Die Saga von Jelke Eisenseite
von Carsten Maday

 

Erlösung

>Hooaaaar! Hooaaar! Hooooaaaaaaaar!< Ihr Hals schwoll an. Darunter die bläulich Adern, dick nun, die Zähne gebleckt im zorn-, blutrotem Gesicht. Sie riss ihr Schwert aus einem Bauch. Gedärm drang hervor. Ihr Schwert fuhr einem anderen von hinten ins Schulterblatt und Jelke Eisenseite, die Tochter des Thorgest, schrie! Schrie wie nie zuvor in ihrem Leben! Fort waren die spitzen Schreie, fort mit ihnen die geschmeidige Klingenkunst, gewichen einem plumpen, grausigen Schlachten, Hacken, Morden. Und dem Schrei, einem tiefen, allzu tiefen, für ihre helle, schöne Stimme. Ein wütender, ein hassender, ein verzweifelter, ein Schrei, lang und düster, grollend, als erbräche ihre Seele des Lebens langes Leid! Sie blinzelte die Tränen fort, die ihr über die Wangen rannen, sich vermischten mit dem Nass der blutigen Maske, die ihr Gesicht bedeckte. Die Tränen trauerten, ums Leben, Lollius, die Liebe und die Leere des Herzen, in der ihrer Seele Verzweiflungsschrei wieder und wieder von den kargen Wänden zurückgeschleudert wurde und zu dem Grollen anschwoll, das aus Jelkes Kehle sich erbrach. Leben und töten und darin ein Rest Mensch, der Kameraden rettete und gerettet wurde, immerfort.
Der Junge, der so aufgeregt war, auf dem anderen Hügel noch, sie stolperte über sein Bein. Der Rest lag daneben, die bleichen Hände noch um den Stumpf geschlossen. Zwei Mal bewahrte sie ihn vor dem Tod, doch der ließ sich nicht betrügen auf immer.
Chaos, unglaubliches!
Jelke sog es auf. Alles war fort, hatte der Schlacht Platz macht, den sie nie wieder würde räumen können. Ein Gegner, ein Schlag, Finger fielen, die Waffe auch.
>Da man vor einem Kampf immer eine Rede hält<, hatte Jelke den Männern noch zu gerufen, kurz bevor sie sich auf die Lormyrer stürzten,> will auch ich nicht mit dieser Tradition brechen! He, etwas mehr Begeisterung, ja! Dauert ja auch nicht lange! Also, das mit dem Heldenmut spar´ ich mir ´mal. Muss jeder selber wissen. Wenn einer von Euch sich lieber ergeben will, soll´s ihm gestattet sein! Ich könnte es verstehen und würde es ihm nicht nachtragen. Aber Gnade wird er sicherlich nicht zu erwarten haben, wenn er den Lormyrern in die Hände fällt. Der Galgen wäre wohl noch das angenehmste. Also, wer will kämpfen? Alle? Tja, werdet schon sehen, was ihr davon habt!<, lachte sie und ihre Männer lachten auch, ein wenig beklommen zwar. Dann zärtlich: >Ihr seid gute Jungs!<
Nein, keine Gnade! Sie wurde weder gewährt, von beiden Seiten, noch verlangt. Mit einer Ausnahme.
>Gnade!<, rief der Junge mit dem lockigen, schwarzen Haar und der blutigen Hand, verlustig der Finger vier. Die andere Hand griff flehendlich Jelkes Knie. >Bitte, du edle Maid, lass mein junges Leben nicht an sein verfrühtes Ende gelangen!< Blut tropfte von seiner Hand auf den Boden. Schmerz- und angstvolle Tränen rannen ihm übers Gesicht, so jung, dass nur spärlicher Flaum ihm spross. Kaum kamem dem Bebenden die flehendlichen Worte über die zarten Lippen:
>Oh, du kühngesinnte, edle Frau, schön und waffenkundig, dass nur die blondgelockte Jelke du sein kannst! Wolltest du doch deinen Zorn kühlen, die Mordlust aus deinem Antlitz wischen und dein Herz der menschlich´ Gnade öffnen! Und sei ´s nicht um meinetwillen, so doch für meinen silberbärtigen Vater, dem ja schon zwei der Söhne sanken hin im männertilgend Schlachtgewühl. Fällt ihm nun sein dritter, jüngster, weh, ich fürcht, ihm bräche das Herz nun vollends entzwei, liegt auch sein letzter Sohn auf dem blut´gen Walstattbett, gelöst die Glieder in der Toten linkisch Haltung! Nanntest du dich je eines Vaters Tochter, spare dem edlen Greis seines Lebens einz´ge Freud´, denn Nichts bekümmert ja mehr den Vater und die Mutter, als den Sohn zum Grabe zu tragen!<
Wenig regte aber der Jüngling der Eisenseite Herz, das lodernd, mordentbrannte. Nicht kühlte die Wut des Thorgests Bild, das der Knabe in ihr beschwor, sich gebrochen um die Tochter grämend.
Sie riss das Schwert empor. Sie dachte nicht an den armen Jungen, den der Lormyrer ja auch ohne Gnade hatte zum Tode befördert, nein, solch Bild stieg ihr nicht in den Sinn, nur die Lust am Morde, schon beschlossen beim ersten flehend Worte, unumstößlich beim letzten, nur sinnend aufs Töten. Schon wollte sie dem Knienden das Schwert in den entblößten Halse rammen, als sie ihren Zwang brach. Sie sah auf ihn hinab, doch nahm ihr Blick ihn kaum noch wahr. Es ist so leicht zu vergeben! Es kostet mich nichts! Zum Kampfe taugt er eh´ nur wenig mehr, doch weh, ich erbebe in Schrecken vor mir: Wenn´s also ja so leicht, was sann mein Herz denn nicht für den kleinsten Moment darüber, ihm das Leben zu schenken? Einen Augenblick, einen kleinsten, zartesten nur, vielleicht dann, im Wüten nun erkältet wieder, dahinzumorden ihn! Ach, wo warst Du, Augenblick? Ermordet von mir selbst! Soll ich denn ins Nichts fahren, ohne noch einen Rest von Menschlichkeit? Hätt´ ich ihn schonen wollen, eitler Schein, ich hätt´s getan um meiner selbst, wie man ja dem armen Bettler Almosen gibt, um sich billig einen guten Menschen zu schimpfen! Nun muss ich ihn schonen, den Feind, den armen Knaben, nicht um gut zu sein, sondern um überhaupt noch zu sein, ja, um ihm zu danken, befreit zu sein aus meinem kalten Wahn!
Also sann die Jelke, da ihr Geist ja leer und öd, wurde ihr Sinnen nicht von anderen Gedanken gebremst, dass nämliche Überlegung rasend durch die verschlungenen Pfade ihres Hirns schoss, in kurzer, kürzester Zeit, so schnell, dass Jelke befand, genug Zeit für einen markigen Spruch zu haben, den der Jüngling mahnend im Herzen tragen sollte ein Leben lang. Außerdem wurde sie gerade nicht von kampflüsternen Lormyrern bedrängt:
>Wohl an denn! Okay! Verpiss Dich!<
Ja, die gnadenreiche Schöne löste dem Jüngling die Hand von Knie, half ihm auf, küsste ihn liebend und dankbar auf die beflaumte Wange und trat ihm endlich in den Arsch, als der Glückliche zögernd, verliebt wohl auch ein wenig, staunend stand über sein Glück. Der Tritt, der feste, setzte ihn in Bewegung und es enteilte der Jüngling mit stumpfigen Fingern unter der Achsel und einer Zukunft vom Feld der Schlacht.

