Die Saga von Jelke Eisenseite
von Carsten Maday

 

Jelke spürte, dass sie auf etwas hartem, aber warmen lag. Sie schlug die Augen auf und sah den Schein eines Feuers auf einer Decke aus Fels. Ein dunkles, beruhigendes Brummen vernahm sie in der stillen Höhle, denn eine Höhle war es, in der sie lag. Das seltsame Brummen machte ihrem Körper zittern. Und als sie sich auf den Laut konzentrierte, da spürte sie ihm mehr als dass sie ihn hörte. Es war ihr, als peitschte ein unsteter Wind ein zerfetztes Segel wild umher, und nur wenn es die Thorgesttochter traf, schlug die Bedeutung des Brummens sich in ihr Bewusstsein durch. Es waren Worte, ganze Sätze gar, die, kaum vernommen, vom Wind erneut fort gerissen wurden.
>...Natürlich... Klar...Keine Frage...Nach Zeichen kann man lange suchen... Es sind keine...Und doch sieht man in allem, dem kleinsten eines...Man sammelt sie... helfen nicht...man ist allein...muss entscheiden...wie´s wagen...Mut gefasst...man kriegt bloß eine aufs Maul...tut es dennoch...<
Jelke versuchte sich aufzusetzen.
>Man sollte es zumindest tun...meistens lässt man es...Schei...es war nie leicht...wird es nie werden...Egal!<
Jelkes Körper weigerte sich beharrlich auch nur die kleinste Bewegung zu machen. Sie war wie gelähmt. Als ein grausiges Wolfsheulen erscholl, konnte sie nicht einmal furchtsam zucken, nur die Augen den grässlichem Laut hin zum Höhleneingang folgen lassen, wo der weiße Schnee den Einblick in das Dunkle der Nacht verwehrte.
Hufgetrampel. Weit noch, näherkommend. Und der Wolf, der heulte. Gerne nun hätte die Thorgesttochter vor Furcht geschaudert, aber alles was sie konnte, war auf den Eingang zu starren. Die Wilde Hatz. Er würde sie endlich einholen.
>Man darf nicht hoffen, dass sage...aber sie ist ja so süüüüß...< Die letzten, reichlich sinnlosen Worte, ehe das Brummen unterging im anschwellendem Hufgetrampel. Nur ein Gott vermochte in dieser Nacht den Weg zu finden, dachte Jelke missvergnügt darüber, dass dieser Weg ausgerechnet zu ihr führte. Ein Pferd wieherte unwillig. Das Trampeln erstarb. Und vor ihrem inneren Auge sah Jelke, wie ein Reiter sich aus dem Sattel schwang und sich durch den Schnee zum Eingang vorkämpfte.
Die Augenlider verweigerten sich gnädig zu schließen, die Lippen kamen dem Bedürfnis zu schreien nicht nach und Jelke sah auf den weißen Vorhang, der im gekonnten Gefühl für Dramatik das Nähern der Gestalt verbarg, bis sie ins Licht des Höhleneingangs trat. Es war nicht der Rauner, der verhasste einäugige Gott mit seinem Stab und Hut, der da eintrat, um von der Jelke zu fordern, was er sich Seins zu erachten anmaß. Nein, es war der Legatus Augusti pro praetore Quintus Petilius Lollius, der gleich dem helmumkränzten Ares in die Höhle schritt. Er trug schwere Rüstung, allzu schwer wohl für seine Schultern, denn er begann sich zu entkleiden.
>Holla!<, dachte da die Jelke Eisenseite, die Tochter Thorgests.

