Das Licht der Hajeps
von doska

 

Kapitel 12

Kapitel 12

„George, ich stehe tief in deiner Schuld“, bekannte Margrit spät abends, nachdem sie Tobias Decke einfach neben sich auf den Boden ihres kleinen Zimmerchens geworfen hatte. “Wie kann ich das nur alles wieder gut machen?“
„Gar nicht, Margrit!“ Er lehnte die Strohmatratzen – leider hatte er nur zwei bekommen – vorsichtig gegen die Wand. „Du weißt doch, was ich vorhin zu dir gesagt habe, na?“ Er wollte sich davon stehlen, doch Margrit hielt ihn am Ärmel fest.
“Nein, nein, so einfach kommst du mir nicht weg“, wisperte sie. „Los, sag es mir endlich. Wie viel hast für diese Matratzen löhnen müssen?“
„Geheimnis! Du hast ja Renate beim Rüben sortieren geholfen, das genügt!“ Er grinste . „Mach dir bitte darüber keinen Kopf! Wir wissen doch, dass du im Augenblick knapp bist, da du kaum eine Prämie von uns erhalten konn¬test.“
„Werde ich auch nie bekommen, George“, knurrte sie nun ziemlich feindlich, „denn ich beklaue keine armseligen Menschen, mache keine krummen Dinger mit Hilflosen und so!“
„Margrit, genauso eingestellt war ich doch anfangs auch.“ Er nahm sie begütigend in den Arm, aber sie machte sich stirnrunzelnd von ihm frei. „Habe immer großartige Sprüche geklopft“, erklärte er trotzdem weiter. „Menschen soll¬ten sich ändern, habe ich gesagt, Vorbilder für die Hajeps sein! Ich wäre Pazifist, also auch kein Pirat, der armse¬lige...“, er hielt inne und seufzte. „Aber heute ... heute räubere ich eben zusammen, was ich nur kann, egal von wem und...„, er schluckte. „Mal ehrlich, Margrit, es würde uns nur halb so gut gehen, würden wir das nicht tun. Selbst du lebst ganz gut davon, obwohl du dich in solchen Momenten immer ausschließt, gib es endlich zu!“
Margrit blinzelte betroffen zu ihm hinauf, denn er hatte ja so recht. Sie schwieg für einen Moment und krächzte schließlich: „Dann würde ich mich lieber ins reiche Zarakuma einschleichen und dort den Feind bestehlen!“
„Sehr heroisch!“ Er warf den Kopf in den Nacken und lachte sie aus.
„Doch das würde ich tun!“ beharrte sie, wurde aber knallrot im Gesicht.
„Dann tu`s doch!“ lachte er weiter.
„Fordere mich dazu nicht heraus, George!“ Sie bückte sich, um die Decke aufzuwickeln, auch aus dem Grunde, damit das Haar über ihre Wangen fiel und er ihre Röte nicht sehen konnte.
„Margrit“, keuchte er, nachdem er sich einigermaßen beruhigt, dabei die Lachtränen aus den Augenwinkeln gewischt und die Nase geschnäuzt hatte. „Sich ganz dicht in die Nähe Zarakumas zu begeben, das haben noch nicht einmal die Mutigsten von uns gewagt und nun sich auch dort noch hinein mogeln zu wollen, das ... das ist einfach
verrückt!“ Er begann schon wieder zu kichern.
„Aber das wäre doch nur zu gerecht!“ konterte sie trotzdem. „Die Hajeps sind reich. Nur ihnen haben wir Menschen all das Elend zu verdanken. Sie sind es doch, die...“, dann brach sie ab. „He, ob wohl so spät abends noch jemand in der Waschküche sein wird?“ fragte sie jetzt völlig übergangslos.
„Weiß ich es?“ George hob mürrisch, die muskelbepackten Schultern an, denn er meinte plötzlich, Pauls Hemd über der Stuhllehne entdeckt zu haben.
„So eine zerfranste Decke!“ Margrit schüttelte den Kopf. „Na, ob die eine Wäsche überhaupt aushält, oder muss ich sie erst einmal flicken?“
„Er ist wieder bei dir zu Gast, richtig?“ überging George einfach ihre Frage, während er auf den Stuhl zuschritt, der direkt neben ihrer Schlafstätte stand.
„Wer?“ fragte sie geistesabwesend zurück. Es war schrecklich, Tobias Decke war so verdreckt, dass es mächtig staubte, während sie die Decke - bei zweien der Zipfel gepackt – einfach von oben aufrollte. Zu spät rügte sie sich dafür, denn ihr war dabei Tobias Käfer in den Sinn gekommen. Wo würde der nun hingekrümelt sein?
„Schitt, verdamm...!“ Das zweite Wort war ihr buchstäblich im Halse stecken geblieben, denn mit großen Augen starrte sie nun auf das, was aus der Decke hervorgeflutscht war.
„Lenk` hier nicht ab!“ George umkreiste mit großen Schritten den Stuhl. „Das bisschen Staub wirst du wohl noch vertragen können, oder?“ Er hustete, während er sehr gründlich die Ärmel des gestreiften Hemdes, welche zu beiden Seiten des Stuhls hinabhingen, musterte. “Es sind ziemlich kurze Ärmel!“ befand er dabei.
„Oh Gott! Oh Go–ott?“ ächzte sie und ihr Herz begann wie rasend zu schlagen. Das in Erdfarben getönte, etwa handgroße Ding war nämlich wie von selber losgesaust, als habe es vor, sich in dieser Ecke des Zimmers zu verkrau¬chen. Nun verharrte es völlig regungslos.
„Mach doch nicht immer gleich so einen Wind!“ murrte er und zupfte dabei an dem Kragen des Hemdes herum.
„Es ist halt so, dass diese Decke völlig im Ar ...äh .... ´Tschuldigung ... Eimer ist, aber du willst es mir ja nicht glau¬ben!“
„Doch, das glaube ich dir ja, aber...“ Gott sei Dank war das seltsame Ding völlig geräuschlos gewesen. Oder konnte es auch durch den Schwung mit der Decke bis nach dort hinten geschleudert worden sein?
„Was ...aber?“ brummte er und hob nun auch das Hemd etwas bei den Schultern an. “Es ist übrigens kein
Damenhemd!“ stellte er weiter fest.
„Was du nicht sagst!“ keuchte sie, klemmte sich die Stinkedecke einfach unter den Arm und näherte sich zögernden Fußes dem komischen Gerät.
