Die Saga von Jelke Eisenseite
von Carsten Maday

 

Wie die Hundertschaftsführer sich beraten

Bei den Wikingern herrschte eine gewisse Ratlosigkeit im Rat. Zehn Stühle, geordnet zum Kreis, standen im Zelt des königlichen Marschalls Bohemond. Drei waren leer und der Inhalt der sieben anderen war ganz elend anzusehen. Der Wögenröter selbst war übersät mit Wunden, dass er wohl nur wenig zur Schlacht taugen würde. Der Thal hatte tiefe Ringe unter den Augen und hörte dauernd Glockengeläut. Das zerrte dem Mann an den Nerven. Doran Orkschlächter war heil am Leibe, doch seine Seele, sein Herz ward gebrochen, erschlug der Vertilger ihm doch die schöne Fernhintreff´rin Kh´Restrin, die ihm in Lieb das Lager wärmte. Ganz tränenreich war die Röte seiner kummervollen Augen.
Der Gunther saß zusammen gesunken in seinem Sessel. Trauer trug auch sein Herz, sein Haupt aber einen Helm, die ehern Wehr.
Der Felwig war unversehrt, aber neben ihm saß Helmgerd, der dem starken Tjostier nimmer müde mit klugen Ratschlägen zur Seite stand. Das war dem Panzerreiter eine schwere Prüfung.
Die Jelke aber kämpfte schwer mit der Brauensteine Flut, als sie auf die leeren Stühle blickte, die einst die Gefährten gefüllt. Tapfer unterdrückte sie die Tränen, wandte den Blick von den Toten auf die Lebenden und fing endlich an zu schluchzen.
Da sprach der Marschall, der kühne Bohemond:
>Weh, ihr mut´gen Hundertschaftsführer...<
Da räusperte sich die Jelke und wischte sich die Tränen von den rosigen Wangen:
>Ähm...<
>Ja, Jelke?<
>Eigentlich bin ich keine Hunderschaftführerin mehr!<
>WAS?<
>Na ja, hab´ wohl ein paar kleinere Verluste hinnehmen müssen in der Schlacht. Na, so ist das halt mit diesen Schlachten, kennst du bestimmt, bist ja lang genug im Geschäft, was?<
>?<
>Der Punkt ist, selbst wenn ich alles zusammen kratze, was ich noch an kühngesinnten Mannen habe, komm´ ich nur auf zweiunddreißig! Ich bin also eher ´ne Zweiunddreißigschaftführerin!<
>Das ist ein Punkt!<
Da rief der Gunther mit behelmtem Haupt:
>Und ich bin ´nen Vierundsiebzigschaftführer!<
Und Jelke:
>He, warum hast du denn noch so viele übrig?<
>Na ja, wer hat, der hat!<
Und der Thal:
>Ich bin immerhin noch ein stolzer Siebenundfünfzigschaftführer!<
Und der starke Tjostier Felwig:
>Nennt mich fürderhin Einundsiebzigschaftführer!<
Da fasste ihm der Greis, der reisige Helmgerd auf die Schulter und sprach:
>Da ist mehr als ich habe, Felwig. Ich bin nur ein Vierundsechzigschaftführer. Das geht aber noch, ich erinnere mich, das muss so ungefähr vor...<
Und der Orkschlächter:
>Ja, ja, ist schon gut, Opi, gönn uns mal ´ne Pause. Also, ich bin Doran Orkschlächter, der heroische Sechsundvierzigschaftführer!<
Und der Marschall:
>Was hab´ ihr alle noch so viel über. Ich, der stolz der Seeschäumer, soll nur ein schnöder Sechsunddreißigschaftführer sein? Allerhand! Was ist mit den toten ehemaligen Hundertschaftführern?<
Und Jelke:
>Bigode hat noch vierundzwanzig und Kh´Restrin noch dreiundzwanzig Mann. Was mit Garmir ist, weiß ich nicht!<
Da riefen aber die Munzianer beid, der Gunther und der Thal auch, dass der Garmir wohl noch Sechsundvierzig hätte, dass man aber darüber nicht nachzudenken brauche, da der kleine Mistkerl mit Sicherheit nicht tot sei. Der werde sich schon noch finden, man solle es nur abwarten.
Und da entschied der Marschall, wie man es mit den Mannen der Toten halten solle: die der Bigode sollten sich der Jelke anschließen, die der Kh´Restrin aber sollten zu den Seinigen treten.
Da sprach die mittlerweile zur Sechsundfünfzigschaftführerin gewordene Jelke die geflügelte Rede:
>Oh, Bohemond, du kühner Neunundfünfzigschaftführer, warum schmeißen wir nicht alles in einen Topf, dann haben wir eine große Vierhunderdreiundsiebzigschaft! Sparen wir da nicht ´ne Menge Zeit, allein mit den Rangbezeichnungen und so?<
Da schenkte der Marschall Bohemond der Jelke einen nicht unfreundlichen Blick, so wie der Vater dem Kind, das in seiner Einfalt munter drauflos plappert, da es es nicht besser weiß:
>Oh Jelke, bedenke doch deinen Vorschlag! Eine Vierhundertdreiundsiebzigschaft? Doch was geschieht mit den sechs, ja, ja, schon gut, Gunther und Thal auch, vielleicht auch sieben anderen ehemaligen Hundertschaftführern. Die müssten dann ebenfalls eingereiht werden, dann aber hätte man, ja, schon gut hab ich gesagt, mit Garmir eine Vierhundertachzigschaft. Das hieße aber, dass ihr nur noch einfache Mannschaftgrade wäret! Das wollen wir doch besser lassen, oder?<
Also der Bohemond. Da sahen alle des Marschalls unermeßlichen militärischen Genius.
