Die Saga von Jelke Eisenseite
von Carsten Maday

 

Telamon. Der Witwenmacher, der Vertilger! Der Name war Programm, kein Zweifel, dachte Jason als er seinen Feind, Gegner, nein, Bundesgenossen musterte. Der Witwenmacher unterhielt sich mit der Praefecta, und man unterhielt sich gut. Lachen von beiden. War er ein Feind? Nein! Aber ein potentieller, ein potenter auch! Jason hatte ihn kämpfen sehen, aus weiter Ferne zwar, aber kaum zu übersehen. Es war erschütternd, gnadenlos, brutal, bewundernswert. Ein Man, denJason gerne unter seinen Leuten gehabt hätte, aber durchaus ungern unter den Gegnern.
Und erst die Unterredungen der Feldherren vor der Schlacht. Der Missmut schien dem Vertilger mit dem Meißel ins harte Gesicht gehauen gewesen zu sein. Seine Augen hatten sich verächtlich durch den Legaten gebrannt. Sein Gesicht, sein ganzer Körper schien angespannt zu gewesen sein, nicht um jeder Zeit auf den Lollius loszugehen und ihm die Kehle herauszureißen, eher so, als habe es ihn die größte Willensanstrengung gekostet, den Legaten eben nicht umzubringen.
Und nun? Er lachte, scherzte, war entspannt, nicht nur vom Wein, dem er wie alle Anwesenden fleißig zusprach. Er war ein perfekter Gastgeber. Steckten zwei Seelen in der Brust des Mannes? Warum sollten sie? Jason zog es an seinen besseren Tagen vor zu glauben, dass die menschliche Seele groß genug für ein oder zwei Unvereinbarkeiten war. An seinen normalen fragte er sich, ob der Mensch überhaupt eine hatte. Er hatte Soldaten die tollsten Dinge in erstürmten Städten treiben und Jahre später als liebende Väter im Schoß ihrer Familie sitzen sehen.
Warum sollte sich der Witwenmacher nicht in angenehmer Gesellschaft zu unterhalten suchen, zumal die Anwesenden mehr Gemeinsamkeiten hatten, als ein steinaltes Ehepaar: Den Krieg, den Tod und selbstverständlich unendlich viele Geschichten über beide.
Telamons Menschenkenntnis nun schien sich darauf zu konzentrieren, sich selbst, die eigene Stärke zu kennen. Das machte ihn als Gegner bedrohlich, als Mann durchaus nicht unsympathisch. Wie Insanus! Viele große Männer überschätzen ihre Macht, aber Insanus kannte seine Grenzen genau, überschritt sie allerdings stets mit diebischer Freude. Kannte der Witwenmacher seine Grenzen? Würde er es wagen, sich mit den Jovenern anzulegen, wenn beide Trupps auf die Jelke Eisenseite stießen? Würde er sich mit dem Witwenmacher schlagen um die Jelke? Lollius hatte es befohlen. Und sie war Jællens Schwester. Da sammelt man wohl kaum Pluspunkte bei einer Frau, wenn man tatenlos zu sieht, wie ihre Schwester massakriert wird. Verdammt! Allerdings machte sich Jason nur wenig Hoffnung mit dem kampfmüden Trupp Belger gegen die Lormyrer zu bestehen. Sein Blick kreuzte sich mit dem des Telamon, der ihm zunickte. Was soll das Sorgen, schien er sagen zu wollen. Was immer geschehen wird, wird geschehen. Aber nicht an diesem Abend.
Jason aber fand, dass er den Witwenmacher nun gut eingeschätzt hatte. Dass er aber allzu stolz auf seine Menschenkenntnis wurde, verhinderte die Jællen Thorgesttochter: gerade als Jason dachte, die Praefecta habe eine Großoffensive auf seine Libido gestartet, vor der Jason, nach einigen kleinen Scharmützeln versteht sich, die Waffen gestreckt hätte, hatte die rotumflammte Schöne einen unerwarteten Schwenk vollzogen und dem Witwenmacher ein wenig mehr ihres Lächelns, dem Funkeln ihrer Augen auch, geschenkt, als es dem primipilus lieb war. Weiber, dachte Jason und tat einen kräftigen Schluck und überdachte seine Strategie aufs Neue. Reactio oder actio? Als er absetzte, lachte Jællen gerade herzhaft über eine Anekdote des Vertilgers. Actio oder Reactio?, dachte Jason wieder und sah der Albe Tarna ins Antlitz. Darin war wieder das Lächeln. Die silbrigen Brauen ihrer blinden Augen zuckten ermunternd dem Centurio zu. Jason zeigte seine Zahnlücken, als er breit grinste.