„Sehr richtig! Das sehe ich nämlich an den Knöpfen! Bei der Frau sind die nämlich auf der rechten Seite und beim Mann auf der linken oder...?“ Er rieb sich nachdenklich das Kinn. „Oder war das eher umgekehrt?“
„Scheint aber mächtig wichtig zu sein, was, George?“ Sie schlich vorsichtig weiter.
„Ha, da nutzt auch kein schleichen, Margrit...“
Margrit fuhr ertappt zusammen.
„...denn es ist wirklich Pauls Hemd!“ sagte George jetzt mit fester Stimme.
Sie atmete erleichtert aus. “Und woher willst du das wissen?“ Margrit versuchte so ruhig wie möglich zu klingen und verstellte mit ihrem Rücken George erst einmal die Sicht auf das Ding. Es sah eigentlich völlig harmlos aus, wie es da so lag! Und es war völlig verstaubt. Wer nicht wusste, wie es in sauberen Zustand ausgesehen hatte, konnte es auch gut für irgend einen unbedeutenden Felsbrocken halten. Wer aber genauer hinschaute konnte an ihm trotz der Dreckschicht schon die verräterischen Zeichen aufspüren. Du lieber Himmel, das war`s also, was Tobias schon die ganze Zeit mit ´Flutschi´ gemeint hatte. Das musste ihr entsetztes Gehirn erst einmal verarbeiten.
„Na, dieses Hemd ist gestreift!“ erklärte George, hob das Hemd abermals hoch und wedelte damit hin und her.
„Es gibt viele gestreifte Hemden!“ erinnerte sie ihn vorsichtig und mühte sich dabei, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. Verdammt, was machte sie nun mit diesem Ding, konnte man es überhaupt ungestraft anfassen? Tobias war also damals nicht artig gewesen, hatte ihr nicht gehorcht und schon immer in Wahrheit mit gar keinem Käfer herumgespielt. Obwohl das Ding so ein bisschen diese Form hatte. Margrit schüttelte sich bei diesem Gedan¬ken.
„Brauchst gar nicht so unschuldig mit deinen Schultern zu zucken“, schnaufte George, sich zum ersten Male nach ihr umschauend und Margrits Knie zitterten deshalb, “denn hier ist ein Fleck!“ Er zupfte jetzt mit ziemlich bedauerlicher Miene an dem rechten Hemdkragen herum.
„Welcher Fleck?“ fragte sie und warf dabei mit möglichst ausdrucksloser Miene einfach die Decke auf das Ding.
„Na, der Suppenfleck!“
„Es gibt vermutlich auch etliche gestreifte Hemden mit Suppenflecken, George!“ Sie brach in Schweiß aus, weil sie sich plötzlich der vielen Situationen bewusst wurde in welchen Tobias ihr dies und jenes Wunderliche über diese `Bombe´ geschildert hatte. Was da alles hätte passieren können! Sie kam sich zwar lächerlich vor, aber bei diesen Gedanken verstellte sie dem ´Ding´ gleich mal mit ihren Füßen den Weg. Na ja, es konnte ja sein, dass es vorhatte, von hier einfach wegzusausen?
„Ich verstehe nicht, weshalb du verleugnen willst, dass er wieder bei dir gewesen ist, Margrit!“ platzte es nun endgültig aus George heraus und er näherte sich ihr dabei von hinten. Margrits Gedanken begannen deshalb zu jagen. Würde er etwa fragen, weshalb sie den dreckigen Lappen einfach in diese Ecke geworfen hatte? Sie musste sich eine kleine Lüge dafür ausdenken. Margrit nagte an der Unterlippe. Oder sollte sie sich ihm ruhig anvertrauen? Und plötzlich wurde ihre Angst von aufkeimender Freude übertüncht, denn diese ganze Geschichte mit Danox hatte ja auch sein gutes! He, man konnte ja das Ding den Spinnen als Bezahlung anbieten? Doch dann verwarf sie den Einfall sogleich. Besser nicht, denn sollten die Spinnen eines Tages tatsächlich dazu in der Lage sein, das Geheimnis, welches Danox umgab, zu lüften, würden sie damit gewiss nichts Gutes tun! Also müsste man diese Waffe lieber Günther Arendt übergeben, damit der ihre Familie aufnahm? Da packte sie George auch schon bei den Schultern. „Hach, tu doch nicht so, als ob du in dieser Ecke nach irgend etwas suchen würdest!“ Sein heißer Atem strich über ihre feinen Nackenhärchen. „Du willst ja nur nicht haben, dass man deine Röte sehen kann, die dir dabei ins Gesicht gestiegen ist, richtig?“
„Richtig!“ log Margrit einfach. Es fieberte nun mächtig in ihr. Konnte sie George trauen? Sollte sie ihm ihr Geheim¬nis preisgeben? Er hatte ja völliges Vertrauen zu Günther Arendt. Würde er dem gleich alles weiter erzählen? Wie stand sie eigentlich selbst zu Günther? Ihre Lippen wurden zu einem schmalen, nachdenklichen Strich.
Schon hatte er sie zu sich herum gerissen. Beide starrten sich an, suchten die innere Aufruhr, welche in ihnen tobte wie ein Heer wilder Geister tunlichst vor einander zu verbergen, doch die Augen waren Verräter. Auch konnten ihre Körper das leise Schnaufen kaum unterdrücken.
„Was verbirgst du vor mir!“ keuchte er schließlich.
„Ga ... gar nichts!“ stieß sie möglichst arglos hervor und für einen Moment hatte sie Sorge, er würde dabei das glei¬che meinen wie sie, aber er machte keinerlei Anstalten etwa skeptisch über ihre Schulter zu linsen, was ihm bei seiner Größe wohl ein Leichtes gewesen wäre oder nach ihrer Decke zu fragen.
Er knurrte stattdessen nur: „Warum kannst du nicht offen dazu stehen, Margrit?“ und seine schönen Augen funkelten sie zornig an.
„Zu was?“ Ihre Wimpern flatterten unruhig auf und nieder.