Sie schmerzt so sehr die Sehnsucht, mein Haupt an seine nackte Brust zu betten, dass ich zu weinen wünscht, denn alles in mir verzehrt sich danach. Und die Unerfüllbarkeit meiner Sehnsucht plagt ach so sehr mich arme Frau, dass ich spür, wie all das Leid aus meiner Seele mir in die Augen steigt und doch nicht fließen will, und ich in meiner Verzweiflung zu ertrinken drohe. Liebster, Liebster! Was sitzt du dort am Eingange nackt auf kaltem Fels, das kühne Haupt in sinnend Falten geworfen, nach Denker Art auf nervichten Arme gestützt, als trüge es allzu schwere Gedanken. Du Grausamer! Bist so nah, doch unerreichbar fern. Was zeigst du Dich, zumal noch nackt, und verweigerst mir doch deine Nähe. Dauert Dich die Todgeweihte nicht? Ist sie Dir gar so sehr verhasst, dass du ihr nicht gönnst, wonach ihr schwaches Herz sich so sehr sehnt? Ja, ist sie Dir denn nicht eines, des kleinsten Wortes wert, oh Lieber! Weh, ich wünscht, ich fühlte deines Leibes Hitze an dem meinem, könnte meine heiße Lust in meinem Geiste stillen, den gleißenden Feuersturm, der mir in der Seele wütet. Die Glieder doch sind gänzlich erkältet schon vom drohend Todesnah!<
Solches sann die Jelke, die moribunde Thorgesttochter, noch immer von des Körpers Lähmung, dem Vorgeschmack des Todes, befallen. So ja ahnte sie, die gänzlich Gottlose, den Tod: wenn der Körper stirbt und der Geist im Nichts umherwirbelt, allein, auf ewig der eignen Gedanken Hölle ausgesetzt. >Noch einmal ficken, ehe´s für immer aus ist, ist das denn zuviel verlangt?<
Von solcher Art war nun die Starre des Leibes, dass sie die Dreiste dreist anging und die Lippen, den eben noch bewegungslosen, sich sehnenden, nun aus ihrer Umklammerung entließ, dass sie den letzten, reichlich unzüchtigen Gedanken nicht leis´ in erregter Scheu zu wispern vermochten, sondern ihn gellend ausstießen, getrieben vom heißestem Verlangen, dass ihr Schrei wieder und wieder durch die Höhle hallte. Dann löste sich auch der Lollius aus seinem Sinnen und wandte nicht unanzüglich lächelnd das kühngeschnittne Haupt nach der Liebe Gell´rin.
Also erhob sich der Legatus Augusti pro praetore zur vollen Mannes Höhe. Die Haut nun, von südlich Sonne in Bronze getaucht, lag straff und fest vor Kälte am Leib. Darüber an der sehnigen Schulter, die Eisenseite sah´s wohl, ein Verband. Ein blut´ger Strom, vom rückwärtigen Stiche her, wand sich über die seitlichen Bauchmuskeln zum Becken, endlich durchs Gekröse hinab sich windend am starken Schenkel.
>Weh, Lollius!<, rief Jelke erschrocken. >Ach, ich beschwöre Dich, sage mir, dass nicht sein Geist Du bist, der mir ein letztes Mal erscheint, derweil längst entseelt der Körper des Geliebten liegt danieder.<
Da weinte sie endlich, die mutige Thorgesttochter, und die Lähmung wich.
>Wenn es einen Gott gäbe und es etwas nützte, ich würde für Dich beten.<, sagte sie, als der Lollius neben sie trat und sich hinab beugte. Sanft strich, oder besser pflückte der Legat eine Strähne ihres goldenen Haares von der fiebrigen Stirne fort. Lange sah er ihr in die schönen Augen. Die Wangenmuskeln zuckten wie vor Schmerze ihm im Antlitz. Dann musste er lächeln. Es war ein trauriges, wehmütiges Lächeln, doch der Jelke das schönste und liebevollste, welches sie je erfuhr. Er beugte sich vor, küsste die Stirne, die heiße, schweissbeperlte, geräumt vom klebrig Haar. Sie schloss sie Augen, fühlte wie in jenen Traum, da sie auf der Wiese erwachte, ehe sie den Thal traf. Der Hauch des Glücks, den Lollius ihr auf die Lider der geschlossenen Augen küsste. Darin der Wunsch zu sterben, um in Frieden ins Nichts zu fahren mit all der Liebe im übervollem Kelch ihres Herzen, den längst zerbrochen wähnte die Tochter Thorgest, die Freundin, die Liebende, die Sanfte, die Ruferin im Streit. Da schnurrte sie, als seine Lippen ihre kühngeschwungne Nase kosten und sie dachte, dass mit solchem Gedanken, solchem Fühlen, die Ewigkeit im Nichts wohl zu getragen wäre.