Wieder bei Sinnen, sah´s Jelke mit Erstaunen, dass sie noch am Leben war. Und das kam wie folgt:
Mit Todesmut und in Verzweiflung hatten die Seeschäumer, die wenigen Recken, auf den Feind sich geworfen, mit Ingrimm und voller Empörung, dass der ihnen die Leben rauben wollte, an denen sie doch gar so sehr hingen. Sie brachen durch und ehe sie es sich versahen, steckten sie in Mitten des Heeres Leib, wild seine Organe zerfetzend, die überraschten Lormyrer. Hinter den Seeschäumern schloss sich die Front, schnitt sie ab. Bald hatten sie sich im wilden Gemetzel in kleine Gruppen verstreut, überall hin den Kampf tragend und mehr noch Verwirrung unter die Feinde, die nun den Kampf fanden, wo sie ihn am wenigsten suchten und wünschten.
Die Vorderen wandten. Wohin nun; wo sie den Feind sahen, in Mitten der ihren. Die Flanken rückten weiter vor, die Mittleren prallten auf die Vorderen und viele wurden von einer Panik ergriffen, die sie fliehend ließ, zurück, um auf die hinteren zu treffen, wo es bald gar nicht mehr ging. Zurück nicht, noch vor zum Feind, der überall war. Wenige Mann stark, doch seine Stiche, klein und tödlich, ließen das Heer wild um sich schlagen. Noch gingen die Schläge ins Leere. Noch durften die Seeschäumer leben. Aber es eilte ein silbernes Haupt, die Jelke sah´s wohl, am Hang durchs Getümmel ziehend, die Scharen zu ordnen. Und als der Lormyrer den ersten Schrecken verwandt, da sahen er, wie wenige ja ihn in die Flucht schlugen. Da kehrten sie, die lormyrischen Streiter, und rannten gegen die Seeschäumer, wo sie sie fanden.
Weiter unten am Hang, tiefer im feindlich´ Heere, sah sie den Thal, mit drei, zwei, einem Gefährten, bald allein sich gegen die wiederangeschwollene Flut der lormyrischen Kampfbäume stemmend. Bange wurd´s der Thorgesttochter, dem spitzzüngig Weib, dass der Mann hinweggefegt würde vom Waffensturm. Laut rief sie nun Gefährten herbei, zum Entsatze dem Munzianer zu eilen. Viele vernahmen den Ruf, wenige waren jedoch Wikinger und noch weniger vermochten sich vom Feinde zu lösen. Und es folgten dem Ruf der Jelke sieben, und als selbstachte eilte sie zum Thal, mordend, spitzig gellend und besorgt. Das war, als auf dem anderen Hügel der Bohemond Wogenröter starb.

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