„Hach, das weißt du ganz genau!“ Er hielt sie jetzt so eisern fest, dass ihre Schultern richtig schmerzten und daher versuchte sie sich von ihm zu befreien. “Ge-orge“, quengelte sie, „du ... du tust mir weh!“ Aber bis auf seine zuckenden Wangenmuskeln bewegte sich eigentlich an ihm nichts. „He, was meinst du“, fragte sie wieder einmal völlig übergangslos, „kann man zu Günther Vertrauen haben?“
Verblüfft lockerte er den Griff. „Du ... du meinst, es ... es ist Günters?“ Das letzte Wort schien er verschluckt zu haben, denn es kam nichts mehr aus seinem Hals. Doch dann riss er sich meisterhaft zusammen, stieß aber trotzdem recht heiser hervor: „Na ja, der ist zwar schon etwas älter...“, er versuchte seiner Stimme einen gleichgültigen Klang zu geben, „du ja eigentlich auch! Hm ... vielleicht gerade deshalb für dich interessant? Also, der Kerl hat ja schon Charisma, aber ...äh... hätt` ich eigentlich nicht von dir gedacht!“ Er hustete, da er sich plötzlich an seiner eigenen Spucke verschluckt hatte.
„George, he Ge-orge?” Sie klopfte ihm auf den Rücken. „Wovon redest du eigentlich?“
„Na, von seinem...!“ krächzte er und wies dabei zum Stuhl, wo es immer noch lag.
„Hemd?“ keuchte sie, denn sie hatte plötzlich Mühe nicht in ein prustende Lachen auszubrechen.
„Ja, genau!“ Er nickte langsam und sah mit solchen verzweifelten Kinderaugen auf seine großen Füße hinab, dass sie sich auf die Zehenspitzen stellen musste, um ihm einen kleinen Kuss auf die Stirn zu geben.
„Oh, du großer dummer Junge, du!“ flüsterte sie ihm dabei leise und zärtlich ins Ohr. Aber als sie wieder fest auf den Füßen stand, kicherte sie hinter den vorgehaltenen Händen doch.
Reichlich durcheinander verließ er daraufhin ihr Zimmer.

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In der darauf folgenden Nacht hatte Margrit einen ganz widerlichen Traum. Obwohl Margrit Danox - nach einigem Ringen mit sich selbst - in das Schubfach ihres einzigen Schrankes gelegt hatte, schob sich dieses plötzlich von ganz alleine auf. Ein langes, haariges Bein war für Margrit zu sehen gewesen, welches das Fach wohl von innen her aufgeschoben hatte. Und wenig später hatten sich dann, nachdem Margrit erst nach ihrer Brille und dann nach einer Tasse gesucht hatte, um in diese gegebenenfalls hineinkotzen zu können, sogar zwei Fühler hinter dem Rand des Schubfaches gezeigt, welche halb transparent und immer länger geworden waren, wohl um das Fach und danach den Schrank von außen und allen Seiten abzutasten. Margrit hatte zwar von ihrem Bett aus um Hilfe rufen wollen, es sich dann aber doch noch anders überlegt und lediglich die Zudecke bis zu ihren Augen und über ihre Ohren hochgezo¬gen. Schließlich hatte sich das Ding auf seinen sämtlichen Beinen erhoben. Sie waren tatsächlich haarig ...iiiihgitt! Julchen hatte ja so Recht! Und es waren im ganzen acht, und das Ding war damit in aller Ruhe erst bis zur Hälfte über den Rand des Schubfaches geklettert und hatte sich dann von dort einfach zu Boden fallen lassen. Na ja, mit dem Fliegen stand`s wohl nicht so gut. Tobias übertrieb ja immer so ein kleines bisschen. Dabei hatte es richtig gescheppert, als würde Metall auf Gestein prallen, was ja auch tatsächlich der Fall war, nur mit dem Unterschied, dass Metall eigentlich nicht selbsttätig denken konnte. Danox hingegen schien erst einmal gründlich zu überlegen, was er als nächstes tun wollte und bewegte daher für etwa fünf Minuten nichts weiter als abwechselnd den einen und dann den anderen Fühler, was bei Margrit heftige Zitteranfälle auslöste. Aber er schien weder ihr Bett noch sie selbst wahrzunehmen und auch ihr heftiges Keuchen nicht zu hören. War er also taub und blind zugleich?
Dann aber kam wieder Bewegung in das ´Ding´. Es trippelte nämlich immer dicht an der Mauer des kleinen Zimmerchens entlang, ignorierte Margrit weiterhin völlig, blieb aber in jeder Ecke für einen Moment stehen und - tja, konnte man das Schnüffeln nennen? Es hörte sich jedenfalls für Margrit so an, auch wenn es ganz leise war! - beschnüffelte jede Ecke. Schließlich blieb es vor der Türe stehen. Seine Fühler dehnten, reckten sich wie etwas gummiartiges hinauf bis zur Klinke.
„Halt!“ wisperte Margrit zu ihrer eigenen Überraschung und schlug sich dafür sogleich erschrocken auf den Mund.
Aber es war nichts weiter passiert als dass das eine der hautähnlichen, spitzen Öhrchen ziemlich blitzartig in Margrits Richtung herumgefahren war, sich dann aber wieder zur Tür zurückgedreht hatte. Also konnte es doch hören! Aber was hatte es vor? Margrit kippte ihre Brille etwas an, damit sie besser sehen konnte. Verdammt, sicher wollte Danox die Klinke mit seinen Fühlern hinunter drücken, um die unterirdischen Behausungen für immer zu verlassen. Aber warum? Wollte er wieder zu Tobias zurück oder fühlte er sich nur eingesperrt und hatte vor, endlich frei zu sein? Wenn er sich geschickt genug anstellte, würde ihm das heute noch ganz gewiss gelingen, denn die meisten Türen gingen nicht abzuschließen. Zu groß war die Sorge der Menschen, die wertvollen Schlüssel zu verlie¬ren, welche man deshalb nur bei Lebensgefahr ausgehändigt bekam.
„Tu`s nicht!“ wisperte sie abermals. Doch diesmal reagierte das Ding überhaupt nicht. Margrit dachte scharf nach. Auch wenn sie sich vor Danox grauste, war sie sich im Klaren, dass er auf keinen Fall von hier verschwinden durfte. Aber sie getraute sich nicht, aufzustehen, ihn einfach zu packen, denn sie hatte Angst, dass er – da er nun so schrecklich lebendig geworden war - sich heftig wehren würde. Da kam ihr ein Gedanke. Die Hersteller von Danox sollten ja Außerirdische gewesen sein. Was war, wenn dieses einst von Hajeps eroberte Volk genau wir alle übrigen Völker ferner Planeten ein und dieselbe oder zumindest eine ähnliche Sprache benutzte, um zum Beispiel unterein¬ander Handel zu betreiben? Ähnlich wie es lange Zeit mit Hilfe von Englisch auf der Erde üblich gewesen war?
