Die Saga von Jelke Eisenseite
von Carsten Maday

 

Wie Jelke Thorgesttochter in der Nacht keinen Schlaf findet

Tief in der Nacht war endlich Ruhe im Lager der Seeschäumer eingekehrt und nur die Wachen waren, wie der Name schon sagt, wach. Als der Kampf des Tages geendet war, da waren keine fünfhundert Wikinger mehr am Leben, und von denen die es waren, da war kaum einer ohne Wunde und die, die noch Hoffnung auf Leben hatten, wurden verbunden.
Viele der Edelsten und der Tapfersten waren tot. Die Bigode, das Kraftweib, von Telamon gemordet und beraubt. Die strahlende Kh´Restrin, die schöne Maid, war ebenfalls nicht mehr. Garmir, der Munzianer hat das blut´ge Feld nicht mehr verlassen, und im seinem Zelt lag der stärkste Mann, die schützende Wehr der Recken, der heldenhafte Bohemond, schwertmüde danieder. Unendlich ist dem hoffnungslosem Herzen die geringste Hoffnung, doch nirgends fand sich solche in dem heldischen Busen eines einzigen. Keiner würde den morgigen Tag überleben und einzig die hehre Jelke, das zweiflisch Weib, dachte, als sie mit einem Schrei auf dem Lippen aus einem schweißnassen Alpdruck hochfuhr, dass sie bereits gestern Nacht geglaubt hatte, dass dies ihre letzte Nacht sein würde.
>Verdammt>, sagte sie und erzitterte ob der nächtlichen Kälte, die durch die Ritzen des Zeltes über ihren nassen Leib fuhr. >Was soll´s, man kann sich ja ´mal irren! Aber Morgen, da bin ich mir ganz sicher, da werde ich sterben. Hm, das heißt, dass das dann wirklich meine aller letzte Nacht ist... Na, dann ist´s ja auch egal!<
Also das heldische Weib und griff mit der fatalistischen Rechten nach dem Krug gewürzten Weines und stürzte ihn die Kehle hinab und sprach da die geflügelten Worte:
>Na, toll, pennen kann ich auch nicht mehr!<
Da erhob sie sich vom Lager und warf sich schnell das Fell eines Bären über. Diesen Bären hatte sie auf den Tag genau vor drei Jahren mit dem Bogen erlegt, als der grimme Geselle sie auf einen Baum gejagt hatte. Da Jelke Thorgesttochter, die kundige Schwertkämpferin, eine lausige Schützin war, hatte sie an die dreißig Pfeile in den armen Bären schießen müssen, ehe sie ein lebenswichtiges Organ traf. Deshalb zog es ganz schön in dem Fell, war aber immer noch besser als garnichts.
Derart gewärmt trat sie ins Freie und machte sich auf, nach dem Thal zu sehen, ob dieser vielleicht noch wach sei, oder, was noch besser, sie ihn wecken konnte.
Also das herrlich Weib, die Jelke Eisenseite.

Jelke zog den Vorhang am Zelteingang zur Seite und flüsterte in die Dunkelheit:
>Thal? He, Thal!<
>Ja?<
>Bist Du noch wach?<
>Nach einem Blutbad, das den ganzen Tag gedauert hat, fällt mir keine recht originelle Antwort auf diese klassische Frage ein. Hmm...wie wär´s mit: kommt darauf an?<
>Na, geht so!<
>Tut mir leid!<
>Ach, schon in Ordnung!<
>Danke!<
>Bitte! Darf ich ´rein kommen?<
>Klar, immer herein!<
Ein kleines Öllämpchen wurde entzündet.
>Wie geht´s?<
>Gut!<
>Ist Dir nicht kalt?<
>Ne, wieso?<
>Na, ich meine nur wegen den vielen Löchern in dem Fell!<
>Geht schon. Ich konnt´ nicht schlafen.<
>Hab ich mir schon fast gedacht.<
>Und Du?<
>Ich auch nicht.<
>Warum nicht?<
>Weil ich Gestern meinen letzten Rest Wein getrunken habe? Außerdem dröhnt mein Hirn noch immer von dem Schlag, den der schrecklich Telamon mir auf den Helm gab. Oh, diese Glocken!<
>Oh! Na ja, gut! Ich hat ´nen seltsamen Traum.<
>Erzähl!<
>Na, wenn du so aufdringlich fragst. Also: Ich träumte, ich wär ein großer, weißer Vogel...<
>Eine Gans!<
>Ein SCHWAN! Und ich sang mein Lied, und mein Lied lockte drei Tiere an. Das eine war ein riesiger Eber mit gewaltigen Hauern. Wild war sein Schnauben und in seinen Augen blitzte es auf vor Mordlust. Seltsamer Weise schien ihn mein lieblicher Gesang zu erzürnen.<
>Und du bist Dir da ganz sicher, ich meine mit dem Schwan?<
>JA! Also, das zweite Tier war ein Löwe, wildbemähnt und ganz stolz vom Gehabe. Der sah mich an, als hätte ich ihm ein Leid getan, als wolle er mich dafür fressen.<
>Meine Güte!<
>Wahnsinn, nicht? Und das dritte Tier war ein Wolf mit silbernem Fell. Der hatte ganz weise Augen und schien mir der gefährlichste von allen.<
>Ist nicht die Möglichkeit!<
>Wirklich, wenn ich´s doch sage.<
>Und dann?<
>Na, dann sprangen Löwe und Eber auf mich.<
>Und der Wolf?<
>Der zögerte.<
>Aha! Und Du?<
>Ich sprang hoch und schwang mich in die Lüfte, gerade noch rechtzeitig, sonst hätten mich Eber und Löwe zerquetscht.<
>Meine Herren! Und der Wolf?<
>Kaum dass ich den beiden entgangen, sprang der Wolf auf mich zu, so als habe er gewusst, was ich vor hatte.<
>Mir fehlen die Worte! Und dann?<
>Na, dann bin ich aufgewacht.<
>Verdammt!<
>Aber ehrlich. Thal sage mir, was kann dieser Traum bedeuten?<
>Keine Ahnung! Und du?<
>Ich auch nicht!
Schweigen.
>Was machen wir nun mit der Nacht?<
>Lass uns sehen, ob die anderen heldischen Hunderschaffführer schlafen, oder ob auch sie des Morgen nahend Verhängnis den Schlaf fliehen läßt. Auch könnten wir dann beraten, wie wir morgen sterben soll´n!<
>Super!<
>Nicht wahr! Also, geschwinder Thal, enteile du nach der linken Hälfte des Lagers, dass du die Helden zum Rate sich sammeln heißt, ich aber eile nach der Rechten!<
>Bis dann!<
>Tschüß!<

Autorenplattform seit 13.04.2001. Zur Zeit haben 687 Autoren 5378 Beiträge veröffentlicht!