Die Saga von Jelke Eisenseite
von Carsten Maday

 

Der Nornen Schluss

Schweigen trat ein. Nur der Wind heulte im Geäst des Götterbaumes. Jelke blickte ins Feuer und die wabernden Lohen zogen ihren Blick magisch an. Raum und Zeit verloren an Bedeutung. Dann riss sie des Thals Stimme aus dem Sinnen und erstaunt sah sie, dass das Feuer längst herunter gebrannt war. Das schwache Glühen der Asche tauchte den Stamm der Eiche in blut´ges Leichennass. Aus dem Augenwinkeln vermeinte sie Schatten gewahr zu werden, doch wendete sie den Blick nach ihnen, verschmolzen sie mit der Dunkelheit. Nein, sie waren nicht mehr allein. Fragend besah sie sich den Krieger. Ein Wolf heulte in weiter Ferne. Kam er näher? Kam ER näher, schoss es der Thorgesttochter durch den Kopf. Die wilde Jagd?
Und der Einhändige sprach mit Grabesstimme:
>Nun, Jelke Thorgesttocher. Glaubst du noch an die alten Götter? Künde mir dein Schicksal, denn ich spüre des Rauners Nahen.<
Und die Schildfrau erwachte wie aus einem Bann, blickte tief in des Kämpen Auge und sprach:
>Was kümmern mich die Götter. Wenig Heil erwuchs mir von ihnen. Nein, mein Schicksal liegt nicht in Wyrds kund´ger Hand.<
Sie zog das Schwert, fasste es fest, wie zum heiligen Schwure und sprach:
>Siehe, darin liegt mein Schicksal. Frei bin ich geboren, frei mag ich sterben. Meine Zukunft liegt in meinen Händen. Mit Schwertes Taten schreib ich mein eignes Schicksal. Kein Mann, kein Weib hat Gewalt über mich. Auch deine Götter schrecken mich nicht. Für sie ist in meinem Herzen nur wenig Platz.<
Thal aber schwieg lange. Dann sprach er:
>Die Götter zu erzürnen bereute schon so manch einer vor Dir, oh Thorgesttochter. Alle vergingen vor ihrem Zorn. Noch sah ich den Recken nicht, der ihnen zu trotzen vermochte.<
>Dann siehe ihn jetzt<, rief nun Jelke erhitzt in die Nacht.
>Hier stehe ich, Jelke Thorgesttochter, von freier Geburt. Mich kriegt ihr nicht unter, verdammte Bande. Ha, ich lach euch ins Gesicht. Ich leugne Euch, denn nichts als staubige Götzen in einem über und über mit Blut von Tausenden Opfern besudelten Tempel seid ihr. Verrecket.<
Da heulte der Wolf nun ganz in der Nähe auf und in weiter Ferne vernahm sie rasende Pferde durchs Gebirge hetzen. Die wilde Jagd!
Und erbost schrie die Thorgesttochter, dass des Wolfes grauses Geheul sich ausnahm, wie eines jungen Welpen Gewinsel:
>Ha, komm nur herbei, Gott der Toten, komm und richte die Frevlerin, strecke mich nieder, wenn du Mann genug dazu bist, ha, Gott genug! Komm, stoße mich nieder mit deinem blut´gen Ger , der schon unzählig Unheil über unser Geschlecht gebracht. Lieber vergehe ich, als mich deinem Spruch, ha, deinem SCHICKSAL zu unterwerfen. Lieber tot und frei, als ewig dein Knecht!<
Das Geheul des Wolfes verschwand in der Dunkelheit, die wilde Hatz entfernte sich in Richtung Gebirge.
Erschöpft ließ sich die Thorgesttochter wieder auf den Baumstumpf sinken. Thal warf ihr einen müden Blick zu.
>Macht du das eigentlich öfter?<
>Nein, na ja, hin und wieder. Tut manchmal gut sich auszukotzen, was?<
>Und, geht´s jetzt besser?<
>Ja! Ist noch Wein da?<
>Ja.<
Schweigen.
