Die Saga von Jelke Eisenseite
von Carsten Maday

 

Bald traten unter der Reisigen Schar zwei Männer und eine Frau. Groß war das Staunen, als die Gesandten vor den König traten. Der eine war ein Jüngling mit goldgelocktem Haar. Kaum dass sich ihm der goldne Flaum der Wangen in einen mannhaften Bart gewandelt. Fein und edel waren seine Züge. Sein Blick war offen, doch lag auch eine Entschlossenheit darin, die weit über seinen Jahren stand. Es war Toste, König Æthalberts Sohn, die Zierde Lormyrs. Dass er die Gesandtschaft führte, ehrte König Einar sehr, denn niemand stand höher an Geblüt als der Königssohn. Toste deutete eine leichte Verbeugung an, doch erwies nicht der Prinz dem König, sondern der Jüngling dem Älteren die Ehre. Die Männer staunten sehr über die edle Haltung des Toste.
Der zweite war von düsterem Antlitz. Ein Hüne von Gestalt, der selbst die Größten im Zelt überragte. Mächtige wölbte sich die Brust unter der Brünne. Muskelstark die Arme, kraftvoll die Schenkel, ihn zu tragen hurtigen Schritts ins männertilgende Schildgewühl. Wachsam sein Blick. Kein Bart zierte sein kantiges Gesicht. Telamon, raunten die Männer angstvoll. Der Vertilger! Skalden besangen die Taten des Söldnerführers, kündeten von endlosen Schlachten und Toten. Weithin war er bekannt als der Witwenmacher. Kaum merklich beugte er das düstere Haupt vorm König.
Jelke stieß dem Thal in die Seite und meinte, dass die Götter, deren Existenz sie ja bekannter Maßen leugne, ihnen diesmal nicht besonders wohlgesonnen seien. Nein, vielmehr planen sie wohl ihren sicheren Untergang, denn ihre Gegner würden von Mal zu Mal bedrohlicher. Thal sagte, sie denke da wie er. Wenn er aber doch lebend aus dieser Sache herauskäme, wolle er nie wieder auf Raubfahrt gehen.
>Na gut, aber höchstens noch zwei, drei Mal im Jahr<, fügte er bei dem skeptischem Blick der Thorgesttochter hinzu.
Dann trat die Frau vor des Königs Hochsitz. Sie war kein Mensch, sondern eine Albe vom Stamm der Dunkel-Alben. Ein unheilschwangerer Schauer fuhr der Thorgesttochter durch die Glieder, als sie sich das magische Geschöpf besah. Pechschwarz war ihre Haut. Gleißend hob sich das lange silberne Haar von dem Dunkel ab. Selten nur verließ in jenen Tagen die Elfen ihr Reich, noch seltener traf man auf Dunkel-Alben. Jelke jedoch, der Magie nicht unbedarft, hatte auf ihren weiten Reisen bereits Bekanntschaft mit schwarzen Alben gemacht. Diese jedoch schien ihr andersartig geraten. Wenig albisch dünkte ihre Wappnung. Sie trug Schwert, Schild und schwere Brünne wie eine Kriegsmaid. Ihre Beine steckten in festen Reithosen, gepanzert mit ehernen Beinschienen. Die scharfen Züge ihres Antlitzes zeigten die typische Arroganz ihres Volkes. Ihr Gesicht schien aus schwarzem Marmor gemeißelt, kalt und unbeteiligt, als betrachte sie das menschliche Treiben aus der Sicht eines amüsierten Zuschauers. Sie besaß eine unnahbare Schönheit und ihr herrliches silbernes Haar reizte die Mannen Einars nicht wenig. Seit jeher erfreut mannhaftes Kriegsvolk sich an derben Anzüglichkeiten, wenn ein Weib unter ihnen weilt. Jelke besaß einige Erfahrung darin, wusste sich aber stets zu helfen. Manch vorwitzige Hand musste sie abschlagen, um sich Respekt zu verschaffen. Dieses bedurfte die Albe nicht. Ihre weißen, blinden Augen schienen durch die Reihen der Mannen zu blicken und verliehen ihrer Schönheit jene Art schrecklicher Kälte, welche die Männer sich ihrer eigenen Gedanken schämen ließ. Sich vor einem menschlichem König zu verbeugen wäre einem Elfen nie in dem Sinn gekommen. Sie entsprach voll und ganz dem Brauch ihres Volkes.
