Die Saga von Jelke Eisenseite
von Carsten Maday

 

Was Thal für Sorgen hat

>Weißt Du, Jelke<, sagte Thal resignierend. Seine Stimme hallte düster durch die Höhle. >Als ich mit vierzehn Jahren meine Schwerthand verloren hatte, dachte ich: das war´s. Aus! Ein hilfloser, unnützer Krüppel für den Rest meines Lebens. War also recht niedergeschlagen, ja. Kannste mir glauben. Na, was soll ich sagen? Hab´ dann schnell gelernt mit der Linken zu kämpfen. Und sieh mich heute an! Meine Behinderung schränkt mich nur in einigen wenigen Bereichen ein!< Thal hob die geballte Faust zur Höhlendecke und fluchte laut:
>Dazu gehört leider die Kunst, mit einer Hand Feuer zu machen! Verdammte Sch...ande!<
Er zog sich einen Stiefel aus, die nasse Wollsocke auch und klemmte sich den Feuerstein zwischen die Zehen. Vorsichtig schob er den Fuß an den kleinen Reisighaufen. Er betete kurz und schlug dann mit dem Stein in seiner Hand auf den anderen. Der Stein rutschte zwischen den Zehen fort.
>Scheiße!<, schrie Thal entnervt. Er krabbelte zur Jelke, fühlte ihren Puls. Viel gab es da nicht zu fühlen. >Man, Jelke, jetzt stirb mir nur nicht nach der elenden Schlepperei!<

Thal hockte mit bloßem Oberkörper über der bewusstlosen Schwertfrau. Er hatte die Tochter Thorgests kaum hundert Schritt durch den Schnee getragen, als ihm trotz der Kälte der Schweiß in Strömen über den Rücken lief. Also hatte er seine Rüstung zurücklassen müssen, so sehr es ihn auch schmerzte, sich von dem geliebten Eisen zu trennen. Er hatte auch versucht Jelke von ihrer Rüstung zu befreien, musste aber einsehen, dass es ihm unmöglich war mit einer steifgefrorenen Hand das Kettenhemd über die schreckliche Wunde zu ziehen. Weiter unten vernahm er nun deutlich Stimmen von Männern. Sie schienen jemanden zu suchen. Thal wusste wen. Er hatte sich das Hemd vom Leib gezerrt und in Streifen zerrissen. Er legte der Jelke einen behelfsmäßigen Verband an. Die Wunde blutete nicht stark, aber Thal hoffte, der Verband können die zermalmten Knochen genug stabilisieren, um schlimmeres zu verhindern.
Dann wickelte er die Freundin in seinen Umhang. Er ging zu einem Schneehaufen, grub einen Toten aus. Ein Wiking. Thal kannte ihn nicht. >Den brauchst Du nicht mehr, Freund<, sagte Thal und stahl dem Toten den Mantel. Er warf ihn sich um die Schultern und trug Jelke ein Stück weiter.
Ohne das Gewicht der Rüstung ging es besser, wenn auch nicht für lange Zeit. Der Schnee kam der folgenden Schleiftechnik zu Gunsten. Am Pass machte er erschöpft eine Rast und studierte die Karte.
Ehe er vollends abkühlte, warf er sich die Bewusstlose über die Schulter. Dann machte er sich auf die Suche nach dem Einstieg in die Berge.

Thal wärmte sich die Hand an Jelkes beunruhigend heißer Stirn. >Was soll man machen, wenn man sich noch nicht einmal die Hände warm reiben kann?<, fragte Thal die Welt im allgemeinen.
Wenn es ihm nicht bald gelang Feuer zu machen, würde es nicht nur mit ihr aus sein, sondern auch mit ihm.
Thal krabbelte zur Feuerstelle zurück. Er sah seine geliebte Albenklinge an, blickte sich in der Höhle um. >Eigentlich ´ne verdammte Sünde.<, sagte der Munzianer. Die Runen auf der schwarzen Klinge musterten ihn abwartend. >Tut mir ja selbst leid, Jungs! Aber was soll ein armer Krüppel denn machen?< Er rammte die Spitze des Schwertes in den Reisighaufen, stemmte sich mit der Schulter gegen den Knauf und zog seinen Dolch. Der schwarze Albenstahl kreischte vorwurfsvoll auf, als Thal wie toll mit dem Dolch darauf einschlug. Funken stoben in der dunkeln Höhle.

