leuchteten auf, zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Hurtig ging es zurück. Margrit gab nämlich der Gedanke keine Ruhe, trotz allem bei diesem Schwarzhändler wenigstens die Dinge anzubieten, welche sie sich gestern Abend noch von den ´Maden´ hatte erbetteln können. Das war zwar spärlich, aber wenn sie ihm alles schilderte, die ganze Sache mit ihrer Familie, würde er doch wohl mit ihr erbarmen haben! Schlie߬lich rang sie sich dazu durch, einfach weiterhin unterwegs nach interessanten Dingen Ausschau halten, denn restlos alles konnten ja diese verrückten Außerirdischen wohl schlecht gefunden haben. Sie beschloss schließlich sogar trotz aller Gefahr, denn in der Ferne war ja eigentlich noch immer viel Lärm zu hören, dabei einen kleinen Umweg durch weitere Straßen des Villenviertels zu wagen, um dort nach wertvolleren Dingen zu suchen. Der Feind kämpfte wohl weiterhin mit den Jisken! Erstaunlich, dass sich dieses Volk dermaßen für die paar Trowes einsetzte. Verwunderlich überhaupt dieses anhaltende Interesse sämtlicher Außerirdischer an Danox! Etwas ausgesprochen Verheißungsvolles mochte wohl inzwischen von irgend jemandem über dieses Ding sowohl den Jisken als auch den Hajeps und Loteken zugetragen worden sein, dass deswegen vermutlich sogar Pasua auf der Erde gelandet war! Margrit hörte das Sausen weiterer Lais in den Straßen vom östlichen Teil der Stadt. Es schie¬nen immer mehr Fahrzeuge zu werden und das Rauschen und Hämmern sonderbarer Bodengeschütze. Drei weitere Kampfflugzeuge waren wohl inzwischen zu Boden gegangen. Margrit hatte es dabei hinter sich mächtig Dröhnen und Krachen gehört und alsbald Feuer gierig empor züngeln und fette Rauchwolken zum Himmel hinauf wandern sehen. Es stank deshalb noch immer ein wenig nach Verbranntem, obwohl die Außerirdischen es verstanden hatten, sofort und geschickt wieder alles zu löschen. Sie waren inzwischen dermaßen ineinander verkeilt, das dieser Umstand Margrit nur zum Vorteil gereichen konnte.
Kaum dass Margrit das Villengebiet wieder erreicht hatte, musste sie feststellen, dass hier wohl ein wesentlich heftigerer Kampf stattgefunden hatte, als sie sich das so gedacht hatte, denn es waren deutliche Spuren davon zu sehen. Zum Beispiel eingestürzte und verkohlte Dächer. Manchmal standen nur doch die Mauerreste eines Hauses herum, riesige Löcher in Häuserwänden, metertiefe Krater in Straßen oder Bürgersteigen, völlig wegge¬fräste, zerkrümelte Bäume. Aber es gab auch dezentere Dinge, die bereits darauf hinwiesen. Nämlich lange, dünne Bahnen merkwürdiger Geschosse, wie mit winzigen Kreissägen verursachte Risse hier und da, meter¬lange, hauchfeine Brandspuren auf den Bürgersteigen, runde, exakt anmutende und nur daumenbreite Löchlein in manch einem Pfeiler oder Baum, durch welche man hindurchschauen konnte. Hier und da sogar ein reichlich klebriges Humushäufchen, sonderbar schwarze Blutspuren, die irgendeinen Weg entlang führten. Manch ein übriggebliebener Fetzen - wohl von hauchfeiner, metallartiger Kleidung – lag mitten im Weg, baumelte vom Ast herab oder wurde vom Wind durch die Straßen gewirbelt.
Als Margrit gerade an einer von dichtem Moos überwachsenen Mauer vorbeikam, stockte ihr der Atem; denn direkt dahinter, in der Einfahrt eines angrenzenden Backsteingebäudes, hatte Margrit einen Menschen auf einer Leiter oder etwas ähnlich Erhöhtem seelenruhig sitzen sehen. Oh Gott, begegnete ihr etwa heute doch noch ein Mensch? Vorsichtig, und so als ob eine schnellere Bewegung jede Hoffnung zunichte machen könnte, schob sie sich die Brille zurecht und blickte mühsam an drei immergrünen Büschen vorbei. Tatsache! Margrit atmete keuchend aus. Die Proportionen stimmten ... da hinten war kein verkleideter Trowe, wirklich ein Mensch! Na ja, so sah das jedenfalls erst mal aus. Sie runzelte angespannt die Stirn und schob dabei eine Haarsträhne, die ihr wieder aus dem Haargummi gekrochen war, hinter das Ohr. Aber ... was wollte der da oben? Worauf saß oder vielmehr lag der eigentlich? Hatte der etwas von dort aus sehen wollen, wie weit sich die Außerirdischen inzwi¬schen zurück gezogen hatten und war plötzlich darüber eingeschlafen? Margrit musste über diesen abstrusen Gedanken nun doch ein bisschen schmunzeln.
Er lehnte dabei rücklings am Stamm einer uralten Eiche. Margrit stellte sich auf die Zehenspitzen, um mehr zu erkennen und verlor dabei fast ihre ausgeleierten Turnschuhe. Sie hörte es direkt neben ihrem Ohr plötzlich unangenehm surren. Danox war mit seinen hautähnlichen Flügelchen empor geflattert und linste nun mit seinen Glühbirnchenaugen ebenfalls über die Mauer. Er hatte sogar die Fühler ausgefahren, welche er immer wieder abwechselnd in die Richtung ausstreckte, wo der Mann lag. Plötzlich fuhr Danox zurück und zwar so wie etwa ein Mensch, der plötzlich jemanden wiederzuerkennen gemeint hatte, gab jedoch keinen Ton von sich, sondern taumelte nur recht undiszipliniert in der Luft herum, was Margrit sehr überraschte, denn für sie war noch immer nichts Besonderes erkennbar. Enttäuscht sank sie wieder auf ihre Fußsohlen und somit in ihre Turnschuhe zurück. Danox hingegen hatte sich – so schien es – beruhigt, blieb aber weiter in der Schwebe und spähte in die Ferne.
Sollte Margrit nun den komischen Mann da vorne einfach so herumlümmeln lassen oder nicht? Sie zog sich mit gekrauster Stirn die Hacke ihres Schuhs zurecht. He, es konnte für diesen vielleicht doch gefährlicher werden als gedacht, sofern die Truppen wiederkamen. Aber warum sollten sie? Und wenn es nun den Trowes bei diesem ganzen Durcheinander – denn sonderlich diszipliniert waren ja diese außerirdischen Truppen nicht, sonst hätten sie nicht so ganz nebenbei geplündert - geglückt war, sowohl den Hajeps als auch den Jisken zu entkommen und bis hierher zu türmen? Das wäre dann aber ein ausgesprochen verrückter Zufall - wirklich! Sie ordnete ihr Haar und beobachtete dabei Danox. Was hatte der nur? Es surrte schon wieder so komisch in seinem Kopf.
