Die Saga von Jelke Eisenseite
von Carsten Maday

 

Einfach drauf los

>Liebe? Ich weiß es nicht!<, sagte Jelke. Sie hatten den Hügel lange vor den Lormyrern erreicht. Jetzt saßen sie auf der kalten Erde und warteten. Worauf, fragte sich Jelke. Auf den Kampf? Auf das Ende des Wartens? Auf den Tod? Ich habe in meinem Leben schon zu oft gewartet, befand die Schwertfrau.
Die Lormyrer rückten näher. Jelke schätze sie auf zwei-, vielleicht zweieinhalbtausend Mann. Sie selbst hatten keine hundert. Oder warten wir trotz alledem auf ein Wunder? Dass wir irgendwie lebend aus dieser Sache kommen? Ich kann es nicht glauben, nur hoffen gegen alle Wahrscheinlichkeit. Sie waren unter Thals schwarzen Mantel geschlüpft, aber der durchnässte Stoff bot ihnen schon lange keinen Schutz mehr gegen den Regen. Es ist wie mit der Hoffnung: Auch wenn ´s keinen Unterschied macht, bleiben wir dennoch unter dem Mantel hocken, der uns Geborgenheit und Schutz vorgaukelt. Ach, selbst wenn wir es überleben sollten, würde uns die Lungenentzündung doch noch ins Grab zerren. Sie rückte näher an Thal heran. Der Munzianer hatte sich in ein brütendes Schweigen gehüllt, nur sein schwerer Atem drang unter dem Topfhelm hervor. Jelke war langweilig zu Mute. Da Thal keine Einwände dagegen zu haben schien, begann Jelke zu erzählen. Folgendes nun wusste die Jelke Eisenseite zu philosophieren:
>Wie gesagt, Thal, ich weiß es nicht! Ich meine, wie läuft das denn sonst? Man lernt jemanden kennten, und, schwups, sehen, haben wollte, ganz einfach, oder wie? Kein Wir-müssen-uns-erst-mal-besser-kennenlernen-Scheiß! Einfach nehmen! Ich meine, dass ist bei mir schon von Berufswegen her so: Wenn ich brandschatzen gehe, hab ich ja auch nicht alle Zeit der Welt, nicht? Raff mir die besten Stücke, dann ab durch die Mitte, ehe Entsatz kommt. So hab ich´s immer gehalten und bin stets gut damit gefahren. Vergucken? Ja, aber gleich verlieben? Vielleicht auch noch, aber vor Liebe zu einem Mann entbrennen, den ich nur kurz gesehen habe und zufälliger Weise auch noch der gegnerische Feldherr ist, der mich darüber hinaus jetzt hasst, das ist ja wohl ´nen starkes Stück! Das gibt´s vielleicht in diesen beschissenen höfischen Romanen, oder so, aber das hier ist real, ja, ich meine, das hier ist das RICHTIGE Leben und kein bescheuertes Phantasiegebilde, oder nicht?<
Thal brummte irgendetwas. Jelke legte es als Zustimmung aus: >Genau, schon lustig, na ja, auf eine kranke Art und Weise, wenn Du verstehst, was ich meine`? Irgendwie ungesund! Er ist aber auch so süß! Argh! Siehst Du, da geht es schon wieder los! Nein! Verdammt! Aber sollte ich mich tatsächlich in ihn verliebt haben, ich meine, klar, in Wirklichkeit sieht´s so aus, dass ich die letzen Tage zu wenig geschlafen, zuviel getrunken und ´ne mörderische Schlacht hinter mir habe und jetzt hier sitze und darauf warte, dass der Feind mich massakriert, ein Feind der uns wohlgesagt zwanzig zu eins, vielleicht sogar fünfundzwanzig zu eins, überlegen ist. Was für ´n Unterschied. Wahrscheinlich hab ich auch noch Fieber! Außerdem bin ich auch noch wetterfühlig! Aber Bitte, lassen wir diesen schlagenden Argumente einfach ´mal beiseite und sagen, ich liebe! Rein hypothetisch! Gut! Ich liebe ihn! Toll! Und was hab ich davon, hä?<
Thal schwieg.
