Die Saga von Jelke Eisenseite
von Carsten Maday

 

Wie der Legat Lollius dem Tribunen zur Hilfe eilt

Folgendes ist nun vom Legatus Augusti pro praetore Quintus Petilius Lollius zu berichten, dass er seine Mannen mächtig antrieb und sich selbst nicht schonte. Dem Legaten waren die Arme längst schwer geworden, und er schwor sich, wenn er heil aus dieser Sache hervorkäme, wieder regelmäßig trainieren zu gehen. Er blockte müde, schlug nach einem Seeschäumer. Aber der Schlag war allzu kraftlos geführt und konnte nicht die Brünne seines Gegners durchstoßen.
Wie befohlen hielt der Tribun Ambitus die Stellung an seiner Seite. Und er hielt sie gut, wie Lollius enttäuscht hatte feststellen müssen. Er hatte jeden Befehl des Lollius befolgt und dabei eine Tollkühnheit an den Tag gelegt, die nicht wenig dazu beitrug, dass die Seeschäumer Schritt um Schritt wichen, und um die zu bewundern der Feldherr nicht umher kam. Ambitus wirkte frisch, seine Bewegungen waren noch geschmeidig, während es dem Lollius bereits einige Mühe abverlangte, seine Deckung zu wahren. Ein, zwei Mal hatte ein Seeschäumer den Lollius in höchste Not gebracht, als er ihn blitzschnell von der rechten Seite anging. Wie zufällig hatte der Tribun seine Aufmerksamkeit anderem gewidmet. Nur Lollius Geschick mit der Klinge bewahrte ihn vor des Todes Verhängnis. Gern hätte der Legat solches vergolten, aber einen der Feinde zum Tribunen durchzulassen, bedeutete die rechte Seite zu entblößen.
Lollius riss das scutum hoch, entging dem Schlag und zog sich ins zweite Glied zurück, um sich Überblick zu verschaffen. Die Wolfskrieger waren vorgerückt und nun, wo sie festen Stand hatten, ging es besser. Die Seeschäumer waren zwar gewichen, aber von einem Zusammenbruch ihrer Reihen konnte keine Rede sein. In der Mitte war die Front erstarrt und am rechten Flügel schien der Feind wieder Boden gutzumachen. Links ging Jællen mit ihren Belgern die Wikinger stark an, die jetzt das Fehlen der anderen, die den zweiten Hügel hielten, schmerzlich zu spüren bekamen.
Wenn die mutige Praefecta dort durchbrach, konnten sie die Feinde umschließen und in die Zange nehmen. Hätte ich nur ein paar Mann zur Reserve, dachte er, aber so musste die Jællen es allein schaffen, um jeden Preis! Lollius Augen suchten nach dem Centurio, fanden ihn aber nicht. Sorge schlich sich in des Legaten Herz, ob es den Jason vielleicht erwischt hatte.
Als Lollius nach den signifer rufen wollte, stemmten sich die Seeschäumer auf und warfen die Wolfkrieger einige Fußbreit zurück. So wild erneuten sie ihren Angriff. Mit dem Mut der Verzweiflung brachen einige der Krieger in der Mitte durch und trugen Verwirrung in die rückwärtige Reihe. Zwei Nordleute stürzten sich auf den signifer, hieben ihn nieder und versuchten seine Hände von der Standarte zu reißen, die sie noch im Todeskampf festumschlossen hielten.
Lollius eilte zur Hilfe, doch der Ambitus kam noch vor ihm heran.
Mit Macht warf er sich gegen den gepanzerten Felwig und stieß ihn beiseite, hieb dem anderem das Schwert über den Rücken, als er versuchte, die Standarte an sich zu reißen. Ambitus Schwert verkeilte sich in der Wirbelsäule. Er bekam es nicht frei und ließ es fahren, um die Standarte aufzunehmen. Als er sich wieder erheben wollte, warf ihn der Tritt des Felwig wieder zu Boden. Der Soldritter stand mit erhobenen Schwert über dem Tribunen, der mit der einen Hand das Feldzeichen umschloss und mit der anderen nach seinem Dolch tastete.
Da endlich war Lollius heran. Von hinten schlug der dem Ritter das Schwert in die Kniekehle. Das Bein brach weg, Felwig schrie auf und fiel mit dem Rücken auf den Boden. Seine Hand ließ vom Schwert und Lollius Fuß drückte sich auf seine Brust, als der Legat nach einer Lücke in der starken Rüstung des Mannes suchte. Als er keine fand, stieß er ihm durch den Sehschlitz des Helmes ins Hirn. Zappelnd floh den Felwig das Leben.
Lollius zog seine Klinge aus dem Kopf des Toten und wandte sich grinsend zu dem Tribunen, der noch bleich vor Schrecken am Boden lag. >Was immer dieser getan<, dachte Lollius, als er das Feldzeichen in Ambitus Hand sah, >durch seine Tat hat er alles aufgewogen! Wei, jetzt muss ich ihm wohl noch ´ne Auszeichnung verpassen!<
Der Tribun streckte seinem Legat das Feldzeichen entgegen. Lollius legte den Schild nieder, steckte das Schwert weg und griff die Legionsstandarte. Die andere Hand hielt er dem Tribunen entgegen. Sie fassten sich an den Unterarmen, Lollius rammte das Feldzeichen in die schlammige Erde und zog den Tribun mit Kraft zu sich. Der Schwung warf den jungen Mann an die Brust seines Feldherrn und für einen Augenblick umschlangen sich die Männer mit den Armen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Der Kopf des Ambitus barg sich in des Legaten Halsbeuge. Lollius spürte seinen Atem. Der Legat hob seine Hand, lächelte und strich dem tapferen Tribun wie einem Knaben übers Haar. Ambitus Gesicht kam hoch, ein böses Grinsen verzerrte es. Er machte einen Schritt zurück. Blut tropf von seiner Hand.
Der Dolch des Tribunen war kein schwerer pugio, sondern von nordisch Machart, dreischneidig, scharf und spitzig, seinem niederträchtigem Sinnen dienlicher. Glatt ging diese Waffe durch Kettenpanzer und wie Butter durchs Fleisch. So kam es, dass der Legat Lollius nur einen kleinen Stich spürte, als die schreckliche Waffe von hinten durch die Rippen in seinen Leib glitt, dort, wo der Brustpanzer die Achsel preisgibt. Des Lollius Lächeln wandelte sich vom liebevollen in ein seltsam entrücktes, beinahe dümmlich anmutendes, als der Schock den Körper vor dem Schmerz verschloss. So fühlte er nur einen beißenden, schnell abklingenden Schmerz, den der Legat nicht einordnen konnte, als der Tribun den Dolch in der Wunde umdrehte.
Der Assentator machte einen Schritt von seinem Feldherrn weg, der ihm verständnislos zulächelte. Das hämisches Grinsen war von des Tribunen Lippen gewichen. Sorge schlich sich in seine Züge, dass der Legat noch stand. Er wich weiter fort.
Lollius spürte ein Kribbeln am Rücken, ahnte dunkel, wohin er greifen musste. Er sah über seine Schulter, sah den Griff des Dolches, der bis zum Heft in seinem Fleisch steckte. Blut sickerte hervor.
>Wa...<, machte Lollius und drehte sich fragend zum Tribunen, der erbleichte.
>Ich bin getroffen!<, stellte Lollius ganz richtig fest. Er versuchte den Arm zu heben, aber seltsamer Weise wollte es ihm nicht gelingen. Er langte mit dem anderen Arm über die Schulter, schaffte es gerade den Griff der Waffe zu ertasten. >Jupiter, bin ganz schön steif geworden<, kicherte er. Er streckte sich und bekam den Griff zu fassen. Mit einem Ruck riss er sich den Dolch aus dem Leib und vergrößerte die Wunde nicht wenig dabei. Eine muntere Fontäne Blutes schoss hervor.
>Oh...<, sagte Lollius, als er das Blut spritzen sah. >Hab mich selbst entkorkt, hihi...< Einen Moment lang überlegte er, ob er den Dolch wieder zurückstecken sollte, um die Wunde zu verschließen, beschloss dann, dass das keine gute Idee war. Er blickte auf die Klinge. Der Regen vermischte sich mit dem dunklem Blut zu einem rostig rotem Film. Eine gute Klinge, dachte er, man musste sie nach dem Kampf ordentlich reinigen, damit sie nicht zu Schaden kam. Er streckte dem Arm aus und dem Ambitus die Waffe anklagend hin. Den hielt es nun nicht länger und der Tribun gab Fersengeld.
>Rennt einfach davon, der Junge<, dachte Lollius. >Man muss es ihm nachsehen, ist ja seine erste Schlacht.< Lollius wankte, der Dolch entglitt seinen Händen. Ich muss mich setzen. Einen kleinen Augenblick nur ausruhen. Er verlor das Bewusstsein und glitt neben der Standarte zu Boden.