„Ke, Danox, kor wan dus?“ fragte sie ihn leise. Er reagierte nicht, flog jetzt nur hinter einen Zweig jener immergrünen Büsche, anscheinend um sich vor den Blicken dieses Mannes zu verbergen, gab aber trotzdem keinen warnenden Ton von sich, aber auch keinen beruhigenden. Konnte er plötzlich defekt sein? Immerhin war er schon etliche Jährchen alt, nach alledem was Margrit so über Danox gehört hatte. Und dann meinte sie plötz¬lich zu wissen, weshalb er sich so komisch benahm. Er hatte niemanden wieder erkannt, oh nein, das Gegenteil war wohl eher der Fall. Er hegte nämlich ein beträchtliches Misstrauen gegen Personen, die er noch nicht kennen gelernt hatte. Im Klartext: er wusste jetzt einfach nicht, was er von dem Menschen dort vorne halten sollte. Darum auch null Information! Also musste Margrit selber entscheiden. Hm, schwierig die ganze Sache! Aber die erste Möglichkeit, dass dieser Mensch auch ein gut verkleideter Außerirdischer sein konnte, schlug sie schon mal ganz aus, denn der Feind war ja auf der Suche nach Trowes gewesen, hatte also auch nicht vor, irgendwel¬che Menschen anzulocken. Außerdem befand er sich mitten im Kampf mit den Jisken. Jeder Mann wurde also gebraucht. Was sollte er dann ausgerechnet hier und allein? So beschloss sie also, diesen Menschen aufzusu¬chen, denn es konnte ja sein, dass irgendwie Hilfe nötig war. Danox sah, dass Margrit kehrt machte, ließ sich deshalb zur Erde fallen und kam ihr mit zitternden Beinchen hinterher. Margrit hatte bereits die Mauer hinter sich gelassen, als Danox mit einem leisen, kaum hörbarem Ächzen neben einem leeren Helm stoppte, der im Rinnstein lag. Margrit wendete sich um, grässlich, der prächtige Helm, welcher ganz gewiss vom letzten Kampf herrührte, war über und über mit schwarzen Spritzern besudelt und roch richtig unangenehm. Nicht nur Margrits Nackenhaare stellten sich deshalb auf, ebenso die kurzen Wuschelhärchen zwischen Danox spitzen Ohren und sie zitterten sogar vor Elektrizität. Vorsichtig, ganz vorsichtig stelzte Danox schließlich doch an diesem Helm vorbei.
Und dann standen sie vor dem prächtigen Tor des gusseisernen Zaunes, der den parkähnlichen Garten vor dem Backsteingebäude umgab. Margrit spähte durch die Gitterstäbe und Danox ebenfalls. Und schon wieder musste Margrit schmunzeln, denn das Bild, welches sich ihnen bot, war wirklich zu komisch um wahr zu sein. Denn der Bursche lag völlig entspannt auf einer steinernen Mülltonneneinfassung! He, warum ruhte er denn nicht in dem lädierten, jedoch recht gemütlichen Stuhl, der vor dem Geräteschuppen stand? Margrit rieb sich gedanken¬versunken das schmale Kinn. So war er erhöht und für jeden sichtbar, sogar von oben. Dieser Mensch hatte seine knallrote Schirmmütze so tief ins Gesicht gezogen, dass man nur die untere Hälfte davon erkennen konnte. Er trug außer der grauen Pumphose, oder was das auch immer für ein merkwürdiges Bekleidungsstück war, und den schwarzen, mit merkwürdigen Schnallen versehenen Stiefeln, eine weite Jacke über dem weißen Hemd, das einen ziemlich hohen, aber irgendwie eleganten Stehkragen besaß. Die Jacke hatte das gleiche grelle rot wie die Schirmmütze. War `ne richtige Zielscheibe, aber schick, der Knabe! Margrit kicherte verwirrt in sich hinein. War ja auch egal! Jedenfalls war dessen Anwesen reichlich verwildert und das Glas der Terrassentür sah aus, als wäre es kürzlich zerschlagen worden, drinnen schienen außerdem Möbel umgestoßen worden zu sein. Die Tür vom Flur dahinter schien sperrangelweit offen zu stehen und den Blick auf einige der übrigen Räume frei¬zugeben, in denen es wohl reichlich wüst zugegangen war. Hatte es etwa vorhin eine Hatz quer durchs Haus gegeben? Der Gartentisch auf der mit Scherben übersäten Veranda war umgekippt und zwei lange Tischdecken¬zipfel flatterten hilflos im Wind, ebenso zeigten die Stühle ihre Unterseite, zwei davon waren einfach in das verwilderte Rosenbeet gestürzt. Was war hier passiert? Das war hoffentlich kein Krieg gegen die restlichen Menschen, welche sich wohl noch in der Stadt verschanzt hielten, gewesen, oder? Ihr Blick wanderte wieder zu dem sonderbaren Burschen zurück. Wer war dieser Mann? Was hatten sie mit ihm gemacht?
Margrits Herz begann schneller zu schlagen, als sie sah, dass anstelle des Gartentorschlosses nur noch ein etwa handbreites Loch vorhanden war. Der prächtige Steinsockel, der das Tor hielt, hatte ein ebensolches, man konnte durch beide abwechselnd ziemlich gut den Garten überschauen. Margrit entdeckte regelrechte Trampelpfade im meterhohen Gras und niedergedrückte Stellen hinter Buschwerk, wo man sich vermutlich verborgen gehalten und größere Flächen, wo man sich versammelt hatte.
Sie hielt sich schließlich an den gusseisernen Stäben des Tores fest, als müsse sie an irgendetwas Halt finden und lehnte die heiße Stirn dagegen. Weshalb klettert jemand von alleine auf so eine dämliche Mülltonneneinfassung? Verdammt, verdammt! Hatte er nach jemanden gesucht und war dann vielleicht dort oben umgekippt, aus welchem Grunde auch immer, und nur der Baum hinter ihm hatte seinen Sturz aufgehalten? Sehr absurd das Ganze! Aber Margrit konnte irgendwie nicht umkehren, auch wenn Danox ihr das mit heftigen Bewegungen seiner beiden Fühler anzudeuten versuchte, vielmehr trieb sie irgendetwas an, unbedingt in diesen Garten zu gehen. War`s die Neugierde, oder die unerklärliche Sehnsucht nach ihrer eigenen Spezies, oder einfach nur ernstliche Sorge um diesen Burschen? Ihre Hände zitterten jedenfalls so sehr, dass sie zunächst das Tor gar nicht aufbekam, obwohl das gewiss ganz einfach ging und so fragte sie durch die Gitterstäbe hindurch:
“Hallo?” Ihre Stimme hatte ängstlich und zag geklungen, etwa wie bei einem Kleinkind und so gab sie sich einen Ruck, wurde kesser und somit lauter: “HALLOOOO?”
Hu, hatte sie sich über ihre eigene Tonlage erschreckt, denn ihre Knie bebten jetzt wie Pudding, auch Danox kleiner runder Körper zitterte wie ein defekter Presslufthammer. Sie atmete tief durch, beruhigte sich und über¬bot sich schließlich selbst: “GUTEN TAG!” brüllte sie, für diese unangenehmen Verhältnisse sagenhaft laut.
