Die Saga von Jelke Eisenseite
von Carsten Maday

 

Drei Schwüre oder wie die Thorgesttochter dem Legaten die Besinnung raubt

>He, Thal!<, flüsterte die Thorgesttochter leis´ in die Nacht. Noch zügelte Helios seine bebenden Rösser hinterm Horizont, doch wie lange noch? Die Morgendämmerung nahte, doch der Thal war nicht am verabredeten Treffpunkt. Mittlerweile fror die kühne Jelke recht erbärmlich in der Nässe. Sie erhob sich hinter dem Gebüsch und rief noch einmal nach dem Gefährten. Einzig es antwortete ihr das Schaben des Metalls, als der Legatus Augusti pro praetore Quintus Petilius Lollius aus dem Dunkel trat und den gladius aus der Scheide zog. Kurz zuckten die Hände der Schwertfrau, hielten dann inne um sich kurz darauf nach oben zu erheben. Langsam drehte sie sich um. Gleich sahen´s ihre waffenkund´gen Augen, dass dieser strahlende Mann sie erreicht hätte, ehe sie das Schwert auch nur halb gezogen. Sie fühlte sich nackter, als es ihr ohne Gewandt je hätte vorkommen können.
Erst wollte der vielkluge Lollius widerstehen, gab dann aber nach und sagte grinsend:
>Hoho, wen haben wir denn hier?<
Jelke zog ein Gesicht.
Keck ließ Lollius seine Brauen zucken, lächelte ihr zu. >Na<, dachte er amüsiert, >klassisch! Wenn man die Frau erst hat, weiß man nie so recht, was mit ihr anzufangen ist! Obacht Lollius, die ist so gefährlich wie schön! Was für ein Weib!<
Lässig deutet er mit der Schwertspitze auf ihre Gürtelschnalle. >Dein Schwert<, lächelte er, >mit der Linken bitte!<
Jelke nahm die Hand herab, löste den Gürtel, langsam, ganz langsam. Das Schwert fiel in den Schlamm. Sie ließ sich von seiner aufreizenden Lässigkeit nicht provozieren, denn darunter roch sie den Wolf ihres Traumes, der klug und abwartend die Gans, pardon, den Schwan fing.
Lollius zog die Kapuze nach hinten, sein schwarzes Haar klebte an den Schläfen. In seinen Augen blitzte der Schalk, der anderes darin zu lesen verhinderte und Jelke verrückt machte. Er zog einen Mundwinkel nach oben, bedeutete ihr, sich vom Schwert zu entfernen. Als er sich scheinbar nachlässig nach der Waffe bückte, hütete sich die Thorgesttochter auf sein verlockendes Angebot einzugehen.
Doch mit einem Mal musste Jelke lächeln, als sie den Mann so aufrecht und siegesgewiss im Regen stehen sah. Er wog ihr Schwert in der Hand, warf es hinter sich und traf den Thal, der sich von hinten an ihn heran schleichen wollte, mit dem Knauf an der Stirn, dass der zu Boden ging. Da sah man, dass der Legat Lollius wirklich ein Günstling der Götter war. Schnell versprach er dem Jupiter einen untadligen, weißen Stier.
Lollius wirbelte herum, sah den Munzianer, der sich benommen aufzurappeln versuchte. Jelke nutzte die Chance, ging in die Knie, die Linke in den schlammigen Grund gestemmt, fasste die Rechte nach dem Dolch im Stiefel. Sie zog und sprang in der selben Bewegung auf. Ein anderer als der Lollius hätte sich nun wieder nach der Jelke umgekehrt, um zu sehen, ob diese sich nicht auf ihn stürzen wollte, nur um mit seinen Leib den Kuss des kalten Stahls zu empfangen, doch Lollius, erprobt der widrigsten Widrigkeiten, wusste es besser. Den Tod im Rücken sprang der Mann neben dem Thal zu Boden, konnte ihm gerade noch packen und die Klinge an den Hals legen, bevor Jelke ausholte.
Sie hielt im tödlichen Stoß inne, als sie den wehrlosen Freund bedroht sah. Nutzlos glitt der Dolch aus ihrer Hand zu Boden. Lollius blickte zu der Frau und lächelte, eher erleichtert als triumphierend nun. Er atmete schwer und der Schrecken hatte sein Gesicht bleich werden lassen.
>Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja...< Zum zweiten Mal an diesem Tage spürte Thal, wie sich der Druck der Klinge verstärkte, nun aber, solches gewohnt, unterließ er es zu schlucken. Lollius bedeutete der Jelke mit einem Nicken zurückzutreten. Sie gehorchte. Es brodelte in ihr, und die Leidenschaft, die in ihr brannte, nahm sich bald klein aus gegen den Unmut, den dieser Mann in ihr weckte. Ihr Zorn geriet ins Kochen je mehr sie die Ausweglosigkeit dieser Situation erkannte.
Lollius hielt den Kopf des Munzianers wie den eines Sterbenden auf den Knien. Blut strömte aus der Wunde an der Stirn, mehr, als dass der Regen es fortspülen konnte. Der Regen rann über des Legaten Antlitz, sein Haar klebte ihm unordentlich im Gesicht, das noch immer bleich war, als er keuchte:
>Ich bitte Dich, Jelke Thorgesttochter, es ist vorbei! Zwinge mich nicht diesen hier zu töten. Aber ich werde nicht zögern es tun, wenn Du mich dazu zwingst. Ergibt Dich!<
