Die Saga von Jelke Eisenseite
von Carsten Maday

 

Jason

Das scutum war der Langschild der Legionäre. Vier Fuß lang, zwoeinhalb Fuß breit, aus Holz mit Leder überzogen, Eisen beschlagen, schwer und unhandlich: die Feste des Legionärs.
Jason kam mit sechzehn zur Legion. Weg vom väterlichen Hof. Die Legion sorgt immer für ein Fresschen und etwa Kleingeld, hieß es. Alter? Achtzehn, hatte er gelogen, und da er recht groß und es Mangel an Soldaten war, hatte man ihm geglaubt. Drill, Abwehr, Ausfall, bis selbst Jasons starke Arme das scutum nicht mehr halten konnten. Marschieren. He da, Soldat! Name! Jason stolz: Legionär Jason zwote Centurie des Hastaten Manipels der zehnten Kohorte der Legio II. Insomnia.
Die Barbaren Einfälle aus dem Norden. Die blonden Riesen schlugen eine blutige Schneise bis ins jovenische Kernland. Jova selbst zitterte vor dem Klang ihrer Waffen. Eine Schlacht nach der anderen gewannen die nordischen Hünen, aber bei Noctis Ultimae würde man sie zum Halten bringen, hieß es.
Keine drei Monate Soldat und Jason hatte seine erste Schlacht. In dem Tal bei Noctis Ultimae stellten sich die Barbaren den vier jovenischen Legionen. Dort die wogende Menge der Barbaren, hier die disziplinierten Truppen der Jovener, die wie ein Mann vorgingen. An unseren Reihen soll sich ihre Flut brechen, hieß es. Jason, der hastatus, hatte einen Platz in der vorderen Reihe. Sein Schild und seine Rüstung glänzten in der warmen Sonne (seine Kameraden und er hatten sie Stunden lang poliert). Plänkler vor. Feldzeichen stießen Befehle in den blauen Himmel, und in seiner Angst sagte er sich: Das ist, was ich immer wollte: Soldat sein, mein Vaterland gegen Eindringlinge schützen. Genauso hab ich es mir immer vorgestellt.
Wie durch ein Wunder überlebte Jason dennoch. Einer von den wenigen sechshundert, die es schafften.
Jova zitterte nicht länger, sondern war halb wahnsinnig vor Angst. Ehrwürdige Matronen schoren sich die Haare und liefen in Trauergewändern durch Jovas Straßen, der Senat war kraft- und ratlos. Es war die Stunde des Fabius Insanus, des „Spinners“, wie seine Soldaten ihn liebevoll nannten. Die Barbaren wandten sich nach Norden ab, verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren, um nach zwei Jahren erneut zu erscheinen. Wo waren sie geblieben? Nun, sie hatten wohl Freunde besucht und mitgebracht. Erfolg machte ja attraktiv. Die Flutwelle war angeschwollen und riss nun alles mit sich.
„Spinners Maulesel“ nannten sie sich stolz, denn Insanus hatte die Legion zu einem mobileren, schlagkräftigeren Truppenkörper trainiert, indem er den Legionären an Ausrüstung und Proviant auf den Rücken lud, was sie tragen konnten. Er zeigte ihnen, wie weich sie waren und machte sie hart. Jasons Knabenspeck verschwand, sein Blick wurde hart, seine Wangenknochen spannten sich grimmig unter der Haut, sein Körper wuchs und er überragte bald alle anderen.
He, Jason, hat sich deine Mutter mal von ´nem Barbaren bügeln lassen, oder warum bist du so groß?
Drei Wochen Strafwache wegen Kieferbruch! Insanus zog, was er bekommen konnte, selbst den Pöbel von der Straße. Ein Aufschrei der Entrüstung bei den Patriziern, den Insanus durch seine zwei glänzenden Siege erstickte.
Dann der Bürgerkrieg. Der erste von vielen. Optio der dritten Nefanda. Auszeichnungen in fünf Jahren Krieg, errungen im Kampf gegen seine Landsleute. Seine Brüder fielen, Mutter starb an gebrochenem Herzen. Urlaub. Jason kehrte zurück. Clodia war ansehnlich und kräftig. Man heiratete, heimlich, illegal. Während seiner wenigen, kurzen Besuche entstand so etwas wie Liebe, der drei Töchter entsprangen.
Krieg, man setzte die Dienstzeit von sechzehn auf zwanzig Jahre herauf. Jason wird Centurio und sehnt sich zum ersten Mal nach dem Ende seiner Soldatenlaufbahn. Als der Veteran zurückkehrt, ist seine Älteste fast erwachsen und seine Frau seit zwei Jahren tot. Er trinkt, übergibt seine Töchter der Obhut seines Patrons und schreibt sich für seine zwote Runde ein. Primipilus der ersten Desperata.