Mit gekrauster Nase riss sie schließlich die Pforte wild entschlossen auf. War schlecht geölt, typisch! Der schrille Ton ließ nicht nur sie sondern auch Danox zusammenfahren, doch dann betraten beide einfach das Grundstück. Der Bursche reagierte noch immer nicht. Nur der Wind bewegte ab und an die Zipfel seiner offenen Jacke, und daher begann Margrit, ein volkstümliches Lied vor sich hinzusummen, sie sang nämlich gerne, am liebsten sogar, wenn sie sich ein wenig hilflos fühlte, denn das beruhigte sie.
Immer noch kam keinerlei Reaktion von ihm. Margrit zupfte ein paar Halme von ihrem Ärmel und schaute zu ihm hinauf. Der Typ war gut gebaut, das musste sie schon zugeben und wie er da so lag, mit diesen breiten Schultern und den ganz langen Beinen, so völlig entspannt, da war er einer männlichen Schaufensterpuppe längst vergangener Zeiten wirklich nicht ganz unähnlich. Nun stand sie ganz dicht vor ihm. Sie hätte sich nur ein wenig zu ihm emporrecken, die Hand nach ihm auszustrecken brauchen und ihn zum Beispiel am Knie oder Bauch berühren können. Aber das wagte sie nicht. Irgendetwas bremste sie. War es Danox komisches Gehabe? Aus dem Augenwinkel sah sie nämlich, wie sich kleine Ding gerade zwischen zwei große Felsbrocken, die wohl ehedem zur Zierde dieses Gartens gereicht hatten, verkroch und dabei sämtliche Gliedmaßen, einschließlich Kopf im wohl recht geräumigen Körper verschwinden ließ. Nun sah Danox ganz so aus, wie ihn Margrit einst vorgefunden hatte: Verstaubt, scheinbar nutzlos, eben wie ein Stein und er gab noch immer keinen Ton von sich.
Margrits Wimpern flatterten unsicher, als ihre Augen wieder zu der schicken Schaufensterpuppe zurück wanderten. Und plötzlich wusste sie, warum sie solche Hemmungen vor diesem Kerlchen hatte. Dieser Typ sah nämlich nicht nur gut aus .... er war einfach schön! Dabei war sie doch gerade bei Männern stets sehr kritisch gewesen. Wo viele Frauen gleich wild losjubelten, hatte sie immer noch etwas auszusetzen gehabt. Aber das Gesicht, dieser Männerkörper, jedenfalls das, was sich davon unter der Kleidung abzeichnete, schien wirklich ohne jeden Makel zu sein! Verdammt, wie kam sie nur dazu? Schließlich konnte man doch noch gar nichts genaues über ihn sagen. Nicht einmal sein Gesicht war vollständig entblößt. Sie schaute auf sein Kinn. He, wie eitel! Dort, wo er ein kleines Grübchen hatte, war ja ein kleiner, silberner Stern eintätowiert! Der Bursche schien wohl ganz genau zu wissen, wie attraktiv es war! Hm, Margrit wurde jetzt richtig neugierig, bückte sich etwas, um von unten zu ihm hinauf unter die Schirmmütze zu lugen. Och, da war nur sein Mund ... pah ...nichts Beson¬deres! Nur so ein oller Knutschmund ... weiter gar nichts! Und oben drüber blinkte eben diese schicke Spiegel¬glasbrille. Ob man die wohl klammheimlich ...ohne, dass er es merkte? Welche Augen musste dieses Gesicht erst haben, wenn es einen solch sinnlichen Mund besaß? Zum Donnerwetter, schon wieder! Was war nur mit ihr passiert? Das war halt nur irgendein Mensch, der in Würzburg verblieben war. Aber ein ausgesprochen Tapfe¬rer, das musste man schon sagen. Wenn der hier mit den Außerirdischen gekämpft hatte, dann ...! Verdammt, schon wieder war sie dabei, sich für diese Pennratte hirnrissig zu begeistern.
Sie stellte ihre Beutel ab, direkt zu seinen Füßen, lehnte sie gegen die Mülltonneneinfassung und lief danach skeptisch einmal ganz um ihn herum. Hm ...hmmm ... sie musste diesen zur Erde herabgefallenen Engel wecken, klarer Fall! Und wie machte man das, wenn man solche Hemmungen hatte wie sie? Sie schlug die Arme über¬einander und fuhr kurz darauf zusammen. Grundgütiger Himmel, schon seit einem ganzen Weilchen hatte sie sogar die Hajeps in der Ferne völlig außer Acht gelassen. Lärm war zwar noch herauszuhören, aber kein unge¬stümes Toben mehr, sondern ein irgendwie geordnetes Rumoren. Wer hatte hier gesiegt? Die Jisken oder die Hajeps? Ach, das Wichtigste für Margrit dabei war, dass alles genügend entfernt war.
Plötzlich kam Margrit der Anflug eines schlimmen, wirklich sehr schrecklichen Gedankens. Was war, wenn dieser göttliche Adonis bereits nicht mehr lebte? Du lieber Himmel, konnte man denn so unverschämt gut aussehen, obschon man längst eine Leiche war? Na ja, wenn ...also dann -sie schluckte- musste dieser Typ jedenfalls bereits erstarrt sein, denn sonst hätte er nicht in dieser Stellung so hoch oben auf der Mülltonnenein¬fassung lehnen können. Er wäre heruntergefallen! Peng! Flatsch! Oder hatte man ihn etwa ... ihr Herz klopfte nun wieder ziemlich schnell ... festgebunden? Makabere Idee! Aber es bestand doch wirklich die Möglichkeit, dass dieser Mensch bereits ermordet worden war? Sie spielte hektisch an ihrem Ohrring. An diese Variante hatte sie die ganze Zeit noch gar nicht gedacht, ehrlicherweise nicht denken wollen! Wirklich! Die Hajeps konnten vorhin gut und vor allem gerne ihre ´niedlichen´ Spielchen mit ihm getrieben haben. Hm ... aber eigentlich sah er nicht so aus, als ob er so einfach ´niedliche Spielchen mit sich zulassen würde! Na, egal - aber dafür hatten sie ihn womöglich auf diese Mülltonneneinfassung gesetzt. Gewissermaßen als kleinen Gag! Igitt! Ihre Hand ließ den Ohrring endlich los. Bestimmt hatte er dann überall Spuren von irgendwelchen F...
Folterungen? Grässlich ... ekelig! Nein, sie wollte jetzt nicht zimperlich sein. Aber, konnte sie es denn allen Ernstes ertragen, wenn ihm zum Beispiel der hübsche Kopf herunterfiel, da man ihn womöglich bereits ent...hm ...hauptet und den, nur vielleicht nur so zum Spaß, wieder auf seinen Rumpf gesetzt hatte? Nein, sie brachte es jetzt ganz bestimmt nicht fertig, ihn bei den Schultern zu nehmen und kurz durchzuschütteln, wie sie sich das eigentlich zuerst vorgenommen hatte, um ihn wieder wach zu kriegen. Es war nämlich ein großer Spaß der Hajeps, Menschen in Angst und ekelhafte Stimmung zu versetzen.
Darum reckte sie sich zu ihm empor und legte nur ausgesprochen sacht ihre Hand auf seinen Arm. Er rührte sich nicht.