>Genau! Nichts! Rein gar nichts! Prima! Ich meine, wir leben einfach in zu verschiedenen Welten, nein, nicht solche „ohwirhabenjasoüberhauptnichtsgemeinsamundduverstehstmicheinfachnichtund-außerdemsinddeineFreundeinBandevonstinkendenAlkoholikern-verschiedene Welten! Nö! Eher rein geopolitisch, oder so! Feinde eben!<
Thal stöhnte unter dem Helm. Jelke nickte: >Seh´ schon, Freund. Du meinst bestimmt, Liebe könne selbst die tiefste Kluft überwinden! Ich will Dir ´mal in aller Ehrlichkeit sagen, was ich davon halte, aber nimm´s mir nicht übel, ja: Das stinkt doch! Wer denkt sich denn so was aus! Ist doch viel zu anstrengend! Was für eine utopische Vorstellung! Aber nur mal angenommen, ich würde mich an sie klammern: Ich liebe ihn, er liebt mich. Natürlich so eine wilde, ekstatische, romantische, ewige Liebe! Ich meine, wir hätten unsere Reibereien, und so, ja, aber das macht uns nur noch verrückter aufeinander und stärker! Ja, ja, genau so! Wir klären sogar unser Wohnproblem! Ich meine, bei ihm im Süden ist´s mir einfach zu heiß, ja! Bei meiner hellen Haut! Hölle, sag ich dir! `Ne, bei uns im Norden! Meine Güte, Thorgest würde Augen machen, wenn ich ihm den Lollius anschleppe! Dafür würd ´s sich schon fast lohnen! Wie? Argh, schon wieder! Gut, alles klappt! Ich sitz dann irgendwann im Schaukelstuhl und erzähle meinen Enkelkindern, wie Großvater und ich zusammen gekommen sind. Die Mädchen würden sagen: Oh, wie romantisch! Die Jungs aber, ich seh´s schon vor mir, fangen an mit Holzstöcken zu fechten, wenn sie von Opas Heldenstücken hören. Die sind fast so aufregend wie deine, Oma, würden sie dann sagen! Na, so was, halt! `Ne feste Kiste eben! Nur ein Problem, ein klitzekleines Problemchen: Die Lormyrer! Die machen der ganzen Sache einen tödlichen Strich durch die Rechnung! Zerstört der Traum vom jungen Glück! Sch...ade! Du fragst Dich bestimmt, wie ich so gefasst mit dem Ende meiner Träume umgehe?<
>Man, wo bleiben die denn?<, murmelte Thal.
>Wie meinen? Na ja, egal! Ganz einfach! Ich liebe ihn ja gar nicht! Irre nicht, aber als ich heute Morgen mit diesem tierischen Kater aufgewacht bin (was hat uns der Zwerg eigentlich eingeflößt?), da sah ich die Sache auf einmal ziemlich klar: Nö! Das sind nur meine Tage! Ha! Ich liebe ihn nicht! Aus! Ende! Ahne was du sagen willst, aber versteht das hier richtig, ja, das war keiner von diesen unsäglichen Ich-liebe-ihn-nicht-mehr- Beschlüssen! Man, wie soll man das denn beschließen? Kenn´ ich: Nö! Geh weg, ich liebe Dich nicht, hab´s festgestellt, beschlossen, wahrscheinlich hab ich Dich auch nie wirklich geliebt. Und nach zwei Minuten ändert man seinen Beschluss einfach wieder! Ne, ist doch Kinderkacke! Aber bei mir liegt die Sache ja zum Glück anders. Ich hab nicht beschlossen, ihn nicht mehr zu lieben, ich wusste es! Die Stress der vergangenen Tage hat mich etwas wärmebedürftig gemacht, so einfach. Und da Lollius mit Abstand der am besten aussehende Mann hier im Tal ist, hab ich natürlich meine Bedürfnis auf in projektiert! Dass ich es Liebe nannte ist logisch: Ich bin romantisch genug, um im Tode denken zu wollen: ich habe geliebt, als ich habe lediglich im Angesicht des Todes meine Wärmebedürfnisse auf ihn projektiert. Das hört sich nicht an, außerdem ist´s zu lang, da brauch man ja schon ein etwas längeren Tod, um das aufzusagen. Ne, lieber kurz und schmerzlos! So, darum also trage ich die Sache so leicht, weil es in Wirklichkeit ja keine Sache gibt, an der ich zu tragen habe! Helle, wie! Ha, jetzt bin ich aber ins Schwafeln gekommen! Wie sieht´s mit der Albe aus, dem schwärzlich Ding? Liebst Du sie?