Sie fasste sich ein Herz und probierte es einfach: „ Amar, Danox!“ raunte sie ihm diesmal zu, aber nichts passierte! Der Fühler blieb weiterhin um die Klinge geschlungen „Kesto bagsui el!“ probierte sie weiter und ihr Herz klopfte. Hoffentlich betonte sie alles richtig! Kein Ohr zuckte. Angestrengt dachte sie über weitere Vokabeln nach. „To banis dendo nesa!“ keuchte sie weiter. Danox regte sich zwar weiterhin nicht, aber er drückte auch nicht die Klinke herunter. “Noi kal ae lumanti dendo ae hajepa!” sagte sie jetzt langsam und sehr deutlich. “Moa Kinder...“, sie schluckte, dann das Wort dafür kannte niemand und darum hatte sie es ihm einfach in ihrer Sprache mitgeteilt, „Kinder ha Julchen dandu Tobi ...Tobias! Wona ferai tur!” bettelte Margrit jetzt und dann hielt sie nur noch den Atem an. Da geschah das Wunder! Schlaff und sehr zart fiel der krakenähnliche Fühler von der Klinge herunter, zog sich wieder zu einer manierlichen Länge von etwa fünf Zentimetern zusammen und dann drehte sich das ganze Ding zu Margrit herum. Zwei größere rote und zwei kleinere blaue Lämpchen leuchteten an dessen Kopfe auf, während es Margrit anvisierte. Margrit ließ die Zudecke fallen, damit sie Danox so als ganzes Stück sehen konnte und dann überwand sie allen Ekel und streckte - wenn auch ein wenig zitterig - die Hand nach ihm aus. „Jelsi to ir me?“ fragte sie ihn.
Da kam das etwa siebzehn Zentimeter lange und zehn Zentimeter breite, kernförmige Ding auf sie zu gekrabbelt und zart, ja, fast zärtlich berührten die Fühlerchen Margrits Hand. Ein schnüffelndes Geräusch ertönte dabei aus der röhrenförmigen Spitze mitten in diesem lilafarbenen Metallgesicht. Unter dem Rüssel öffnete sich ein spitzes Mäul¬chen und ein Ring hornartiger Zähne begann an ihren Fingernägeln spielerisch zu knabbern. Das kitzelte seltsam und ihr wurde doch ein wenig heiß und zugleich kalt.
„Padra dendo!“ keuchte sie unsicher. Sofort hörte das Wesen damit auf. Da begann sie Danox - ganz wie Julchen es geraten hatte - zwischen seinen Öhrchen zu kraulen, genau dort wo eine ziemlich weiche und reichlich zerknautschte Gummifläche war und wo einige Härchen büschelförmig wuchsen. Dabei entdeckte sie, dass das eine der beiden roten Augen nicht mehr richtig in seiner Metallfassung saß. Die kleine Glühbirne hing ziemlich erbärmlich an seinem Kopfe herum. Ha, sie würde die demnächst dort wieder fest schrauben, denn sie hatte mit einem Male sämtli¬che Angst vor Danox verloren.

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Am nächsten Morgen fand Margrit Danox wieder sehr ordentlich in einem Schubfach unter zwei Handtüchern liegend vor. Verdammt, hatte sie etwa doch alles nur geträumt? Oder lebte das Ding nur in solch einen verdrehten Schlaf- und Wachrhythmus wie eine Fledermaus? Sie wartete gespannt auf weitere Lebenszeichen - oder sollte man eher dazu sagen Funktionen? - von Danox, aber den ganzen Tag über muckste sich das kleine Wesen nicht.
Dann aber nachts! Nun ja, für eine Weile wirkte Margrit deshalb auf alle Guerillas ziemlich unausgeschlafen. Aber sie hütete sich, den wahren Grund zu nennen und täuschte stattdessen Kränklichkeiten vor. Später jedoch konnte sie trotz der Flugübungen, Wanderschaften (er öffnete dazu immer selbsttätig Margrits Türe und verschloss sie wieder, um anschließend durch die unterirdischen Flure zu sausen) und unzähligen Selbstgespräche von Danox (es waren meist Gurgel- und Blubbergeräusche) ziemlich gut durchpennen. Ja, sie duldete es schließlich sogar, dass Danox meist gegen Morgen bei ihr am Fußende eindruseln durfte. Das kleine Wesen hatte bald sämtliche Flure und Zimmer der ´Maden´ erkundet, alle Schläfer eingehend beschnüffelt und mit seinen Fühlern, die er schier endlos ausdehnen konnte - Margrit hatte Danox zunächst sicherheitshalber dabei beobachtet - vorsichtig betastet. Außerdem besaß es ein hervorragendes Gehör. Es konnte Personen schon von weitem ausmachen und sogar voneinander unterscheiden, wenn sie durch die unterirdischen Flure Richtung Margrits Zimmer gelaufen kamen. So war sie nie überrascht, wenn jemand plötzlich zu ihr hereinstürmte, was gar nicht mal so selten vorkam, denn sowohl Renate als auch Birgit, ja, sogar Rita waren recht mitteilsam. Sie brauchte sich dabei keinesfalls zu sorgen, dass sie Danox entdeckten, denn es konnte sich hervorragend verstecken. Manchmal warnte es sogar Margrit, indem es Worte der hajeptischen Sprache zu imitieren versuchte, was ihm allerdings mit seinen komischen, gummiähnlichen Stimmbändern und metallenem Kehlkopf nur recht stümperhaft gelang. Waren es erst Julchen und Tobias gewesen, so vertraute das Wesen nun ausschließlich Margrit. Deshalb konnte sie Danox sogar unbesorgt ins Freie laufen lassen, wo sich das Ding vom Mondlicht seine Energien holte. Außerdem hatte es anscheinend Spaß daran, sich von Margrit dressieren zu lassen wie ein kleines Äffchen, obwohl es durchaus seinen eigenen Kopf haben konnte. Es reagierte inzwischen dermaßen gut auf kurze knappe Befehle in hajeptischer Sprache, dass Margrit manchmal richtig mulmig wurde. Zweifelsohne war Danox ein hochgefährliches Ding, denn wenn es tatsächlich eine Bombe war, konnte man diese sehr gut auch aus weitester Entfernung leise flüsternd zu mancherlei abkommandieren. Man brauchte dazu keinen Sender, denn Danox Gehör bestand aus einem besonderem hochempfindlichem Biomaterial, weshalb das Ding die Ohren immer einziehen musste, sobald es ihm zu laut wurde. So war es zum Beispiel möglich, das seltsame Wesen wegen seiner geringen Größe und seiner Fähigkeit, sich selbsttätig gut verstecken zu können, in irgend ein beliebiges Haus schlei¬chen zu lassen, um dort später mit Hilfe eines kurzen Befehls