“Hallo?” sagte sie wieder, aber es klang wohl eher wie irgendein Genuschel. Boah, waren das vielleicht Muckis, dabei war das nur der Unterarm! Aber leider noch immer keine Reaktion. Herr im Himmel, es schien ihm wirk¬lich sehr schlecht zu gehen, denn sein Gesicht war nicht nur völlig bleich, selbst seine Lippen erschienen ihr plötzlich bläulich! Wie konnte ihm nur eine dermaßen hässliche Farbe trotzdem dermaßen gut stehen?
Sie nahm den kleinen Schemel, den sie links vom Schuppen entdeckt hatte, stellte den dicht vor die Mülltonnen¬einfassung und kletterte darauf. Nun war sie mit ihrem Gesicht ungefähr auf seiner Höhe und ihr Schatten fiel auf ihn. Sie sah auf diesen kussbereiten Mund und beugte sich vor - zugegeben, vor lauter Aufregung, nicht gerade geschickt, denn es fehlte nicht viel und sie hätte ihn mit ihren Lippen berührt.
"He, Sie", krächzte sie dabei lauter. "Geht es Ihnen nicht gut?"
Nicht die kleinste Zuckung seiner Mundwinkel, kein Atmen ... nichts! Vor lauter Enttäuschung wollte sie sogleich hinabsteigen, doch dann gewahrte sie sonderbare Flecken an seinen Wangen. Etwa Schmutz? Sie wollte sie wegwischen, verharrte aber. Nein, das waren wohl eher weitere Tätowierungen oder gar Narben? Eigentlich beides, wenn sie genauer hinschaute. Zwar schon längst verheilte, jedoch immer noch enorm tiefe Löcher, die groteskerweise mit jeweils einer grünen Zackenlinie recht deutlich zur Geltung gebracht worden waren. Du lieber Himmel, warum tat er sich denn so etwas an? Schmückte diese derart grausigen Verletzungen auch noch. Sie war darüber so verwirrt, dass sie beinahe gemeinschaftlich mit dem Schemel umgekippt wäre.
Fast im gleichen Augenblick vernahm sie in der Ferne, dass der Feind dabei war, wieder einmal Lais in Gang zu setzen. Die Motoren brummten auf. Es gab wohl ein paar kleinere Einheiten, die sollten jetzt wieder heimwärts, oder? Nanu, jetzt wurde es wieder ganz still. Irgendwie machte ihr das Angst und sie regte sich deshalb für ein Weilchen nicht. Aha, endlich! Da waren sie doch wieder zu hören. Margrit hatte sich schon richtig nach diesem Lärm gesehnt. Ach, es war ihr jetzt ganz Wurst, ob sie nun mit ihren kleinen Gleitern bis zu ihren Stützpunkten fahren oder fliegen würden oder im riesigen Trestine, hauptsache sie blieben hübsch dort, wo sie gerade waren.
Sie legte nun ihr Ohr auf seine Brust ... erst verständlicherweise zag, so dass sie ihn kaum berührte - na ja, man wusste ja nie, was dadurch so alles noch von oben herunterfallen konnte – dann aber so, dass sie wirklich etwas hören müsste. Merkwürdig, auf der linken Seite seines Oberkörpers vernahm sie nichts ... aber etwas weiter rechts. da hörte sie es ... erst kaum, aber dann immer heftiger schlagen, sein Herz! Grundgütiger Gott, er lebte also! Sie war von dieser Erkenntnis regelrecht überwältigt, taumelte daher wieder fast vom Schemel herunter, dabei glitt ihr Blick zu ihren Beuteln, die immer noch zu den Füßen dieses ´zu Stein gewordenen Engels´ und unten gegen die Mülltonneneinfassung lehnten, ganz so, wie sie die halt vordem hingestellt hatte.
War es eigentlich gut, sollte sie diesen Kerl heute noch wach bekommen, wenn er dabei gleich diese Beutel
sah? Sie bückte sich, versuchte die langen Grashalme darüber zu zupfen und der Schemel, auf dem sie noch immer stand, kippelte dabei bedenklich, aber es gelang ihr trotzdem nicht richtig, die Taschen zu verbergen.
Verdammt, sie knirschte mit den Zähnen und stieg hinab, heutzutage beklaute doch jeder jeden und sie kannte den Burschen nicht. Er war stärker als sie. Also hatte es vielleicht auch sein Gutes, dass er noch immer nicht richtig zu sich gekommen war. Sie schaute sich um. Sollte sie nun die Beutel irgendwo im Schuppen ... oder waren sie besser hinter dem Brunnen dort aufhoben ...oder gar im Haus?
Nein, das war alles viel zu weit, so viel Zeit hatte sie nun auch wieder nicht. Ohne weiter viel über die Hajeps im Osten nachzudenken, schob sie, leise ächzend, erst einmal die schweren, langen Beine dieses ´Schnarchis´ beiseite, dann öffnete sie die gewaltige Tür der steinernen Einfassung direkt unter ihm - es quietschte etwas - und ließ die Beutel einfach in die riesige Mülltonne fallen. Ein lautes, schepperndes Plumpsen hatte ihr dabei ange¬zeigt, dass die Tonne nicht nur sehr tief, sondern außerdem leer gewesen war. Oh Gott, war wohl nicht so ein guter Gedanke gewesen, denn wie sollte sie die Beutel später daraus wieder hervorbekommen? Na egal, Margrit machte einfach alles wieder zu - es quietschte abermals, doch diesmal viel schlimmer als vordem - und da sah Margrit, dass der ´Engel´ erwacht war. Er beobachtete Margrit wohl schon seit einigen Minuten, es war ihr nur nicht aufgefallen, weil sie so sehr mit ihren Taschen beschäftigt gewesen war. Sie konnte trotz seiner undurch¬sichtigen Brille irgendwie spüren, dass er sie anstarrte, denn er hatte dabei den Mund leicht geöffnet, hatte regel¬recht vergessen, ihn wieder zu schließen.
Margrit war ebenso fassungslos über diesen beinahe unwirklichen Moment. Sie verharrte mitten in ihrer Bewe¬gung, denn irgendwie hatte sie, wenn sie ehrlich war, heute überhaupt nicht mehr damit gerechnet.
Sie konnte nicht sprechen, nicht einmal mehr schlucken oder gar atmen! Vielleicht aus Angst, es könne deshalb gleich wieder alles vorbei sein? Das Traumgesicht hatte sich dabei ein wenig zur Seite gewendet und war somit zum Teil hinter einem Zweig verborgen, als verstecke es sich vor Margrits Blick. Das einzige, was nun bei Margrit sehr tüchtig funktionierte, wissen wir, das war ihr Herz. Es trommelte so sehr, dass sie glaubte zu ersti¬cken, würde sie nicht augenblicklich Luft holen. Konnte sie das tun? Sie wagte einen kleinen Atemzug.
Doch der genügte nicht und so hob und senkte sich ihre Brust. Schließlich keuchte sie ganz entsetzlich! Gott sei Dank veränderte sich die Miene des Engels deshalb nicht! Margrits Wangen hingegen zuckten, sollte sie lachen oder nicht? Ihr wurde heiß, der Magen rumorte.
