Die Saga von Jelke Eisenseite
von Carsten Maday

 

Von Kriegern

Fernhin strahlten in der Dunkelheit die Brände im Tal, die lodernden Feuer der kampfmüden Streiter in den Heeren beid. Auf dem Hügel hatten die Seeschäumer Lagerfeuer entzündet, grad genug für einige fünfhundert Mann. Doch auch im Lager des Toste waren viele Feuer für immer erloschen, denn der Tote verlangt nach größ´rem Brand oder stillem Bett in kalter Erde.
Endlich floh die Wolke weiter hinfort überm Himmel, fort von des Mondes kaltem Licht, das ruhig ins Tal sich ergoss, und auf den Rand auch, wo zwei Gestalten still wie die Selene selbst auf ihren Rössern saßen, die schweißnaß dampfend von des Rittes Mühen in der kühlen Luft der Nacht standen.
Die beiden Gestalten sahen´s wohl, dass dort im Tal noch das Lager der Wikinger stand, deren wenige Feuer um so trotziger in der Nacht zu brennen schienen. Die beiden machten keine Anstalten hinab zu reiten, gönnten ihren Pferden und ihren Seelen auch eine Moment der Ruhe. Sie waren beide Krieger.
Sie blickte hinab ins Tal und sagte mit leiser Stimme, flüsternd fast:
>Sage, mein Freund, in wie vielen Schlachten fochst Du schon?<
Und er:
>In nicht wenigeren als Du!<
Ein Lächeln zog über ihre Lippen, klein und scheu, dass um so trauriger ihre Worte klangen, als sie zu dem starken Jason sprach:
>Ja, mein Freund, wir beide haben so manche Schlacht gesehen, so manchen Sieg errungen, so sahen viele Freunde sterben, sind triumphierend durch die Straßen gezogen, hofften in manch hoffnungsloser Lage, zerbrachen an der Hoffnung selbst, sind durch alle Höllen gewandert und uns, die wir alles sahen, alles was zu fürchten, gefürchtet, vermag nichts mehr zu treffen! Sage, mein Freund, ist es nicht so. Sind wir nicht durch´s ewige Morden selber schon tot?<
>Ja, oh Freundin, wir sind´s! Wir hoffen nicht! Wir leben für´s Leben selbst. Das macht uns hart und zu den Besten!<
>Ganz regt die Wahrheit deiner Worte mein Herz im Busen! Sage, ist es nicht wahr, dass wir nichts fürchten?<
Der Centurio Jason sah die Frau erst an und nickte, denn die Trauer seines Fühlen war ihrer gleich:
>Ja, wir beide fürchten nichts auf dieser Welt, die Schlacht nicht, noch Entbehrung, den Tod schon gar nicht!<
>Nichts?<
>Nein! Nur diese Nacht!<
Da schwiegen sie zusammen und hörten in sich.
Sie sprach und sie sprach, als breche eine alte Wunde auf, aus der Einsicht schmerzlicher noch als gelblich Eiter strömt, Einsicht, dass der ein Narr, der denkt, solch Wunde könnt je einem Menschen heilen. Also die Frau mit dem zartestem Wehmute in der Stimme:
>Nur diese Nacht. Nur eine Nacht. Und doch fürchte ich sie, eine Nacht wie diese. So wenige, meist vor einer Schlacht, wenn man schlafen sollte, doch der Schlaf einen flieht, wenn man weiß, dass nach der Schlacht am nächsten Morgen die Welt eine andere ist. So wenige, dass ich mich nicht an sie entsinne, dass ich sie vergessen habe, und ahnte ich nicht tief im Herzen ihrer, dächt ich, jede wär wohl die erste. Doch ich ahne und fürchte sie!<
>Ja, so sind sie! Auch fürchte ich sie, denn nichts birgt mich vor ihnen.<
Sie nickte und sprach:
>Ja, Teil ihrer Schrecken ist, dass sie uns Wehrhafte wehrlos, uns Furchtlose fürchten macht. Sage, Freund, und greife meine Hand, dass vor der Nacht wie fliehen; wie naht sie, die Greuliche?<
Und er, der Jason:
>Die Gedanken werden ruhig.<
>Wie der See, wenn der Wind inne hält?<
>Ja, wie der See! In mir wird es still, meine Lider werden schwer und schließe ich sie..<
>Hörst Du deine Seele stöhnen, als falle eine Last von ihr...?<
>Ja, schwer, so unendlich schwer...<
Und die Frau drückte des Centurios Hand stärker und drang weiter in ihn:
>Was dann, was dann, sage es mir!<
>An meinem Arme stellen sich die Haare auf, als laufe ein Schauer darüber, wie von tiefer Furcht. Doch ist´s nicht Furcht...<
Und die Frau laut nun:
>Was ist es? Ist es Liebe?<