Der aber erhob sich nun zu voller Größe, mächtig wölbte sich die Brust, ganz schwer aber waren die muskelstarken Arme. Auf dem Gesicht aber sah man, dass den gewaltigen Helden die Wunden nicht wenig schmerzten. Mit kühnen Blick besah er sich seine Gefolgsleute und meinte nicht unstolz solcher Recken Führer zu sein:
>Nun, ihr stolzen Jenachdemschaftführer, da zum Rate sind versammelt die klügsten der Seeschäumer, will ich euch sagen, wie´s mir am besten dünkt, dass wir zwei der Helden entsenden, die in des Feindes Lager eindringen, heimlich spähend, ob nicht dem Heer der Lormyrer Verstärkung zuteil wurde, von den schrecklichen Wolfskrieger vielleicht, oder gar der Toste, ganz von neidlicher Rede und Rachelust erregt, sich die nächtlich Schwärze zu nutze machen will, um uns im Schlafe zu morden. Unendlich Ruhm werden die Kühnen erlangen, wenn sie solches wagen. Wir anderen aber wollen nicht müßig durch Lager wandeln und mit hilfreichen Worten die Wachen ermahnen, dass nicht der Schlaf ihnen die Lider schweret und ein Feind vielleicht, der gleiches wohl wie wir ersonnen, sich in unser Lager schleicht. Wer also will die hehre Jelke Thorgesttochter in solch Fährnis zur Seite stehen?<
Da war die Jelke ganz sprachlos, dass der Marschall ihr solch ehrvolle Aufgabe anvertraute:
>Wie nun, edler Bohemond, warum ich schon wieder? Halt, sag´s nicht, lass mich raten: immer kräftig mit dem Knüppel auf die Jelke, die wird´s schon verdient haben. Und wenn sie´s noch nicht verdient hat, so wird sie´s sich noch verdienen, oder wie?<
>So ungefähr! Ihr Helden all, wie sieht´s aus?<
Da sprangen auf wie ein Mann die untadligen Recken, der Rufer im Streit Doran Orkschlächter, der starke Tjostier Felwig, der helmumkränzte Gunther, der Vieltürmigen Zierde und der Munzianer Thal.
Den Bohemond hinderten die Wunden, den Helmgerd die arthritischen Knochen, die immer so laut knackten und zum heimlich Spähen nur wenig taugten.
Der Marschall da:
>Sieh Jelke, vier der tüchtigsten Helden wollen Dich begleiten. Wähle Du selbst, wer dir am besten scheint!<
Und Jelke, das scharfzügig Weib:
>Vier mutige Mannen, wie man sie sich zu solch Unterfangen nicht besser wünschen kann. Schwer fällt die Wahl und doch leicht, denn keiner von den vieren scheint mir besser zu taugen als der Thal. Der ist mir ein lieber Gefährte und außerdem so schön klein, dass er viel schwerer zu entdecken ist!<
Und der Thal ganz vor Stolz entflammt:
>Schönen Dank auch!<
>Keine Ursache!<
Nun, da man sich auf solches geeinigt, erhob sich der greise Recke Helmgerd und meinte, dass er wohl einiges an guten Ratschlägen für die Jelke und den Thal habe:
>Jelke, mein lütt Dirn, und Thal auch, ich will euch sagen, wie´s mir das Beste scheint, dass ihr diese Aufgabe angeht. Entledigt euch der schweren Brünnen, denn das Klirren der Kettenglieder mag euer heimlich Tun verraten. Auch hemmt die Schwere des Eisens die Schenkel, wenn zum hurtigen Laufe ihr seid gezwungen. Ferner verzichtet auf den Helm, den Schild auch, denn auf Kundschaft, nicht auf waffenstarrend Kampf seid ihr aus. Alsbald aber hüllt Euch in dunkle Gewänder, dass ganz eins mit der nächtlichen Schwärze ihr werdet!<
Da staunten alle im Rate ob des Reisigen Rat, der ausnahmsweise wirklich einmal Sinn machte. Weiter meinte der aber, dass die zween Helden zwei Mäntel aus schwarzgewirkter Wolle in Häute wickeln und mitnehmen sollten, denn ganz schlammig sei ja das Schlachtfeld von dem Blut, dass im Kampfe vergossen wurde. Er meinte, dass das aber gar nichts gegen die Schlacht in der Staubwüste vor dreiunddreißig Jahren sei. Da habe sich in der Niederung soviel Blut gesammelt, dass die Überlebenden Flösse bauen mussten, um auf die andere Seite zu gelangen.
>Jawoll, damals, ha, genau, da gab es noch richtige Massaker, nicht so´n Geplänkel wie heute, nee...<
Schnell dankten die Helden dem Greis, versprachen in allem nach seinem Rat zu handeln.
Jelke legte die Rüstung ab, zwang die Helden dazu sich umzudrehen und wechselte ihr Hemd gegen eins von schwarzem Tuch, meinte, nun könnten sie wieder hinsehen, gürtete ihr Schwert, steckte sich einen spitzigen Dolch in den Stiefel. Der war dreischneidig und taugte gut zum Brünnen stechen. Das strahlende Gold ihrer Haare aber verbarg sie unter einem dunklen Kopftuch.
Dem Thal aber musste man die Rüstung mit Gewalt von Leibe ziehen, denn der Munzianer fühlte sich ohne Eisen am Leibe sehr nackt. Verlegen kratzte er sich an der vernarbten Augenhöhle, als die Jelke ihm das schwarze Schwert, die albische Arbeit, gürtete.
Endlich verabschiedeten sie sich von den Gefährten, die im Licht des Zeltes zurückblieben. Jelke und Thal verschwanden in der Dunkelheit, die sie bald schluckte.

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