´Auweia´, dachte sie plötzlich, ´wenn der seine noch eben vor ihr versteckten Flügel ausbreitet und von dieser Einfassung fliegt ...Unsinn ...wohl eher springt. Oh Gott, warum sollte er denn das alles tun?´ Sie schluckte bei diesen vielen wirren Gedanken und mit einem Male überfiel sie Panik - so sehr, dass sie den augenblicklichen Wunsch hatte wegzuflitzen! Aber sie riss sich zusammen.
´Verrückt´, dachte sie jetzt. ´Die ganze Zeit hattest du dich danach gesehnt, dass diese Skulptur, dieser Granit¬block endlich zum Leben erwachen würde und nun tut man dir den Gefallen und es ist dir auch nicht Recht.´ Konnte es vielleicht die gewaltige Größe dieses muskelbepackten Kerlchens sein, die ihr plötzlich ins Auge stieß oder ...? Gleichzeitig wiederum musste sie feststellen, dass sie eigentlich gar nicht mehr fort konnte, irgendetwas hielt sie fast auf magische Weise fest. Ja, sie war von diesem eigenartigen Moment, dieser völlig neuen Situa¬tion, wie verzaubert – einfach überwältigt! Himmel, weshalb eigentlich? Schließlich war doch nichts weiter passiert, als dass ein ganz normaler Junge endlich wach geworden war? Was zwang sie also, unbedingt dort zu bleiben, wo sie war? Darum richtete sie sich sehr langsam und vorsichtig endlich auf.
”Amar?“ krächzte sie zu ihm hinauf. Komisch! Warum sagte sie gerade das? „Äh, Hallo, meinte ich natür¬lich!“ Und dann lächelte sie ihn einfach an.
Er schaute nur auf die Winkel dieses rosafarbenen Mundes, da die so komisch nach oben gestülpt und eingezo¬gen waren und dann glitt sein Blick abermals über dieses Gesicht, welches sich erstaunlicherweise durch die tiefen Furchen in den Wangen auch in seiner Gesamtheit fast völlig verändert hatte, da es runder und somit weicher geworden war. Die Augen leuchteten in einer hellen, wasserblauen Farbe mit einer ziemlichen Ausdruckskraft und selbst die zarte Haut drum herum kräuselte sich sanft in vielen kleinen Wellen.
Da er das seinige noch immer hinter dem herabhängenden Zweig verborgen hielt und somit ein wenig zur Seite gedreht hatte, konnte Margrit sehr gut die ein wenig seltsam ausschauende Ohrkapseln mustern, die er trug. Dabei fiel ihr auf, dass die viel zu klein waren, höchstens zwei Zentimeter breit, um ...sie schluckte ... verdammt, er hatte keine Ohrmuscheln mehr! He, weshalb eigentlich? Sie machte sehr langsam und vorsichtig mehrere Schritte vor ihm zurück. Dann meinte sie zu wissen weshalb. Dieser Mann musste früher Schreckliches erlebt haben. Hajeps hatten ihm, gewiss als er noch klein war, so etwas Grausames angetan. Daher wohl auch die furchtbaren Verletzungen in den Wangen. Ach, sie hatte ja schon die grässlichsten Dinge gehört und sogar selbst gesehen. Womöglich schmückte er diese grässlichen Verletzungen, weil er auf diese Weise darüber hinweg zu kommen hoffte. He, das sah gar nicht mal so schlecht aus! Der Junge hatte Geschmack!
Er musterte ihre Stirn, die lag plötzlich in Falten. Still bei sich musste er zugeben, dass er von der enormen Beweglichkeit dieses Gesichts nicht gerade unbeeindruckt war!
"Sie sind taub, richtig?" sagte Margrit jetzt einfach und lächelte ihn wieder mutmachend an.
Zwar hatte er nichts verstanden, aber reizend, ganz reizend fand er doch immer wieder dieses Mundwinkelhi¬naufziehen. Es erschien ihm sogar am besten, weil da immer die Augen so schön mitblitzen konnten! Er seufzte zufrieden.
Margrit stutzte. Warum seufzte der denn so komisch? Na klar, er hatte Schmerzen. Das fragte sie ihn auch gleich und unterstrich noch alles, so gut es ging, mit Zeichensprache.
Wie erwarte, kam kein Wort aus ihm heraus, außer einem weiteren Ächzen. Er war so erstaunt über ihre hekti¬schen Bewegungen mit den Händen, dass er zu nichts weiterem fähig war.
Angestrengt grübelte Margrit und hielt sich dabei das Kinn. Womöglich war er gar gelähmt, da er nicht einmal die Finger bewegte!
´Warum fasst sich das Geschöpf jetzt ans Kinn?´ dachte er indes. Nurrfi, nurrfi, Völker fremder Planeten zu erforschen, war stets sein Hobby gewesen und er konnte heute wohl tatsächlich einiges mehr über diese Spezies Lumantias herausfinden als sonst, da dieses Exemplar sich so natürlich, so ungehemmt gab. Lag wohl auch ein bisschen daran, das es nicht eingesperrt war! Er musste nur ganz vorsichtig sein! Xorr, so weit er zurückdenken konnte, war er eigentlich noch nie vorsichtig gewesen! Lag ihm irgendwie nicht. Er dachte angestrengt darüber nach, stützte deshalb sein Kinn - nur so versuchshalber - in die Hand, wie es eben dieses Wesen tat, und siehe da, das beruhigte! Hingegen sein Fuß ... wippte!
Aha! Margrit hatte zu ihrer großen Erleichterung wenigstens etwas erfasst, nämlich, dass er nicht so schwer verletzt war, dass er sich nicht bewegen konnte. Allerdings schien er nun über irgendetwas angestrengt nachzu¬denken. Womöglich genierte er sich, dass er nicht hören und deshalb vielleicht auch nicht ganz so gut sprechen konnte. Sie stieg also wieder auf den Schemel, kam ihm ganz nahe und wies auf ihren Mund.
“Schauen sie ruhig darauf!” sagte sie. “Und haben Sie keine Hemmungen!”
Er fuhr erschrocken zusammen und sein Fuß hörte auf zu wippen. Denn was war jetzt? Warum rückte dieses Wesen plötzlich, zudem in solch einer aggressiven Weise, einfach vor und zeigte dabei auf seine eigenen Lippen? Da meinte er zu wissen, um was es hier ging! Er sollte natürlich etwas mit diesen Lippen machen! Hm ... hmmm.! Die Frage dabei war allerdings ....was? In seiner ganzen Hilflosigkeit hob er schließlich die Hand ziemlich langsam – denn man wusste ja nie, was solch eine niedere Natur in Wahrheit im Schilde führen konnte - und berührte mit dem Finger auf die gleiche Weise seinen eigenen Mund.
„Nanu?“ Margrit war ganz verwirrt und beleckte sich daher ihre trocken gewordenen Lippen. “Wollen Sie mir damit etwa andeuten, dass Sie zu sprechen nicht fähig sind? Ach, geben Sie mir doch bitte ein Zeichen!