Thal warf etwas mehr Holz in die Flammen. Der Rauch sammelte sich unter der Decke und zog durch den Eingang ab. Es schneite noch immer. Thal wusste, bei dem Wetter würde man den Rauch nicht weit sehen. Und wenn schon, dachte er, eine andere Wahl haben wir soundso nicht.
Die Höhle zog sich noch einige zwanzig Schritt tiefer in den Berg, ehe sie an einer Felswand endete. Thal war erleichtert, dass es nur einen Eingang gab. Das ersparte unangenehmen Besuch in der Nacht.
Die Höhle war ohne Zweifel einmal bewohnt gewesen. Er hatte einige zertrümmerte Einrichtungsgegenstände gefunden, sowie einen Stoß Feuerholz. Das war feucht und halb vermodert, brannte aber nach einiger Zeit. Er hatte Jelke so nah ans Feuer geschoben, wie es ging und den zweiten Umhang über die Thorgesttochter geworfen. Dampf stieg von dem Stoff auf, als die Flammen ihn trockneten.
Thal begann das Holz neben dem Feuer aufzuschichten. Sein Blick fiel auf den Silberring und Thal hielt für einen Moment lang inne.
>Weißt Du<, begann er. >Ich hab´ Dir damals nicht die ganze Wahrheit erzählt. Ich meine, das mit Gudrun. Ich bin damals nicht den Ruf meiner Freunde gefolgt, sondern sie dem meinen.<
Thal blickte auf seinen Stumpf und winkte mit ihm Richtung Jelke:
>Als meine Ziehvater Sven mich damals gerettet hatte, musste ich ihm versprechen, zehn Jahre außer Landes zu bleiben, ehe ich meinen Vater rächen durfte. Ich schwor es! Und ich schwor auch, keinen Tag länger zu warten. Die Zeit lief ab, als Gudrun mit dem Kind unterm Herzen ging. Aber konnte die Liebe den Hass in meinem Herzen töten? Darfst dreimal raten! Gut, ich ritt also mit Gunther und Garmir aus, den Egil zu erschlagen. Ähm, nicht den Vater von Gudrun, sondern den anderen Egil, der meine Schwester geheiratet hatte. Ja, ja, ist schon ein Elend mit diesen nordisch´ Namen! Egal!
Bäh! Was hat sie gejammert um das Leben des Mannes, der unseren Vater erschlug! Nur weil zehn Jahre vergangen waren, sie drei Kinder von ihm hatte und er sie liebte. Sie widerte mich an. Ich erschlug ihn, den Hundsfott. Die drei Knäblein ließ ich leben. Ja, ja, weiß schon, böser Fehler, weil ich irgendwann drei Bluträcher auf dem Hals habe. Und ich werde sie auf dem Hals haben! Das sah ich in den Augen meiner Schwester! Soll´n sie mich töten, die lieben Neffen. Als ich heimkehrte, war Gudrun bereits bestattet worden. <
Als alles Holz zum Trocknen aufgeschichtet war, rutschte der Jarl zur Jelke herüber. Er schlug die Decken bei Seite und nahm ihr den Verband ab. Er zog ein Gesicht.
>Das wird nie wieder der gute Arm!<, sagte er traurig und begann zu weinen. Er beugt sich hinunter und küsste die Jelke auf die Wange. Die war so heiß, dass Thal beinahe erwartete, die Tränen, die auf sie fielen, würden verdampfen. >Liebe Jelke, stirb mir nur nicht weg! Was soll ich denn ohne Dich machen! Schnüff!< Vorsichtig zog er die zerfetzten Kettenglieder aus der Wunde. Dann nahm er die Albenklinge und trennte das Kettenhemd auf. Trotz der üblen Scharten schnitt der schwarze Stahl noch gut durchs Eisen.
>Was für ein Mann bin ich nur? Zehn Jahre lebte und trainierte ich für meinen Hass. Selbst die Liebe, die ich fand, konnte mich nicht davon abbringen. Mein Hass vernichtete sie. Ich zerstörte das Leben meiner Schwester, machte die Knaben zu Halbwaisen, die nun ebenfalls den heißen Saft des Hasses trinken, der sie groß und stark machen wird, bis sie mich erschlagen können. Und ich? Was tat ich am noch frischen Grab meiner Frau und meines Sohnes? Ich schwor, nie wieder einen Menschen so zu lieben und bittere Rache dem Mörder!<
Behutsam zog Thal das aufgeschnittene Kettenhemd von Jelkes Schulter und legte den verschmierten Verband erneut an. Dann zog er ihr die Stiefel aus, die Hosen und auch das Untergewand. Er deckte die Jelke wieder zu und legte die Sachen neben das Feuer zum Trocknen.
>Nach Jahren spürte ich ihn in Jova auf. Ich stellte ihn zum Kampf. Er nahm mir das Auge, aber ich kämpfte ihn dennoch nieder. In dem Augenblick, als er wehrlos unter mir lag und ich das Schwert erhob, um es ihm ins Herz zu jagen, das wusste ich, dass ich mit ihm sterben würde. Ich hatte den Großteil meines Lebens mit dem Hass im Herzen gelebt und ich wusste, ohne ihn konnte ich nicht mehr leben. Ich tötete ihn natürlich. Klarer Fall! Und der Hass? Er blieb und ging nicht fort! Ich sah auf mein Leben und hasste MICH!<
Thal stand auf und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Dann löste er den Gürtel und zog die Hosen aus.
>So!<, sagte er grinsend. >Jetzt beginnt der angenehme Teil!<

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