alles in die Luft zu sprengen. Danox konnte seinerseits mit seinem Befehlshaber Kontakt aufnehmen, indem das Ding mit Hilfe seiner Fühler in dessen Richtung sehr feine Schwingungen auslöste, die einen bestimmten Druck auf dessen Trommelfell erzeugten. Es ertönte dann bei demje¬nigen ein sehr hoher Pfeifton als Warnsignal, zum Beispiel, wenn Danox die Anordnungen nicht befolgen und sich stattdessen verstecken musste und ein tiefes Brummen, wenn alles gelang! Wie groß mochte wohl die Gewalt dieser Bombe sein, wenn selbst Hajeps davor Respekt hatten? Das Ding musste sich über Jahre hinweg tot gestellt und so fremden Wissenschaftlern vorgespielt haben, an ihm wäre nichts Besonderes, es sei nur irgendeines der obligatori¬schen hochtechnischen Geräte, die auch sonst immer benutzt würden. Ach, es war schon reichlich tückisch, etwas so mörderisches in solch ein kleines, niedliches Ding hinein zu packen. Danox hatte sich damals für Julchen und Tobias entschieden, wohl weil sie so arglos gewesen waren und nun für Margrit, weil sie in seiner Sprache ihm mehrmals versichert hatte, kein Hajep, sondern lediglich eine Lumanti, ein Mensch zu sein. Einerseits hatte Margrit jeden Tag aufs neue Angst, dass sie versehendlich den geheimen Befehl für Danox Explosion auslösen könnte, andererseits war sie froh, dass diese schreckliche Last endlich den Händen kleiner Kinder entnommen worden war. Außerdem tröstete Margrit die Gewissheit, dass sie wohl etwas sehr Bedeutungsvolles als Vertreter der gesamten Menschheit dieser Erde besaß, was man vermutlich wirklich eines Tages gegen den Feind einsetzen konnte. Nur, wem sollte sie diese etwas schwierige Neuigkeit mitteilen? Wer würde, wenn er erst einmal Danox Geheimnis kannte, es auch im richti¬gen Moment, oder wenn diese Explosion sogar für den gesamten Planeten zu gefährlich sein sollte, es zumindest als Drohung geschickt einsetzen?

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„Nein, Margrit, das lasse ich nicht zu!“ schimpfte George mit hochrotem Kopf und er riss dabei das Steuer des Laster-Jambos herum, um wieder mal an einem der riesigen Schlaglöcher vorbeizukommen, von denen die alte Schnellstraße durchsetzt war. „He, ich weiß gar nicht, was plötzlich in dich gefahren ist? Schon seit etlichen
Tagen bist du wie ausgewechselt! Neulich hast du sogar unseren Günther, der sonst immer eine Seele von Mensch ist, zum ausrasten gebracht.“
„Ach, solch eine Seele ist der aber gar nicht, George!“ Margrit schaute dabei in die billige Plastiktasche in welche ihr die Kinder, als sie letztens zu Besuch war, ein paar Sachen - so als Glückbringer für den weiten Weg - mitgegeben hatten.
„Das magst du halten wie du willst, Margrit. Jedenfalls haut man einen solchen Satz nicht so einfach seinem Chef um die Ohren.“
„Pah, der kann das ruhig mal hören!“ erwiderte sie. Konnte sie George denn sagen, dass sie für Günther zunächst nur deswegen einen Termin für ein Gespräch hatte haben wollen, um diesem endlich ihr Geheimnis über Danox anzu¬vertrauen? Sie hatte sich sehr schnell eine Ausrede einfallen lassen müssen. Denn bei der gestrigen monatlichen Sitzung war zwar vieles Vernünftige besprochen worden, aber Günthers anschließende Bemerkung hatte Margrit doch sehr nachdenklich gemacht. Er hatte nämlich wortwörtlich gesagt: „Sollte es der Menschheit einmal glücken, die Hajeps von unserer geliebten Erde zu vertreiben, so werden wir keinen von ihnen am Leben lassen, der unsere Erde nicht rechtzeitig verlässt! “
„Alle sind meiner Meinung, Margrit!“ George knöpfte sich mit der einen Hand den Kragen zu, denn ihm fröstelte bei diesem schlechten Wetter.
„Sehr traurig, George!“ Sie begann in ihrer Tasche zu kramen. „Denn du weißt ganz genau wie ich, dass es auch gute Hajeps gibt! Denk nur an Diguindi!“
„Nicht alle sind Diguindi!“
„Sicherlich die meisten, George. Denk mal darüber nach, wie es bei uns Menschen war, wenn einige Länder von uns Diktatoren hatten! Und die Hajeps fügen sich auch nur einer brutalen Militärdiktatur, was ja nun wirklich schon bekannt ist, George! Und da wollen wir Leute töten, nur weil die vielleicht langsamer sind als die anderen oder irgendwie nicht kapiert haben, dass sie schnellstens von hier weg müssen?“
„Vielleicht bleiben ja auch einige von ihnen ganz bewusst da, Margrit! Sie vermehren sich womöglich auch noch! Und was machen wir dann?“
Margrit hob die Schultern und ließ sie wieder fallen „Na, wenn sie friedlich sind, warum nicht? He, womöglich könnten wir gemeinsam mit ihnen hier etwas völlig neues aufbauen? Einer lernt vom anderen neues kennen und ...“
Er prustete verärgert los „Sag mal, du tickst doch wohl nicht mehr ganz richtig! Was ist mit dir plötzlich los, he? Da jagen dich die Hajeps fünf Stunden lang durch ganz Würzburg, du siehst, was sie mit den Menschen machen, hast auch gehört“, er schluckte dabei wieder ein paar Tränen herunter, „was so mit meiner Familie passiert ist und du hast immer noch ein gutes Wort für alle Hajeps übrig!“ Er kürzte sich jetzt einfach den Weg über eine Wiese ab, aber da kam er auch nicht viel besser voran. „Jedenfalls wirst du dir damit ganz schön deine Chancen bei Günther verspielt haben, je deine Kinder bei uns einschleusen zu dürfen, das sag ich dir!“
„Ach, die wollt ihr doch ohnehin nicht bei euch haben, George!“ Sie hatte, obwohl der Wagen furchtbar schaukelte, endlich den Zettel in der alten, zerfledderten Tasche gefunden. „Rede dich doch damit nicht heraus!“
Er warf einen kurzen Seitenblick auf den Zettel und lachte dann verärgert in sich hinein. „Nein, da steht nichts von mir drauf!“
„Aber das, was die Spinnen für die Freilassung meiner Familie verlangen!“ Sie entfaltete den Zettel noch einmal um die Hälfte.