Und der Centurio, laut gellend, als ging es ihm ans Leben:
>Ja, sie ist´s. Liebe! So voller Liebe! So, jetzt ist´s ´raus!<
Da atmeten die beiden schwer. Sie sprach:
>Ja, dann ist´s, als ging tief in meinem dunkelsten Innern die Sonne auf, als spüre ich ihre Wärme, die
wie Balsam durch meine Adern dringt, die von heißem Blut meines streitbaren Gemüts schon ganz verbrannt. Durch meinen ganzen Leib eilt dies Heilen, und erst jetzt, da er vergeht, spür ich, wie stark der Schmerz in mir gewesen. Nun klingt er ab und hinterläßt denn süßesten Schwermut, der mein Herz erleichtert seufzen macht. Und endlich mein ich, wie mir Tränen in die Augen schießen, brennend heiß und ich wünscht, ich könnt weinen, könnt trauern ums Weinen selbst, das ich nie gekannt. Meine Augen aber bleiben trocken und meine Seele taugt zum heucheln nicht. So lächeln meine Lippen nun, ganz friedfertig ist der Geist, als vergebe er sich selbst, so töricht sich nach Liebe zu sehnen!<
Sie sah dem Jason in die Augen, sah in seiner Brauen Seen die Wasser sich schimmernd sammeln, sanft und drängend, vermochten sie die Dämme doch nicht einzureißen. Und der Mann:
>Und ich frage mich, warum ich dieses Leben lebe, lieblos und voller Wut und Mord. All die Gründe, die mein Geist mir am Tage zu wispert, wie hohl sind sie, wie schal ist der Geschmack des Ruhmes nun. Mein Leben ist sinnlos, ja falsch!<
>Ich träume von der Liebe, die in mir anschwillt, bis dass ich in ihr zu ertrinken drohe. Sehne mich nach dem, was and´re haben, Ruhe, Frieden auch, ein Heim, Liebe und Stille. Weh, welch Mann schlug diese Hand zum Tode, der solches hatte! Wie vielen Weibern erschlug ich den Mann, wie vielen Kindern raubt ich den Vater, wie vielen Unglücklichen ihr Glück, nach dem ich verlange, und das Verlangen stets verachtete und mein Neid mich nun anwidert. Doch ich bin so voller Liebe, so ruhig im Innern, fast glücklich, dass ich mir für einen kleinen Augenblick selbst verzeihen kann.<
>Und ich will´s hinausschreien und nach Liebe rufen, doch ich kann´s nicht. Und steck´ ich meinen Finger noch so tief in meinen Hals, so würg ich nimmer diesen Ruf hinaus, denn ich weiß...<
>In dieser Welt wird niemand ihn vernehmen. Ja, Freund Jason, so ist´s, wir wissen´s beid!<
>Und endet nun die Nacht, wird´s dunkel in meinem Innern und das Blut, dass mich verbrennt, schießt heiß durch meine Arme, die gierend nach dem Morde zum kalten Stahle greifen, als wollten sie die ganze lieblose Welt in Strömen von Blut ersäufen!<
>Die Nacht jedoch ist fort, die Liebe ist vergangen. Wir erinnern ihrer nicht, wollen und wagen es nicht, fragen uns nur, warum wir sie so fürchten! Warum, Freund Jason, warum?<
Und der Jason:
>Die Liebe ist´s. So wie des Hades Schatten nach dem Blut, gieren auch wir Toten nach diesem Gefühl. Dort fürchten wir die Scham, die uns ob solcher Gier befällt, da jedoch der Liebe Schwere selbst. Glücklich wem sie vertraut, dem Leeren doch ist auch das schüchternste Gefühl unendlich, dass Entsetzen uns befällt, wenn auf des Lebens Waagschale Jahre des Mordens von einer einz´gen liebend Nacht aufgewogen werden, ja die Waage selbst zu zerspringen droht und das Leben sinnlos wird, wie wir´s gekannt. Wir sind verdammt, oh Freundin, und diese Nacht ist das Feuer der Verdammnis!<
>Ja, Freund, es brennt uns hart, so hart<
Da lösten sie die Hände und beide waren blutig, so hart fassten sie sich. Im Mondlich sah man nun des Jason gewohnten grimmen Blick und auch die Frau ward ganz kühnen Antlitzes, schön und erfurchtgebietend wie die Hera selbst, des Zeus herrliche Gemahlin.
In die Dunkelheit rief sie mit befehlsgewohnter Stimme:
>Ala Belgarum! Hoooo!<
Und die Fünfhundertschaft der wilden, hartgebrannten Belger folgte dem Befehl ihrer Herrin, der hehren Gangu-Jællen, und ritt hinab ins Tal, wo Gemordete zu Hauf noch harrten der Leichenbrände.

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