>Nein!<
>Ach?<
>Ja! Ich hab Dir doch gesagt, dass ich glaube, ich könne nur sterben, wenn ich glücklich bin! Gut, wenn ich noch lieben könnte, wäre ich ein glücklicher Mann! Da aber bin ich auch bald ein toter Mann! Daher ist es für mich lebenswichtig, nicht zu lieben! Außerdem liebe ich sie wirklich nicht! Ich meine, verschiedene Welten, und so, über den ungünstigen Zeitpunkten müssen wir ja nicht reden. Ich kann nicht lieben, denn dort, wo einst in meinem Herzen der Liebe blühend Wies´, steht nun das Grabmahl meiner Frau!<
>Weh, Freund, mich schaudert vor der Bitternis deiner Rede! Doch ist´s gerade das, was mich die Liebe fürchten macht: Wie mit der Geburt das Sterben beginnt, trägt auch die Liebe den Keim zukünftigen Leides in sich! Ich frage mich, ob wir nicht den Tod schon zu oft gesehen haben, als dass wir noch sorglos leben könnten. Daher liebe ich ihn auch nicht, ich meine, ich kann ihn gar nicht lieben, bin ich viel zu pragmatisch veranlagt, verstehst Du? Ich meine, ich erkenne eine hoffnungslose Situation, wenn ich sie sehe, bin ja auch alt genug, ja! Oder könntest du dich unter solchen Umständen verlieben?
>Nun, das käme darauf an, wie sie aussieht, hehe!<
>Ach, hab befürchtet, dass du das sagst!<
Vom anderen Hügel kam die dumpfen Geräusche von Waffengeklirr und schreienden Männern herüber geweht. Jelke blickte hinüber, aber es war zu weit, als dass sie Einzelheiten hätte erkennen können. Jelke war´s froh, denn so ersparte es ihr den Tod eines lieben Menschen zu sehen.
>Die gehen ja mächtig zur Sache da drüben!<, sagte sie. >Na, nicht mehr lange und wir haben selbst genug zu tun. Hast du Dir Gedanken über unsere Strategie gemacht?<
>Na klar, Jelke! Wir tun so, als wenn wir sie erwarten würden, wenn sie aber nahe genug ran sind, rennen wir einfach los und bringen alles um!<
>Einfach drauf los! Meine Herren, da sieht man mal wieder, dass du´s Kriegspielen im vieltürmigen Munz erlernt hast. Donnerwetter!<
>Ja, danke! Ich hab auch lange überlegt, aber dann dachte ich mir: He, was soll´s schon, wir treten eh ab, warum nicht noch ´mal den todesmutigen Helden aushängen lassen, ich meine, ist doch locker, oder wie?<
>Schon recht! Meine Vater freut sich auch, wenn er hört, dass es seine Kleinste wie ´nen Held zerlegt hat!<
>Man, wo bleiben die bloß!<
>Könnten ruhig etwas schneller gehen!<
>Ich fang ja schon an zu rosten!<
>Ich auch!<
>Ich habe Angst!<
>Na, ´nen gutes Gefühl hab ich auch nicht im Magen!<
Der Hügel war weit aus weniger steil, als der andere. Auch hatten ihn keine schweren Soldatenstiefel aufgerissen. Die Lormyrer kamen in guter Ordnung näher. Jelke sah das Silberhaar der Albe aufblitzen.