„Willst du mir etwa alles vorlesen, Margrit?“ Genervt fuhr er den Wagen wieder auf eine schmale Dorfstraße. „Ich habe diese Sachen noch gut in Erinnerung!“
Sie ließ den Zettel mit spitzen Fingern im Wind knattern. „He, du hast gesagt, erinnerst du dich, die Welt wird´s schon nicht sein! “
„Jetzt ist es eben die Welt, die Mike von uns haben will, na und?“
„Aber du streikst!“ Sie verstaute den Zettel nun in ihrer Jacke.
„Sehr richtig! So was kann doch keiner bezahlen. Das mit dem frischen Brot und auch das viele Mehl lass` ich ja noch gelten, aber wo bitte schön, gibt`s zum Beispiel heutzutage noch echten Kaffee, Medikamente oder Diesel? Die Kinder und deine Mutter müssen eben dort bleiben, fertig!“
„Gar nicht fertig, George! Darum will ich ja eben, dass du mich bei Würzburg absetzt. Das dürfte doch gar nicht so schwierig für dich sein. Rita, Wladislaw, Gesine und Erkan hast du eben noch viel weiter fahren müssen.“
„Ich finde es aber völlig verrückt, dass du ausgerechnet in Würzburg, in diesen leer stehenden Häusern nach solchen Sachen wie Medikamente und so weiter suchen willst!“
„Wo sonst, George? Dazu brauche ich ja vielleicht gar nicht mal in die Häuser hinein, denn vieles haben die Leute damals einfach in den Straßen stehen lassen und...“
„...nicht mehr abgeholt!“ vollendete George einfach ihren Satz. „Dreimal darfst du raten Margrit, warum sie es noch immer nicht tun!“
„Weil die meisten von ihnen tot sind?“
„Nicht falsch, aber du weißt ja, dass einige das Massaker überlebt haben! Sie wagen sich trotzdem nicht mehr in diese Stadt! Selbst Pomadenmaxe, wie wir ihn alle nennen“, er kicherte jetzt wegen des Namens so ein bisschen, „wagt sich nicht mehr bis in die Stadtmitte und findet auch niemanden, der ihm von dort neue Handelsgüter zum Tauschen bringt. “
„Na siehst du, der wird sich freuen, wenn ich das mache! Euer Pommi soll doch noch immer eine große Auswahl haben. Auf diese Weise werde ich von ihm die übrigen Dinge bekommen, die ich womöglich doch nicht in den Häusern Würzburgs auftreiben kann! “
„Du bist verrückt, Margrit, wirklich, inzwischen völlig verrückt!“ Er schüttelte verärgert den Kopf.
Sie runzelte die Stirn. “He, dieser Typ ist nicht der erste Schwarzhändler, den ich aufsuche! Ich weiß, was ein Schwarzhändler ist, und dass er einen übers Ohr hauen kann und so weiter und so fort!“
Er seufzte: „Das meinte ich doch damit gar nicht, Margrit!“
„Paul vertraut mir“, schwatzte Margrit trotzdem drauflos. “Warum nicht du?“ Das hätte sie nun nicht sagen sollen, denn George sah, wenn man ihn so von der Seite her betrachtete, jetzt direkt unheimlich aus.
„Ich ...hm... habe ich denn etwas Falsches gesagt?“ stotterte sie.
„Ja, das hast du!“ zischelte er hinter seinen herrlichen weißen Zähnen hervor, die er fest aufeinander gepresst hielt. “Und ich möchte, dass dieser Paul in Zukunft“, seine grünen Augen blitzten Margrit jetzt richtig zornig an und sie fand Unpassenderweise, dass er unglaublich sexi dabei aussah, “nicht mehr mit mir verglichen wird! Haben wir uns da verstanden?“
Sie schluckte und nickte. “Aber ... aber...?"
„Ja?“ Sein ausdrucksvolles Gesicht fuhr wieder zu ihr herum.
„Was hast du nur immer wieder gegen Paul?“ Sie versuchte, so arglos wie nur irgend möglich in diese Raubtieraugen zu blicken, aber da war es schon zu spät. George verriss das Steuer. Nur mit Mühe brachte er den riesigen Jambo zum Halten. Er atmete tief auf, ließ sich weit in den Sitz zurücksenken und schloss für einen Moment die Augen, als der Wagen endlich stand.
“Weißt du“, murmelte er schließlich erschöpft, "du machst einen ganz verrückt mit deiner furchtbaren Naivität! Ich will dir ja deinen Glauben an das Gute nicht rauben, aber es ... es geht mir doch sehr auf den Geist! Paul ist nun Mal in erster Linie Egoist ... und auch in zweiter! Hast du ihn vielleicht in den letzten Tagen für deine Kinder sammeln sehen?“
Margrit schüttelte gesenkten Hauptes den Kopf.
„Hat er sich wenigstens mit einem einzigen Wort für deine Kinder eingesetzt?“
„Nein!“ erwiderte Margrit betreten.
„Sollte es also an seinem großem Vertrauen zu Dir liegen, dass er dich nicht nach Würzburg begleitet?“
„Also ...hm... du... du meinst? “ Sie schob sich die Brille auf ihrer Nase zurecht, wie immer, wenn sie nervös war. „He, nein!“ sagte sie dann. “Er hat sich eben noch immer nicht so ganz erholt um ... na ja, steht halt noch immer unter Schock!“ Ihre Wimpern flatterten auf und nieder. „Wegen damals! Wegen seiner...“, sie schluckte den Klos hinunter, „... Ilona, weißt du?“
„Schock ist gut!“ George lachte hart und kurz auf und begann den Jambo erneut zu starten. „Du bist Profiler, da dürfte dir wohl bekannt sein, dass Killer immer an die Stätte ihrer Untat zurück kehren oder?“
„Ja und?“
„Ja und, ja und!“ echote er genervt. „So kommen die Hajeps halt auch ganz gerne mal nach Würzburg, um dort so ein bisschen herumzustöbern.“ Er runzelte die Stirn. „Das wissen zwar alle, aber du wohl noch nicht!“
„George, warum bist du eigentlich in letzter Zeit so zickig zu mir?“
„Nein, in letzter Zeit bist viel mehr du mächtig komisch geworden, meine liebe Margrit! Irgendwas muss doch seit einer Woche passiert sein, dass du so größenwahnsinnig geworden bist!“
„George, mir bleibt doch einfach gar nichts anderes übrig, als nach Würzburg zu gehen. Warum verstehst du das nicht? Die Dörfer sind bereits leer geplündert und...“
Er seufzte. “Bist du wenigstens bewaffnet, Margrit?“
Sie öffnete ihre Jacke und anschließend ihre Weste. Zwei Revolver und ein Messer steckten im Gürtel, ein Patronen¬gürtel hing von der Schulter bis zur Hüfte hinab.
