Die Saga von Jelke Eisenseite
von Carsten Maday

 

Von reichlich unverdünntem Wein

Das Essen. Nun, es war durchaus unterhaltsam gewesen, wie Jason zugeben musste, wenn gleich der Centurio es vorgezogen hatte statt des saftigen Bratens eine trübe Suppe zu schlürfen.
Gleich zu Beginn waren die Anwesenden zu der Übereinkunft gekommen, die letzten zwei Tage und die morgige Jagd auf die Thorgesttochter nicht zu erwähnen. Denn solches, meinte der Witwenmacher, könnte leicht die Stimmung verderben.
Warum dieses Treffen? Jason argwöhnte, dass der Telamon sie eingeladen hatte, um seine morgige Konkurrenz besser einschätzen zu können.
Menschenkenntnis war ein zweischneidiges Schwert, befand der primi pili Centurio Jason. Ein gesundes Maß war unerlässlich. Übermaß war mitunter gefährlicher, als das gänzliche Fehlen dieser Fähigkeit. Das wusste Jason aus Erfahrung. Bei Noctis Ultimae hatte die Sorglosigkeit der Consules vier Legionen verschlungen. Die andere Seite der Münze hatte der Centurio während der Bürgerkriege kennen gelernt. Mehr als einmal war er bei Unterredungen feindlicher Feldherren zugegen gewesen. Wie die Wölfe hatten sich die Jovener mit rhetorischen Spitzfindigkeiten umkreist, um endlich mit strahlendstem Lächeln von einander zu scheiden, ein jeder überzeugt, gerade das erfahren zu haben, was der andere in den tiefsten Winkeln seines lauernden Geistes verborgen hielt.
Nach eben so einem Treffen hatte der Prokonsul Aemilius Spiritus Pauper den Centurio jovial bei Seite genommen und zufrieden mit sich gemeint, nun wisse er, was den alten Insanus so plage: dass die Stimmung seiner Truppen gefährlich nach Meuterei stinke, weil sie seit Monaten keine Löhnung erhalten hatten, sie nach sechs Jahren kriegsmüde waren und die Verproviantierung mies war.
Nur wenig konnte der primipilus Jason den Sitten und Gebräuchen der Nordmannen abgewinnen. Bis auf eines: der feste Glaube, dass das Glück eines Mannes endlich und früher oder später, zumeist früher, aufgebraucht war. Da Jason bei einer Dezimierung sein Glück bereits gefährlich ausgereizt hatte, widerstand er damals der Versuchung dem Konsular Spiritus Pauper zu widersprechen.
Die Legionäre würden sich nie gegen Insanus erheben, mochte es ihnen noch so dreckig gehen. Sie liebten den alten Spinner abgöttisch. Trotz aller Verbrechen, die Insanus verübt hatte, und wider besseren Wissen, bewunderte und achtete Jason den tattrigen Feldherrn noch immer, so wie es jeder tat, der sich je „Spinners Maulesel“ geschimpft hatte. Und das waren bei weitem nicht wenige im Heer des Spiritus Pauper.
>Es ist wichtig seinen Gegner zu kennen<, hatte Pauper gesagt, und Jason hatte brav genickt.
Pauper fuhr fort:
>Kennt man seinen Gegner, kann man sich in seine Denkweise hineinversetzen. Es ist leicht, den nächsten Schritt des Feindes vorherzusagen, aber ein guter Feldheer kennt nicht nur den nächsten, sondern alle! Das hier<, Pauper tippte mit seinem Zeigefinger gegen die Schläfe. >ist unsere beste Waffe in der Schlacht. Ich kenne Insanus und ich weiß, wie er denkt. Das gibt uns die Möglichkeit, nicht nur auf Insanus´ Schritte zu reagieren, sondern selbst das Ruder in die Hand zu nehmen und zu agieren. Actio statt reactio, dann haben wir den alten „Spinner“!<
Jason hatte es mit der Angst zu tun bekommen. Der actio/reactio-Kram, musste Jason zugeben, hörte sich gar nicht mal so verkehrt an. Das die Grundlage für Paupers actio aber sein festes Vertrauen in seine Menschenkenntnis war, erfüllte den Centurio mit Sorge. Wer kannte einen Menschen denn schon wirklich? Zumal einen, den man den „Spinner“ nannte?
Es folgte ein beeindruckendes Schauspiel jovenischer Feldherrenkunst. Drei Tage lang führten die gegnerischen Feldherren ihre Legionen aus den Lagern und stellten sie zur Schlacht auf. Aber weder Insanus noch Pauper, der darauf vertraute, dass die immer schlechter werdende Moral des Feindes Insanus zum Handeln zwingen würde, ehe ihm die Truppen überliefen, machten Anstalten den Kampf zu beginnen. Am vierten Tage endlich ging Fabius Insanus vor. Aemilius Spiritus Pauper war begeistert. Er ließ die Reiterei ausschwärmen, die die fabianische schnell in die Flucht schlug. Als das feindliche Herr um seine Flanken fürchten musste, rückte Pauper vor. Sechs Kohorten zur Reserve.
Jason ging mit seiner Centurie von frischgezogenen Rekruten vor und hatte mehr Angst, als je zuvor in seinem Leben. Entweder hatte er Pauper unterschätzt, oder sie würden alle sterben. Zweiteres schien ihm wahrscheinlicher. Noch ehe sie auf Wurfweite heran waren, standen die zwei Legionen, auf die Insanus drei lange Tage gewartet hatte, dem Pauper im Rücken. Das republikanische Heer streckte kampflos die Waffen und ging geschlossen in Gefangenschaft oder wechselte wie Jason die Seiten. Moralische Bedenken? Einige! Aber letztendlich waren alle Feldherren in diesem Bürgerkrieg gleich. Was machte es da schon für einen Unterschied, unter welchen Fahnen man kämpfte. Und kämpfen wollte Jason.

Autorenplattform seit 13.04.2001. Zur Zeit haben 687 Autoren 5378 Beiträge veröffentlicht!