Was fehlt Ihnen? “
Was hatte dieses besonders lebhafte Exemplar gerade von sich gegeben? Er hatte noch immer nichts verstanden! Es war völlig klar, dass es Hunger hatte, denn es beleckte sich sogar die Lippen. Für einen kurzen Moment dachte er dabei sogar an Kannibalismus, verwarf diesen Gedanken aber sogleich wieder, weil er das wohl mit den Völkern Krabasts, eines ebenfalls recht hübschen Planeten, durcheinander gebracht hatte. Jedoch hatte diese aggressive Vorgehensweise ganz gewiss etwas Besonderes zu bedeuten. Hich! Wenn nun dieses Exemplar eine Art Terrorist war, das damit andeutete, dass es vorhatte ihn augenblicklich zu töten? Erschrocken stellte er fest, dass es Waffen bei sich hatte, dann blickte er wieder angespannt auf diese Lippen und beleckte sich ebenfalls sehr, sehr vorsichtig die seinigen.
´Oh Gott!´ dachte Margrit. ´Jetzt weiß ich´s! Der Bursche hat Durst, denn er beleckt sich die Lippen. Armes Kerlchen.´ Margrit stieg stirnrunzelnd wieder vom Schemel herab. Sie musste ihm schnellstens etwas zu trinken bringen, damit er wieder zu sich kommen konnte. Sie lief einige Schritte von ihm fort, stemmte schließlich die Fäuste in die Hüften und schaute sich nach allen Seiten um. Vielleicht gab es hier einen Brunnen?
Hiich! Ein Glück. Das Geschöpf war vor ihm zurückgewichen. Kontriglusi, das hatte bestimmt daran gelegen, dass er trotz dieser kurzen Zeit die Gesten der Spezi Lumantias nicht nur perfekt zu deuten, sondern auch ebenso perfekt wiederzugeben verstand. Da sah er, dass es die Fäuste in die Hüften gestemmt und somit ihm den Blick auf sämtliche Waffen, die es im Gürtel trug, frei gegeben hatte. Zwar waren diese gegenüber jenen, die er selbst besaß ... er blickte dabei ziemlich stolz an sich herunter und stellte fest, dass da gar keine mehr waren! Bei sämt¬lichen Göttern, man hatte ihn entwaffnet! Fieberhaft tastete er jetzt seinen ganzen Körper ab ... hich, er trug ja auch keinen schützenden Tarnanzug mehr ... stattdessen so eine komische, völlig unmögliche Jacke ... passte gar nicht zu seinem Typ! Bei sämtlichen Göttern des Alls. Demnach war er diesem niederen Geschöpf völlig ausgeliefert. Hich, hich, hich! Kein Wunder, dass es ihm jetzt so stolz seine mickrigen Waffen zeigte. Warum saß er eigentlich auf diesem dämlichen Ding? Wo war sein Helm? Er tastete seinen Kopf ab und stellte fest, dass er stattdessen eine Schirmmütze trug und dass, wo er Schirmmützen überhaupt nicht ausstehen konnte! Erschöpf fiel er gegen den Baum zurück. Das war sein Todesurteil! Ohne seinen Spezialhelm musste er nämlich an der grässlichen Luft Lumantias ersticken. Er keuchte ob dieser schrecklichen Erkenntnis mit einem Male richtig heftig, hustete und sein Herz jagte. Xorr, das musste gerade ihm passieren, wo er so anfällig war! Zai, die Tablettendose! Er suchte schnaufend und prustend danach. Das könnte vielleicht noch das Schlimmste verhin¬dern. Bei Ubeka, auch weg! Sein Herz krampfte sich zusammen, abermals kippte er gegen den Baum und blieb so liegen. Er fühlte sich restlos erschlafft, trübsinnig, einfach leer! Ach, was sollte dieser Kampf! Diese Kreatur dort unten konnte ihn ruhig töten. Ihm war das jetzt egal! Er hatte keine Lust mehr.
´Ich ... ich will tot sein. Ja! Töte mich ...du ...du niedere Kreatur!´ dachte er halb ekstatisch. Da fiel ihm plötz¬lich ein, wo seine Medikamente geblieben waren. Asaton hatte sie ihm nämlich vorhin einfach abgenommen, als er halb gelähmt in diesem Garten zurück geblieben war. Er stützte wieder sein Kinn in die Hand, damit er besser zurück denken konnte. Bei Ubeka, der ganze Tag war schon von Anfang an wie verhext gewesen, hatte schon damit begonnen, dass ´Kahim´, sein Lieblingssatellit, kaum, dass der die Stadtmitte erreicht hatte, nur noch Fehlmeldungen an die Soldaten weitergab. Irgendetwas Unbekanntes, doch gewiss sehr Starkes, denn so leicht ließ sich gerade ´Kahim´ nicht verwirren, musste ihn von unten aus angepeilt und wichtige Teile des Robothirns blockiert haben. Kurze Zeit später, gerade als man die Trowes endlich nach langer Jagd durch die halbe Stadt in dieser Villa entdeckt und in den Garten geschleift und gleich an Ort und Stelle gefoltert hatte - sein Gesundheits¬zustand hatte sich in dieser Zeit buchstäblich von Minute zu Minute ganz erheblich verschlechtert – da hatten plötzlich jiskische Kampfflieger von oben auf ihn und seine Soldaten geschossen. Fatusa und Metowan hatten die Bodengeschütze antworten lassen und dann war auch gleich Hataroa mit seinem gelenkigen Kontrestin gekommen und hatte diesen jiskischen boldonas den Rest gegeben! Doch die Trowes hatten ihre Chance genutzt und waren auf und davon. Immer mehr Jisken waren dann erstaunlicherweise den Trowes zur Hilfe gekommen, sodass sich die ganze Sache letztendlich sogar zu einem großen Straßenkrieg entwickelte, mit dem sich die meisten Männer aus seiner Leibgarde beschäftigen mussten, auch um die Trowes wieder einzufangen, aber da hatte sich sein Gesundheitszustand schon immer weiter verschlechtert. Sein Leibarzt Godur hatte sich dann bei diesem ganzen Durcheinander zu Fuß darum bemüht, Getamin, ein neues Medikament, aus seinem persönlichen Krankenwagen zu holen, der hier in Nähe geparkt worden war. Er hatte inzwischen nicht mal mehr seine Arme, geschweige denn seine Beine bewegen können. Fatusa, Offizier seiner Leibgarde, hatte ihm die Waffen und den Helm abgenommen, die Sachen ausgezogen und ihn stattdessen in all diese völlig geschmacklosen Dinge geklei¬det, wohl weil die so eine grelle Farbe hatten, und ihn als Zielscheibe für die jiskischen Kampfflugzeuge auf diese komische Einfassung drapiert Doch dann hatte Asaton ihm eine Handfeuerwaffe an die Schläfe legen wollen, um ihn zu erschießen. Die übrigen Offiziere waren aber ´Gläubige der alten Art´ gewesen, denn es hieß:
Unglück ohne Ende denjenigen, welche beschädigen den Leib des Oten oder fließen lassen dessen Blut! Meto¬wan hatte deswegen sofort auf Asaton gefeuert und dessen beide Hände schmoren lassen, bis hinauf zu den Handgelenken. Fatusa hatte aber seinerseits sofort auf Metowan gefeuert und ihn schwer verletzt. Er selbst hatte die ganze Zeit von einem zum anderen geschaut, inzwischen vollständig gelähmt - nur die Augen waren beweg¬lich gewesen - war er Zuschauer dieses schrecklichen Ereignisses, unfähig dagegen etwas tun zu können. Ondro, der ebenfalls Gewissensbisse bei diesem Komplott bekommen hatte, hatte aber Fatusa ebenfalls durch einen Schuss so sehr an der Schulter verletzt, dass weitere Schüsse Richtung seiner Person fehl gegangen waren und Asaton - da er unfähig gewesen war, sich zu wehren - war dann als erster vor Metowans wütendem Feuern geflüchtet. Ihm war der verstörte Fatusa gefolgt. Ondro hatte dann die Verfolgung der beiden aufnehmen können, Metowan war ihm noch für ein kleines Stück gefolgt und dann doch irgendwo zusammengebrochen und an seinen schweren Wunden verblutet. Hm ... was war wohl jetzt aus Ondro und den anderen beiden geworden? Er stellte die Trauks, die er zu beiden Seiten in seinen Gehörgängen trug, so ein, dass er über seine Kieferkno¬chen, indem er in einem bestimmten Rhythmus die Zähne gegeneinander rieb, Morsezeichen an Saparun, seinem Oberkommandierenden geben und diesen lautlos ausfragen konnte. Sofort war Kontakt hergestellt und geklärt, dass eine Einheit kommen und ihn abholen würde. Er seufzte erleichtert, als ihm Saparun schilderte, wie alles ausgegangen war.