Ein Regentropfen schlug auf dem Lid des Legaten ein und riss ihn aus der Schwärze seiner Ohnmacht. Er öffnete die Augen, wusste nicht wo er war, sah nur ein wildes Durcheinander von Beinen. Schreie drangen an sein Ohr. Die wirbelnden Bilder machten in Schwindeln und der Legat schloss die Augen wieder. Kälte kroch durch seine Glieder. Den linken Arm spürte er nicht mehr.
Sie brechen durch! Sie brechen durch! Der Legat ist gefallen, Lollius ist tot!
>Oh<, dachte Lollius, >Der arme Mann. Was mag nun aus uns werden?<
Männer schrieen. Waffengeklirr wenige Schritt neben dem Legaten. Die Reihe schließen! Na los, vorwärts! Was ist mit dem Legaten? Ist er tot? Nein, Praefecta, er lebt, aber ich kann die Blutung nicht stillen! Verdammt! Wo ist der Centurio? Ich weiß es nicht! Tot wohl! Erste Centurie, hierher! Bildet einen Kreis um die Standarte! Wir können sie nicht aufhalten! Wir müssen! Los, hierher! Deckung mit den Schilden! Lollius lebt! Der Legat ist am Leben! Wo ist dein Optio, Soldat? Tot, Praefecta! Der Decurio? Tot, sind alle tot, verdammte Scheiße! Los, Mann, reiß dich zusammen! Du übernimmst das Kommando! Jawoll! Treibt sie zurück, vorwärts! Es geht nicht! Sie rollen den rechten Flügel auf! Weg hier, wir können uns nicht halten! Nein, nein, sonst reißt ´s die Front völlig auseinander, wart ´s nur ab! Der Centurio! Centurio! Jason! Er lebt! Hierher! Hierher! Vorwärts!
Lollius verlor erneut das Bewusstsein.