Actio, dachte er und wandte laut die Rede an die Albe, die blinde Tarna Silberhaar.
>Liebste Tarna, sage mir, weit reicht ja deines anmutigen Lebens Spanne, ungleich den Menschen, dass du vieles weißt und vieles gesehen. Gerne nun würden wir von deinen holden Lippen hören Geschichten aus der Vergangenheit, die du gewiss erlebt, von mut´ger Recken Streit, von edlen Taten und, nun, von hoher Liebe auch!<
Da sah man, welch makellos schöne Zähne die Jællen hatte, denn nun war es an ihrer Kinnlade erstaunt herunter zu klappen, ein wenig mehr noch, als die Albe wie folgt dem Jason antwortete:
>Edler Jason, gerne will ich deinem Ersuchen folgen, ermunterst Du mich doch, wozu mein Herz mich drängt. Gerne will ich von Geschichten aus der Vergangenheit, die ich erlebt, von mut´ger Recken Streit und von edlen Taten Dir berichten. Von hoher Liebe aber weiß ich wenig...< Ihre Brauen zuckten erheitert, als sie den Blick auf die praefecta alae Jællen, die Tochter Thorgests, richtete. > ist mir doch der Richtige bis heute nicht begegnet.<
Der Jason aber grinste nun noch etwas breiter. Der Mund der Jællen aber musste sich wieder schließen, dass gebührlich die aufeinander gepressten Kiefer den Blick untermauerten, mit dem sie den Jason durchbohrte. Der Telamon aber lehnte sich genüsslich zurück, da er eine gute Geschichte stets zu schätzen wusste. Die Jællen aber hörte nur mit einem Ohr zu, denn übel gefiel es ihr, dass der Jason sie mit ihren eigenen Mitteln zu bekämpfen schien. Anstatt ihr nachzusetzen, hatte er geschickt einen Entlastungsangriff geführt, der die Praefecta ins Hintertreffen bracht und zum reagieren zwang. Während die ältere Thorgesttochter darüber sann, wie die Offensive zurückzuerlangen war, erzählte die Tarna Silberhaar vom Stamm der Dunkel-Alben von längst Vergangenem.

Vieles nun wusste die schwärzlich Albe zu berichten, vom Hrodgar Schildbrecher, dem größten Helden des Nordens, der die Mark für sich gewann. Auch vom Bienenwolf, wie er noch im hohen Alter gegen den Lindwurm zog. Da ließ auch Jællen alles Planen, zog sich ins Winterquartier zurück, wo man gerne überm Wein guten Geschichten lauschte. Sehr liebte sie nämlich die Mär vom Bienenwolf, die Thorgest ihr als keines Kind schon erzählt.
Da mussten die Helden sehr lachen, als die Albe berichtete, wie der tattrige Bienenwolf zu dem nicht minder senilen Lindwurm in die Höhle trat, beide miteinander kämpfen und mehr noch gegen die eigene Arthritis. Sie erzählte, wie der Lindwurm den Bienenwolf niederschlug und beinahe getötet hätte, wenn ihn nicht das Schnackeln im bösen Knie zu Fall gebracht hätte. Als es bei den Alten mit dem Kämpfen nun nicht mehr so gut ging, kamen sie ins Gespräch. Darüber wurde es Winter und die Höhle war bald mit Eis überzogen, so dass beide darin gefangen waren. Und noch heute geht die Legende, dass, wenn eines Tages die Jugend wieder so sein wird wie in den guten, alten Zeiten, das Eis schmelzen wird, und die Alten die Aufzählung ihrer Krankheiten unterbrechen und aus ihrem Berg steigen werden.