>Also verfolgt er Dich, wie?<
>Kannst du wohl sagen. Hast du die Pferde gehört?<
>Die wilde Jagd?<
>Ja! Normalerweise bin ich die einzige, die sie vernimmt. Wer bist du?<
>Später. War diesmal verdammt nah, was?<
>Allerdings. Weißt du, das Blöde an dem alten Einauge ist, das er nun ´mal ein Gott ist, und denen entkommt man nur verdammt schwer.<
>Dann glaubst du also doch an ihn?<
>Mir bleibt ja wohl nichts anderes übrig. Ich meine, ich werde von einem Gott mit einem Auge verfolgt, der mit ´nem achtbeinigem Gaul wie ein Wahnsinniger durch Midgard prescht und sich ´nen Heidenspaß daraus macht, mich zu belästigen?<
>Schon, aber ich dachte, du hättest gerade seine Existenz geleugnet!<
>Ach das. Ich glaub, das hasst er wohl besonders. Da kann ich nie widerstehen. Ich lass mir nicht in mein Leben reinpfuschen, nicht von ihm, noch von drei alten Weibern, die vorgeben an einem Webstuhl die Schicksalsfäden eines jeden Menschen zu spinnen. Das muss man sich allein einmal praktisch vorstellen. Drei Frauen, die Millionen von Fäden spinnen, kontrollieren, abschneiden. Wenn da ´mal nicht alles drunter und drüber geht. Da nehme ich doch lieber mein Schicksal selbst in die Hand. Das hat durchaus seine Vorteile. Nur ER nervt manchmal ziemlich. IDIOT, jawohl, IDIOT!<
Das kriegstüchtige Weib goss sich einen kräftigen Schluck in die Kehle.
>Und Du? Glaubst du an den ganzen Kram?<
>Ja!<
>Oh! Du glaubst wirklich, dass dein Schicksal von der Nornen Spruch vorbestimmt, dass des Walvaters Macht dein Leben beherrscht?<
Und der Krieger antwortete mit dunkler Stimme, dass dies sein fester Glaube sei, der einzige, den er habe.
Die Thorgesttochter aber:
>Wahrlich, du bist ein Fatalist. Besieh Dich doch nur selbst, welch schwere Wunden, welch hartes Leid du empfingst. Wie kannst du da noch den Göttern die Treue halten?<
Der Schwarzgepanzerte schenkte der Schwertmaid einen traurigen Blick und sagte, dass sie in allem ganz wahr gesprochen, denn unsäglich Leid habe er schon erlitten, dass sich seine Verstümmlungen wie kleine Kratzer ausnähmen.
Und mit zittriger Stimme fuhr er fort:
>Ja, einst war ich in Liebe verbunden mit einem herrlichen Weibe, krieg´risch und sanft zugleich. Gudrun, die Tochter Egils ward sie geheißen. Tief berührte sie mein Herz, und lang dauerte es, dass ich ihre Hand vom Vater erhielt, denn der war ein hoher Jarl und ich nur ein armer Wiking. Doch mit meines Schwertes Taten gewann ich Ruhm und Beute zu Hauf, dass der kühne Mann mir die Tochter nicht länger verwehren mochte.<
Er hielt inne. Bewegt reichte die wackre Jelke ihm den Schlauch. Gierig trank er. Und er trank als galt es sein Herz ob solcher Worte zu betäuben. Ruhig aber hieß ihn die Thorgesttochter fortzufahren, ahnte sie doch, welch Last auf seiner Seele lag.
Also der Mann:
>Bald also lebten wir in tiefer Lieb´ zusammen und nach ihres Vaters Tod fiel mir die Jarls Würde zu. Schon ging sie mit einem Sohne unter dem Herzen, als des Krieges Ruf mich ereilt zu ziehn in die Fremde, wie ich´s einst beim Blute gelobt, den Schwurbrüdern beizustehen in jeglicher Drangsal. Doch schwer fiel mir der Abschied von geliebten Weibe, denn nahte sich die Stunde doch der Niederkunft und ich ahnte, dass nichts Gutes aus meiner Abwesenheit erwachsen würde.<
Ein weiterer Zug und Jelke fasste dem Mann die zitternde Hand.