Jelke fühlte sich, als habe man ihr Todesurteil unterschrieben. Neben ihr stand Thal, der gebannt auf die Albe starrte. Jelke stieß den Krieger an und flüsterte:
>Einer schlimmer als der andere! Die stinkt nach Magie und einer Menge Ärger!<
Und Einhand antwortete mit einem verzücktem Lächeln:
>Ach, ich finde sie ganz süß!<
>Männer!<, sagte Jelke und betrachtete das Zeltdach.
>Du etwa nicht?<, fragte Thal. Die Albe wandte den Blick nach dem Mann aus Munz, dem jedes weitere Wort in der Kehle stecken blieb.
>Blinde sollen ja sehr gut hören können<, kommentierte Jelke mit spitziger Zunge. Thal nickte beklommen, lächelte aber weiter.
Endlich stellte Toste die hochmütige Albe dem König vor:
>Das, oh Seekönig, ist Tarna Silberhaar vom Stamm der schwarzen Alben. Ihr Geblüt ist edel und nicht nach menschlichen Maßstäben zu bewerten. Geschätzt ist ihr Wort im Rate und ihre Klinge im Kampf. Was schwerer wiegt, vermag ich nicht zu sagen.<
König Einars Gesicht wurde hart. Er erhob seine mächtige Gestalt vom Hochsitze und verbeugte sich tief vor der Elfentochter. Kühn fasste er sie ins Auge und er wankte nicht vor ihrem unheimlichen Blick. Die Recken nahmen´s wohl auf, dass des Königs Wille fest wie eine Eiche stand. Und endlich verbeugte sich die Dreiste, des Einars Mut den nötigen Respekt zollend. Befriedigtes Raunen ging durchs Zelte. Thal meinte, dass der König trotz seiner Jahre es noch wohl verstünde sich durchzusetzen.
>Ja, ist schon ´nen toller Hecht<, sagte Jelke. >Unter einem Geringeren hätt´ ich auch nicht angemustert!<
Als der König sich gesetzt, sprach Toste. Klar hielt er dem ringebrechenden König die Ausweglosigkeit der Lage vor. Schilderte die Übermacht seiner Mannschaft, die drohende Ankunft der Wolfskrieger, den Mut seiner Führer. Beklommen nickte der König und meinte, alle Vorteile lägen auf Seiten Lormyrs, dass wisse er ja selbst. Der Königssohn solle endlich zur Sache kommen, denn die Gesandtschaft sei wohl kaum ausgeschickt, um längst bekanntes zu verkünden. Toste meinte, Einar spreche ganz die Wahrheit, denn er sei geschickt vom Vater, den Seeschäumer ein Angebot zu machen.
>Denn sinnlos scheint es Æthalbert dem Standhaften...<, sprach Toste, wurde aber von Jelke unterbrochen, die ihr Lachen nicht länger unterdrücken konnte und die Männer mit sich riss, dass bald alle aufs höchste belustigt grölten. König Einar sah man hart die Lippen aufeinander pressen, bemüht das verräterische Lächeln von seinem grimmen Antlitz zu tilgen. Es gelang ihm schlecht. Thal rettete sich in einen besorgniserregenden Hustenanfall.
>Æthalbert, der Standhafte?<, fragte die Thorgesttochter laut und ignorierte dreist ihren König, der heftig sein rotangelaufenes Haupt schüttelte und der Kriegerin mit dem Finger an den Lippen Schweigen gebot. Jelke tat so, als sähe sie es nicht. Neben ihr stand Thal, der interessiert seine Fingernägel betrachtete.