Zuhören, ruft er seinen Soldaten zu. Das ist euer Schild, das scutum, eure Festung. Wenn ihr ihn richtig führt und nicht so groß seid, wie ich, dann deckt es fast euren gesamten Körper. Im Kampf deckt es die Front und die linke Seite. Die andere Seite deckt euer gladius und das scutum des Mannes rechts neben Euch! Fragen? Irgendeinen Schlauen gab´s immer! Ja, Decius? Was mit der rechten Flanke ist? Bravo, Mann, kaum zwo Wochen bei der Legion und du hast ihren schwächsten Punkt gefunden. Möge Jupiter verhindern, dass unser Gegner auch so ´nen schlaues Köpfchen hat, wie Du! Gelächter.
Ruhe! Er hat recht! Das latus apertum, unser wunder Punkt. Bei gleichmäßig beanspruchter Front kriegen die Jungs auf der rechten Flanke ordentlich Druck, könnt ihr mir glauben, hab´s oft genug erlebt. Dann heißt´s beten und mit dem gladius parieren! Alles klar? Ja? Gut, dann woll´n wir´s mal üben, was? Vorwärts! Jawoll, Centurio!

Das latus apertum! Die Kohorte sollte die Angriffsspitze bilden, aber beim Vormarsch war es ihr unmöglich gewesen, die Ordnung aufrecht zu erhalten. Viele der hastati waren ausgerutscht, hinabgeschlittert und fanden sich in mitten der triarii wieder. Einige principes standen in der ersten Reihe und Marcus IV., ein altgedienter triarius, wirkte peinlich berührt ebenfalls ganz vorne zu sein. Aber die Lücken waren nicht geschlossen, als sie am Feind waren. Die unerfahrenen hastati traf es am härtesten. Ohne ihre Kameraden gerieten sie in Panik und waren gefundenes Fressen für die bewährten Klingen der Seeschäumer. Dem jungen Decius riss der Schlag eines Streitkolben das halbe Gesicht weg. Er wirbelte herum, gallertartiger, roter Brei, wo einst seines Auges Höhle war. Der Kiefer hing baumelnd hinab, die Zähne zerschlagen. Er ließ Schild und Schwert fahren, fasste mit seinen Händen nach dem, was einst sein Gesicht und seiner Kehle entrang sich ein Gurgeln. Er kippte hinten über und rutschte den Hang hinab. Manchen wurde die Schwerthand abgeschlagen, als sie deckungslos vorzuckte, die meisten bekamen eine in die ungedeckte Seite verpasst. Jason schlug, stieß, parierte, töte zwei Mann mit den schweren gladius. Ein hastatus fuchtelte wie wild mit dem Schwert, ängstlich darauf bedacht seine Rechte freizuhalten. Ein Zwerg sprang vor und schlug ihm die Axt über der Hüfte in die linke Seite. Zwischen zwei Hieben sah der Centurio Jason den Lollius Seite an Seite mit dem Tribunen kämpfen. Endlich waren die principes, die triarii und die Belger heran. Die Seeschäumer bekamen Druck. Vielen der Wolfkrieger wurde der Schlamm zum Verhängnis. Beim Parieren oder Ausholen verloren ihre Füße den Halt. Die Glücklicheren stürzten und glitten einige Schritt hinab, die anderen, im verzweifeltem Bemühen das Gleichgewicht wieder zu erlangen, entblößten ihre Deckung und fingen sich einen tödlichen Treffer. Tote und Verwundete rutschen hinab, bis andere Tote und Verwundete sie stoppten. Jason hieb nach einem Hals, der