Er spürte eine Berührung, eine Hand schloss sich um die seine. Er schlug die Augen auf, sah ein Gesicht über sich. >Jelke< Er glaubte zu lächeln. >Ach, Jelke, dass ich Dich noch einmal sehen darf, bevor des Verhängnis nahend Schwärze mich in den Hades entrückt!<
Aber nein, Legat, du wirst nicht sterben, wart ´s nur ab! Ruhig nun! Wie schtetsch mit ihm? Lolliusch, mein Lolliusch!
Jason, mein Jason, bist Du´s? Herr! Jason, was ist mit deinem Gesicht! Du weinst? Es wäre das erste mal! Wein doch nicht um mich, Freund! Bessre sind, die zu beklagen deiner Tränen Trauer würd´ger !
Nischt einer, oh Lolliusch! Ach, wie bitter ist´s vom Leben zu lassen, wenn man´s so sehr liebt! Doch ich will nicht klagen, denn du, Freund, bist an meiner Seite! Oh Jelke, JELKE, willst du mir Sterbenden deiner Lippen Kuss gewähren, nach dem ich mich verzehre?
Aber, Lolliusch.... Scht! Liebster! Rede nicht von Tod! Lebe, für mich, für uns! Jelke liebt Dich, wart ´s nur ab! Er spürte noch die weiche, zarte Berührung ihrer Lippen, ehe er in eine tiefes Dunkel sank.
Wasch... Ist doch egal! Ihn hat ´s glücklich gemacht! Außerdem bleibt ´s in der Familie.
Los, nimm ihn! Ich will retten, was noch zu retten ist! Du bischt ein tollesch Weib, Jællen!
Sie sah dem Centurio nach, als er mit dem Legaten in den starken Armen den Hügel herunter schlitterte.
>Und du, Jason, bist ein glücklicher Mann, dass du nach all den Jahren noch um jemanden weinen kannst!<, dachte sie sanft. Vorwärts, Männer, vorwäääääärts!
Aber alles war verloren, als die Jovener sahen, dass ihr Feldherr wie tot vom Schlachtfeld getragen wurde. Die Flanken brachen ein. Der erste, der den Rücken wandte, riss alles zu einer kopflosen Flucht mit. Die Seeschäumer nutzen ihre Chance, mähten die Fliehenden zu Dutzenden nieder und bald warf selbst der hartgesottenste Veteran seinen Schild fort und erhielt den schachvollen Tod in den Rücken. Jællen konnte einige der Klügeren um die Standarte scharen und sich in einiger Ordnung zurückziehen. Die Seeschäumer gaben ihre Stellung auf und gingen wie im Blutrausch vor. Keiner dachte noch an Gegenwehr. Die leichtgepanzerten Belger trat es am härtesten, denn ihre Beine taugten nur wenig zur Flucht.
Jællen sah den Hügel hinab, sah die wenigen Fliehenden, die auf die stählerne Front der Lormyrer zu liefen. Sie sah den schrecklichen Vertilger, wie er mit Befehl auf den Lippen das Schwert empor riss.
Und wären nicht im nämlichen Moment die Posaunen der ersten Desparata am Rand des Tales erklungen, Jællen hätte geschworen, der Witwenmacher hätte sie bis auf den letzten Mann niedergemacht.
So aber teilte sich die Front der Lormyrer und ließ die wenigen Überlebenden durch. Das waren keine dreihundert mehr. So verlor Jova mehr an Bürgern, als es durch Lollius´ Versprechen dazu gewann.

Autorenplattform seit 13.04.2001. Zur Zeit haben 687 Autoren 5378 Beiträge veröffentlicht!