Anfangs war Margrit sehr zufrieden gewesen, da endlich Bewegung in dieses Kerlchen gekommen war. Schon hatte sie es nicht mehr für nötig gehalten, ihm Wasser bringen zu müssen und sogar erwartet, er käme von ganz alleine hinabgeklettert. Stattdessen hatte er aber plötzlich nur an seinen komischen Hörgeräten herumgefummelt. Hatten wohl einen kleinen Defekt gehabt. Und jetzt schien er diese wohl gerade auszuprobieren, denn er horchte angespannt für ein Weilchen in die Stille hinein. Wie konnte man nur dermaßen konzentriert lauschen und was sollte dabei dieses Gezitter mit dem Kinn? Sehr komisch das Ganze. Plötzlich hörte sie, wie es wieder im Osten zu lärmen begann.
´Nanu?´ dachte sie. ´Ich denke die wollen endlich nach Hause!´ Das melodische Summen von Lais wurde sogar immer lauter. ´Verdammt, das hörte sich ja glatt so an, als wollte der Feind wieder zur Stadtmitte!´ Sogar das dumpfe Summen eines größeren Gefährts war jetzt heraus zu hören. Margrits Herz krampfte sich zusammen. Oh Gott, man durchstreifte also abermals die Stadt, jedoch weshalb? Und wenn der Feind dabei einige Straßen dieses Villenviertels durchquerte, kam er womöglich hier auch vorbei und was machte sie dann?
´Ke,´ dachte er indes, ´jetzt wird es aber aschfahl, dieses Gesicht. Auffallend dabei auch diese großen, weit aufgerissenen Augen - dabei kann man schön viel Weißes sehen. Aber das kenne ich ja, kann jeder Mensch – eigentlich jeder, der mir bisher begegnet ist. Doch dieses Geschöpf macht das nicht wegen mir. Nein, das ist ja das Erstaunliche! Es horcht nur aufmerksam und denkt sich was dabei ... diesmal ganz ohne Kinnfesthalten!´ Gespannt schaute er weiter dabei zu und wartete. ´Es hört seinen Feind. Ob wohl bald die Hände zittern werden, dann der Körper und zum Schluss die Knie? Das war immer recht nett anzusehen.´ Oh ja, er wusste, es konnte nicht mehr allzu lange dauern und dieses eigentlich recht nette Exemplar, denn es hatte ihm nichts mit seinen mickrigen Waffen angetan, sie ihm nur gezeigt, wussten die Götter warum, würde ihn hier alleine zurücklassen. Schließlich hatten ihm die Alemos, seine Beobachter, im Laufe der langen und daher auch recht langweiligen Anreisezeit bereits genügend Informationen über diese Spezies zukommen lassen. Das Geschöpf würde ihn also zurück lassen, ganz gleich, ob er nun verletzt oder krank sein mochte. Er wartete gespannt darauf.
´Ob der Feind hier wirklich hindurch kommen wird?´ dachte Margrit indes bibbernd. Aber hier waren die Hajeps ja im Grunde schon gewesen. Margrit warf abermals einen hektischen Blick auf das seltsame Kerlchen. Wie der da so lehnte, immer noch an seinem Stamm, da strahlte er direkt eine gewisse Gemütlichkeit aus. Sollte sie nun den hier, nur weil der wohl noch immer nichts hören konnte oder aus irgend einem anderen Grunde hilf¬los oder völlig gedankenlos war, einfach den Hajeps überlassen? Sie kletterte wieder auf den Schemel. „He, wir müssen uns beeilen!“
Zwar hatte er kaum etwas verstanden, aber die Art, wie das Geschöpf nun mit ihm umging, sagte ihm genug. Die Hand, die seine Schulter drückte, versuchte ihn sanft von der Einfassung herunterzubekommen, gleichzeitig aber schob sich ein schmaler Körper biegsam gegen ihn, damit er nicht fiel. Er keuchte, denn er war völlig verblüfft. Bei sämtlichen Göttern, dieses Exemplar handelte ja ganz gegen die Norm!
“Los, kommen Sie!” ächzte sie.
War wohl ein ganz besonderes Exemplar. Also das musste er erst einmal verarbeiten! Xorrr! Tinninnninnin! Jetzt schob es aber ein bisschen zu heftig! Er hielt sich unauffällig mit beiden Händen hinten am Baumstamm fest.
"Begreifen Sie doch!“ keuchte Margrit angestrengt. „Sie müssen da endlich hinunter!" Es war zu merkwürdig, dass sie ihn keinen Millimeter von der Mülltonneneinfassung bekam. "Ganz gleich ob Sie mich nun verstehen können oder nicht!" schnaufte sie weiter, während sie sich noch intensiver gegen ihn drückte. Vielleicht war er zu schwer? "Ich habe nämlich ein weiteres Sausen und Brummen gehört. Hajeps turnen hier haufenweise herum!"
Das Einzige was er jetzt begriffen hatte, war das Wort HAJEPS. Er hatte diese etwas komplizierte Sprache zwar über den Zynapek bereits nach einigen Tagen gelernt, die nannte sich Deutsch und wurde hierzulande am aller¬meisten gebraucht, aber das Ganze hörte sich doch etwas anders, wenn so schnell und daher auch undeutlich gesprochen wurde.
„Machen sie doch endlich etwas mit!“ fauchte sie.
Er sollte was machen, hatte er nun verstanden. Konnte er denn fragen ...was? Seltsam ... er war noch immer nicht fähig, auch nur einen vernünftigen Laut über die Lippen zu bringen. Vielleicht, weil ihm diese Situation zu abstrakt erschien?
„He, mitmachen, habe ich gesagt!“ brüllte sie.