Mann zuckte zurück, zu langsam. Der gladius schnitt ihm die Kehle durch. Ein anderer stieß mit der Klinge nach dem Centurio. Ein Belger hieb dem Mann die Arme an den Ellenbogen durch, ehe er Jason treffen konnte. Ein Wikinger hieb ihm die Axt in die Beuge zwischen Schulter und Hals. Jason schlug ihm gegen den Kopf. Impetuuuuuuus! schrie er. Eine Klinge erschütterte sein scutum, seine Faust zertrümmerte ein Gesicht, die Seeschäumer begannen zu weichen. >Nach! Nach! Naaaaaaach!< Jællen spitzer Schrei, irgendwo links im Getümmel. Nachsetzen! Die Wolfkrieger gewannen einige kostbare Fuß Boden, der von der gestrigen Schlacht nicht in Schlamm verwandelt worden war. Jasons Stoß wurde pariert, seine Hand zuckte zurück und das Schwert des gewaltigen Mannes sauste vorbei und fraß sich in den Schlamm. Jasons Klinge schwang nach oben, der Mann blickte auf und Jason erkannte das Gesicht unter dem Schlamm:
>Orkschlächter<, knurrte er. Zähne zeigten sich bei dem anderen. Er sah den Schlag und stieß sich ab. Sein Riesenleib riss den Centurio von den Beinen. Doran Orkschlächter und er überschlugen sich und wirbelten eng umschlugen durch die Reihe der Wolfskrieger den Hang hinab.
In dem Niemandsland der Toten, zwischen den Wolfskriegern und den nachrückenden Lormyrern kamen sie zum liegen. Schild, Helm und Schwert waren beiden auf ihrer wilden Talfahrt verlustig gegangen. Wie Liebende hielten sie einander hart umklammert, beide stöhnten benommen. Als Jason endlich zu sich kam, drosch ihm auch schon der Orkschlächter die Faust mächtig gegen die Schläfe. Alles drohte ins Dunkel zu versinken. Er sah Doran über sich und in seiner Not riss der Centurio sein Knie hoch. Ein schmerzhaft stöhnender Orkschlächter rollte sich vom Centurio.
Das verschaffte dem Jason genug Zeit, um sich mühsam auf die Beine zu erheben. Benommen schüttelte er das Haupt. Der Schmerz pochte hinter der Schläfe, aber das Dunkel vorzog sich langsam. Er zog den pugio. Da stand der Orkschlächter auch schon und brachte ebenfalls einen Dolch zum Vorschein. Befriedigt stellte Jason fest, wie breitbeinig der Stand seines Gegners war. Er sprang vor und zielte auf den Hals des Mannes. Mit dem Unterarm blockte der Orkschlächter den Stoß ab, riss seinen Kopf vor und zerschlug dem Jason mit der Stirn die Nase. Knochen knirschten und Jason wankte auf sichere Distanz zurück. Er wischte sich über den Mund und blickte auf seine blutige Hand.
>Orkschlächter!<, stieß er hervor. Der Seeschäumer hielt seinen mächtigen Oberkörper gebeugt und winkte mit der freien Hand den Centurio heran:
>Na komm schon, du jovenisches Schwein!<
Jason durchbohrte ihn mit einem Blick, schwenkte den pugio vor dem Gesicht des Doran, aber dessen Augen folgten der Klinge nicht, sondern lagen lauernd auf dem Centurio. Jason beugte leicht die Knie, wie zum Sprung. Dann sprangen sie beide, aber nach hinten und warfen ihre Dolche.

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