„Trotzdem, wenn du in ihre Hände fällst, bist du geliefert, Margrit!“ keuchte er. “Niemand ist ihnen gewachsen. Wir können nicht kommen um dir zu helfen!“
Konnte sie ihm sagen, dass sie deshalb Danox mitgenommen hatte? Sie zögerte eine Sekunde und sah ihn dabei fragend an. „Tja!“ sagte sie dann und zuckte mit den Schultern, dann verschloss sie wieder ihre Weste und zog den Reißverschluss ihrer Jacke hoch.
„Ich ...ich werde dich begleiten!“ sagte er mit einem Male.
Sie machte große Augen. „Nein George, das kann ich nicht von dir verlangen!“
Er lachte. „Kannst du auch nicht. Aber ich werde es tun! Es trifft sich gut, dass ich heute ebenfalls nicht schlecht bewaffnet bin. Weißt du, wegen der Streitereien, die es heute wieder mal auf dem Herzinger Hof hatte geben sollen. Machten zwar mächtiges Theater wegen der Abgaben, die Günther erhöhen musste, aber dann haben sich doch alle schneller beruhigt als ich zunächst gedacht hatte.“
„Ich finde es aber auch nicht gut, George, dass Günther immer wieder die Abgaben erhöht!“
„He, du hast ja noch eine Tasche mit?“ überging er ihre Frage.
„Hast du die vorhin nicht gesehen? Es sind sogar insgesamt vier Taschen, George!“
„Aber zwei davon sind ja schon gefüllt?“
„Drei“, verbesserte sie ihn. „In der einen sind die Glücksbringer meiner Kinder.“ Sie lachte. „Lauter Kleinigkeiten. In den anderen alte Töpfe! Bin noch gestern Abend richtig fleißig gewesen! “
„Töpfe? Wozu kann man denn Töpfe gebrauchen?“
„Ich habe gehört, dass hier in der Nähe eine Firma ist, welche Töpfe und so weiter heimlich zu Stahlhelmen und anderem kriegerischem Zeug umschweißen!“
„Ich denke, du bist Pazifistin?“ er kicherte. „Nein, nein, hab` ja nur Spaß gemacht! Und die willst du also bei Pommi gegen andere Dinge eintauschen, habe ich Recht? “
„Hast du! Aber George, willst du mich wirklich dabei begleiten? Hast du dir das auch genau durchdacht? Es kann ja wirklich sein, dass uns dabei Hajeps überrumpeln und was dann? “
„Dann sind wir wenigstens zu zweit! Du weißt ja, immer Richtung Hals feuern, dort haben die Hajeps meistens eine empfindliche Stelle!“
„Meistens?“
„Na ja, fast meistens!“ räumte er ein.
„He, jetzt schäme ich mich richtig, dich für so eine gefährliche Sache auszunutzen! Denn das ist ja nur meine Fami¬lie, für die wir kämpfen. Du selbst hast doch gar nichts davon! “
„Ich mag deine Kinder, Margrit! Und ich bin einiges Diguindi schuldig! Da fällt mir ein, wir fahren ja die ganze Zeit in die falsche Richtung. Pomadenmaxe ist nämlich umgezogen. Hat´ ich ganz vergessen! Würzburg ist ihm zu unheimlich geworden und darum ist er mit Unterstützung seiner Freunde in die Nähe von Zell gezogen. Wir hätten vorher bei ihm einkehren sollen!“
„War ich doch gestern schon! Da hat mich Renate bei ihm abgesetzt! Aber er hat keine Medikamente, geschweige denn Diesel oder Kaffee! Das ist es ja eben! “
Während der restlichen Fahrt nach Würzburg sprachen die beiden dann von nichts anderem als über den Handel mit diesem Mann und wie man den am besten einfädeln sollte. Leider waren sie kurz vor Würzburg versehentlich wieder bei dem heiklen Thema `Paul´ angelangt, Margrit wusste später nicht so genau wer und warum man eigentlich darauf gekommen war, jedenfalls bereute sie es danach sehr!
Dabei hatte diese Debatte zuerst einen ganz harmlosen Anfang genommen: „Was verbindet dich eigentlich noch mit diesem Paul?“ Das hatte wohl George, auf irgendeine Bemerkung Margrits hin, völlig unvermittelt gefragt. “Seid ihr ...seid ihr doch wieder zusammen gekommen?“ Und über sein Gesicht war dabei eine leichte Röte gehuscht.
Sie hatte ihn wieder sehr verdutzt von der Seite her angestarrt. “W..warum interessiert dich das?“ hatte sie gestottert.
„Nun, Paul teilt zwar seinen Raum mit zwei weiteren Kameraden, aber tagsüber seht ihr euch doch, da könnte es sein, dass ihr...“, er schwieg und wurde noch röter.
„Also wirklich, George“, fauchte sie jetzt entrüstet, “das wird aber jetzt sehr privat! Auf so etwas muss ich doch wohl nicht antworten, oder?“
„Doch!“ sagte er sehr, sehr leise. „Denn das ist wichtig für mich.“
„Wie? Ich... also, ich meine... du? Ach ... also ich verstehe nicht!“ Sie starrte ihn mit großen Augen und völlig durcheinander an. Genau in diesem Augenblick passierte es! George wurde derart nervös, dass er in der Kurve nicht aufpasste. Der Wagen geriet ins Schleudern. George bekam ihn nicht mehr unter Kontrolle. Margrit wollte schreien, aber biss sich auf die Lippe. Sie sausten einen Abhang hinunter, Margrits Wagentür flog auf, die Schnalle des Halte¬gurts, der ohnehin nur ein Fetzen war, wurde gesprengt und so schoss sie von ihrem Sitz. Sie fühlte nur noch, dass sie auf den Boden krachte und dann, wie von Geisterhand gestoßen, ein ganzes Stück über Stock und Stein Hügel abwärts rollte.