>Was würdest du tun, wenn du nicht hier wärst?<, fragte Jelke den Thal, aber der hatte die Albe längst entdeckt. >Hm<, brummte er. >Würde wohl auf den Zinnen meiner Burg sitzen, von denen sich meine Frau gestürzt hat, in die Ferne blicken, jammern und trinken! Damit kriegt man seine Tage gut ´rum!<
>Hört sich ja, ähm, interessant an?<
>Und du? Was macht Jelke Thorgesttochter, die gefürchtete Schwertfrau, wenn sie nicht gerade in einer hoffnungslosen Schlacht steckt?<
>Ach, wahrscheinlich in irgendeiner anderen Katastrophe sitzen, in die mich meine spitzige Zunge geredet hat!<
>Wahrscheinlich! Deine Zunge ist ja auch verdammt spitzig!<
>Oh, wie ich das warten hasse! Da sitz man, denkt über Dinge nach, die einem wichtig erscheinen, und dabei vertreiben sie einem nur die Zeit bis zum Kampf! In der Schlacht ist alles anders, da hat man keine Zeit sich über irgendetwas den Kopf zu zerbrechen. Liebt er mich, liebe ich ihn, werde ich sterben? Unwichtig, nichtig! Hauen, stechen und leben! Mehr braucht man nicht zu können! Ich bin gut darin, so gut, dass ich nichts anderes mehr kann, außer leben. Also sucht man immer mehr Kämpfe, immer mehr Schlachten, weil sie das einzige sind, dem man genügt. Und das Elend dieses Elend ist, dass mein Überlebenswille mit jedem Kampf größer wird, wie ich am Leben hänge und es wild verteidige, mich daran klammere und mich doch vor jeder Schlacht fragen muss: Wozu? Das Leben ist für mich, wie die Dunkelheit für ein ängstliches, kleines Kind: Ich liege erstarrt vor Angst und bete, dass der neue Morgen anbricht, und mit ihm das Morden!<
>Man, Jelke, so ist das mit uns alten Hasen. Wir haben zuviel gesehen, um einfach zurückzukehren. Zu wem auch. Mich erwartet niemand. Das ist sowohl traurig, als auch gut so! Lieber allein, als gefangen sein! Gut, gewagter Reim, aber richtig! Keine Fragen, Freiheit und ..., oh, jetzt fällt mir kein weiterer Punkt ein, wie peinlich! Nun je, wir führen ein gutes Leben!<
>Jawoll, jedem der es hören wollte, könnt ich Stunden allein von dieser Tour hier erzählen!<
>Ganz richtig und wahr. Gut gesagt!<
>Japs! Stimmt! Ob wir uns jetzt überzeugt haben?<
>Ich für meinem Teil glaube mir, zweifle aber mit Verlaub an deiner Standhaftigkeit!<
>Ha, umgekehrt wird ´nen Schuh ´draus! Wenn dir die Albe auch nur zu lächelt, kippst du doch um!<
>Na, da besteht kaum Hoffnung! Die lächelt wohl nie! So, woll´n wir mal!<
>Jap, da kommt Arbeit auf uns zu!<
>Noch ein letztes Wort zum Abschied?<
>Gut! Thal, wir kennen uns gerade mal zwei Nächte lang und müssen schon Abschied nehmen. Du bist mir ein Freund, wie er sein soll!<
Der Thal sah das genau so und er meinte, er sei durchaus entzückt ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, und dass ihre Freundschaft die ganze Sache durchaus lohne.
Dann erhoben sich die beiden, und ihre Männer folgten ihren Anführern. Der Gestalt erwartete man die Lormyrer. Das war zu dem Zeitpunkt, als die jovenische Front brach und der Legat Lollius aus der Schlacht getragen wurde.

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