Als die Albe nun zu Hildebrand und Hadubrand kam, da hatten die Krieger schon mächtig gezecht.
Hildebrand traf seinen Sohn in der Schlacht. Obwohl er seinen Sohn nach seiner Geburt nie gesehen hatte, erkannte der Vater dennoch seinen Sprössling. Das war nicht schwer, meinte die Albe, denn sowohl Vater als auch Sohn besaßen ein untrügliches Familien Merkmal: eine enorme Nase! Da sagte Hildebrand: Meine Herren, den Zinken kenne ich doch! Halte ein, Jüngling, im mörderischen Schildgefecht, dass nicht einer von uns große Schuld auf sich lädt, wenn er den anderen zu Tode schlägt. Klar will Dir sagen, was ich nun glaube: dass Du mein Sohn bist.
Der Hadubrand verwirrt: Alter Hunnen-Zausel, Dir werd ich Mores lehren! Nimmer bist Du mein Erzeuger, denn der ritt am Tage meiner Geburt fort und starb in der Schlacht gegen den Hunnen!
Und der Hildebrand: >Nein, nein! Gar nicht wahr. Ich wollte zwar in die Schlacht reiten, aber auf halber Strecke hab ich ein Hufeisen verloren. Finde mal mitten im Nirgendwo einen Schmied. Hölle, sag ich Dir! Na, als ich einen fand und weiter ritt, da war die Schlacht bereits vorbei. So etwas kommt vor!<
Und der Hadubrand, der nervichten Hand Griff zum Schwerte des Jünglings kochendes Gemüte wenig verbergend: Ach, warum bist Du dann nicht zurück nach Hause gekommen?
Und Hildebrand: Na ja, war ich schon für ´ne Schlacht gerüstet, da wollte ich auch nicht ganz umsonst ausgezogen sein. Das hat dann noch mal ´ne ganze Zeit gedauert, bis ich irgendwo unterkam. Das waren damals ja auch so verflucht friedliche Zeiten, nicht so wie heute. Hölle, sag ich Dir!<
Und Hadubrand, erbost nun: Hundsfott, hunnischer Du! Nie bist Du der Hildebrand, denn der war stets ein ganzer Kerl...
>Tja, weißt Du, die Jahre gehen an keinem spurlos vorbei<, unterbrach der Vater den Sohn:
Und dieser:
>Wa...Ähm, ach ja! Genau, ein ganzer Kerl, klar, und nie hätte der sich für neidlichen Lohn dem hündischen Hunnen verkauft!<
Und der Vater:
>Jetzt ist aber gut, ja. Die Zeiten sind hart! Und der hünnische Hund...<
>Hündische Hunne!<
>Was? Ach, verzeih, sicher. Der hündische Hunne zahlt gut. Ist doch auch etwas! Muss ja auch für Weib und Sohn aufkommen...Oh, jetzt hab ich wohl was dummes gesagt, wie? Hör´ mal Junge...<
Der Junge aber wollte nicht hören und meinte, der Mann scheine ihm ein rechter Lügner zu sein und ein Feigling obendrein, dass er versuche sich mit billigen Tricks um den Kampf zu drücken.
Das ging den Hildebrand nun aber hart an. Da er sah, dass mit guten Worten nichts zu erreichen war, nahmen beide den Kampf auf, Vater und Sohn, im mörd´rischen Reigen umschlungen. Und die Sache ging so aus, dass der Hildebrand dem Hadubrand den Kopf abschlug.
>Also...<, sagte Jason, als er das gehört hatte. >Das nenn´ ich aber mal ein starkes Stück!<
>Hört, hört!<, sagten Telamon und Jællen in Chor.