>Und wirklich, gedungene Raubscharen überfielen unsre Burg, und mein Weib floh mit dem lallenden Knäblein an der Brust hinauf in den Erker der Feste. Bald brachen die Tore und mordend Kriegsvolk ergoss sich in den Hof. Doch der Mann, der sie anführte, trachtete nach anderem, als reicher Beute. Ihm gelüstete es nach der Jarls Würde und meinem Weibe. Bald schon fielen harte Schläge an die Pforte des Turmes, schon barst sie und eiliger Männer Schritte erschallten die Treppe hinauf. Da wusste meine Gudrun, dass es keinen Ausweg mehr gab. Den Knaben, der den Vater nie gesehen, erwartete der Tod von des Gräulichen Hand, sie aber Gewalt und Schändung. Mit dem Knäblein, fest an die Brust gepresst, sprang sie vom Turme in die Tiefe, den Tod suchend, wie es der Tochter Egils geziemte!<
Der Mann hielt inne. Heiße Tränen liefen ihm aus dem Aug´, benetzten Wange und Bart.
Jelke sprach:
>Schäme Dich deiner Tränen nicht, Thal, denn tief sitzt dein Kummer, ich spür´s. Lass ihn heraus, denn unmenschlich wär’s ihn für ewig im Herzen einzuschließen.<
Und Thal, dankbaren Blicks:
>Wahrlich, weise sprichst du, denn wie sollte ich mich um der Tränen Willen schämen, die ich fürs geliebte Weib und den Sohn vergieße.<
Schnief!!!
>Hass beherrschte seither den Platz meines Herzen, den einst die Lieb´ erfüllt. Ruhelos wanderte ich umher, den Mörder meines Weibes zu suchen. Drei lange, harte Jahre dauerte es, bis ich ihn endlich stellte. Seine Knochen weilen nun bei Hel, doch mein Herz ist leer.<
>Doch sage, wie kannst du nun den Göttern die Treue weiter halten, wenn Walvaters Wille dir solch Schaden zugefügt?<
>Siehe, ich bin sein Geschöpf. Seine Macht ist in mir. Mein Schicksal ist, das seine zu erfüllen. Glücklich aber bin ich nicht darüber, das ist wohl soweit klar, und Morgen magst du wohl den Grund dafür sehen. Oft suchte ich seither den Tod in der Schlacht, doch dieser ist mir nicht beschienen, so sehr ich ihn auch herbei sehne. Nein, so leicht machen es uns die Götter nicht.<
>Hm? Ich weiß´ nicht! Die Wahrscheinlichkeit, dass wir Morgen herausfinden, ob es ein Schicksal gibt oder nicht, ob es ein Jenseits gibt, ist eigentlich recht groß, wenn ich mir die Stärke unsrer Gegner besehe.<
>Puh, ich denke, dass es mein Schicksal ist, zu sterben wenn ich glücklich bin. Das scheint mir das härteste, aber vielleicht auch das schönste.<
Jelke sah ihn zweifelnd an und der Mann zuckte entschuldigend die Schultern:
>Na ja, Jelke Thorgesttochter, vielleicht hast du ja auch recht, denn wenn wir Morgen alle zusammen ins Gras beißen, würde mich das auch nicht wundern.<
>Richtig, das ist eine Einstellung, mit der ich schon eher leben könnte. Ist noch Wein im Schlauch?<
>Hab´ noch einen dabei!<
>Gut!<
Thal griff nach einem neuen Schlauch, reichte ihn der Maid. Jelke hielt einen Moment inne, besah sich den Himmel und sprach mit fester Stimme:
>Ich pfeife doch auf Dich!<
Dann nahm sie einen tiefen Zug.
Die beiden zechten munter die ganze Nacht weiter. Ob sie wohl wie die anderen ihre Ungewissheit betäuben wollten?
Nein, wohl kaum!

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