Und das Brummen:
>Ein Wahn ist´s, ein grässlicher, entmenschlichter und gänzlich mir verhasster, denn er ist ein Teil von mir an meinen guten Tagen, doch an den andern, den gefürchteten, da bin nur ich ein Teil von ihm!<
Da ängstigte sich die Jelke sehr, denn sie ahnte, dass die Worte aus einer Welt kamen, in der kein Platz war für den Kuss, den Lollius ihr auf die Lippen gab, die wie vom Lächeln sich nach oben zogen, die sanfte Berührung still genossen, und, als wider alle Furcht der Kuss währte in jener fremden, branderhellten Höhle, sich scheu teilten und der Zunge den Weg zum leidenschaftlichen Spiel öffneten, in dem sie sich mit dem Legaten umschlang.
>Ich sehe alles und darf nichts vergessen. Es ist kein blinder, nein, ein unerträglich klarer Wahn, in dem mein Geist gefangen und zum Betrachten all der Schrecken gezwungen ist, die mein Leib verübt.<
Lollius legte seine Hand auf Jelkes Wange. Den Arm, der ihr noch taugte, schlang sie um den Mann, fuhr mit der Hand den Rücken hinauf durchs schmierige Blut zum Nacken, zerwühlte ihm das Haar, als sie ihn an sich presste.
>Krieg nennen wir unser Handwerk, Krieger stolz uns selbst, als wären wir Auserwählte. Mit rotem Flusserz schmieren wir die Sänger von unseren ruhmreichen Taten zu künden. Und siehe, es gelang dem Menschen wohl. In allen Ländern hört man von dem blut´gen Morden und ruft: wei, welch kühne Männer, die solches vollbringen! Es stinkt!<
Jelke spürte, wie Lollius sich von ihr zu lösen begann. Sie presste ihn stärker an sich, bis ihr Arm zitterte. Für einen Augenblick gelang es ihr den Weichenden zu halten.
>Mut, Tapferkeit, Entbehrung, Treue und Kameradschaft! Alles gelten sie uns! Wir klammern uns an sie, als wären sie der einz´ge Grund, der uns noch Recht zu Leben gibt. Nein! Wenn ich aus meinem Wahne schrecke, weh ich seh´s, auf als zu blut´gen Feld sprießen die tugendhaften Pflänzlein, gedünkt mit den Leben von Abertausenden von Frauen, Kindern und Männern. Wie rein kann solch Tugend sein, wenn sie aus dem Mord erwuchs? Weiche, weiche Wahn, doch schlimmer ist die Klarheit, die kurze, unerträgliche mir!<
Da löste sich der Legat aus der Umklammerung der Jelke und erhob sich. Flehentlich streckte Jelke den Arm nach ihm aus, aber der Lollius blickte nur traurig auf sie hinab.
Das Brummen schwoll an, als der Legat der Thorgesttochter den blut´gen Rücken zu wandte und langsam zum Eingang der Höhle schritt.
>Die einen reden von Freiheit, die anderen vom Vaterland. Wieder andere davon, den Barbaren die Zivilisation in die Köpfe zu dreschen und wir, vielleicht ehrlicher, doch sicherlich nicht besser, sengen und morden fürs liebe Geld!
Widerlich sind wir, doch ach, es steckt wohl doch ein Rest Mensch in meinen müden Knochen, denn, ja, haha, es ist ja wie beim Sex, nur umgekehrt. In höchster Leidenschaft gibt so manches aufgewühlte Gemüt Liebesschwüre von sich, doch hat man erst abgeschossen, sieht’s gleich anders aus. Da will man nur noch pennen und fragt dann nach labevollem Schlummer, warum man den ganzen Scheiß von sich gegeben hat. So ist´s stets bei mir! Der Klarheit folgt die Erschöpfung bald, die gnadenreiche und endlich auch der Alltag und ich nenn mich stolz Krieger, lebe fürs Leben, rühme mich des Ruhmes, klammere mich an meine Kameraden, bin mutig und feig´, wie ein guter Krieger es sein soll. Doch tief in mir die kleine Stimme, die´s besser weiß. Ich mache sie mundtot, kneble sie, verdränge sie bis zum nächsten Male. Doch ich zahle den Preis, meine Jelke, ich zahle ihn teuer, doch nie zu hoch für all meine Verbrechen, denn der Wahn, der Rasende, er kommt immer seltener. Ich unterdrücke ihn. Doch bricht er dann los, ist´s schlimmer stets als je zu vor, dass ich wünscht, das verhasste Wüten würd´ mich endlich verschlingen!<
Da waren die Worte bereits klar vernehmlich. Jelke sah, dass die Welt sie zurückzerrte.