An dem schwarzen Nebel vor ihren Augen, der nur ganz allmählich verschwand, erkannte sie, dass sie wohl für ein Weilchen hier ohnmächtig gelegen hatte. Mühsam bewegte sie ihre schmerzenden Glieder und blickte um sich. Sie war den Hügel nur zur Hälfte hinabgerollt und wo war George?
"George?“ rief sie erschrocken. „George? Wo bist du?“ Taumelnd richtete sie sich auf, begann den Abhang zunächst vorsichtig, dann immer schneller hinabzugehen. Schließlich rannte sie, immer wieder seinen Namen rufend. Dort... dort war der Wagen! Mein Gott! Er war explodiert, brannte noch immer ...das ganze Gestell sah aus wie ... wie ein Skelett!“ Sie presste sich die Faust an den Mund. „George!“ stammelte sie. „Bitte, bitte! Tue mir das nicht an! Alles andere, aber nicht das, hörst du? „
„Vorsicht! Vielleicht nehme ich dich beim Wort!“ hörte sie plötzlich von rechts unter einem Baum. Margrit fuhr herum. Dort lehnte George. Er hatte das eine Bein weit von sich gestreckt - der Knöchel war dick geschwollen, wahrscheinlich angeknackst. In der Hand hielt er triumphierend eine von Margrits fünf Taschen und schüttelte die, zum Zeichen, dass da sogar noch einige Sachen drin geblieben wahren. „Wir beide“, er blickte feixend auf den alten Beutel, als wäre er ein Kamerad, “sind gemeinsam vom Sitz gerauscht! Allerdings hat der hier etliches von seinen inneren Werten verloren. Die dürften hier ringsum verstreut sein.“ Er blickte sich nach allen Seiten um, und man merkte ihm an, dass er erleichtert war, noch am Leben zu sein und vor allen Dingen Margrit gesund und munter vor sich stehen zu sehen.
"George!“ Sie beugte sich zu ihm hinab, kauerte sich schließlich hin und betrachte sorgenvoll seinen Fuß. „Du ..also... der ... der ist bestimmt gebrochen!“ stammelte sie hirnlos, denn sie stand noch immer unter Schock, genau wie er. "Ich ... ich werde ganz schnell Hilfe holen, ja?“
„Wie denn? Und vor allem von wo?“ Er kicherte nun ziemlich hysterisch. “Aber keine Angst, Martin und Zhan Shao sind ja hier in der Nähe unterwegs um...“
„Das wird aber dauern!“ Margrit nagte an ihrer Unterlippe.
„Tja!“ Er lachte unfroh. “So einige Stündchen, schätz` ich, bis sie mit der Kartoffelernte fertig sein werden!“
Sie richtete sich auf, schob sich die Brille auf der Nase zurück und spähte Richtung Stadt. Grau und völlig still waren ihre Gemäuer und nur wenige hundert Meter von Margrit entfernt.
„Ist ...ist es sehr fies von mir, wenn ich dich jetzt frage, ob du mich trotzdem für etwa eine Stunde missen kannst?“ krächzte sie.
„Na sagen wir zwei?“ Er bettete seinen Fuß in eine etwas bequemere Lage.
„Es ...es geht dir ansonsten nicht schlecht?“ fragte sie ihn.
„Ach, ich bin hocherfreut über diesen gebrochenen Fuß!“
Sie machte ein entsetztes Gesicht.
„Nein, nein, war wieder mal alles nur Quatsch! He, der ist sicher nur verstaucht! Mach dir wirklich keine Sorgen um mich!“
„Weißt du, ich möchte noch heute Abend wenigstens Muttchen frei bekommen. Sie ist krank geworden und das sieht natürlich keiner. Sie muss trotzdem weiter arbeiten und auch Tobias wird mir noch ... "
„Palaver nicht so lange, hau schon ab!“ erklärte er grinsend und runzelte sodann die Stirn. „Schließlich soll Paul nicht der Einzige gewesen sein, der dir vertraut!“
Nun mussten sie beide lachen.
„Aber beeile dich!“ Er hob mahnend den Zeigefinger. "Denn noch vor dem Dunkelwerden musst du hier sein, dann fahren wir ab!“
Sie begann nach einem knappen Blick in die Tasche (die Uhr von Paul war noch drin, groteskerweise auch Julchens Sparschwein) einen der herumliegenden Töpfe aufzusammeln und plötzlich entdeckte sie etwas braunes, rundes zwischen hohen Grashalmen. Es kam Margrit irgendwie bekannt vor, deshalb machte sie einige Schrittchen darauf zu. Sie bückte sich. Oh Gott, Danox hatte sich also auch gerettet! Sie war sehr erleichtert!
„Ti kos to akir!“ wisperte sie und schon begannen sich die Halme zu biegen. “Jasu me!“
„Führst du neuerdings Selbstgespräche?“ fragte George von seinem Baum aus und lachte.
Margrit drehte sich langsam zu ihm herum. ”N...nein?“ krächzte sie verstohlen und das war ja wirklich nicht gelo¬gen.
„Du solltest noch einen meiner Revolver mitnehmen, Margrit!“
„George! Äh ... ich glaube, es ist besser, wenn auch du zwei hast! He, eigentlich schäme ich mich, dich hier so hilf¬los zurück zu lassen!“
„Hilflos? Ich bitte dich! Meinst du, ich kann auch nicht mehr den Finger um den Abzugshahn krümmen?“
„Hach, immer musst du Witze machen!“
„Nein, nein, du brauchst wirklich keine Angst zu haben, Margrit. Mir ist nämlich eingefallen, dass Martin schon seit Tagen keine Anzeichen von Hajeps rund um Würzburg bemerkt hat. Und der muss das ja schließlich wissen, denn er kommt jeden morgen hier vorbei!“
„Ha, wie das tröstet!“ keuchte Margrit.
Schließlich hatte sie nur drei ihrer Beutel wiedergefunden und auch nur wenige Töpfe, aber das würde sie später schon aufzufüllen wissen, und dann hatte sie George trotz seiner Proteste ihre Jacke als weichere und wärmere Unterlage für den Boden gegeben, ihn zum letzten Male innig umarmt und auch dabei einige Tränchen vergossen.
Dann hatte sie sich auf gerichtet und war mutigen Schrittes auf Würzburg zumarschiert.
Immer näher kamen die Häuser. Waren sie wirklich leer? Oder beobachteten bereits fremdartige Augen hinter einem der Vorhänge versteckt Margrit vom Fenster aus? Danox folgte Margrit, schob sich in einigem Abstand hinter ihr durch`s Gras, einen langen, dunklen Ton dabei von sich gebend, den nur Margrit hören konnte - wirklich nur Margrit?

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