Nun wurde er direkt ein bisschen ärgerlich, denn das Wesen packte ihn mit einem Male unaufgefordert und ziemlich grob bei den Schultern, und schüttelte ihn dabei so kräftig, dass er meinte, seine Mütze müsste ihm vom Kopfe fliegen. Aber er entschuldigte dies still bei sich, da es nicht wirklich wusste, wer er war, und ...ja ...in dieser eigenartigen Sorge um ihn zu sein schien.
"Los, los Mann!" zischelte sie völlig entnervt. "Ich kann Sie nicht tragen! Wir haben keine Zeit mehr herum¬zudrimmeln!"
Was sagte das Wesen da? Ein merkwürdiges Wort! Er hielt seine Mütze mit beiden Händen fest. Dann stutzte er. Ein entgeistertes Ächzen entglitt plötzlich seinen Lippen. Es war wirklich erstaunlich, welche Kraft dieses kleine, weibliche Exemplar - es war wohl ein weibliches, denn er hatte kurz in dessen Ausschnitt geblickt - mit einem Male in der Verzweiflung entwickelte, denn er fühlte, wie ihm die Frau unter die Achseln griff, sich gegen ihn lehnte und versuchte ihn hochzustemmen.
"Sie müssen sich verstecken,“ keuchte sie dicht an seine Brust gepresst und verzweifelt.
Für einige Sekunden nahm er erstaunt wahr, was er da fühlte, blickte verwirrt auf ihr weiches Haar, dessen eine Strähne sich aus dem Gummi gelöst hatte, der es zusammen hielt, und ihn dabei am Kinn kitzelte, dann jedoch begannen ihre beiden Körper plötzlich zu schwanken. Er bemerkte überrascht, dass er keinen Baumstamm mehr im Rücken fühlte. Mit beiden Händen behielt er die Mütze weiterhin auf dem Kopf. Schade, die Frau konnte ihn offenbar trotz unglaublicher Kraftanstrengung nicht mehr halten! Dabei war das so interessant gewesen! Xorr, sie war ja auch ein wenig unterernährt! Bei Ubeka! Jetzt verlor er das Gleichgewicht, kippte vollends nach hinten und stürzte, die Mütze weiterhin auf den Kopf gepresst, die Frau mit beiden Armen um ihn, auf den Boden. Er spürte den harten, schmerzhaften Aufprall, über den er sich jetzt ein bisschen ärgerte, aber fühlte auch ihren Körper auf sich ruhen und blieb ermattet liegen. Schließlich hob er den Kopf. Letztendlich war er es gewohnt, dass man sich wenigstens für solch ein unerhörtes Vergehen bei ihm entschuldigte und zwar demü¬tigst! Aber diese Frau tat nichts dergleichen. Er funkelte sie hinter seiner Sonnenbrille drohend an, während seine Hände sie energisch bei der Taille packten. Abrupt hielt er inne. Seine Finger strichen interessiert ihre Hüften entlang. Schade, dass er Handschuhe darüber trug und sie so gefühllos waren, denn diese Hüften erschie¬nen ihm viel runder als die der Frauen seines Volkes, was bedeutete, dass jene Spezies wohl die Brut für eine Weile im Leibe tragen konnte, was eigentlich recht praktisch war. Bei Ubeka und Anthsorr auch darüber hatte er schon so einiges gehört. Er sah in ihre Augen, hob dabei sogar diese völlig geschmacklose Sonnenbrille etwas an, damit er besser sehen konnte und genoss die Sorge um ihn, einen völlig Unbekannten, in ihrem Blick, ließ den Kopf wieder nach hinten sinken und zeigte keine Anstalten aufzustehen.
“Mein Gott, habe ich Ihnen jetzt sehr weh getan?“ wisperte sie erschrocken, nachdem sie für einige Sekunden verblüfft und stumm auf seinem Körper gelegen hatte.
Er nickte, denn er fand inzwischen, dass Nicken irgendwie gut war. Jedenfalls besser als Kopfschütteln, weil da nämlich die Mütze eher herunterfallen konnte.
“Sie sind bereits verletzt, nicht wahr?” keuchte sie erschrocken.
Er nickte.
“Oh Gott, oh Gott!” ächzte sie. “Und was mache ich nun mit Ihnen?” Nach kurzem Ringen mit sich selbst, begann sie vorsichtig seine Rippen abzutasten. “Tut´s hier weh?” fragte sie mitleidig.
Er nickte.
“Sehr doll?“
Er nickte. Köstlich, diese ernsthafte Sorge um ihn! Hich ... jetzt betastete sie mit ihren wunderbar warmen Händen Rippe um Rippe ... oh ... ohoooo. Er musste auf seine Nasenlöcher acht geben, aufpassen, dass sie nicht schnurrten! Nanu? Sie hörte ja plötzlich damit auf!
Angsterfüllt blickte sie über die Schulter zurück und stammelte: “Himmel, jetzt sind sie schon ganz nahe, verdammt, aber warum? He, die Hajeps! Haben Sie gehört? Die KOMMEN! Und dann blickte sie wieder auf ihn hinab und wisperte: "Du musst von hier weg! Na los, los! Nur eine Rippe angeknackst, ach, nur geprellt! Also hoch!”
Nur eine Rippe? Da hatte er ja viel zu wenig genickt? Konnte er protestieren? Aber, was würde sie dazu sagen, wenn sie seine fremdartige Stimme vernahm?
Margrit kletterte von seinem Bauch. "Oder können Sie nicht laufen?" erkundigte sie sich erschrocken. ”Denn die Beine habe ich ja noch nicht untersucht!“
´Ach, die Beine, ja, das kann sie noch machen!´ dachte er begeistert. ´Eigentlich ein guter Gedanke!´ Sollte er deshalb gleich zwei Mal – so für jedes Bein - nicken oder genügte wieder nur ein Mal? Dabei fiel ihm ein, dass das Nicken in solch einer Position ihm sonst eigentlich immer ziemlich schwer gefallen war, wegen seiner schwachen Nackenmuskeln und natürlich wegen des schweren Helmes. Aber er trug ja diesmal keinen, obwohl er draußen war! Sein Herz stockte plötzlich bei diesem Gedanken. Bei sämtlichen Göttern, er hatte ja bei dem ganzen Durcheinander völlig vergessen, dass er ja an dieser Luft grausam ersticken konnte! Aber im Gegenteil, diese Luft bekam ihm! Und dass, wo gerade er immer auf alles mögliche besonders überempfindlich reagierte! Was wohl bedeutete, dass sich jeder aus seinem Volke hier ohne Helm frei bewegen konnte. Diese bahnbre¬chende Erkenntnis ergriff ihn dermaßen, dass er darüber vergaß, sich weiterhin schwer zu machen, als ihn zwei kleine Hände entschlossen an den Armen hochzogen. Ja, er hatte sogar versehendlich mitgeholfen. Kaum dass er auf den Füßen war, stieß ihm die Frau auch schon diese ausgesprochen weichen und warmen Hände mit solcher Macht gegen die Brust, dass es ihm fast den Atem nahm. Die Arme hoch erhoben, wandte er sich unschlüssig taumelnd nach dorthin, wo sie ihn haben wollte.

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