Als Lollius an den weißen Vorhang der Nacht trat, wandte er sich noch einmal um. Jelke sah sein Lächeln, das kühne, das wissende. Seine Augen blitzten auf:
>Wir hatten nie eine Chance, Geliebte!<, sagte er und verschwand in der stürmischen Nacht.
Jelkes Arm glitt kraftlos zu Boden, als sie dem Mann nachblickte.
>Apropos Berserkerwahn! Hab´ ich Dir schon erzählt, wie ich damals den Gunther getroffen habe? Nein? Also, das war wie folgt...<
Jelke sah die Rüstung, die Lollius zurückgelassen hatte. Sie verschwand, als Jelke, die Tochter Thorgests, erwachte.
>Gunther war echt ein Arsch! Hat mich immer schikaniert! Bis wir eines Tages Fechtunterricht hatten. Da...<
>Wir hatten nie eine Chance?<, murmelte Jelke. Mit dem Erwachen kam der heiße Schmerz zurück.
>Wir haben es ja nicht einmal versucht, blöder Hund!<
>Wie meinen?<, fragte Thal.
Jelke bemerkte, dass das Harte auf dem sie lag, die knochige Brust des Munzianers war. Sie lag dicht an ihn geschmiegt unter einem Mantel.
>Thal!<, stöhnte sie schwach.
>Ja?<, erkundigte der Munzianer sich besorgt und erleichtert zugleich, dass die Jelke aus ihrer Ohnmacht erwacht war.
>Warum sind wir beide nackt?<
Der Mann errötete:
>Ähm, wegen der Kälte, würd´ ich meinen! Na ja, sich gegenseitig wärmen und so!<
>Aha!<
>Man! Ich hab´ auch nicht hingeguckt!<
>Soso!<
>Echt ehrlich wahr!<
>Thal?<
>Ja, Jelke?<
>Ich liebe Dich, kleiner Mann!<
>Ach, Weiber! Da kriecht man einmal zusammen unter eine Decke und schon...<
>Thal!<
>Ja?<
>Du bist doof!<
>Nun, das ist eine Erklärung so gut wie jede andere.<
Da lachten die beiden wie in besseren Zeiten, doch es schmerzte die Jelke sehr. Der schwarze Schleier zog erneut vor ihren Augen auf. Zum letzten Mal, wusste die Jelke Eisenseite, die kühngesinnte Ruferin im Streit.
>Ich will sterben!<, weinte sie.
>Ach, Jelke, wenn du nur lang genug lebst, wirst du das auch eines Tages tun. Warts nur ab! Aber noch nicht jetzt. Lebe! Das ist ein Befehl!<
>Lieber Thal, ich bin wohl eine notorische Befehlsverweigerin.<
>Verdammt!<
>Leb wohl, Freund! Ich kann nicht mehr. Ich fühle, wie die letzte Kraft mich flieht. Lebe, Freund, und vergiss mich nicht!<
>Verdammt, das würd´ ich nie!<
Der Munzianer legte die Thorgesttochter sanft zur Seite und beugte sich über sie.
>Kämpfe Frau!< Er schlug ihr ins Gesicht!
>Autsch! Guter Versuch, Freund! Aber mich rettet nicht einmal mehr mein Trotz! Ich habe nichts, wofür zu kämpfen es sich lohnte!<
>Bitte, bitte, wenn Du meinst! Gut! Klar! Geh schon! Dabei wollte ich Dir gerade erzählen, wie ich mein schwarzes Schwert verloren habe und, nun ja, die Albe, die Tarna, du weißt schon, das schwärzlich Ding, zum ersten Mal habe lächeln sehn.<
>Hm>, meinte Jelke und befand, dass diese Geschichte zu hören es wohl durchaus noch lohne ein wenig länger in diesem Jammertal zu verweilen, das einfältigere Menschen als Leben zu bezeichnen pflegten.
>Ist aber ´ne lange Geschichte.<, sagte Thal und lachte der Freundin ins Gesicht.
Die Jelke lachte auch und winkte den Thal zu sich und küsste ihn auf die Wange.
>Ach, Thal, weißt du, ich habe sowieso gerade nix besseres zu tun.<
Da strahlte der kleine Munzianer und begann wie folgt:
>Also...<

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