Nun sah Jelke das Unverborgene in seinen Augen, die sie so traurig anblicken, sie sah, dass er wusste, was er verlangte. Und Thal, der Freund, so hilflos wie nur einer unter den Menschen? Sein Körper angespannt, die Linke griff hart in die Erde, dass sie zitterte, die Rechte, der Stumpf, glitt ziellos durch den Schlamm. Unter seinem Bart sah sein Gesicht bereits aus wie das eines Toten, eingefallen, bleich. Durch die ungünstige Lage, sammelte sich das Blut und der Regen in seiner leeren Augenhöhle. Ein blutiger See, der über seine Ufer trat. Das Auge, in dem noch Leben steckte, flehte nach dem Tod, bat Jelke zu tun, was sie nicht tun konnte.
Jelke ging in die Knie, blickte nach dem Lollius der in seinen Schoß den Thal hielt.
>Nein, Freund<, weinte sie, > du weißt ja selbst, dass ich´s nicht kann! Du könntest´s ebenso wenig!<
Und Lollius, bewegt die Schöne verzweifelt zu sehen:
>Liebe, gute Jelke, halte ein! Sieh´, ich will Euch nichts Böses! Fern liegt noch des Lebens Ende, denn nicht in Feindschaft ist mein Herz Dir gewogen. Vertrauensvoll begebe dich in meine Hand! Ich schwör´s, kein Leid hast Du von mir du fürchten, auch von sonst niemanden, denn die meine sollst Du sein, der Toste hast´s mir ja versprochen.<
Da sann die Jelke, wie den Thal zu retten. Sich aber gab die Schöne längst verloren.
>Lollius<, sagte sie, >der Æthelbertling versprach mich dir zur Schlachtbeute! Sein Wort wird er halten! Er muss es! Doch bedenke, dass du mich vor der Schlacht gewonnen und so noch kein Recht auf mich hast!<
Und Lollius:
>Pah, juristische Spitzfindigkeiten!<
Und Jelke:
>Er wird sich darauf berufen! Gerade Du Jovener solltest es wissen! Und was ist mit dem Munzianer?<
Und der Lollius, mit all der dignitas eines Patriziers:
>Oh Jupiter Optimus Maximus, göttlicher Vater, höre meinen Schwur. Bei dir und allen Göttern auf dem hohen Olympos, bei meinen ehrenhaften Vorvätern, bei allem, was mir lieb und bei meiner Ehre als Soldat, ein Name, der ein meinen Gedanken mir am besten steht , gelobe ich, diesem Mann die Freiheit zu schenken, wenn die Jelke sich in meine Hand begibt. Sie aber will ich gegen alle schützen, oder selbst den Tod finden. Meine Seel´ aber soll unsäglich´ Qual im Tartaros erleiden, brech´ ich mein Wort!<
Da sandte der Kronid´ einen gleißenden Blitz zur Erde, um den Schwur zu besiedeln. Und es erbebten der Legat, der Thal und selbst die Jelke in frommer Scheu.
Jelke blickte tief in das lauernde Auge des Thals und rief:
>Nein Freund´, halte ein! Ich sehe wohl, was Du planst! Stürzt Du dich jetzt in das Schwert des Legaten Lollius, dann nehme ich diesen Dolch und ramm ihn mir selbst ins Herz! Willst Du wirklich meinen Tod?<
Da sank der Munzianer schlaff zusammen. Er weinte, wimmerte das `Nein´.
>Freund<, dachte sie traurig, >ich seh den Schmerz in deinem Auge. Du weißt, was ich will, doch mich zu retten, gestatte ich Dir nicht!<
Und Jelke:
>Schwöre, Thal, dass, wenn ich mich dem Lollius ergebe, du ins Lager der Seeschäumer zurückkehrst! Schwöre, dass du dem Lollius jetzt und fürderhin kein Leid zu fügen wirst! Schwör´s!<
Den Druck des Schwertes lockerte der Lollius, dass der Einhand frei sprechen konnt:
>Ich schwöre es!<
>Schwör´s noch einmal bei deinem Gott!<
>Ich tu´s!<
>Schwöre bei deiner Ehre als Soldat! Schwöre bei deinem Eid als Munzianer!<
>Ich schwöre es!<
>Schwöre es bei dem Andenken an deine Frau, deinem Sohn und bei der Einen!<
Nun brach der Thal vollends zusammen. Er heulte. Speichel troff ihm aus dem Mund, als er schrie:
>Verfluchte Thorgesttochter! Ich schwöre es, hörst Du? Ich schwöre es! Bei meiner Frau, bei meinem Sohn, den ich nie gesehen und bei der Einen! Verdammte Scheiße, noch mal!<
>Ach<, dachte sie da, als sie ihn so verzweifelt wimmernd sah, >verzeih mir! Weh, warum ist´s unendlich leichter, den Freund zu retten, als sich selbst? Weil´s leichter ist, zu sterben, als sich erinnernd zu leben! Aber leben wirst Du, lieber Freund, leben wirst Du! Verzeih mir, also!<
>Nun<, sprach Lollius mit dunkler Stimme,> ist´s an Dir zu schwören! Schwöre, wenn ich von des Munzianer Kehle das Verhängnis nehme, dass du dich in Frieden in meine Obhut begibst! Mehr verlange ich nicht! Und wenn die Schlacht geschlagen, magst du frei sein und gehen!<
>Seine Augen!<, wunderte sich die Thorgesttochter,> wie traurig und doch so hoffnungsvoll sie blicken! Ach Liebster, denke nicht, ich wollte nicht bei Dir weilen!<
Sie barg das Haupt in den Händen, denn sie konnte seinen flehenden Blick nicht länger ertragen. >Dieser stolze, aufrechte Mann will mich vor dem Tod am Morgen bewahren<, dachte sie. > Weh, ich könnt´ ihn lieben...
Mich gegen das Heer des Lormyrer, den Toste und den schrecklichen Telamon zu schützen, hieße seinen Tod zu verlangen. Nein Lieber! Diesen Mann zu verderben wage ich nicht!<
Schon erhob sich die Jelke Thorgesttochter und hätte Meineid geschworen, als eine Gestalt hinter den Legaten trat und ihn den Schwertknauf übers Haupt zog.
Und so kam es, dass die Thorgesttochter dem Legaten die Besinnung raubte, denn hinter ihm stand die Praefecta Jællen, die der Jelke ältre Schwester war.
Thorgesttöchter