Mit dem Becher in der einen Hand und der anderen wild gestikulieren vor Gesicht, wusste der primi pili Centurio nun folgendes zum besten zu geben:
>Meine Herren! Und Damen auch, oder anders ´rum? Egaaaalll! Also! Wo war ich? Klar! Haut dem Sohn einfach die Rübe ab! Unerhört, sage ich, gerade zu barararisch, äh, barbarisch, jawoll, so jetzt ist´s ´raus. Bei uns gibt´s dat nich, könnt ihr mir ehrlich glauben, sach ich nicht nur so, ich weiß es ganz bestimmt! Nun, im Büüüürgerkriech, jawoll, der lange, schreckliche Bürgerkriech, da kämpfte Bruder gegen Bruder, und Vater gegen Sohn. Das konnte durchaus vorkommen, ja! In einem Fall kämpfte sogar Enkel gegen Urgroßvater! Tja, das war ein Ding, sach ich Euch! So interessant dieser Einzelfall auch sein mag, wollen wir doch nicht den größeren Zusammenhang aus den Augen verlieren! Ähm! Verdammt! Jetzt hab ich ihn verloren!<
Jællen stand auf, warf den Stuhl um und begann hilfreich unter dem Tisch zu suchen.
Ehe der Vertilger der Thorgesttochter zu Hilfe eilen konnte, meinte die Albe vernehmlich, der Centurio habe das wohl eher im übertragenem Sinne gemeint.
Der stimmte der schönen Blinden gerne überschwänglich zu:
>Jawoll, ganz richtig erkannt, edle Tarna vom Stamm der Alben, den dunklen, nich´ den hellen, versteht sich! Jawoll! Übertragen! Außerordentlich übertragen, wie ich noch einmal betonen will!<
Jællen kam enttäuscht wieder zum Vorschein, stellte den Stuhl aufrecht hin und setzte sich, gebannt auf die Rede des Jason harrend.
>Ähm! Wo war ich stehen geblieben?<, meinte der.
>Beim Bürgerkrieg?<, sprang der Vertilger, der hurtige Renner Telamon ein.
>Echt? Wie bin ich denn darauf gekommen? Ach, klar, über die hünnischen Hunde! Genau! Sowat gibt´s bei uns nicht! Ich meine, dass Vater und Sohn aufeinander los gehn und so! Ich kann Euch sagen, der jovenische pater familias als solcher, na, mit dem ist nicht gut Kirschen essen, wenn ihr versteht was ich meine! Da hat der Sohn nix zu melden. Der bleibt unmündig, bis der Alte stirbt oder ihn gnädiger Weise in die Mündigkeit entlässt. Meiner hat mich erst entlassen, als ich mich für die zwote Runde eingeschrieben habe. Weiß noch, als wäre es erst gestern gewesen. Unter dem Konsulat von Scipio Persolus und...Verflixt, wer war das denn noch. Der Dingsbums? Nein! Wird doch nicht ganz allein Konsul gewesen sein!<
>Jetzt weiß ich auch, was Du erzählen wolltest!<, rief Jællen laut aus.
>Hört, hört!<, sagte der Witwenmacher.
>Erstaunlich!<, die Albe.
>Oder war´s Solvus Aenigma?<, der sinnende Centruio.
>Sicher, sicher. War ja selbst auch beim Verein, damals noch Pilum-Futter bei den Hilfstruppen. Wenn da Vater und Sohn aufeinander trafen, da gab´s kein Kopfabschlagen, nur Ohrenlangziehen. Und jeder, der´s gesehen hat, wird zustimmen, dass es besser ist, sich den Kopf abhacken zu lassen, als sich vor den versammelten Heeren an den Ohren vom pater familias vom Feld der Ehre, bzw. Schande schleifen zu lassen! Kriech ist echt die Hölle!<
>Genau!<, rief nun auch der Witwenmacher. >Und wisst ihr, was mir mal ´ne Frau ins Gesicht gebrüllt hat, nachdem ich ihr erneuten Zugang zum öffentlichen Heiratsmarkt verschafft habe?<
>Nö!<, meinte die Jællen.
>Is´ noch Wein da?<, der Centurio.
>Dass alle Soldaten Mörder sind!<, rief der Vertilger, der reisige Telamon.
Da hörte man die Krieger schallend lachen, denn allzu witzig schien ihnen der Zwang der Zivilisten, das offensichtliche in Worte zu kleiden.

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