>Ohne Dir nahe treten zu wollen, edler Toste, sprechen wir von dem gleichen Æthalbert? Ich meine den, der von den Wällen Lormyrs floh, als Ragnar Blutbart vor den Mauern der Stadt heerte. Der Æthalbert, den man statt im Kriegsrat auf dem Bärenfell bei seinem Kebsweib fand? Der seither den Beinamen Bärenfell trägt? Ist der Standhafte etwa der Æthalbert, der seinem Heer den Kampf verbot und statt dessen dem Blutbart fünfhundert Pfund Silber zahlte, dass dieser von den Mauern abzöge? Und eilte er nicht zurück zu seiner Kebse aufs Bärenfell, wie ein greinend Kind an die Rockzipfel der Mutter? Nun frage ich, wo soll König Bärenfell jemals seine Standhaftigkeit bewiesen haben?<
Wie eine unheilschwangere Wolke hing Jelkes Frage über dem Zelt. Alles Lachen war verstummt. Nicht ein Wort ward zu vernehmen. Tostes Gesicht ward blutrot. Telamons Wangenknochen stachen unter der Haut hervor, wie Klippen aus den gepeitschtem Reiche Rans. Sein Blick war auf die Thorgesttochter gerichtet und verhieß wenig Gutes. Die Rechte ruhte auf dem Schwertgriff. So mancher lockerte da die Waffe im Gehänge, sie schnell zu ziehen.
Huschte ein Lächeln über die Lippen Tarnas?
Niemand regte sich. Alles starrte gebannt auf die Thorgesttochter. Eine gefährliche Stille herrschte im Zelt. Die Zeit hielt den Atem an.
Vorsichtig, unendlich langsam glitt des Thals Hand hinab zu dem Beutel am Gurte, als fürchte sie durch eine hastige Bewegung die Stille zu zerreißen, die Zeit wieder in Gang zu setzen, Ereignisse auszulösen, deren Ausgang niemanden gefallen würde. Die Finger erreichten ihr Ziel, verharrten eine endlose Sekunde. Ein Auge blickte umher, vergewisserte sich, dass niemand auf den Krieger in Schwarz achtete. Der Beutel war offen. Zwei vorwitzige Finger fuhren hinein, tasteten im dunklen Inneren, fanden das Gesuchte, brachten es ans Licht, langsam, unauffällig doch triumphierend, hielten es über den Boden. Ein befriedigtes, erwartungsfrohes Grinsen legte sich auf Einauges Züge, als seine Finger den Gegenstand losließen. Die Nadel, von der unerwarteten Freiheit überrascht, hing zögernd für den Bruchteil einer Sekunde in der Luft. Dann verstand sie. Alles! Sie fiel. Sie dankte den Fingern, teilte mit diebischer Freude ihre Absicht. Sie fiel, überschlug sich, führte in taumelnden Drehungen einen wirbelnden Freudentanz auf. Sie raste der Erfüllung ihrer Existenz, ihrer Aufgabe entgegen, dem Sinn ihres Seins. Sie traf auf ihr Schicksal, nahm es freudig an. Es hatte die Form eines harten Lehmbodens!
>Pling!<, machte die Nadel befriedigt und war sich der Aufmerksamkeit aller im Zelt bewusst. Nein, so ein Publikum würde sie nie wieder haben.
Schlüge Thors Hammer auf Thursen Häupter-, könnte er es doch nicht mit dem Geräusch einer fallenden Nadel in zeitloser Stille aufnehmen. Die Zeit atmete aus und lief weiter.
>Ah, Topos, Topos!<, murmelte Thal glücklich und zufrieden mit sich.
Jelke Thorgesttochter stemmte die Fäuste in die Hüfte, sah den Königssohn aufreizend an, holte tief Luft.
König Einar sank noch tiefer in seinen Hochsitz, hielt sich die Hand vor Augen und spähte vorsichtig durch die Finger. Er kannte die Thorgesttochter und wünschte sich auf einmal, er wäre an einem anderen Ort, weit, weit weg.
Ein dreistes Lächeln deutete sich auf Jelkes Lippen an. Spöttisch zog sie eine Augenbraue nach oben und sprach:
>Na, hoffentlich war dein Vater wenigstens auf dem Bärenfell standhaft!?!<

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