Der Regen hatte auch die rotflammende Mähne der Jællen Thorgesttochter zum erlöschen gebracht, aber das grüne Feuer ihre Augen brannte heiß und wild, als sie ihre Schwester anfunkelte. Jelke wagte sich nicht zu bewegen, zum einen, weil sie das Auftauchen ihrer Schwester allzu sehr überraschte, zum anderen, weil Jællens Schwertspitze nicht von ungefähr auf sie deutete. Thal rollte sich vom niedergeschlagenen Lollius weg, versuchte sich das Blut aus dem Auge zu wischen und starrte die beiden ungläubig an. Die, welche Haar von rotem Flussgold hatte, tastete mit dem Fuß unter das Schwert der Goldenen, schleuderte es empor und fing es in der Linken. Sie wog es wie ihre Gedanken und warf es endlich mit Macht der Schwester zu, die es vor der Brust fing.
>Verschwinde jetzt!<, grollte sie düster, und Thal sah wie die Jelke zusammen zuckte. >Ich<, stammelte sie, >was soll ich sagen...?<
>Nichts!<, sagte die Praefecta. >Du musst gehen! Schon droht der Gehorsam Überhand über die Vaterliebe zu nehmen, und ich wäre dem Thorgest eine schlechte Tochter, wenn ich ihm die andere verdürbe! Fort, bevor ich´s mir anders überlege! Und nimm den da mit!<
Sie deutete verächtlich auf den Thal, der sich mühsam auf die Beine erhob. Jællens Worte waren verletzend genug, dass der Schmerz aus den Augen der Jelke wich, und ihr wilder Trotz entfacht wurde. Sie nahm ihren Dolch auf und steckte die Klinge zurück in den Stiefel. Sie sah an ihrer Schwester vorbei, als sie sich zum Lollius hinab beugte. Sie küsste ihn sanft auf die Stirn und der Mann stöhnte leise auf. >Ach du Lieber<, dachte sie >welch Schmerz brächt dir erst meine Lieb!<
Sie kehrte ihrer Schwester den Rücken zu und schritt wortlos ins Dunkel des Tales hinab. Thal blickte ins harte Antlitz der Praefecta.
>Danke!<, sagte er und Jællen nickte ihm zu.
Als Thal nach einigen Meter noch einmal zurückblickte, sah er, wie Jællen das Haupt des Legaten in ihrem Schoß bettete und dann noch einmal aufblickte. Thal hob die Hand zum Gruß und machte sich daran die Jelke einzuholen, die irgendwo vor ihm in der Dunkelheit schritt.

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